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Bahnhofsmission Zoo: „Wir lachen hier mehr als wir weinen!“

Rund 600 Hilfesuchende steuern täglich die bekannte Bahnhofsmission Zoo an. Dieter Puhl hat als Leiter der Station jeden Tag mit denen zu tun, die von den meisten Menschen gemieden und verachtet werden. Er betreut, begleitet und vermittelt Obdachlose und versucht ihrer Not zu begegnen.

Von Liesa Dieckhoff

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Herr Puhl, wie sieht die Lebenswirklichkeit eines Obdachlosen in der Hauptstadt aus?
Stellen Sie sich vor, als Frau im Tiergarten zu schlafen und morgens um sieben wach zu werden. Es könnte sein, dass Sie auch bei Minusgraden keinen Schlafsack haben. Sie sind nass, haben auf der kalten Erde geschlafen und keine Toilette. Sie haben keine Haarbürste, keine Zahnbürste, keine Möglichkeit, sich zu waschen. Obdachlose Menschen haben von allem nichts. Obdachlosigkeit heißt im Regelfall, du hast mit allen Menschen gebrochen, die du mal um dich herum hattest. Alles um dich herum ist ziemlich finster. Mal auf Sie angewandt: Sollten Sie heute Abend nach Hause kommen und Ihre Wohnung ist abgebrannt – schlafen Sie dann im Park? Nein, da sind Freunde, Eltern, Partner – irgendjemand ist da. Und bei denen, wo es nicht so ist, da ist es ohne Schuld einfach blöd gelaufen im Leben.

„Ich bin überzeugt, dass die Bewältigung der Obdachlosigkeit eines der zentralsten Themen ist, das wir haben.“

Was brauchen in Not geratene Menschen am meisten, wenn sie zu Ihnen kommen?
Ein elementares Bedürfnis ist Hunger. Wir haben feste Essensausgaben, aber auch zwischendurch bekommt jeder etwas bei uns. Das Zweite: Menschen brauchen Menschen. Sie möchten reden. Zu uns kommen sehr viele Menschen mit psychischen Erkrankungen und Abhängigkeiten. Wenn Sie paranoid-schizophren sind und fünf Promille im Blut haben, dann sind Sie hilflos, möchten mit einem Menschen reden, der klarer ist als Sie, weil alles um Sie herum schon verrückt genug ist. Als Notkleiderkammer sind wir auch eine wichtige Anlaufstelle für Kleidung.

Welche Angebote machen Sie den Obdachlosen außer Essen und Kleidung?
Die Deutsche Bahn hat uns 100 Quadratmeter ausgebauten Raum kostenlos zur Verfügung gestellt, daraus wurde das Hygiene-Center. Jeden Tag, zwischen 10 und 18 Uhr, können sie dort erst einmal auf die Toilette gehen und zeitlich unbegrenzt duschen. Neben Pflegeprodukten können sie Rasierapparate nutzen und drei mal in der Woche schneiden ehrenamtliche Friseure ihnen die Haare. Durch großzügige Spenden konnten wir außerdem eine medizinische Fußpflege einrichten. Der eine oder andere wird in eine Senioren- oder Pflegeeinrichtung vermittelt, manchmal auch in eine eigene Wohnung. Das alles ist kostenlos. Aber nicht für jeden ist die eigene Wohnung gleich eine Hilfe – viele Menschen müssen erst an Psyche und Seele gesunden, brauchen fachärztliche Begleitung. Die Bahn hat uns außerdem 500 Quadratmeter zusätzlich geschenkt, 25 Jahre mietfrei. Dort wollen wir in Zukunft fachpsychologische Dienste anbieten und noch mehr mit Kindern zusammenarbeiten. Damit sie lernen, was gesellschaftliche Empathie bedeutet.

Wie ist Ihr Verhältnis zu den Gästen in der Bahnhofsmission?
Wir versuchen, ihnen eine andere Lebensqualität und -perspektive anzubieten, das gelingt uns auch manches Mal. Leider versterben auch Menschen, die uns nahe waren. Wir beerdigen sie dann auf unsere Weise. Dafür steht vor der Tür der Bahnhofsmission ein Abschiedsbaum, darin hängen Bändchen für die Verstorbenen. Da ist zum Beispiel ein rot-weißes Bändchen, das steht für Jannek: 58 Jahre, polnischer Bürger, der auf der Straße buchstäblich verfault ist. Ein blau-weißes Fähnchen erinnert mich an Klaus: punkig, sperrig, konnte einem gewaltig auf den Keks gehen, hatte aber Charme. Er ist mit 38 an Glühwein und Heroin gestorben. Ich erzähle diese Geschichten sehr drastisch, weil es die Wahrheit ist.

„Und dann ist da noch „Gottes Lohn“ für mich: im Frieden mit Jesus zu leben, gesegnet zu sein, etwas gesellschaftlich Sinnvolles zu machen und für andere Menschen auch ein Segen sein zu können.“

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Sie sagen von sich, Sie seien vor 26 Jahren als Atheist zur Berliner Stadtmission gekommen, heute sind Sie überzeugter Christ. Wie kam es zu dem Wandel?
Als ich nach Berlin gekommen bin, habe ich meine Diakon-Ausbildung gemacht, dann aber jahrelang ohne Jesus gelebt. Ich dachte damals, ich habe ein gutes Leben und es geht auch ohne ihn. Dann gab es mehrere entscheidende Entwicklungen. Besonders prägend war die Krankheit meiner Tochter. Da haben an einem Sonntag mal 50, 60 Kirchen für sie gebetet. Diese spirituelle Kraft war deutlich zu spüren. Und meine Tochter ist inzwischen 29 und zweifache Mutter. Ich bin sehr versöhnt mit dem Leben.

Gibt es etwas, das Sie als „Lohn“ Ihrer Arbeit empfinden?
Erst mal bekomme ich regelmäßig ein tolles Gehalt. Außerdem kommen hier täglich Menschen rein, die uns mit Liebe überhäufen, mit Geschenken, mit Geld, mit Kleidung. Zu vielen habe ich eine persönliche Beziehung – das tut total gut. Obwohl hier im Laden auch viele traurige Dinge passieren, lachen wir mehr als wir weinen. Und dann ist da noch „Gottes Lohn“ für mich: im Frieden mit Jesus zu leben, gesegnet zu sein, etwas gesellschaftlich Sinnvolles zu machen und für andere Menschen auch ein Segen sein zu können.

Wenn ich spüre, ich würde auch gern anderen Menschen helfen – was kann ich tun?
Es gibt deutschlandweit Obdachloseneinrichtungen, die sich immer über ehrenamtliche Hilfe freuen. Auch Sach- und Geldspenden werden gerne genommen; wir brauchen besonders Schlafsäcke und Unterwäsche, neu oder gebraucht. Natürlich können Sie das Geld auch gleich einem Obdachlosen selbst geben. Das Gegenargument ist da häufig: Ich geb kein Geld, der vetrinkt es nur! Da halte ich gerne gegen: Solange dieser Mensch alkoholkrank ist – und das ist keine Befindlichkeit, sondern eine ernsthafte Erkrankung –, solange hat er auch das Recht zu trinken. Außerdem sollten wir Menschen nicht entmündigen und uns über sie erheben. Der Kompromiss aus diesem Zwiespalt ist: Spenden Sie einem obdachlosen Menschen einen Euro und vielleicht einen Euro an eine Einrichtung, die mit ihm daran arbeitet, dass er mit dem Trinken aufhört. Und beten Sie auch gerne für uns.

Wie begegne ich Obdachlosen, Bettelnden mit einer angemessenen Wertschätzung? Was kann helfen, um Berührungsängste abzubauen?
Wenn wir wach und hinschauend durch unsere Kommune gehen, dann müssten wir eigentlich verrückt werden, weil das Leid uns anspringt. Aber wir nehmen die Menschen dann doch meist nur aus den Augenwinkeln wahr, das bleibt für mich ein unerklärliches Phänomen. Ich glaube, dieses Ausblenden ist nicht gut für unsere Seelen. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass die Bewältigung der Obdachlosigkeit eines der zentralsten Themen ist, das wir haben. Ich kann unseren Politikern nicht die Sorge um den Weltfrieden abnehmen, wenn vor unserer Haustür Menschen elend sterben.
Grüßen Sie den obdachlosen Menschen vor Ihrem Supermarkt! Fragen Sie ihn: Womit kann ich dir helfen? Das ist dann vielleicht eine Haarbürste. So können Barrieren, die wir zu diesen Menschen haben, ab- und Brücken aufgebaut werden. Das treibt uns hier an. Wenn Sie obdachlosen Menschen helfen, helfen Sie eigentlich sich selbst, nämlich Ihrer Seele.

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Dieser Artikel ist zuerst in der Lebenslust erschienen, die wie Jesus.de zum SCM Bundes-Verlag gehört.

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