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„Brot für die Welt“-Chefin: „Interesse an gerechter Entwicklungspolitik schwindet“

Seit mehr als 15 Jahren steht Cornelia Füllkrug-Weitzel an der Spitze von "Brot für die Welt". Am 12. Mai wird die Pfarrerin 60 Jahre alt. Im Interview spricht die Theologin über die Veränderungen der Entwicklungspolitik und darüber, wie sie trotz aller Armut und Katastrophen der Welt ihr Gottvertrauen behält – selbst nach ihrem größten persönlichen Schicksalsschlag.

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Die Entwicklungspolitik hat sich seit einem halben Jahrhundert der Überwindung der Strukturen von Armut und Gewalt verschrieben. Aber die Welt ist seitdem nicht viel besser geworden. Ist das ein Kampf gegen Windmühlenflügel?

Füllkrug-Weitzel: Schon seit den 70er Jahren wird über die nationalen und internationalen strukturellen Hemmnisse von Entwicklung gesprochen. Gearbeitet wurde daran aber nur ungenügend. Im Gegenteil: Entwicklung wird seitdem immer weiter untergraben durch unsere Entscheidungen im Bereich Außen-, Klima- und Wirtschaftspolitik. Häufig wird dann ausgerechnet der Entwicklungszusammenarbeit angelastet, dass der Kampf gegen die Armut sich nur schleppend verbessert. Das ist ärgerlich.

Sie beschäftigen sich schon lange mit dem Thema Entwicklungspolitik – wie hat sich die Diskussion seitdem verändert?

Ich sehe 1989/1990 als klare Zäsur. Entwicklungspolitik wurde nicht mehr als Instrument des Kalten Krieges gebraucht und darum abgewertet. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Entwicklungszusammenarbeit auch deshalb betrieben worden, um den jeweils eigenen Machtblock geostrategisch zu positionieren. Nachdem dieses Interesse wegfiel, ist zum Beispiel die Regierung Somalias von jetzt auf gleich fallengelassen worden, was dort den Zerfall des Staates eingeleitet hat.

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Die Auflösung der Machtblöcke ist 25 Jahre her. Welche neuen Herausforderungen gibt es seitdem?

Ich sehe ein schwindendes Interesse an einer Entwicklungspolitik, die ernsthaft das Ziel verfolgt, international gerechtere Strukturen zu schaffen. Ich sehe das Auftreten privater Stiftungen in der Entwicklungspolitik, etwa der Bill und Melinda Gates Stiftung. Das sind eigenständige Akteure, die über Milliarden verfügen und damit wirtschaftspolitische Entwicklungen in Ländern des Südens und Entscheidungen internationaler Geber beeinflussen. Sie können das große Geld hebeln in Richtung einer unternehmensfreundlichen Politik.

2013 gehörten Sie dem Kompetenzteam des SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück an und waren Kandidatin für das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Als diese Aufgabe an mich herangetragen wurde, habe ich mich mit den Spitzen unseres Aufsichtsrates und des Rates der EKD besprochen und gefragt: Ist das eine Chance für die Kirche? Wir waren uns dann alle einig, dass das eine große Möglichkeit birgt, um die Werte, die der Kirche wichtig sind, in die Entwicklungspolitik des Bundes einzubringen.

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In der großen Koalition ist das Entwicklungshilfeministerium allerdings an die CSU gegangen und nicht an die SPD. Erleben Sie Momente, wo Sie denken: Das würde ich jetzt anders machen als Minister Gerd Müller?

Ich habe keine Phantomschmerzen. Ich bereue weder, kandidiert zu haben, noch, dass ich es nicht geworden bin. Minister Müller ist jemand, der die für die Kirche wesentlichen Werte der Würde und der Rechte der Menschen teilt. Das ist anders als bei seinem Vorgänger Dirk Niebel, der die Anliegen der nachhaltigen Entwicklung mit Spott übergoss und mit Füßen trat. Ob sich Müller im Kabinett vor allem gegen die Gestaltungsansprüche des Auswärtigen Amtes durchsetzen kann, schwankt von Fall zu Fall. Diese Frage hätte sich aber bei mir sicher genauso gestellt. Die Widerstände gegen eine wertebasierte Entwicklungspolitik sind nicht zu unterschätzen, und man darf sich keine Illusionen über die Bedeutung dieses Ministeriums machen.

Seit mehr als 15 Jahren stehen Sie an der Spitze von "Brot für die Welt" und der Diakonie Katastrophenhilfe. Sie erleben gelingende Projekte

Es sind nicht wir, sondern vor allem die Partner im Süden, die für Entwicklung sorgen. Wir können dazu nur einen sehr bescheidenen Anteil leisten. Ich habe nicht das Gefühl, die große Macherin zu sein und am großen Hebel zu sitzen.

Sie erleben aber auch viele Katastrophen, die dicht aufeinanderfolgen wie jüngst das Flüchtlingsunglück im Mittelmeer und schon eine Woche darauf das Erdbeben in Nepal. Wie kann man die Auseinandersetzung mit solchem Elend über Jahre ertragen?

Ein großer Teil der Katastrophen und der Armut ist von Menschen gemacht. Wir können tatsächlich darauf Einfluss nehmen, dass das Ausmaß von Schäden in Zukunft nicht noch größer wird – Stichwort Klimawandel. Und wir können auch zur Bekämpfung der Ursachen von Armut, Hunger und Flucht beitragen. Wichtig ist, in anwaltschaftliches Engagement zu investieren neben den Programmen, die den Menschen ganz konkret helfen. Die bleiben ganz wichtig, denn es geht um jeden einzelnen Menschen. Man darf damit nicht zynisch umgehen.

Wie schützen Sie sich selbst davor, zynisch zu werden?

Es hilft mir, dass ich ein sehr gläubiger Mensch bin. Ich bin von einem Grundton der Hoffnung geprägt. Und ich weiß, dass unsere eigenen Handlungsmöglichkeiten begrenzt sind. Wir können das Reich Gottes nicht herbeiführen und Gerechtigkeit und Frieden auf der Welt schaffen – das ist Gottes Werk. Aber wir können und sollen unseren Teil dazu beitragen, auch wenn er bescheiden ist – er ist nicht nutzlos und umsonst.

Sie haben Ihr Gottvertrauen auch nicht verloren, als Ihnen das Schlimmste passiert ist, was Eltern passieren kann. Sie haben vor sechs Jahren Ihren fast erwachsenen Sohn verloren. Wie hat sich dadurch Ihr Leben verändert?

Das hat uns wie ein Blitz getroffen. Das ist wie eine Amputation der Hälfte der Seele und der Hälfte des gesamten Menschen. Man kann jedem, dem so etwas widerfährt, nur wünschen, dass er mit einem solchen durchtragenden Glauben beschenkt wird wie mein Mann und ich. Viele Menschen verlieren ihren Glauben in einer solchen Situation. Ich frage mich, wie man das ohne Glauben überleben kann.

Was hat Sie außer Ihrem Glauben durch diese Zeit getragen?

Sehr gute Freunde waren uns in dieser Zeit sehr nah und haben uns unterstützt. Das hat uns geholfen, die ersten Wochen zu überleben. Seitdem wissen wir, wie extrem wichtig es ist, Trauernde nicht alleinzulassen und nicht einen Bogen um sie herum zu machen, wie es heute üblich geworden ist. Bei allem Schmerz können wir auch dankbar zurückblicken auf die Jahre, die uns mit diesem wunderbaren jungen Menschen geschenkt worden sind – auch wenn er um seine großen Zukunftsträume gebracht worden ist: Er wusste genau, was er wollte: die Welt verändern – als Diplomat oder Menschenrechtskämpfer.

Das Interview mit Cornelia Füllkrug-Weitzel führte Thomas Schiller (epd)

Link: Brot für die Welt

(Quelle: epd)

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