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Deshalb lohnt es sich, zum Kirchentag zu fahren – trotz allem

„Wir sehen euch“, twitterte die Berliner Polizei zu Beginn des Kirchentags in Anspielung auf die Kirchentagslosung „Du siehst mich“. Nun, das Fazit der Ordnungshüter am Sonntag dürfte positiv ausgefallen sein. Meins übrigens auch. Wenn auch nicht unkritisch. Aber kann man dem Kirchentag mit seinen rund 2.500 (!) Einzelveranstaltungen überhaupt gerecht werden? Es muss an dieser Stelle bei einigen „Streiflichtern“ bleiben.

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Ein Kommentar von Daniel Wildraut

Ist der Kirchentag zu politisch? Das wird wohl immer eine Frage des persönlichen Geschmacks und damit ein Streitthema bleiben. Ich selbst schwanke bei der Beantwortung dieser Frage. Manche Kritiker charakterisieren den Kirchentag als „Wahlkampfbühne“ mit vorwiegend „rot-grünen“ Themen und Anbiederung der evangelischen Kirche an das politische Establishment. Viele konservative Protestanten monieren, es stecke zu wenig „Jesus“ drin, stattdessen reichlich interreligiöser Pluralismus. Eng damit verknüpft ist die Kritik an der vorherrschenden Theologie. Die ist vielen Evangelikalen und Pietisten zu liberal und „queer“. Unverständlich finden sie auch, dass messianischen Juden die Mitwirkung beim Kirchentag verwehrt bleibt. Dann die Finanzierung: In Berlin gehören nur rund 16 Prozent der Einwohner der evangelischen Kirche an. Trotzdem haben Bund, Land und Kommune die Veranstaltung mit 11,9 Millionen Euro gefördert. Das entspricht etwas mehr als der Hälfte der Gesamtkosten. Ist das angemessen?

Der Kirchentag ist keine Missionsveranstaltung. Das entspricht nicht dem inhaltlichen Selbstanspruch der Veranstalter, die für einen politischen, liberalen Protestantismus stehen. „Glaube und Politik gehören zusammen“, betont die Generalsekretärin des Kirchentags, Ellen Ueberschär. Vielleicht liegen in der Hinwendung zum Politischen aber durchaus Chancen. Seit Beginn der „Flüchtlingskrise“ haben sich liberale und konservative Christen deutschlandweit gemeinsam für Flüchtlinge eingesetzt. Die Evangelische Allianz hat nicht nur einen Vertreter in Berlin, sie ermutigt auch dazu, dass (konservative) Christen in der Gesellschaft Verantwortung übernehmen. Die Micha-Initiative der Allianz setzt sich gegen Armut und für globale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit ein. Ganz im Sinne einer „ganzheitlichen Mission“, die die Einladung zum Glauben mit dem Einsatz für Gerechtigkeit verknüpft.

Aber die konservativ-theologische Seele fremdelt wohl auch weniger mit den politischen Themen an sich, als vielmehr damit, dass bei den großen Podien des Kirchentags geistliche Themen wie zum Beispiel „Gebet“, „Bibel“ oder „Mission“ nicht vorkommen. Oder nur mit oben erwähnter theologisch liberaler Prägung. Warum nicht einmal eine Diskussionsrunde zur Frage „Wie kann Mission in der Postmoderne aussehen?“ Dies hatte das EKD-Ratsmitglied Michael Diener schon vor zwei Jahren angeregt.

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Abgesehen davon ging es in Berlin in vielen Veranstaltungen um geistliche Kernthemen. Und zwar nicht nur auf dem parallel veranstalteten „Christustag“ oder im „Geistlichen Zentrum“. Es wurde gebetet, Brote und Kelche gereicht, zahlreiche Gottesdienste gefeiert – und, wie immer, viel gesungen! Wenn 250 Jugendliche auf dem Breitscheidplatz ein spontanes Gospelkonzert geben oder ein Posaunenchor auf dem Ku’damm „Großer Gott, wir loben dich“ spielt, dann ist das Mission in einer Stadt, die der Berliner Landesbischof Markus Dröge in einer Diskussionsrunde als „religiös gemäßigte Zone“ bezeichnete. „Die Menschen hier kann man durch Frontal-Evangelisation gar nicht erreichen“, konstatierte er. „Um hier als Gesprächspartner überhaupt ernst genommen zu werden, müssen wir zunächst einmal gute soziale und diakonische Arbeit leisten.“

Hat der Kirchentag die Menschen außerhalb der Kirchen tatsächlich errreicht? Nun, der Kirchentag ist, aller „frommen“ Wünsche der Veranstalter zum Trotz, in erster Linie eine innerkirchliche Veranstaltung. Die „Strahlkraft“ in Stadt und Gesellschaft hinein ist nicht so groß, wie erhofft oder auch behauptet wird. Manche öffentliche Veranstaltung, zum Beispiel auf dem Alexanderplatz, fand trotz prominenter Gäste kaum Publikum. Mir sind sowohl Berliner begegnet, die sich wohlwollend äußerten (zum Beispiel darüber, wie sauber und umweltverträglich eine Großveranstaltung mit 150.000 Menschen sein kann!), als auch Menschen, die lautstark Kritik äußerten („Ihr scheinheiligen Gutmenschen!“). Für die meisten schien der Kirchentag jedoch schlicht keine Rolle zu spielen. So wie der christliche Glaube auch.

Warum zum Kirchentag fahren?

Wer die bunte Weite evangelischer Kirche erleben möchte, der kommt bei aller (teils nachvollziehbarer) Kritik um den Kirchentag nicht herum. Nirgends ist die Dichte christlicher Initiativen („Markt der Möglichkeiten“) und Künstler größer. Wer kirchliches Kabarett mag, der kam in Berlin voll auf seine Kosten. Christliche Musik? Gab es satt, von Bläsern und Gospel über Rock bis Worship. Dazu inspirierende Begegnungen mit tollen Menschen, Impulse für neue Gottesdienstformen, den Umgang mit Alten und Behinderten, nachhaltiges Handeln und, ja, auch den interreligiösen Dialog. Aber der gehört nun einmal zur Realität unserer Gesellschaft. Manche Predigt oder Bibelarbeit war mir persönlich zu „weichgespült“. Aber ich habe auf der anderen Seite auch theologisch intensive Debatten erlebt – zum Beispiel als die US-Pastorin Nadia Bolz-Weber mit Kirchentagspräsidentin Christina aus der Au über Sünde und Buße diskutierte. Die Liste ließe sich fortsetzen. Vieles fand ich gut, manches nicht. Muss Max Giesinger auf dem Kirchentag spielen? Geschenkt, viele Teenies fanden es cool.

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Der evangelische Kirchentag ist in der Spitze eine Veranstaltung des politischen Protestantismus. In der Breite hat er darüber hinaus weit mehr zu bieten. Es wäre wünschenswert, wenn die „kleinen“ Themen des persönlichen Glaubenslebens beim kommenden Kirchentag in Dortmund auch in der Spitze mehr Raum bekämen. Warum müssen es immer „nur“ Botschaften des politischen Protestantismus sein, die vom Kirchentag – besser gesagt: seinen Repräsentanten – ausgehen? Wie wäre es mit Botschaften in die Kirche hinein? Wann immer Rednerinnen und Redner in Berlin persönlich wurden, über ihren Glauben sprachen, dann kam das gut an. So habe ich es jedenfalls empfunden. Der Kirchentag betont stets seine Dialogkultur. Ein bisschen mehr Dialog zwischen verschiedenen theologischen Positionen würde ihm gut tun.

Warum zum Kirchentag fahren? Das habe ich zwei Teenager gefragt, die auf dem Weg zu einer Veranstaltung neben mir im Bus saßen. „Weil wir hier etwas für unseren Glauben mitnehmen“, erklärten sie mir. Dem ist nichts hinzuzufügen.

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