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„Ein liebender Gott verurteilt keine Organspender“

Politiker und Organisationen diskutieren darüber, inwieweit eine Widerspruchslösung die Antwort auf sinkende Organspendenzahlen sein kann. Was passiert, wenn eine Spendenbereitschaft vorausgesetzt wird? Und wie gestaltet sich die Thematik aus christlicher Perspektive?

PD Dr. Christoph Strey ist Christ und arbeitete jahrelang als Arzt in mehreren Organtransplantationszentren. Mittlerweile hat sich der 52-Jährige auf die Bauch- und Tumor-Chirurgie spezialisiert. Uns beantwortete er drei Fragen zum Thema.

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Jesus.de: Herr Dr. Strey, die Themen Organspende und Widerspruchslösung sind in aller Munde. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Strey: Ein langer Prozess hat zur gegenwärtigen Variante geführt, dass jeder Mensch sich bewusst für eine Organspende entscheiden muss. Die aktuelle Methode führt allerdings zu niedrigen Organspende- und Transplantationszahlen. Patienten, die Organe benötigen, erhalten keine, müssen leiden und mitunter sterben.

Länder, die eine Widerspruchslösung durchgesetzt haben, haben deutlich höhere Transplantationszahlen [Anmerkung der Redaktion: Dazu gehören in Europa unter anderem Belgien, Estland und Norwegen]. Viele Menschen setzen sich erst mit dem Thema Organspende auseinander, wenn sie unmittelbar damit konfrontiert sind. Mit der Widerspruchslösung verkleinert man letztlich die Gruppe der Menschen, die aktiv widersprechen – ein fehlendes „Nein“ unterstellt zumindest die Möglichkeit zu einem „Ja“ zur Organspende. Und das geht auf. Insofern ist die Widerspruchslösung eine adäquate Lösung für mehr Entnahmen.

Der derzeitige Vorschlag zur Widerspruchslösung sieht vor, dass auch die Angehörigen jeweils mit in den Entscheidungsprozess einbezogen werden. Das halte ich für sinnvoll und notwendig. Es ist für die Akzeptanz der Organspende und letztlich aus Rücksicht und Respekt erforderlich, die Angehörigen, die gerade unter dem Verlust eines nahen Menschen leiden, in die Entscheidung zur Organspende und -entnahme mit einzubeziehen.

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Auch jetzt wird die Entscheidung von den Angehörigen maßgeblich beeinflusst und sollte von ihnen mitgetragen werden. Selbst dann, wenn ein Mensch einen Organspendeausweis bei sich trägt, zeigt die gängige Praxis, dass Organe nicht entnommen werden, wenn die Angehörigen nicht zustimmen. Auch, wenn das Transplantationsgesetz diese Möglichkeit theoretisch einräumt.

Ich persönlich trage keinen Organspendeausweis bei mir. Die Entscheidung, ob meine Organe gespendet werden sollen, möchte ich meiner Familie überlassen. Wenn ich mich für eine Organspende aussprechen würde, wäre der Druck auf meine Angehörigen, gegen ihren möglicherweise ablehnenden Impuls in der Trauersituation handeln zu müssen, durchaus höher. Da die aktuellen Pläne zur Widerspruchslösung die Entscheidung der Angehörigen mit einbeziehen, wäre das aus meiner Sicht eine gute Lösung.

Was sind die Pros und Kontras aus christlicher Perspektive? Gerade das Thema Hirntod im Gegensatz zum körperlichen Tod wird schließlich in christlichen Kreisen immer wieder diskutiert.

Den körperlichen Tod und den Hirntod voneinander getrennt zu betrachten, ist schwierig. Letztlich ist beides Teil eines jeden Sterbeprozesses und tritt nacheinander ein. Denn das Gehirn stellt aufgrund seines hohen Sauerstoffbedarfs die Funktion meist als erstes ein. Auch unabhängig von der Organspende-Situation kann der Fall eintreten, dass eine Hirntodfeststellung zur Therapieeinstellung führt. Eine Therapie, die sonst den Sterbeprozess ohne sinnvolles Ziel verlängert. Die medizinischen Möglichkeiten werden im Kontext der Organspende dann genutzt, die zukünftigen Transplantate vor Schaden durch den Sterbeprozess zu schützen. So wird medizinisch der Sterbeprozess zugunsten der Organempfänger verlängert.

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Ich kann aus christlicher Perspektive durch diese medizinische Beeinflussung des Sterbeprozesses keine grundsätzlich andere Sterbe-Kategorie erkennen und kann daher auch nicht ableiten, dass deswegen keine Entnahme durchgeführt werden sollte. Gott hat ein großes Herz für seine Kinder. Wenn wir unsere Ressourcen nutzen, um Organe zu spenden und so einander zu helfen, wird Gott nicht hinter uns stehen und dies missbilligen. Zumal sich das durchaus als ein erweiterter Akt der Nächstenliebe durch den Spender ansehen lässt.

Auf der anderen Seite kann ich gut verstehen, wenn jemand zu einer anderen Bewertung kommt und sagt: „Ich habe ein Recht auf einen natürlichen, medizinisch unbeeinflussten Sterbeprozess, wenn keine Therapieperspektive für mich selbst mehr besteht. Ich möchte meinem Körper die Möglichkeit geben, seine Funktion selbst einzustellen. Und ich möchte als Ganzes ins Grab.“ Ich kann auch verstehen, wenn das jemand aus den christlichen Lehren ableitet. Beides darf nebeneinander stehen. Ein liebender Gott schließt sicherlich beide Perspektiven mit ein.

Welche Punkte sollte der Leser bei der Entscheidung beachten, ob er Organspender werden will?

Da spielen deutlich mehr Punkte eine Rolle, als ich hier wiedergeben kann. Ich würde jeden ermutigen, eine Güterabwägung zu vollziehen und sich gedanklich in die Situation zu versetzen: Wie würde ich handeln, wenn ich selbst ein Organ bräuchte? Das kann durchaus ein ‚Game Changer‘ sein, wenn ich die Position der Empfängerseite einnehme.

Und ich würde die Frage mit Angehörigen erörtern, die schließlich auch entscheiden sollen, ob die Transplantation umgesetzt wird oder nicht. Außerdem würde ich mir die Frage immer wieder neu stellen. In verschiedenen Lebensphasen werde ich sie vielleicht anders beantworten. Ein Mensch mit 17 oder 20 Jahren wird das Thema Organspende anders beurteilen als mit 60 oder 70 Jahren.

Danke für das Gespräch!

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