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Gegen die Daseinskrise: „Das Evangelium selbstbewusst in Wort und Tat verkündigen“

Gottfried Locher ist seit 2011 Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds, sozusagen der "Chef-Protestant" der Eidgenossen. Seine Kirche sieht er nicht am Ende – im Gegenteil. Im Interview erklärt er, wie die Kirche der Zukunft seiner Meinung nach aussehen muss.

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Sie sind ein dynamischer, beweglicher Gottesmann und "Chef" der reformierten Kirche. Was dominiert in Ihrer Kirche: der Aufbruch oder der Stillstand?

Locher: Der Aufstand und der Stil(l)bruch. Ein bisschen beides. Ich möchte diese rhetorische Alternative nicht akzeptieren, sondern kombinieren. Es geht um einen Aufstand gegen verknöcherte Formen, die wir überwinden müssen. Noch geht die Angst vor dem Aufbruch um, aber alle wissen, dass die Zeit des Stillstandes vorüber ist.

Wenn es in Deutschland um Kirche geht, sind die Themen oft Schrumpfen, älter werden und ärmer werden. Ist das in der reformierten Kirche in der Schweiz auch so? Wenn ja, macht Sie das ratlos?

Ich habe keine besondere Lust mehr, mich ständig mit Statistiken herumzuschlagen. Wie viele oder wie wenige wir sind, das soll der liebe Gott mal selber einrichten. Wir stecken jetzt in einem kleinen Ausschnitt der Kirchengeschichte, und da sind doch weiterhin ungefähr zwei Millionen landeskirchliche Mitglieder in der Schweiz. Das sind sehr viele Menschen! Mich ständig davon treiben zu lassen, wenn man Zahlen nennt – das möchte ich nicht.

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Worüber sollten wir dann reden?

Ich möchte gerne über den Glauben sprechen, die Inhalte. Wenn wir darin glaubwürdig sind, spüren die Menschen, dass ihnen das Evangelium etwas zu sagen hat. Zum Beispiel feiern wir Reformationsjubiläum. Damals haben zwei, drei Menschen etwas begonnen, das die ganze Welt verändert hat. Einfach indem sie beharrlich sagten: Du bist frei – und du bist wichtig. Wir sind heute gewohnt, dermaßen viele Worte zu machen, dass solche einfachen Botschaften untergehen. Das möchten wir ändern.

Das Ärmerwerden kann ja nicht ernsthaft als Problem angesehen werden in einer christlichen Kirche. Das Reichsein war ja auch nicht unproblematisch. Es hat uns ein tiefes Glaubwürdigkeitsproblem eingebracht, das irgendwann aufflackerte. Auch in der Schweiz kommt die Frage: Mit wie viel Geld wollt ihr eigentlich Kirche sein? Geld ist nötig, keine Frage, aber das Ärmerwerden ist nicht per se ein Problem für die Kirche. Eher schon die Überalterung. Es ist ein echtes Problem für die Kirche, wenn es uns nicht gelingt, junge Leute zu erreichen.

Vor 70 Jahren waren 60 Prozent aller Schweizer reformiert. Heute sind es auf dem Papier noch rund 25 Prozent. Schauen Sie sich schon nach Alternativen um?

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Ich bin ein Optimist. Im Alltag ist der Protestantismus noch sehr präsent. Er ist die Kraft, die den Wert des Einzelnen betont, die Freiheit einfordert. Diese Werte sind sehr wohl spürbar in unserer Gesellschaft.

Doch werden diese Werte noch mit der Kirche in Verbindung gebracht?

Leider zu selten. Ich ärgere mich darüber, dass evangelische Werte und evangelische Kirche so wenig zusammen gedacht werden. Es stört mich umso mehr, als hinter der Institution Kirche immer Menschen stehen, Menschen, die Herzblut, Geld, Lebenszeit und Liebe investieren. Wir müssen wieder selbstbewusster sagen, welchen Schatz die Kirche den Menschen bringen kann. Und wir müssen das selber auch wirklich glauben.

Sie haben die jungen Leute angesprochen. Was läuft denn falsch, dass Kirche keine jungen Leute mehr erreicht? Muss man das einfach hinnehmen?

Nein, das darf man nicht hinnehmen, das beschäftigt mich sehr. Ich habe selber Teenager, die mir manchmal sagen: "Manchmal verstehen wir nicht, was deine Kirche eigentlich glaubt." Oder: "Die Gottesdienste sind verkopft. Wir haben die ganze Woche Schule. Am Sonntag muss da mehr sein als eine Predigt, wenn wir in den Gottesdienst kommen sollen." Das sind zwei Aussagen, die mich ruhelos machen.

Sind unsere Gottesdienste zu verkopft?

Ja, eine gute Predigt ist wichtig, genügt aber nicht. Zu sehr wird das Wort Gottes oft doziert, zu wenig wird es mit allen Sinnen gefeiert.

Wie finden mehr Leute den Weg in die Kirche?

Über die Substanz. Wir wollen nicht, koste es, was es wolle, mehr Leute in der Kirche. Sonst könnten wir ja sonntags in der Kirche Freibier ausschenken. Wir wollen Menschen, die auf der Suche sind, auf der Suche nach Lebenssinn, nach Zielen, für die es sich zu leben lohnt, nach Zuversicht und Hoffnung, nach Gott.

Worin besteht für Sie heute noch der Kernauftrag der Kirche?

Was heißt denn "heute noch"? Der Auftrag an uns ist immer derselbe: Verkündige das Evangelium in Wort und Tat. Ich glaube, diese Kurzformel trägt mich in quasi allem, was ich tue. Sie kommt mir oft in den Sinn, wenn ich eine Budgetdiskussion habe nicht weniger, als wenn ich auf der Kanzel stehe, die simple Frage: Mit welchem Entscheid verkündige ich das Evangelium glaubwürdig in Wort und Tat?

Auch die reformierte Kirche hat ja in Zukunft zu kämpfen, dass es noch genug Hauptamtliche gibt. Warum würden Sie einem jungen Menschen empfehlen: Werde Pfarrer oder Pfarrerin?

Der Pfarrberuf ist ein Traumberuf. Pfarrerinnen und Pfarrer dürfen an den Brennpunkten des Lebens mit dabei sein, von der Geburt bis zum Tode. Wer im Pfarramt ist, spricht mit Menschen über Wesentliches, hört ihnen zu, sorgt sich um ihre Seele. Schreibt für sie, reist, arbeitet, spielt mit ihnen. Bietet das sonst noch ein Beruf in diesem Ausmaß? Wir müssen aber dafür sorgen, dass unsere Pfarrerinnen und Pfarrer auch die Zeit haben, so nahe beim Menschen zu sein. Wir werden nie einen Mangel an Pfarrern haben, aber an Stellenprozenten. Neue Modelle der Gemeindeleitung müssen her und werden schon gelebt. Da ist die akademisch gebildete Pfarrerin, und da sind Freiwillige, die mit Lebenserfahrung aus anderen Bereichen kommen und dann eben Dinge können, die der Akademiker nicht bringt. Dieses Miteinander macht gute Gemeindeleitung.

Kirche der Zukunft ist…

…die Kirche, die das Evangelium in Wort und Tat glaubwürdig verkündigt. Für uns in der Schweiz heißt das: Kirche mit mehr jungen Leuten.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Das Gespräch mit Gottfried Locher führten 3E-Redakteur Rüdiger Jope und Dr. Benjamin Schliesser, Oberassistent an der Universität Zürich. Das vollständige Interview können Sie in Ausgabe 3/2015 der Zeitschrift "3E – echt. evangelisch. engagiert." lesen.

(Quelle: jesus.de)

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