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Darum steckt die Predigt in der Krise

Viele Predigten sind belanglos, meint Steffen Kern, Präses des Gnadauer Verbands. Er nennt fünf Gründe – und sieben Tipps für eine gute Predigt.

Predigen ist eine Kunst. Und ein Wagnis. Wer auf Kanzel oder Bühne steigt, riskiert was. Die Erwartungen sind immens: Die Predigt soll gefallen und provozieren. Anstöße geben, aber nicht anstößig sein. Unterhaltsam und tiefgehend. Kurz und zugleich gehaltvoll. Aktuell, politisch und persönlich. Relevant eben. Für manche etablierten Hörer soll sie vor allem eines: ihre jeweiligen theologischen oder politischen Positionen bestätigen. Fazit: Eigentlich kannst du als Predigerin oder Prediger nur scheitern.

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Dazu kommt: Viele erwarten von einer Predigt überhaupt nichts mehr. Wer will schon Sonntagsreden hören? Der Lobpreis ist entscheidend. Und wenn die Musik nicht passt, ist hoffentlich der Kaffee nach dem Gottesdienst gut. Koffein scheint erwecklicher als eine Predigt.

In diesen Chor stimme ich nicht ein. Ich freue mich zumindest immer wieder über „gute“ Predigten. Sie schmecken nicht immer außergewöhnlich, aber machen doch satt. Das ist schon viel. Und ich halte mit den Reformatoren fest: Die Predigt ist das Zentrum des evangelischen Gottesdienstes. Musik, Format, Liturgie, Moderation, Setting, … alles wichtig, aber auf die Predigt kommt es an. Die Frage ist: Wann ist eine Predigt gut? Ehrlich gesagt: Ich fürchte, die Predigt steckt in einer Krise. Zumindest ist sie gefährdet. Ein paar Gefährdungen nenne ich – durchaus selbstkritisch.

Oberflächliche Routine: Predigt als geistiges Fastfood

Eine gute Predigt braucht Vorbereitung. Zeit, die viele nicht haben. Ein ganzer Arbeitstag Vorbereitung, wie im Lehrbuch empfohlen, ist schlicht Illusion. Aber eine Predigt hat erst dann die Chance, gut zu werden, wenn ein Bibeltext durchdrungen wird. Die Schrift auslegen braucht Zeit. Ein Bibeltext muss beim Meditieren die Kraft bekommen, die Gewohnheiten des eigenen Denkens zu durchbrechen.

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Wir predigen allzu oft Gewohntes. Viele Predigten sind Routine. Es sind die immer gleichen Steckenpferde, die mal links-, mal rechtsherum durchs Kirchenschiff getrieben werden. Viel Oberflächliches. Schnell zusammen kopiert aus Predigthilfen und Internet. Geistiges Fastfood. All das darf sein, aber nicht zur Regel werden. Sonst wird die Predigt ein Produkt der Gewohnheit. Und belanglos.

Halbwissenschaftliche Spekulationen: Predigt ohne Saft und Kraft

Es gibt Predigten, die den Bibeltext mehr entfremden als nahebringen. Der Text wird historisch analysiert. Manchmal wird ein Kurzreferat aus dem exegetischen Proseminar gehalten. Man nennt eine wahrscheinliche Situation, in der der Text entstanden sein könnte, und sucht dann krampfhaft nach Parallelen zu heute. So soll der Text aktuell werden: Vergleichbare Verhältnisse von damals und heute sollen die Brücke schlagen. Aber das funktioniert nicht.

Ein Text ist nicht dann von Belang für mich, wenn ich einige Parallelen zwischen damals und heute höre. So ein Konstrukt ist kraftlos. Nichts, was mich im Leben und Sterben trägt. Ein Wort trifft mich nur dann, wenn es mir zugesprochen wird. Das aber wagen viele Predigerinnen und Prediger nicht. Oder zu selten.

Selbstverliebte Ideen: Predigt ohne Bibelbezug

Immer häufiger fällt mir auf: Viele Predigten sind keine Schriftauslegung mehr. Manche reden schlicht über ein Thema. Über das, was sie innerlich bewegt. Zitieren Bibelverse, wie sie ihnen in den Kram passen. Oft völlig aus dem Zusammenhang gerissen. Gerade evangelikale Reden leiden an einer seltsamen Schriftvergessenheit.

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Die Predigt heißt auch nicht mehr Predigt, sondern „Message“, „Speech“, „Input“ … Der Prediger wird zum „Speaker“. Die Person tritt nicht hinter die Rede zurück, sondern rückt nach vorn. Sie präsentiert spirituelle Egotrips. Was der Geist ihr unmittelbar zeigt, scheint viel relevanter zu sein. Ein verheerender Trugschluss. Eine gute Predigt ist Schriftauslegung. Ohne die Bibel als Grundlage verliert sie ihre Mitte, ihre Kraft und Autorität.

Harmlose Seelenmassage: Predigt erschöpft sich im Psychologischen

Predigten sollen lebensnah sein. Ganz bestimmt. Es mag auch Predigten geben, die vor allem theologische Richtigkeiten formulieren und irgendwie weltfremd daherkommen. Das scheint mir aber eher seltener zu sein. Häufiger begegnen mir Predigten, die viel Psychologie enthalten und vor allem zur Selbstannahme ermutigen. Das ist nichts Schlechtes, aber nicht hinreichend.

Manchmal kommen sie mir vor wie ein christlich garnierter Abklatsch von Dale Carnegies „Sorge dich nicht, lebe!“ Geschmeidig, wohlfeil und gut gemeint. Jesus, der Lebensratgeber und Seelentröster. Aber das Evangelium ist mehr als „positives Denken“ und auch mehr als ein allgemeines Angenommen-Sein. Es gibt eine allzu harmlose „Du bist angenommen, wie du bist“-Predigt. Immer wieder frage ich mich selbst, ob ich das Evangelium zu billig und zu seicht predige.

Ethische Versuchung: Predigt erschöpft sich in Handlungsanweisungen und Appellen

Es ist eine seltsame Neigung, die Evangelikale und Liberale gleichermaßen erfasst: Wir neigen dazu, das Evangelium von Jesus Christus durch die Rede über christliche Werte und Werke zu ersetzen. Die Einen reden mehr über geistliches Leben, ihre Sexualmoral und den missionarischen Auftrag; die Anderen über Klimaschutz, ein einfacheres Leben mit weniger CO₂-Verbrauch und weniger Fleischkonsum. Wir bleiben im Ethischen stecken.

Die Botschaft von der freien Gnade Gottes in Jesus Christus gerät in den Hintergrund. Es gibt wohl so etwas wie eine ethische Versuchung für Predigende. Die „Werkerei“ ist eine bleibende Gefährdung reformatorischer Predigt.

Verfehltes Thema: Predigt erschöpft sich im Politischen

Keine Frage, politische Predigten sind notwendig. Das Evangelium hat eine öffentliche Relevanz. Und politische Predigten können Schlagzeilen machen: Wer sagt, dass nichts oder vielleicht doch etwas gut sei in Afghanistan, gewinnt Aufmerksamkeit. Wer für oder gegen Waffenlieferungen predigt, ebenso. Klimaschutz, Lebensschutz, Menschenrechte, Schutz von Geflüchteten – alles wichtig.

Es braucht Klartext. Politik ist wichtig. Aber lasst uns immer fragen, was von Gottes Wort her wirklich politisch zu sagen ist und was nicht. Vor allem: Das Evangelium ist mehr als ein Anspruch an politisches Handeln. Kanzelreden, die sich im Politischen erschöpfen, haben ihr Thema verfehlt.

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Bei so viel Fettnäpfchen: Wer kann da noch entspannt predigen? Wie gewinnen wir die Freiheit zurück? Wie reden wir unbefangen? Gut, wenn wir nicht nur auf die Abgründe links und rechts sehen, sondern auf den Weg. Gott wirkt durch seinen Geist. Damit rechnen wir. Trotz unserer Unzulänglichkeiten. Gott selbst redet. Dieses Versprechen entlastet. Das gibt eine große Freiheit und Gelassenheit zum Predigen. Darum zum Schluss sieben Freiheiten:

  1. Eine gute Predigt schöpft aus dem Bibeltext. Betend, meditierend, forschend wird schlicht das zur Sprache gebracht, was dasteht.
  2. Eine gute Predigt macht Jesus Christus groß und gewiss. Wenn nur Christus als Gottes Sohn und Befreier vor Augen gemalt wird, ist alles gewonnen.
  3. Eine gute Predigt ist immer auch Kreuzespredigt. Gott ist, entgegen aller Zweifel, für mich, verlässlich in Zeit und Ewigkeit – das wird eindeutig nur am Kreuz.
  4. Eine gute Predigt spricht die Gnade Gottes zu.
  5. Eine gute Predigt hat darum den Grundton der Freude. Sie weiß um Trost im Leiden und Hoffnung im Sterben.
  6. Eine gute Predigt hält sich mit Spekulationen zurück, aber sie spricht Gottes Wort in verschiedene Lebenssituationen hinein, durchaus aktuell, gesellschaftskritisch und wo nötig provokativ.
  7. Eine gute Predigt bietet durchaus Lebenshilfe, hat eine psychologische Dimension, formuliert ethische Ansprüche und politische Konsequenzen – all das vom Zentrum aus, Jesus Christus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen.

Steffen Kern ist Präses des Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbands.


Ausgabe 1/23

Dieser Artikel ist im EiNS-Magazin der Evangelischen Allianz in Deutschland (EAD) erschienen. EiNS wird in Teilen vom SCM Bundes-Verlag produziert, zu dem auch Jesus.de gehört.

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2 Kommentare

  1. Früher haben nicht alle Priester gepredigt, sondern vor allem diejenigen, die die Fähigkeit, diese Gabe und diese Segenserlaubnis ihres Bischofs hatten. Diese Kleriker waren wenige, die sogenannten „Prediger des göttlichen Wortes“ oder „Prediger“, wenige, aber ausgewählt und natürlich bekannt für ihre Bildung und ihre Spiritualität. Heute haben sich die Dinge geändert. Es gibt viele junge Geistliche, die predigen. Aber das ist, wie die meisten Experten sagen, sowohl gut als auch „schlecht“. Gut, weil mehr Menschen die Möglichkeit haben, das Wort Gottes zu hören. Andererseits ist die Predigt nicht immer so vorbereitet, wie sie sein müsste. Oft landen Zuhörer bei dem Ausdruck „schön gesagt, aber ich erinnere mich an nichts“.
    Außerdem ist es für den Gläubigen „Erfolg“, innerlich zu sagen, dass mich das, was der Priester jetzt sagt, interessiert, mich betrifft, „über mich sagt“. Der Kleriker kultiviert dann seine „apostolische Sukzession“, wenn die Predigt für den Gläubigen zum Mittel wird, um nachzudenken und sich „wieder taufen“ zu lassen, sich auf Gott zuzubewegen.

  2. Die Predigt muss aktuell sein

    „Viele Predigten sind belanglos, meint Steffen Kern, Präses des Gnadauer Verbands“! Wie wahr, vor allem auch, wenn ich in meinem Leben als Christ, und Jahrzehnte in einem Kirchenvorstand gewesen, schon viele langweilige, zu lange und solche Predigten gehört habe, denen es auch am Roten Faden fehlte. Dass der/die Theologin zu viel zu tun habe im Getriebe der Gemeinde, mag ich als Insider durchaus für richtig halten, aber dies kann keine Ausrede dafür sein, wenn die Predigt als reformatorisches Kernstück qualitativ darunter leidet. Bereits der ganz normale Büromensch erhält – mit etwas Glück – eine Fortbildung in Sachen von Prioritätensetzung. Da muss die wöchentlich vorzubereitende Predigt ganz forne auf der Liste vor „wichtig“, also unter „dringend“! stehen. Es geht um Kernkompetenz und die haben Pfarrer*innen, oder sollten sie haben, weil niemand in unseren Evangelischen Landeskirchen dafür optimaler ausgebildet und ausgesucht wurde. In meiner alten Heimatgemeinde habe ich aber immer wieder erlebt, wie gut Prädikant*innen predigen. Vielleicht sehen die, obwohl sie nur Kurse besucht haben, doch oft „nicht“! den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Wenn ich Herr Kern wäre, aber ich bin weder Herr Kern noch Theologe: Dann hätte ich bei der politischen Predigt eher gerne betont, dass auch das Evangelium nicht unpolitisch sein kann. Wir sollten ja Salz der Erde, also auch die Gewürze unserer Gesellschaft und als die Glaubenden ab und zu vielleicht unkonventionelle Querdenker sein. Etwa so wie die Bergpredigt, zeitlose Ethik und immer aktuell, bei manchem was Jesus in ihr ausdrückt, doch arg gegen jeden Strom der Zeit schwimmt. Es fehlt mir eher, dass in unseren Kirchen zu wenig gegen den immer stärkeren Hass und alle Formen von Unversöhnlichkeit gepredigt wird. Den Balken aus dem eigenen Auge zu ziehen ist schon ein großartiges Bild gegen Selbstgerechtigkeit, nicht nur – aber auch – im politischen Raum. Ich würde mir jede Predigt gern nahe am Evangelium wissen, aber gerade deshalb muss sie unbedingt aktuell sein. Ich werde meine Enttäuschung aus 1969 nach der nächtlichen Mondlandung niemals vergessen, als ich trotzdem ich alles verfolgte, meinen lieben Gemeindepfarrer in der Kirche bei seiner Predigt gut zuhörte. Aber er fand es wohl nicht angebraucht, auch nur ein Wort darüber zu verlieren. Dabei hätte doch da gut dazu gepasst, etwas zur Schöpfung zu sagen. Wie es die Astronauten machten, als die Erde über dem Mond aufging. Die haben immerhin auch für die Zuhörenden bei der NASA die Schöpfungsgeschichte vorgelesen. Manche der Kanzelreden kommen wir fast vor wie der hundertste Vortrag über ein altbekanntes Märchen, dem der Redner sich keinen Enthusiasmus mehr zu entlocken vermag. Etwas viel größere Begeisterungsfähigkeit sollten unsere Predigten ebenso mitbringen. Sie sind meist nicht wegen ihrer Einseitigkeiten unterdurchschnittlich, sondern weil leider auch die Erwartungshaltung der Gemeinden m.E. sich im Durchschnittlichen bewegt.

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