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Konzerte im Knast: „Jeder Häftling hat seine Geschichte“

Sängerin und Songwriterin Diana Ezerex ist schon mehrmals in Justizvollzugsanstalten aufgetreten. Nun wagt sie sich an ihr Debütalbum, das sehr persönlich zeigen soll: Hinter Gittern gibt es mehr als nur aggressive „Knackis“.

Wie fühlt es sich an, vor Schwerverbrechern und Schwerverbrecherinnen Musik zu machen? Diana Ezerex weiß es. Seit drei Jahren gibt sie in Gefängnissen ihre Musik zum Besten. Dafür erhielt sie bereits den Jugenddiakonie- und den Heinz-Kappes-Preis. Ihre Eindrücke möchte sie jetzt in einem Debütalbum verarbeiten. Und sucht dafür Unterstützende. Ihr Ziel: Menschen in die Lebenswelt der Gefangenen mitnehmen.

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„Die Hosen runterlassen“

Diana studiert Kulturvermittlung und ist nebenher als Künstlerin in Karlsruhe unterwegs. Lange hat sie die Musik hintenangestellt, das soll sich jetzt ändern. In ihrem Debütalbum verarbeitet die 26-Jährige die Geschichten, die ihr bei ihren ‚prison concerts‘ begegnen. Eigentlich will sie die Musikwelt damit überraschen. Daher sucht sie nach Unterstützenden und stellt sich und ihr Projekt bei zahlreichen Stiftungen und Unternehmen vor. Doch als Einzelperson gestaltet sich ihr Vorhaben komplizierter als gedacht. Als sie dann auch noch eine Absage von der Berliner Fördereinrichtung für Pop-Musik erhält, mit deren Unterstützung sie fest gerechnet hat, fällt es ihr schwer, zuversichtlich zu bleiben.

Da ihr die Finanzierungsoptionen ausgehen, bleibt ihr nichts anderes übrig, als eine Crowdfunding-Kampagne zu starten. „Das zerstört natürlich meinen Release-Plan ein bisschen, weil das für mich echt ein Neustart ist. Die Musik ist komplett anders als alles, was bisher von mir rauskam. Es wusste bis jetzt fast niemand, worum es in dem Album geht. Deshalb hat es sich so angefühlt, wie für die Kampagne komplett die Hosen runterzulassen.“

Die Menschen hinter den Verbrechen

Das Album ist so intim, da die Songs dem Hörer erlauben, die Menschen hinter ihren Verbrechen kennenzulernen. „Ich will mit der Platte keine Taten entschuldigen, aber mir ist es wichtig zu zeigen, dass jeder Einzelne dort eine Geschichte hat.“ Kein Mensch werde als Straftäterin und Straftäter geboren, sagt Diana: „Wenn man niemanden hatte, der einem Werte vorlebt, woher soll man es dann besser wissen?“ Kindheitstraumata der Gefangenen seien oft der Hintergrund ihrer Straftaten: „Wir als Gesellschaft können dazu beitragen, dass so etwas weniger passiert, dass unsere Gefängnisse weniger voll sind und Menschen weniger straffällig werden.“

Einen Unterschied machen

Während der Konzerte denkt sie kaum darüber nach, dass teilweise Schwerverbrecher und Schwerverbrecherinnen mit lebenslänglicher Haftstrafe vor ihr sitzen. Vielmehr möchte sie sich auf die Menschen einlassen: „Ich will ihnen das Gefühl vermitteln, dass ich jetzt für sie da bin, um für sie einen Unterschied zu machen – und wenn es nur für eine Stunde ist.“ Bei den Gefängniskonzerten begleitet sich Diana meistens selbst mit der Gitarre. Eine Band könnte die Inhaftierten abschrecken, nach dem Konzert das Gespräch zu suchen. Außerdem hat sie größere Chancen auf eine Zusage, wenn sie möglichst wenig Umstände macht.

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Auf legale Weise ins Gefängnis zu kommen ist nämlich gar nicht so einfach, weiß Diana. „Manchmal ist das richtig Arbeit und ich muss mich echt reinzecken.“ Oft muss sie vor einem Auftritt ein Führungszeugnis und ein Ausweisbild einreichen. Wenn sie vorbestraft wäre, dürfte sie gar nicht in die Justizvollzugsanstalt. In den letzten drei Jahren hat Diana in 15 Gefängnissen gespielt: Jugendstrafanstalten und Justizvollzug für Männer und Frauen. Und dabei jede Menge erlebt.

Ein emotionales Erlebnis

Das erste Mal in einem reinen Männergefängnis ist sie in Bayreuth. 100 Insassen sind beim Konzert dabei, es ist ihr bis dato größtes. „Die Beamten waren durchgehend im Alert-Modus – kein Small Talk war erlaubt.“ Davor ist sie nervös. Nicht etwa, weil sie sich um ihre Sicherheit sorgt – sondern aus Angst, ihre Musik könnte die Männer langweilen. Umso überraschter ist sie, als der Gefängnis-Chor im Mitsingteil in ihren Song einstimmt.

Die Konzerte werden oft emotional, besonders in der Untersuchungshaft. Dort sei so vieles noch ungewiss und aufgestaute Emotionen mischten sich mit der Musik und der Atmosphäre in der Gefängniskapelle. In der normalen Haft seien die Menschen schon mehr ins Reflektieren gekommen über die Fragen: Wer bin ich? Wo komme ich her? Wo will ich hin?

Songs aus der Blubberblase

Diana kommt aus Karlsruhe, aufgewachsen ist sie in einem kleinen Dorf in Baden-Württemberg. Ihr Vater ist Nigerianer, ihre Mutter Deutsche. Gymnasium, Volleyball-Verein, Debattierclub, Theater-AG – Diana wächst in einer Blase auf, in der sie nur selten mit Menschen aus einem sozial schwächeren Milieu in Berührung kommt. Mit 17 platzt die Blase, als sie auszieht und ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem offenen Jugendclub in Magdeburg macht. Hier begegnen ihr Menschen, die mit einem ganz anderen Weltbild aufgewachsen sind. Einige von ihnen haben schon mal im Jugendknast gesessen. Ihre Lebensgeschichten verändern Dianas Perspektive. Als sie bei einem Projekt den Gefängnisseelsorger des Jugendgefängnis in Neustrelitz kennenlernt, ergreift sie die Gelegenheit und fragt ob sie mal vorbeikommen darf.

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Sie will den Gefangenen auf Augenhöhe begegnen, mit ihnen ihre Musik teilen und sich ihre Geschichten anhören. Und die Menschen im Gefängnis fühlen sich von ihren Texten angesprochen. „Das ist ein krasses Phänomen, dass sich diese Menschen mit meinen Songs, die im Vergleich zu ihrem Leben aus einer rosa Blubberblase kommen, identifizieren können.“
Ein Erlebnis ist ihr besonders im Gedächtnis geblieben. In der Gießener Untersuchungshaft erzählt sie von ihrer Zeit in São Paulo, dort hatte sie das Gefühl, fehl am Platz zu sein und keinen Unterschied machen zu können. „Nach dem Konzert kommt so ein Riesentyp mit Tränen in den Augen auf mich zu, nimmt meine Hand und sagt: ‚Du bist genau richtig, da wo du bist. Du brauchst nie das Gefühl zu haben, du wärst fehl am Platz. Ich werde das Konzert für immer in meinem Herzen tragen.‘“

Glaube gibt ihr Zuversicht

Damit auch die Menschen außerhalb der Gefängnispforten ihre Musik zu hören bekommen, muss sich Diana in Geduld üben. Nicht ihre größte Stärke, denn sie ist ein super energetischer Mensch: „Ich liebe es, unterwegs zu sein, etwas zu tun zu haben, einen Unterschied zu machen.“ Zur Ruhe kommen kann sie am besten in der Kirche. In der Gemeinschaft und im Lobpreis kann sie dann alles vor Gott abladen. Ihr Glaube macht sie zuversichtlich, denn auch wenn sie oft in den „Mecker-Modus“ schaltet, weiß sie, dass Jesus hinter ihr und dem Projekt steht. „Ich sag dann immer: Jesus, ich weiß du bekommst die Kohle schon irgendwo her, aber wir müssen das schneller schaffen, damit ich nicht ausraste.“ Inzwischen hat Diana eines ihrer Crowdfunding-Ziele erreicht und bereitet die Produktion ihres Debütalbums vor. Wer sich über ihre Arbeit und das Projekt auf dem Laufenden halten will, findet auf der Homepage von Diana Ezerex alle Infos.


Ann-Sophie Bartolomäus schrieb dieses Porträt zunächst für die Zeitschrift DRAN (Ausgabe 1/2021). DRAN ist das Magazin für junge Erwachsene aus dem SCM Bundes-Verlag, zu dem auch Jesus.de gehört. 

 

 

 

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