- Werbung -

Interview mit Johannes Hartl: Das Potenzial der Stille

Stille konfrontiert uns mit uns selbst und kann uns erden in Gottes Gegenwart. Johannes Hartl, Leiter des Gebetshauses Augsburg, erzählt, warum wir keine Angst vor ihr haben müssen und wie sie Teil unseres Alltags werden kann.

Die Fragen stellte Liesa Dieckhoff

- Werbung -

Herr Hartl, wozu brauchen wir Stille?
In der Stille werden wir mit dem konfrontiert, was wirklich da ist und das Davonlaufen wird schwieriger. Deswegen ist Stille für jeden wichtig.

Warum suchen wir dann trotzdem oft so wenig davon?
Aus dem gleichen Grund: Wir haben Angst vor dem, was dann kommen könnte und wollen lieber davor flüchten.

Was können das erfahrungsgemäß für Dinge sein?
Eine innere Leere, Unruhe, auch ein Nichtwissen darum, wer man überhaupt ist. Und natürlich auch Schmerz, Trauer, Wut – all die Sachen, die wir nicht sehen wollen.

Also geht es da auch um unsere Identität?
Auf jeden Fall. Je fester ich in meiner Identität bin, desto weniger Angst muss ich vor Stille haben.

Wie gestalten Sie persönlich Stille-Momente?
Ich bin natürlich ein bisschen ein Freak, weil ich in einem Gebetshaus lebe und bei uns alles etwas anders ist. Ich verbringe den Großteil meiner Vormittage im Gebet. In meinem Büro, in der Natur, manchmal auch in unserem Gebetsraum, in einer stillen Zweisamkeit mit Gott.

„Stille ist einer der Räume, in denen Gebet stattfinden kann“

Wie hängen Stille und Gebet zusammen?
Gebet ist für mich der umfassendere Begriff. Stille ist einer der Räume, in denen Gebet stattfinden kann, Gebet kann aber auch in den Worten, in Bewegungen, in Musik oder der Kunst stattfinden. Für mich persönlich ist unter allen Formen des Gebets das stille Gebet der wichtigste Zugang. Ich glaube zu einem gesunden Gebetsleben gehören unterschiedliche Ausprägungen und das ist auch ein Stück weit eine Frage von Charakter und Vorliebe.

Gibt es Gottesbegegnungen, die nur in der Stille vorkommen?
Ich denke es gibt Räume der Begegnung mit Gott, in die ich nur komme, wenn ich mich in der Stille Gott ausliefere. Das ist parallel zu dem, was zwischen zwei liebenden Menschen jenseits der Worte passiert. Es gibt einen Raum der Worte und des Austausches zwischen Menschen und dann gibt es den Raum des Nonverbalen. Und so ähnlich ist das in der Beziehung zu Gott auch. Für mich ist Gebet ein Herz zu Herz, ein Wahrnehmen, das nicht Denken ist und nicht der Worte bedarf.

„Wer Zeit verschwendet für Gott, der liebt Gott.“

- Weiterlesen nach der Werbung -

Das Nichtstun in der Stille erleben manche als verschwendete Zeit. Wie kommt man denn von dem Gedanken weg, dass alles zweckgebunden sein muss?
Liebe ist immer Verschwendung. Wenn man aufhört zu verschwenden, dann hört man auf zu lieben. Heute ist unsere kostbarste Ressource Zeit. Wer Zeit verschwendet für seine Kinder, der liebt seine Kinder. Wer Zeit verschwendet für seinen Partner, der liebt seinen Partner. Und wer Zeit verschwendet für Gott, der liebt Gott.

Könnte das jeder in seinen Alltag einbauen?
Ich glaube, dass unser Alltag und unsere moderne Welt wie eine Verschwörung gegen Wahrnehmen und gegen Stille ist. Deswegen glaube ich, dass es für viele nicht einfach ist, das in ihren Alltag einzubauen. Es bedarf einer Einübung, weil wir Stille nur noch sehr wenig gewohnt sind. Ich würde aus der Stille aber nicht per se ein Dogma machen. Das entscheidende ist, Zeit in Gottes Gegenwart zu verbringen.

Was passiert, wenn wir keine Stille mehr erleben?
Wir werden weniger kreativ, weil bestimmte Fähigkeiten zu kreativem Denken, auch in der Arbeit, abflachen. Das ist der empirisch erforschte Unterschied zwischen „deep work“ und „shallow work“. Und ich denke wir werden insgesamt als Menschen, auch in unseren Beziehungen, oberflächlicher. Die Stille hat etwas Erdendes, in die Tiefe führendes. Arbeit und menschliche Beziehungen erfordern ein Ganz-Dasein und ein Micheinlassen-Können. Wenn ich das nicht kann, dann leidet das Leben in vielen Bereichen.

Nehmen Sie manchmal eine konkrete Frage mit in die Stille, um sie dort zu bewegen?
Ja, ich würde sogar sagen, alle wesentlichen Lebensentscheidungen, bis hin zu Punkten, über die ich in Vorträgen sprechen möchte, sind aus der Stille geboren. Diese Gedanken und Ergebnisse haben eine andere Tiefe und eine andere Fruchtbarkeit, als Sachen, die nur meinem Denken entspringen.

Haben Sie da ein Beispiel?
Als ich vor dem Abschluss meiner Doktorarbeit stand, habe ich tagelang ein komplexes philosophisches Problem bewegt und kam nicht weiter. Ich habe auch damals ein bis zwei Stunden täglich im stillen Gebet verbracht und eines Tages, am Ende von so einer Zeit, wie als Gedankengestalt innerlich die Lösung für dieses Problem vor mir gehabt. Ich habe anschließend fast zehn Seiten Fließtext runtergeschrieben, diese am nächsten Tag meinem Professor gezeigt und der hat gefragt: Wann hast du das geschrieben, woher kommt das? Das war fast magisch für mich, diese Erfahrung, dass es Quellen von Kreativität gibt, die nicht im angestrengten Nachdenken erschlossen werden, sondern tatsächlich der Stille entspringen.

„Gottes Stimme hat was mit Frieden zu tun.“

Wie kann ich zwischen Gedanken aus meinem eigenen Herzen und Gottes Reden unterscheiden?
Für mich sind die wichtigsten drei Kriterien der geistlichen Unterscheidung dabei: Die Stimme Gottes geht immer einher mit den Früchten des Heiligen Geistes, wie sie in Galater 5,22 stehen (Liebe, Frieden, Freude, Langmut, Güte, Sanftmut, Treue, Selbstbeherrschung). Also in der Kurzfassung: Gottes Stimme hat was mit Frieden zu tun. Das zweite: Gottes Stimme ist nicht sprunghaft, in der Regel bildet sie rote Fäden über längere Zeit hinweg und wird bestätigt. Und das Dritte: Gottes Stimme kann sich nicht selbst widersprechen. Das heißt für mich, wie Gott spricht und was er spricht, muss übereinstimmen mit dem, was er in der Heiligen Schrift auch sagt.

- Werbung -

Schwierig ist da oft die Trennung von meinem Wunschdenken und wirklich göttlichem Frieden …
Da ist das zweite Kriterium ein wichtiges Korrektiv für das erste. Das heißt, wenn sich über längere Zeit hinweg, auch mit Bestätigung, ein Frieden ausbreitet, dann habe ich einen ganz guten Grund, anzunehmen, dass ich auf einem guten Weg bin. Aber natürlich gilt da immer: Niemand hört Gottes Stimme objektiv, 100-prozentig irrtumsfrei. Manchmal verlaufen wir uns und brauchen einfach den Rat von weisen Menschen.

Was sind Ihrer Erfahrung nach die größten „Feinde“ der Stille?
Meine Kinder (lacht), nein, kleiner Witz. Ich merke, dass der innere Lärm ablenkender ist, als der äußere. Für den äußeren Lärm gibt es nicht immer eine Lösung – der innere Lärm ist der entscheidende. Es hat tatsächlich was damit zu tun, ein Stopp zu setzen, wirklich konkret eine Zeit einzuhalten, in der das Handy ausgeschaltet ist und in der man nichts Anderes tut, als für die Stille und für Gottes Gegenwart verfügbar zu sein.

„Gott ist aber im Hier und Jetzt, auch wenn ich nicht an ihn denke.“

Und wie gehe ich mit „lauten“ Gedanken um, die einfach nicht schweigen?
Wenn Gedanken drängend sind, hilft es manchen Leuten, sie einmal aufzuschreiben und dann abzulegen. Aber grundsätzlich ist meine Erfahrung, dass man Gedanken nicht abschalten kann, und je mehr man gegen sie kämpft, desto stärker werden sie. Deswegen sind für mich das Wort und die innere Haltung der Wahrnehmung noch wichtiger. Die Wahrnehmung fragt: Was ist jetzt gerade da? Die meisten Gedanken fliegen ja weg vom Hier und Jetzt, sind also in der Vergangenheit, in der Zukunft, in Sorgen, in irgendwelchen Projekten. Gott ist aber im Hier und Jetzt, auch wenn ich nicht an ihn denke. Und das Zurückkommen in die Wahrnehmung von dem, was jetzt ist, erdet mich und macht mich weniger anfällig für ablenkende Gedanken, obwohl die dann immer noch kommen.

Wie kann ich Stille gestalten, wenn ich ein lautes Leben gewohnt bin?
Das Problem ist, dass viele Menschen nicht gelernt haben, Verantwortung für ihr inneres Leben zu übernehmen. Wir wissen, dass wir uns täglich die Zähne putzen müssen, das ist in die Routine übergegangen, aber für das eigene innere Leben haben wir solche Routinen nicht. Da ist der Arbeitsalltag oder die WG meistens gar nicht das Problem, sondern dass man es einfach nicht macht. Ich würde mit einem Moment am Tag beginnen, den aber fest einplanen. Wie bei allem, was man fest im Leben etablieren möchte: Am besten geht’s mit einem Ritual. Das bedeutet: fester Ort, feste Zeit und vielleicht eine Kerze dazu anzünden, oder sich bequem in die Ecke setzen. Ich würde auch nicht mit einer Minute anfangen, sondern lieber mit zehn.

Gibt es negative Stille?
In Partnerschaften oder Beziehungen auf jeden Fall, wenn das, was gesagt werden sollte, nicht gesagt wird. In der Beziehung zu Gott gibt es ein trauriges oder gelangweiltes In-sich-Versinken, ein Um-sich-Kreisen, zu dem manche Menschen sehr stark neigen. Für sie ist oft nicht Stille das einzig nötige, sondern zum Beispiel auch der Lobpreis oder das Beten mit anderen zusammen. In der Stille ist die Gefahr größer, im Gedankenkarussell zu versinken. Mir hilft da das Lesen in der Heiligen Schrift, das ist ein Korrektiv zu meinen Gedanken.

Wie kann das aussehen – eine Art Bibelmeditation?
Viele Menschen lesen die Bibel sehr verkopft, fast wie das Telefonbuch, aus dem man Informationen holt. Aber es gibt mehrere Ebenen, wie man generell Literatur lesen kann. Für die Heilige Schrift, als besonderen Text, der mehrere Sinnebenen hat, die er nicht sofort preisgibt, bieten sich einige Möglichkeiten an, eher tastend und staunend zu Lesen. Eine Bibelmeditation nimmt dabei beispielsweise das Tempo raus. Kurze Sinnabschnitte über längere Zeit betend zu verdauen, zu kauen, zu meditieren, bringt oft eine vertiefte Berührung mit diesem Text. Ich selbst verdanke einen Großteil von meinen wirklich wichtigen Erkenntnissen dieser Art, mit der Heiligen Schrift zu leben.

Wäre es also eigentlich sinnvoll, dass man Leute häufiger Mal zu Stille einlädt als zu dem nächsten lauten Konzert?
Ich denke Konzerte machen Freude, wenn man auch Stille hat. Also beides gehört zum ganzen Leben, wie einatmen und ausatmen.

Vielen Dank für das Gespräch!


Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift DRAN erschienen, die wie Jesus.de zum SCM Bundes-Verlag gehört.

 

 

 

Konnten wir dich inspirieren?

Jesus.de ist gemeinnützig und spendenfinanziert – christlicher, positiver Journalismus für Menschen, die aus dem Glauben leben wollen. Magst du uns helfen, das Angebot finanziell mitzutragen?

NEWSLETTER

BLICKPUNKT - unser Tagesrückblick
täglich von Mo. bis Fr.

Wie wir Deine persönlichen Daten schützen, erfährst du in unserer Datenschutzerklärung.
Abmeldung im NL selbst oder per Mail an info@jesus.de

Zuletzt veröffentlicht