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„Gott ist da. Es gibt keine hoffnungslosen Fälle!“

„Keinen Pfifferling hätt’ ich damals für dich gegeben. Auch zu beten hatt’ ich lang schon aufgehört“, schreibt Jürgen Werth in einem Lied über seinen alkoholkranken Vater. Der Weg in den Abgrund war mit leeren Flaschen gepflastert. Aber Gott gab seinen Vater nicht auf.

Kommt er? Kommt er nicht? Und wenn er kommt: Wird er bleiben? Und wie lange? Jeden Abend dieselben bangen Fragen. Die Straße in den Abgrund war am Anfang nur leicht abschüssig gewesen. Eine Flasche Bier im Stehen nach Feierabend, am „Büdchen“, das neben seiner Garage lag. Eine Flasche oder auch mal zwei. Und ab und zu ein Korn. Und eine Zigarette. Absacker nach einem langen und anstrengenden Arbeitstag. Verkaufsberater war er geworden, mein Vater, weil das mit der Werkzeugmacherei nicht mehr möglich war wegen der Schulter. Vom Werkzeugmacher zum Verkaufsberater, Dienstwagen und Spesenpauschale inklusive – kein schlechter Tausch. Und endlich hatte er richtig Geld in der Tasche, was er aber zunehmend als Schmerzensgeld betrachtete.

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Er fuhr in einem überschaubaren Bezirk von Betrieb zu Betrieb und musste verkaufen. Jedes Jahr ein bisschen mehr als im Jahr zuvor. Und der Druck im Kessel stieg. Da kam so ein Büdchen gerade recht. Aber im Stehen trinkt sich’s auf die Dauer nicht allzu gemütlich. So musste das Büdchen irgendwann Platz machen für eine richtige Bude: die Kneipe auf der anderen Straßenseite. Da blieb er dann länger. Da trank er dann mehr. Zu Hause gab’s regelmäßig Rabbatz. Weil meine Mutter den Mund nicht halten konnte und wollte. Und weil mein Vater sich nichts sagen lassen konnte und wollte. Ich, sechzehn Jahre alt, und mein fünfjähriger Bruder standen dazwischen. Angestrengt bemüht, das Schlimmste zu verhindern, was nur manchmal gelang.

Ein Neuanfang

Jürgen Werth (Foto: Gerth Medien / Sasha Pfeffer)

Die Straße in den Abgrund wurde derweil immer abschüssiger. Die Gespräche immer wortloser. Unsere Gebete immer glaubensloser. Und währenddessen mussten wir nach außen immer so tun, als wäre alles in bester Ordnung. Einladen konnten wir keinen mehr. Man wusste ja nie … Eines Tages sagte ein guter Freund zu mir: „Deine Eltern haben ja überhaupt keine Kontakte mehr. Lass uns das ändern. Ich lass mich morgen mal von meinem Vater abholen. Der kommt dann irgendwie mit deinem Vater ins Gespräch, und dann warten wir mal ab, was passiert.“ Der andere Vater kam. Und er blieb länger, als wir zu hoffen gewagt hatten. Er war Pastor. Und eigentlich ein Evangelist.

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Die beiden Väter verstanden sich auf Anhieb und entdeckten so manche Gemeinsamkeit. Sie waren beinahe gleich alt. Im Krieg hatten sie zur selben Division gehört. Sie sprachen über die dunklen Seiten des Lebens, über den Tod und auch über den Glauben. Und vereinbarten den nächsten Gesprächstermin. Am Ende vieler Gespräche fand mein Vater zum Glauben. Und meine Mutter gleich mit. Denn der Vater meines Freundes hatte längst seine Frau eingeschaltet und man traf sich zu viert. Mein Vater erzählte mir immer wieder von seinen Gesprächen mit diesem Pastor – von den Entdeckungen, die er gemacht hatte, aber auch von seinen Zweifeln, seinen Fragen. Ich konnte manche davon beantworten. Und wir beide staunten. „Ich vergesse manchmal, dass du mein Sohn bist!“, sagte er einmal strahlend. Darüber staune ich heute noch. Ich war zwanzig, er fünfundvierzig. Welcher Vater lässt sich mit seinem Sohn auf solche Gespräche ein!

Endlich trocken

Doch der Sog des Alkohols wurde nicht schwächer, im Gegenteil. Jahr um Jahr ging es tiefer bergab. Alles haben wir versucht, haben ihm Bücher und Artikel auf den Nachttisch gelegt, ihn zu Therapeuten und Seelsorgern geschleppt, ihm Termine mit Initiativen vermittelt, die sich um Suchtkranke kümmern. Und haben gebetet, gebetet, gebetet. Und wurden immer hoffnungsloser. Dann, eines Tages, als wir längst aufgegeben hatten, entschied er sich, ganz allein und freiwillig, eine Klinik aufzusuchen. Er bekam dort Medikamente, ansonsten passierte nicht viel – aber etwas anderes, ganz Entscheidendes geschah da mit ihm. „Ich hatte heute Nacht eine Begegnung mit Gott!“, erzählte er uns eines Morgens stockend. Und dann sagte er den Satz, den er zuvor tausendfach gesagt, aber wohl selbst nie geglaubt hatte: „Ich trinke ab sofort nicht mehr.“ An diesem Tag klang dieser Satz anders. Er hat sich daran gehalten. Bis zum Tod. Der kündigte sich allerdings viel schneller an, als wir alle geahnt hatten. Wegen unerträglicher Rückenschmerzen war er ein paar Monate danach ins Krankenhaus eingewiesen worden. Die Diagnose: Lungenkrebs. An eine Transplantation war nicht zu denken, die Leber hätte das nicht ausgehalten. Der Krebs war schnell, viel zu schnell. Doch mein Vater, eigentlich ein ungeduldiger Mensch, lag geduldig in seinem Bett und tröstete die, die gekommen waren, um ihn zu trösten. „So einen zufriedenen Patienten haben wir hier noch nie gehabt!“, staunten die Ärzte.

Angekommen

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In seinen letzten Stunden saß ich an seinem Bett. Habe ihm aus den Psalmen vorgelesen. Auch den Psalm 121, der seitdem mein Lieblingspsalm ist. Eher zufällig hatte ich ihn an seinem Sterbebett aufgeschlagen: Ein Wallfahrtslied. „Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat. Er wird deinen Fuß nicht gleiten lassen, und der dich behütet, schläft nicht …“ „Nicht so schnell!“, röchelte er einmal. „Jedes Wort ist Wahrheit!“ Sein letzter Satz, kaum noch zu verstehen, kam aus einem fast schon verklärten Gesicht: „Ich sehe Jesus!“ Dann hörte er auf zu atmen. Er war angekommen. Endlich angekommen. In der ewigen Heimat. Ich war achtundzwanzig, er zweiundfünfzig.

Es ist das vielleicht dunkelste Kapitel meines bisherigen Lebens. Aber irgendwie auch das hellste. Es hat mich gelehrt, dass es keine hoffnungslosen Fälle gibt. Keinen himmellosen Platz auf dieser Erde. Gott ist da. Er hält. Auch und gerade dann, wenn unsere Hände viel zu schwach geworden sind, an ihm festzuhalten. Ich erzähle davon. Ich schreibe davon. Ich singe davon. Um mich zu erinnern. Um durchs Erinnern Hoffnung zu tanken für alles, was mich zurzeit und in Zukunft beschäftigt und bedrückt. Und um anderen eine kleine Portion von dieser Hoffnung weiterzureichen.


Diese Geschichte und viele andere hat Jürgen Werth in seinem Buch Doch Gott sieht das Herz aufgeschrieben. Es ist bei Gerth Medien erschienen.

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