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Keine Fragen, nur Antworten: Faszination und Gefahren des (christlichen) Fundamentalismus

„Bibel. Fundament. Fundamentalismus.“ – diese Podiumsdiskussion hatte es vom Titel her in sich. Allerdings waren sich alle Redner in der Ablehnung eines strikten, christlichen Fundamentalismus einig. Ein theologisch streng konservativer Vertreter fehlte. Und doch gab es Unterschiede in der Analyse – und der Bibelinterpretation.

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Professor Wilhelm Eppler von der CVJM-Hochschule in Kassel erklärte in seiner Einführung, Fundamentalismus entstehe dort, wo Fundamente zerbrächen. Die Moderne bringe nicht weniger Religion, sondern: „Je mehr Moderne, desto mehr Fundamentalismus bekommen wir.“ Dieser lasse sich laut Eppler wie folgt charakterisieren: 1) Eine hermeneutische Interpretation der jeweiligen Heiligen Schrift fehlt. Diese spricht für sich und muss nur umgesetzt werden 2) Andere Glaubensformen – und Unglauben – werden nicht akzeptiert 3) Verweigerung des Dialogs mit Andersglaubenden. Ein gesunder Glaube müsse sich dagegen der „Vernunft verantworten“, wenn auch „nicht unterwerfen.“ Gleichzeitig warnte Eppler davor, „Fundamentalist“ als Kampfbegriff zu gebrauchen.

„Jede Übersetzung ist Interpretation“

Der Wiener Theologieprofessor Ulrich Körtner verwies auf das grundsätzliche Problem, dass es zahlreiche Variationen des biblischen Kanons gebe. Und: „Jede Übersetzung ist immer auch schon Interpretation. Wir beschäftigen uns bei der Bibellese mit Interpretationen, die auf bestimmten Traditionen fußen. Deshalb müssen wir interpretieren.“ Auf ein konkretes Beispiel, die Schaffung der Erde in sechs Tagen, angesprochen, sagte Körtner: „Daran glaubt ein Fundamentalist. Gleichzeitig nutzt er aber alle Früchte der modernen Wissenschaft, obwohl er die Wissenschaft selbst ja eigentlich ablehnt.“ Die Bibel sei nicht in allem wörtlich, aber beim Wort zu nehmen. Wenn er in der Bibel lese, dann lasse er die Texte zu sich sprechen. „Und zwar reflektiert naiv, so nenne ich das.“

Körtner beklagte einen zunehmenden Mangel an Bibelkenntnissen. „Der Pietismus hat das Bibellesen forciert, aber da ist inzwischen etwas weggebrochen.“ Dies sei inzwischen ein großes Problem. „Wir brauchen ein neues Fundament. Deshalb sage ich: Wir müssen wieder mehr in der Bibel lesen.“ Für seinen leidenschaftlich vorgetragenen Apell erntete Körtner den mit Abstand lautesten Applaus der Veranstaltung.

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„Keine Fragen, nur Antworten“

Was macht den Fundamentalismus eigentlich für viele so attraktiv? „Die Komplexität des Lebens wird verringert, Gut und Böse sind klar definiert, man hat eine klare Aufgabe und gewinnt an Profil und Bedeutung“, erklärte Prälatin Gabriele Wulz (Ulm). „Der Fundamentalist ist überzeugt, Zeuge des Absoluten zu sein. Er hat keine Fragen, nur Antworten.“ Persönlich könne sie grundsätzlich verschiedene Auslegungen akzeptieren. „Das habe ich von der jüdischen Auslegungstradition gelernt. Dort werden verschiedene Interpretationen als bereichernd empfunden.“ Die „Chicago-Erklärung zur Irrtumslosigkeit der Bibel“ sei jedoch eine „Sackgasse, die den biblischen Texten nicht gerecht wird.“

Eine klare Absage an alle konservativen Auslegungen der Bibel erteilte der Stuttgarter Professor und Gemeindepfarrer Christoph Dinkel, selbst Vertreter der historisch-kritischen Schule. Verkündigung müsse „aufgeklärt-reflektiert“ sein und aktuellen wissenschaftlichen Standards genügen, um ernst genommen zu werden. „Sonst sind wir ein Hindernis für das Evangelium“, so Dinkel. Jesus sei nicht über das Wasser gelaufen, habe keine Blinden geheilt und sei auch nicht leiblich auferstanden. Dies seien metaphorisch angelegte Geschichten. „Wir glauben nicht an Zombies.“ Der Auferstandene sei in der Verkündigung, den Menschen und der Nächstenliebe lebendig.

Mache der Glaube an die Auferstehung Jesu einen Gläubigen denn zum Fundamentalisten, wollte ein Zuhörer wissen. Nein, nicht zwingend, so Dinkel. „Der Glaube verträgt ein gewisses Maß an Inkohärenz.“ Aber die Gefahr bestehe schon. Jesus selbst sein kein Fundamentalist gewesen, sondern liberal. Er habe „kühn provoziert“ (wie beim Ausreißen der Ähren) und eher eine „entspannt euch“-Haltung gelebt und gepredigt. Und gelebt, ja, das habe er. Das sei hinreichend wissenschaftlich gesichert. In erster Linie sei es Jesus um das Gottvertrauen gegangen. „Dafür ist Verkündigung da.“

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„Ich kann sagen, was Gott denkt“

Professor Heinzpeter Hempelmann betonte, dass christlicher Fundamentalismus eigentlich immer Bibelfundamentalismus sei. „Die Bibel ist nach dieser Auffassung irrtumslos, klar und voll mit allen nötigen Weisungen. Es braucht zwar Auslegung, aber keine Interpretation.“ Der Glaube werde zu einem in sich schlüssigen System, das vor Zweifeln bewahre. „Ich kann sagen, was Gott denkt. Das ist attraktiv.“ Allerdings trete in diesem System die Bibel an Christi Stelle. „Die Schriftauffassung wird zum Fundament des Glaubens.“ Intoleranz sei die Folge. „Die Schöpfung in sechs Tagen ist keine Exegese, sondern man interpretiert hinein, was im Text selbst so gar nicht gedacht war.“ Nach den Wundergeschichten gefragt erklärte Hempelmann, er würde Bibelstellen durchaus anders als Christoph Dinkel interpretieren, „aber in der Auseinandersetzung auf Diskriminierungen verzichten.“

Aus dem Publikum wurde kritisch angemerkt, dass kein Vertreter einer streng konservativen Bibelauslegung auf dem Podium gesessen habe. Dazu erklärte der Veranstalter, die Suche habe sich schwierig gestaltet. Niemand habe sich das Etikett „Fundamentalist“ ankleben lassen wollen. Und letztlich, so die Moderatorin Dr. Angela Rinn, wäre dann eine solche offene Debatte wohl auch nicht möglich gewesen.
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(Quelle: jesus.de)

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