- Werbung -

Lothar Kosse: „Kunst braucht das Unvorhergesehene“

Lothar Kosse über das Prophetische in der Musik, Manipulationsversuche und die Kraft des Lobpreises.

Interview: Pascal Görtz

- Werbung -

Lothar, dein neues Album heißt „Prophecies“. Ist das der Gegenentwurf zum Mainstream?

Das, was im christlichen Mainstream Erfolg hat, und das, was mein Herz berührt, ist ganz selten deckungsgleich. Das hat wahrscheinlich etwas mit dem Zwang zur Propaganda zu tun. Daran ist erstmal nichts falsch: Propagandalieder finden sich auch in den Psalmen. Aber dann gibt es dort auch die Stellen von einer emotionalen Ehrlichkeit, wo schonungslos gesagt wird, wie es ist. Manchmal hab ich das Gefühl, wir spielen vor Gott noch irgendwie einen Zirkus, das finde ich sehr befremdlich. Die Worshipbewegung hat ja auch oft propagiert, dass Lobpreis uns hilft, dass wir aus dem Tal des menschlichen Seins herauskommen und uns zu Gott hin erheben. Und da ist was dran, das kann ich selbst bezeugen. Wie oft möchte ich gar nicht in den Hauskreis und komme dann aber total gestärkt wieder nach Hause. Wenn es aber immer so plakativ kommt, dann empfinde ich die Musik, rein künstlerisch gesehen, als verkürzt dargestellt – wenn sie ein Abbild der menschlichen Kultur, der menschlichen Emotionen, Sprache und des Empfindens sein will.

„Anbetungsmusik hat sich dahin entwickelt, dass sie eine Funktion erfüllt. Wenn das passiert, bekomme ich ein großes Fragezeichen.“

Ist die Musik dabei, ihre eigentliche Bedeutung zu verlieren?

Anbetungsmusik hat sich dahin entwickelt, dass sie eine Funktion erfüllt. Wenn das passiert, bekomme ich ein großes Fragezeichen. Ich werde in eine Veranstaltung gelockt, in der mir dann zwei Stunden lang was vorgegaukelt wird, es werden bestimmte Schalter gedrückt, damit am Schluss ein gewisser Effekt eintritt. Als sei das alles ein einziges Showbusiness. Vor Jahren auf einem Kongress sagte der Moderator: „Jetzt gibt es ein Anspiel von uns und ich kann ihnen versprechen, dass sie am Ende Tränen in den Augen haben werden.“ Und da dachte ich: Hör auf. Ich will das nicht. Das ist link. Das mag ich nicht. Mir wird nicht selbst überlassen, was am Schluss mit mir passiert. Wenn man selbst mit Kunst und der Bühne zu tun hat, weiß man genau, welche Knöpfe man drücken muss, damit das und das passiert.

Drückst du sie dann oder drückst du sie bewusst nicht?

Ich muss mir das sehr wohl überlegen, an welchen Stellen ich was drücke und an welchen nicht. Eine Zeit lang habe ich gesagt, ich drücke sie bewusst nicht. Wir hatten eine Art Ehrenkodex bei der Cologne-Worship-Night, keine Songs zu spielen, die alle aus der Gemeinde kannten.

Kunst braucht das Unvorhergesehene. Ich will einen Musiker hören und nicht wissen, was mit mir passieren wird. Vielleicht passiert gar nichts, gut, vielleicht passiert etwas mit mir, was total emotional aufrührend ist, auch wunderbar, oder ich finde es einfach nur fürchterlich und rege mich darüber auf. Man muss sich aus freiem Willen für oder gegen Kunst entscheiden dürfen. Das wird aber gar nicht mehr zugelassen. Das gleiche gilt für das Evangelium und die Art, wie wir es predigen. Oft passiert das so, dass wir die Menschen erst emotional berühren, ihnen dann noch die Botschaft von Jesus mitgeben und sie dann am Besten gleich noch vor Ort eine Entscheidung treffen. Das geht ja gar nicht. Das ist dann wie in der Media-Markt-Werbung.

„Nach den Aufnahmen habe ich sie mir angehört und mich dem Himmel so nah gefühlt wie schon lange vorher nicht mehr.“

- Werbung -

Bist du mit besonders großen Erwartungen an die Produktion gegangen?

Die Produktion ist ein Herzensprojekt, eine Reise zu einer ganz persönlichen, inneren Leidenschaft: einfach nur Musik zu machen mit der Gitarre. Es war das Schönste, was ich mir gerade vorstellen kann, was mit meinem Beruf zu tun hat: eine Instrumental-CD in einer sehr reduzierten Form, eine Gitarre, ein Bass, ein Schlagzeug, mit viel Platz dazwischen, aber auch ganz viel Platz für Emotionalität. Der Versuch, das ganze Spektrum des musikalischen Seins auf seinem Instrument auszudrücken. Man steht sehr nackt da, nur mit seiner Gitarre, und muss eine gewisse Autorität entwickeln, nicht nur rumklimpern. Ich hab das schon vorher ein paar Mal probiert, „One for all“ war mein erster Versuch, dann kam Rockland.

Abe Laboriel war damals auch als Bassist dabei. Zufall?

Ich habe lange darüber nachgedacht, welche Musiker ich dazu hole. Nir Zidkyahu habe ich in Schweden als Drummer bei John Meyer gehört und war total beeindruckt von ihm. Zwei Wochen später bin ich mit einem amerikanischen Musiker und Produzent, Don Potter, in Polen unterwegs gewesen und wenn hat er mir empfohlen? Nir Z. Das habe ich dann als Fingerzeig genommen. Er ist Jude und dem Glauben sehr zugetan.

Und mit Abraham war es so, dass ich an viele Musiker gedacht hatte, aber Abraham war derjenige, der mir unglaublich viel beigebracht hat, wie Persönlichkeit, Musik und Anbetung zusammenspielen. Die Art und Weise, wie er Musik versteht und Lobpreis macht, ist total authentisch. Auf das Naheliegende bin ich anfangs nicht gekommen. Beide haben sofort zugesagt, als ich sie gefragt habe.

Nach den Aufnahmen habe ich sie mir angehört und mich dem Himmel so nah gefühlt wie schon lange vorher nicht mehr. Das hat mich innerlich total bewegt. Musik bringt bei mir innerlich immer etwas zum Schwingen. Es war wie ein „Gesundbrunnen“, ein „Wellnesspaket“. Von Anfang bis Ende war es ein reiner Spaß, diese CD zu machen.

- Werbung -

Wie war denn euer Produktionsablauf: Hast du viel improvisiert?

Ich habe die Songs geschrieben und die Tracks vorbereitet, habe ihnen dann meine Gitarrensounds und eine Idee von meinen programmierten Drums und Bass geschickt, damit sie eine Idee hatten, wie es klingen soll. Alle haben sich super in die Musik und in die Thematik reingedacht, die Musiker hatten sich fantastisch vorbereitet. Beide haben das Projekt zu ihrem eigenen gemacht. Deshalb merkt man die Emotionen, die da drin sind – das spürt man, dass da noch etwas anderes stattfindet.

„Die Leviten haben auf ihren Instrumenten etwas ausgedrückt, was man mit Worten nicht sagen kann. Anders übersetzt heißt das: geisterfüllt spielen.“

Hatte der Entstehungsprozess dadurch schon etwas Prophetisches?

Um den Titel zu erklären: Es gibt einen Satz in der Bibel, den ich total faszinierend finde. Das wird öfters wiederholt. In dem Buch der Chronik ist von den Leviten die Rede, die Profimusiker des Alten Testaments. Da steht, dass sie auf ihren Instrumenten prophezeiten. Das gehörte einfach zu dem normalen Ablauf im Tempel-Alltag dazu. Was das heißt, weiß ich nicht wirklich, aber sie haben auf ihren Instrumenten etwas ausgedrückt, was man mit Worten nicht sagen kann. Anders übersetzt heißt das: geisterfüllt spielen. Viele von den Songs sind so entstanden. Man fängt irgendwie an und es gibt keine klare Linie, man findet den Weg, indem man einfach immer weiter geht. Man spürt, wenn eine Kurve kommt oder das Lied zu Ende ist.

Ist das nicht schon komisch, wenn du das, was du vorhin prophetisch erlebt hast, dann in ein Raster packst?

Es sind zwei Prozesse: das Spielen und das, was nach der Komposition stattfindet. Musik lebt immer von dem Moment, es ist eine Abbildung von punktuellen Dingen. Früher musste man das immer selbst reproduzieren, da man es nicht wie heute einfach abspielen lassen konnte. Musik ist nicht zu greifen: wenn man den CD-Player ausmacht, ist sie weg. Selbst wenn man sie aufschreibt, bringen einem die Noten nichts, wenn man sie nicht lesen kann. Und selbst die Noten wird jeder Musiker anders interpretieren.

Musik ist deshalb so nah am Geist. Wie es in der Bibel steht: Der Geist ist wie der Wind, man kann ihn nicht greifen, sondern nur spüren. Das ist auch das prophetische Element des Musikmachens: Wenn man der Musik freien Lauf lässt. Es ging nicht darum kommerziell zu sein, es sollten schöne Melodien sein. Es sollte ehrliche Emotionen auslösen. Interessanterweise hat es bei den anderen beiden genau dieselben Gefühle ausgelöst wie bei mir.

Hat das dein Verständnis von gut und schlecht noch mal verändert?

Das hat es noch mal klarer gemacht. Seit ich angefangen habe, Musik zu machen, suche ich diese gewisse Form von Kraft, und wenn ich diese Kraft spüre, auch bei anderen Musikern, dann bin ich hellauf begeistert. Ich sehe darin etwas zutiefst Göttliche. Auch in der Schöpfung sehe das gern wieder, ich gehe gern in die Berge, ins Hochgebirge und mach da Klettertouren, weil mich diese ursprüngliche Macht und Kraft Gottes total beeindruckt. Ich bin total gerne am Meer, in Norddeutschland, an den Ostfriesischen Inseln, wo man die Erdkrümmung sehen kann. Dort kann ich Gott entdecken, weil er unglaublich mächtig ist und liebevoll gleichzeitig, wie das Wasser, das ganz sanft am Land ankommt. Gott ist gleichzeitig zart, wild und nicht zu greifen. Wenn Musik ein bisschen davon hat, dann bin ich begeistert und wenn Musik das nicht hat und zu einem standardisierten „Wir tun das, damit Folgendes passiert“ verkommt, finde ich das total langweilig. Egal, ob es Bierzelt- oder christliche Musik ist.

„Musik ist deshalb so nah am Geist. Wie es in der Bibel steht: Der Geist ist wie der Wind, man kann ihn nicht greifen, sondern nur spüren.“

Ist das Prophetische für dich so was wie dein Lebensthema?

Ja, weil Musik ein Lebensthema ist und wenn Musik nicht prophetisch ist, egal, ob christlich oder nicht, dann ist Musik nicht relevant. Jede Musikbewegung von Classic, über Jazz, Woodstock, … das sind alles prophetische, wegweisende Ereignisse gewesen, weil sie in die Zukunft gewiesen haben. Dafür muss man nicht mal christlich sein. Das Prophetische, das Vorausschauende und auch das Heilende der Musik braucht mehr als „Ich sehe Dinge, die du noch nicht sehen kannst, weil ich meiner Zeit voraus bin“. Das braucht etwas Göttliches. Jeder Musiker, der sich intensiv mit Musik beschäftigt hat, spürt das. Die meisten werden sagen, das ist absolut göttlich und sie versuchen, dieser Sache irgendwie nachzuspüren und vielleicht etwas von diesem Glanz in Fragmenten abbilden zu können. Es ist wie ein Blick durchs Schlüsselloch: Man bekommt ansatzweise eine Ahnung, wie es im Himmel sein könnte.

Deswegen ist es himmlisch, prophetisch, deshalb ist es geistlich. Und es wird nicht geistlich dadurch, dass wir sagen, wir knallen den Stempel drauf „es ist christlich“. Damit hat es nichts zu tun. Es geht um die Wahrnehmung des Reiches Gottes in dieser Welt. Und immer, wenn das Reich Gottes in dieser Welt wahrnehmbar ist, dann ist es nicht nur für die Insider wahrnehmbar, sondern für alle, zumindest für die, die dafür sensibel sind.

Aber Leute, die dafür offen sind, die werden an bestimmten Punkten wachgerüttelt durch solche Momente, wo sie so etwas Prophetisches entdecken. Das berührt sie zutiefst und lässt sie erahnen, dass es hier einen Weg und eine Schönheit gibt, die sie nicht erwartet hätten. An dieser Stelle wird Musik und Kunst prophetisch und sehr überzeugend, teilweise völlig ohne Worte.

Als ich mich entschieden habe, der Musik mein Leben zu widmen, waren das genau solche Momente, an denen ich gemerkt habe, ich kann gar nicht anders.

Findest du Worte für so ein Musik-Bekehrungserlebnis?

Ein Ereignis war, als ich in einer Zeltmission und as war eine Arbeit von Zigeunern und die haben die damaligen kirchlichen Lieder verjazzt. Und durch irgendeinen Grund bin ich dort mit meinem Jugendkreis gelandet. Und ein Zigeunergitarrist aus Frankreich hat auf seiner Gitarre die alten Choräle und die typischen Heilslieder verjazzt. Und da dachte ich: „That’s it!“

Das hatte die Schwere der Tradition, die ich auch sehr mochte, aber es hatte gleichzeitig auch die Freiheit des Geistes. Das hat mich total begeistert. Es hat mir gezeigt: Hinter diesem ganz normalen Leben und hinter dem, man lebt, wie man halt so lebt, man macht, was alle so machen, da gibt’s ne Welt von Kreativität und Schönheit und von wunderbaren Dingen, die es zu entdecken gibt. Das hat mich immer auf die Reise gesetzt, bis heute. Und diese Entdeckungsreise ist nach wie vor noch nicht zu Ende.

Konnten wir dich inspirieren?

Jesus.de ist gemeinnützig und spendenfinanziert – christlicher, positiver Journalismus für Menschen, die aus dem Glauben leben wollen. Magst du uns helfen, das Angebot finanziell mitzutragen?

NEWSLETTER

BLICKPUNKT - unser Tagesrückblick
täglich von Mo. bis Fr.

Wie wir Deine persönlichen Daten schützen, erfährst du in unserer Datenschutzerklärung.
Abmeldung im NL selbst oder per Mail an info@jesus.de

Zuletzt veröffentlicht