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Mann und Frau: Gleichwertig, aber nicht gleichartig?

Sind Rollenbilder sexistisch? Gibt es „natürliche“ Unterschiede zwischen Frauen und Männern? Theologe Thorsten Dietz kritisiert Klischees, weiß aber auch um die Gründe für ihre Anziehungskraft. Und er erklärt, ab welchem Punkt es problematisch wird.

So weit das Auge reicht, sind heute alle Christinnen und Christen überzeugt, dass Mann und Frau gleichwertig sind. Sexismus gibt es doch in christlichen Gemeinden gar nicht. Wir sind uns doch alle einig, dass Diskriminierung von Frauen gar nicht geht. Nun sollte man an dieser Stelle nicht vorschnell verallgemeinern. Unterschiedliche christliche Strömungen haben verschiedene Herausforderungen. Pauschale Anklagen führen nicht weit, aber zur Diskussion stellen möchte ich doch, dass es in vielen christlichen Gruppen eine verbreitete Überzeugung gibt, die da lautet: Männer und Frauen sind gleichwertig, aber nicht gleichartig. Und diese Sicht ist mindestens problemanfällig. Nun möchte so manche/r sicher sagen: Wo soll es da zu Problemen kommen? In vielen christlichen Kreisen gibt es unterschiedliche Gruppen für Frauen und Männer, Mädchen und Jungen. Ähnlich gibt es verschiedene Bücher und Zeitschriften für männliche und weibliche Zielgruppen. Inzwischen gibt es sogar Bibeln für Männer und Frauen … Ist das ein grundsätzliches Problem? Nein, natürlich nicht, denn es gibt ja auch unterschiedliche Kreise für Junge und Alte.

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Rollenbilder – und Klischees

Die Probleme fangen da an, wo solche Aufteilungen von der Idee bestimmt sind, dass Männer und Frauen wesensgemäß so verschieden sind, dass sie von Gott ganz unterschiedliche Rollen zugedacht bekommen haben, die wir ernst nehmen müssen. Rollenbilder sind heute sehr beliebt. Sie werden geschätzt von Frauen und Männern. Offenbar geben sie vielen Menschen Selbstsicherheit. Sie erlauben die Haltung: Nicht ich persönlich bin zu empfindlich, zu sensibel; oder zu aggressiv, zu konkurrenzorientiert. Sondern: Ich bin so, weil ich eine Frau bzw. ein Mann bin. Und das ist grundsätzlich gut so, ich darf mich so annehmen, wie ich bin. Eine solche Haltung empfinden viele als entlastend.

Menschen, die Bücher über Frauen und Männer gelesen haben, empfinden das häufig als Wohltat: Deshalb bin ich so bzw. bist du so. Genießen wir den Unterschied! Männer stehen auf Action, Frauen auf große Gefühle, Jungs wollen raufen, Mädchen basteln, Frauen sind gerne in der Küche und Männer gerne auf dem Sportplatz. Frauen können nicht einparken und Männer nicht zuhören. Männer sind wie eine Kommode, wo alles seine Schublade hat und Frauen wie ein Kleiderschrank, wo alles mit allem in Berührung ist. Ein Indianer kennt keinen Schmerz – und die Squaw ist nah am Wasser gebaut.

Problematisch wird es, wenn solche Zuschreibungen überhöht werden. Gott, so heißt es dann, habe solche Verschiedenheit tief in unsere Natur gelegt. Wir dürfen uns gegen solche Platzanweisungen nicht auflehnen. Der Mann muss eine Familie führen. Er muss entscheiden und seine Frau leiten. Ansonsten widerstrebt er Gottes Ordnung. Wenn ein Mann Widerspruch einlegt, ja laut wird, ist er charakterstark. Wenn eine Frau das tut, ist sie aufmüpfig. Wenn ein Junge aggressiv wird, ist er ein echter Junge. Ein Mädchen gilt dann als zickig.

Rollenbilder und ihr Wandel

Gibt es denn schon in der Bibel klare Vorstellungen darüber, was ein richtiger Mann bzw. eine wirkliche Frau ist? Die biblischen Texte sprechen die Menschen ihrer Zeit an, ganz konkret, mit den Vorstellungen, die sie nun einmal haben. Das Problem ist: Die heutigen Vorstellungen von „echt männlich“ und „echt weiblich“ gibt es in dieser Form gar nicht in der Bibel. Nehmen wir einen Vers wie 1. Petrus 3,7: „Desgleichen ihr Männer, lebt vernünftig mit ihnen zusammen und gebt dem weiblichen Geschlecht als dem schwächeren Ehre, denen, die Miterben der Gnade des Lebens sind, auf dass euer gemeinsames Gebet nicht verhindert werde.“ (Luther) Frauen werden hier als das schwächere Geschlecht angesprochen, wörtlich: das schwächere Gefäß. Man sollte nicht versuchen, das jetzt ganz modern umzudeuten im Sinne von: Das ist ja gar nicht negativ oder abwertend gemeint, Schwäche meint hier: das sensible, empfindliche, feinfühlige Geschlecht. Nein, in vielen antiken Texten im Judentum sind Frauen schwach, und damit ist nicht „gleichwertig, aber nicht gleichartig“ gemeint, sondern „weniger gut“. Überhaupt muss man sehen: Das, was man für das übergeschichtliche Wesen von Mann und Frau hält, hat eine Geschichte. Und im Kern ist diese leicht zu erzählen. In der Antike und im Mittelalter gab es ein eindeutiges Wert- und Machtgefälle zwischen Mann und Frau, sowohl im Christentum wie auch in allen anderen bekannten Kulturen. Männer waren stark, Frauen schwach. Männer galten als mutig, Frauen als ängstlich. Männer waren zumindest der Möglichkeit nach weise und intelligent, Frauen nicht. Männer waren zur Führung bestimmt, Frauen zum Gehorsam. In der Neuzeit ist man im Westen zunehmend überzeugt von der Gleichheit aller Menschen.

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Mehr und mehr überträgt man das auch auf Mann und Frau. Aber nun findet man eine neue Sicht auf Männer und Frauen, nicht mehr im Sinne eines Wert- und Machtgefälles, sondern im Sinne einer Polarität. Männer sind stark, Frauen schön. Frauen sind gefühlvoll, Männer intelligent. Männer sind sach-, Frauen beziehungsorientiert. Was viele heute für das Wesen von Mann und Frau halten, gibt es erst seit knapp 200 Jahren.

Gibt es „natürliche“ Unterschiede?

Natürlich gibt es biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Es gibt messbare Differenzen. Gibt es also doch klare Wesensunterschiede? Ist alles eine Frage von Testosteron und Östrogen? Naturwissenschaftliche Forschungen zu Mann und Frau sind ein großes Feld – auf dem viele Forschungsergebnisse noch im Fluss sind. Wir sind gegenwärtig weit davon entfernt, die Funktionen des Gehirns völlig zu verstehen. Genauso verhält es sich mit den Auswirkungen von Hormonen auf unser Fühlen, Denken und Handeln. Mit aller Vorläufigkeit lässt sich sagen: Statistisch gibt es unterschiedliche Ausgangsbedingungen von Mann und Frau. Wie weit diese im Einzelfall zum Tragen kommen, ist immer auch abhängig von der sozialen Umgebung der jeweiligen Menschen. Grundsätzlich handelt es sich um Durchschnittswerte, die für das Individuum keine Aussagekraft haben. Die statistischen Unterschiede zwischen Menschen desselben Geschlechts haben eine weitaus größere Spannweite als die durchschnittlichen Differenzen von Mann und Frau. Hinzu kommt: Die Unterschiede von Mann und Frau sind auch aus naturwissenschaftlicher Sicht keine reine Naturgegebenheit, sondern das Ergebnis einer langen kulturellen Entwicklungsgeschichte. Manche sagen: Dass Frauen und Männer verschieden sind, erkennt man daran, dass auch in freien Gesellschaften die Berufswünsche ganz unterschiedlich sind. Entschuldigung, aber diese Sicht ist sehr naiv. Denn schlicht die Tatsache, dass Männer und Frauen Berufswünsche haben, ist ein Phänomen, das es erst seit dem 20. Jahrhundert gibt – ein Indiz für eine natürliche Ordnung der Geschlechter sieht anders aus.

Männer und Frauen sind verschieden, dieser Satz ist gut erträglich als Teilwahrheit der umfassenderen Wahrheit: Menschen sind verschieden. Sie sind höchst unterschiedlich und individuell: alt oder jung, gesund oder krank, Einzelkind oder Geschwisterkind, klassische Familie oder Patchwork, begütert oder prekär, oder eben männlich oder weiblich. Alle diese Umstände wirken darauf ein, wer wir sind. Aber nichts davon legt es fest. Denn Menschen sind mehr als ihre biologische Natur, mehr als ihre Hormone oder Geschlechtsorgane. Der Sexismus fängt nicht erst bei der ausdrücklichen Abwertung von – zum Beispiel – Frauen an. Er beginnt bei der Aufrichtung von Hierarchien, wo es „richtige“ Männer und „falsche“ gibt, „echte“ Frauen und „unechte“. Eine solche Logik neigt immer dazu, Leitbilder zu entwickeln, in denen vermeintliche sehr männliche oder sehr weibliche Erscheinungen idealisiert werden. Eine solche Ästhetik übt Druck aus auf Menschen, die den Klischees weniger gut entsprechen: zarte, gefühlvolle Männer oder kräftige, rationale Frauen. Schöpfungstheologisch ist eine solche Klischeefixierung nicht akzeptabel. Ja, das ist Sexismus, und er schadet allen. Männern, Frauen und vor allem auch den Menschen, die sich in dieser Unterscheidung nicht so einfach wiederfinden. Alle Menschen sind als Gottes Geschöpfe dazu aufgerufen, sich in ihrer individuellen Eigenart anzunehmen, ohne ihren Wert von der eigenen Übereinstimmung mit den Geschlechtsidealen ihrer Zeit abhängig zu machen.

Gottes Maßstab

Was ist die eigentliche Aussage von 1.Petrus 3,7? Dass Männer stark und Frauen schwach sind? Nein, sondern dass die Frauen und Männer gemeinsam Erben der Gnade sind und dass das wichtiger als alle Unterschiede ist. Darum sollte man in diesem Text nicht die damals selbstverständliche Vorstellung von Frauen und Männern herausstellen, sondern die eigentliche Handlungsanweisung, das Gebot, nicht die Vorstellung, an die es anknüpft. Auch was wir als Mann und Frau wirklich sind, liegt nicht in irgendeiner überzeitlichen Natur in uns, sondern als Bestimmung, unser Leben von Christus gestalten zu lassen, vor uns. Heute kann es für uns nicht darum gehen, feste Burgen bzw. traditionelle Werte zu verteidigen, sondern Formen gelingenden Miteinanders zu entwickeln. Nur im Miteinander können Mann und Frau Wege des Zusammenlebens entwickeln, in denen sie ihrem Auftrag gerecht werden können. Nach ihrer ursprünglichen Bestimmung (Genesis 1,27) können sie nur gemeinsam Gottes Ebenbild darstellen. Das christliche Menschenbild ist durch seine Offenheit, seine Ausrichtung auf die herrliche Freiheit der Kinder Gottes (Römer 8,21) bestimmt. „Es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden“ (1. Johannes 3,2). Das Wesen des Menschen ist gerade seine Offenheit für die Zukunft – bei Männern und Frauen. Wir alle sind bestimmt zur Entwicklung und Vollendung, deren Maßstab uns Jesus Christus gesetzt hat.

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Thorsten Dietz lebt, liebt und lehrt (Theologie) in Marburg und teilt sich eine Wohnung mit seiner Frau und drei Töchtern.

Dieser Artikel ist zuerst im Magazin dran next erschienen. Das Schwerpunktthema von Ausgabe 8:18: Sexismus.

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