- Werbung -

Alexander Garth: „Mission ist Identität der Kirche!“

Warum muss Mission das Kerngeschäft der Kirche sein? Und was können Evangelikale und Liberale voneinander lernen? Ein Gespräch mit dem Wittenberger Pfarrer Alexander Garth.

Wie verschlägt es einen Großstadtpfarrer in die Provinz?

- Werbung -

(gespielte Empörung) Wittenberg ist doch derzeit der Mittelpunkt der Welt! Nein, ganz ehrlich: Als die Anfrage an mich kam, war auch mein erster Gedanke: Was soll ich im Reformationsmuseum? Doch so klein ist Wittenberg nun auch nicht (Anm. der Red.: Die Stadt hat knapp 47.000 Einwohner). Und es hat doch Charme, dort Kirche nochmals zu verändern, neu zu denken, wo sie den Ursprung ihrer größten Veränderung erfahren hat.

Sie haben die Junge Kirche Berlin gegründet und mitbegleitet. Wie steht es um die Gründung der Jungen Kirche Wittenberg?

(lacht) Das habe ich eigentlich nicht vor. Die Junge Kirche Berlin passte nach Hellersdorf, weil dies ein unheimlich jugendreicher Stadtteil war. Die Situation in Wittenberg ist eine völlig andere. Hier gilt es nicht, eine neue Gemeinde zu gründen, sondern Kirche breiter aufzustellen. Es gibt hier vier Zielgruppen kirchlicher Arbeit: Erstens Luther-Touristen, zweitens Intensiv-Protestanten, drittens kirchendistanzierte Kirchenmitglieder und viertens die 40.000 Konfessionslosen. Im Blick auf die dritte und vierte Zielgruppe gilt es, neue Zugangsmöglichkeiten zum Glauben zu entwickeln.

1999 mahnte der Theologieprofessor Eberhard Jüngel (Tübingen) auf der EKD-Synode in Leipzig: „Wenn Mission und Evangelisation nicht Sache der ganzen Kirche ist oder wieder wird, dann ist etwas mit dem Herzschlag nicht in Ordnung.“ Hat sich der Herzschlag der Kirche verändert?

- Werbung -

Der damalige EKD-Ratsvorsitzende Prof. Dr. Wolfgang Huber wollte den EKD-Tanker in Richtung Mission und Evangelisation umsteuern. Dieser Versuch ist nicht so richtig geglückt. Er scheiterte am Widerstand und der Mentalität der Pfarrerschaft.

Ist Mission nicht immer noch zu sehr eine Zusatzaufgabe von besonders „übereifrigen“ PfarrerInnen und Gemeinden?

Mission bekommt nach wie vor den „Schwarzen Peter“ zugeschoben, weil die Christologie unterentwickelt ist bzw. einen Schaden hat. Die Einzigartigkeit Jesu Christi wird nicht mehr geglaubt. Man findet innerlich eine Rückzugsmentalität nach dem Motto: Wir kümmern uns um die, die wir haben. Es fehlt aber der Mut und die Idee, wie wir Menschen mit dem Evangelium in unserer Gesellschaft erreichen können. Kirche muss sich wieder auf das Kerngeschäft der Verkündigung des Evangeliums von der freien Gnade Gottes fokussieren.

„Wir haben nicht eine Mission,
sondern wir sind Mission.“

Kirche muss also mehr Leidenschaft an den Tag legen?

- Werbung -

Ja! Unbedingt! Und sie muss wegkommen von dem defizitären Missionsverständnis. Mission ist Identität der Kirche! Wir haben nicht eine Mission, sondern wir sind Mission! Entweder ist alles, was wir tun, Mission – oder es taugt nicht. Eine Kirche, die nicht dafür lebt, das Evangelium unter die Leute zu bringen, versinkt in der Bedeutungslosigkeit, und eine Gemeinde, die nicht missioniert, stirbt. Wir müssen neu entdecken, dass wir eine Jüngerkirche in der Kraft des Heiligen Geistes sind, die ausgesendet ist, um den Menschen das Christusheil in Wort und Tat zu bezeugen.

Was macht Ihnen dennoch Hoffnung?

Erstens Jesus Christus selbst, seine Auferstehungskraft, und zweitens der Veränderungsdruck, dem die Kirche ausgesetzt ist.

Inwiefern?

Geringer werdende Finanzen und der Rückgang der Kirchenmitgliedschaft zwingen uns, darüber nachzudenken, wie wir aus der Kraft des Evangeliums einen Aufbruch hin zu den Menschen bewerkstelligen können. Bis jetzt ist es uns nicht geglückt, dass der Herzschlag der Kirche gesundet, aber es steht uns bevor. Hier sehe ich einige hoffnungsvolle Zeichen. Wir haben zum Beispiel weniger Theologiestudenten an den Universitäten, dafür ist die Zahl derer, die ein missionarisches Anliegen haben, größer geworden.

Warum ist die missionsfeindliche Mentalität so hartnäckig in der kirchlichen DNA?

Dies hängt mit unserem kirchlichen Erbe zusammen. Das konstantinische Kirchenmodell bestand darin, dass alle automatisch zur Kirche gehörten. Die „Zwangskirche“, zu der alle automatisch durch die Taufe gehörten, hat die Christen faul gemacht. Die Menschen wurden sakramentalisiert, aber eben nicht wirklich gewonnen. Mission wurde ausschließlich an den Heiden außerhalb Europas betrieben.

„Der Begriff Mission ist
nach wie vor negativ besetzt.“

Und heute?

Der Begriff Mission ist nach wie vor negativ besetzt. Er steht für Bekehrungsdruck, rigide Moral und Fundamentalismus. Auch habe ich schon manches Mal missionierende Christen als unsensible Radikale erlebt. Aber das Anliegen von Mission, Menschen in die Nachfolge Jesu zu rufen, muss aus einer manchmal evangelikalen Verengung befreit werden.

Mission passt aber auch nicht in die Postmoderne …

Richtig. Der Relativismus ist das Basis-Dogma unserer Zeit. Es gibt keine absoluten Wahrheiten mehr. Da lässt sich die Einzigartigkeit Jesu Christi schwer vertreten. Die größte Herausforderung ist die, in dieser Pluralität die Botschaft Jesu einladend, sympathisch, demütig und nicht arrogant zu kommunizieren. Das ist ein großes Lernfeld: Einerseits festzuhalten an der Einzigartigkeit Jesu und andererseits dies so zu leben, dass andere dazu eingeladen und ermutigt werden.

Wie kann das ganz praktisch aussehen?

Da sehe ich zwei Dinge: Erstens: Glaube ist und bleibt eine Einladung. Zweitens: Wir brauchen eine Profilierung, indem wir Jesus Christus wieder ins Zentrum stellen.

Welche Chance hat Kirche mit dieser Botschaft heute?

Ich erlebe ein wachsendes Fragen nach Identität, eine Sehnsucht nach Gemeinschaft, nach Gotteserfahrung, Sinn des Lebens, Spiritualität. Gemeinden, die sich mit diesen Fragen auseinandersetzen und diese Fragen in Beziehung zu Jesus Christus bringen, werden wachsen. Ich bin überzeugt: Aufbruch ist möglich!

Alexander Garth (Foto: Magazin 3E / SCM Bundes-Verlag)

Sie sprechen in Ihrem Buch Gottloser Westen? von einem „Sehnsuchtsboom bei den Menschen“. Wie würden Sie diesen kurz beschreiben? Welche Aufgabe hat hier die Kirche?

Ich habe diese Frage sehr vorsichtig beantwortet. Der Sehnsuchtsboom bei den Menschen deckt sich nur in geringem Maß mit dem Angebot, welches Kirchen machen. Da darf man sich keiner Illusion hingeben. Ich würde von Anknüpfungspunkten sprechen. Richtig ist: Die Kirche ist Spezialistin für Sinn. Deshalb sollte sie flächendeckend Glaubenskurse anbieten. Kirche sollte nicht nur theoretisches Wissen, sondern vielmehr Spiritualität vermitteln, das heißt, einen Zugang zu Jesus Christus aufzeigen.

Wie kann in einer Zeit, in der alles „relativ“ ist, mit Überzeugung vom Glauben gesprochen werden?

Indem ich mit dem eigenen Leben erzähle, wie konkret und wirklich Glaube ist.

Darf Kirche heute den Menschen noch etwas zumuten?

Es ist schwierig, wenn die Kirche den Menschen etwas zumutet, ohne dass sie von einer Leidenschaft für das Evangelium ergriffen ist. Dort, wo ich berührt bin, dass der Glaube an Jesus das Beste ist, was mir passieren konnte, dort, wo ich eingebunden bin in eine Gemeinschaft aus Schwestern und Brüdern, da fange ich an zu geben, meine Zeit einzusetzen, mich an Christus und seinem Anspruch zu orientieren.

Wo ist etwas von dieser Leidenschaft im sonntäglichen Gottesdienst zu finden?

Dort, wo mir leidenschaftlicher Glaube, das Geheimnis des Glaubens begegnet. Ein guter Gottesdienst ist einer, aus dem ich gefühlt besser, schlauer, entlasteter rausgehe, als ich reingegangen bin. Ein ermutigender Gottesdienst muss den Glauben leichter machen.

Sie haben die Kreditkarte der EKD in der Hand. Was wird gebraucht? Wo gilt es, zu investieren?

Das ist eine unbequeme Frage. Da kann man sich nur Feinde machen. (lacht) Ich würde den Rotstift bei der überbordenden Kirchenverwaltung ansetzen, die eine schrumpfende Basis verwaltet. Die Hierarchien müssen flacher werden. Und vor allem müsste die Arbeit an der Basis gestärkt werden.

Welche Konsequenzen hätte das für die Ebene der Gemeinde?

Pfarrerinnen und Pfarrer müssen mehr in die Schulung und Ausbildung von Ehrenamtlichen investieren, sprichwörtlich Jünger machen, Prädikantinnen und Prädikanten etwas zutrauen. Es gilt, das auf dem Papier verfasste allgemeine Priestertum aller Gläubigen endlich umzusetzen.

„Ohne die Verbindung mit Christus
ist die Kirche wie ein Auto ohne Motor“

Wir befinden uns im Jahr 2017 am Ende der Reformationsdekade und in einem Jahr großer Feierlichkeiten. Was kann die Kirche von Luther, Melanchthon, Zwingli, Bugenhagen, Calvin, Bucer usw. wieder neu lernen?

Der Herzschlag der Reformation ist die Gottesfrage. Wir müssen als Kirche neu lernen, die Gottesfrage zu stellen. Dort, wo wir sie beiseiteschieben, verlieren wir die Dynamik, die in der Reformation steckt. Ohne die Verbindung mit Christus ist die Kirche wie ein Auto ohne Motor. Sie verkommt zur betulichen Institution. Wir können von den Reformatoren lernen, dass sich Kirche immer wieder erneuern muss. Kirche verändert sich nicht durch Veränderung ihrer Struktur oder Gestalt oder Gottesdienstprogramme, sondern indem wir immer wieder fragen: Wie kann der Herzschlag des Glaubens einen Menschen erreichen?

Was muss die „liberale Kirche“ lernen?

Die Liberalen haben etwas sehr Sympathisches. Ihre Chance ist die Offenheit und ihre Weltlichkeit. Wenn sie diese Qualitäten mit der Einladung zum Heil in Christus verbinden, sie dafür eine Sprache finden und christologische Kernaussagen nicht einer theologischen Selbstsäkularisierung opfern oder der Verbreitung von allgemeinen politischen Ansagen, könnte dies eine sehr charmante missionarische Mischung werden. Viele Liberale in unserer Kirche haben die Entdeckung der Jesusfrömmigkeit noch vor sich!

Wo sehen Sie Nachholbedarf beim evangelikal geprägten Flügel?

Sie definieren sich noch zu sehr über die Abgrenzung. Dies tut uns nicht gut. Wie heißt es bei Johannes: „Denn das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.“ Aufgabe der Kirche ist es, unter den Menschen zu wohnen, nahe bei ihnen zu sein und nicht eine fromme Parallelgesellschaft zu bilden oder gar Mauern zu bauen. Das fromme Ghetto, zu dem Evangelikale manchmal eine Neigung haben, ist kein guter Weg, um zu den Menschen aufzubrechen. Mein Wunsch wäre eine evangelikal-liberale Kirche.

Wagen wir doch mal einen Blick nach vorn: Folgt auf den Reformationsboom die große Ernüchterung?

Ich sehe keinen Anlass zur Ernüchterung, denn dies würde voraussetzen, dass wir derzeit alle besoffen sind. (lacht) Das sind wir nicht. Ich erlebe uns sehr realistisch. Wir sehen, dass die Kirche großen Herausforderungen entgegengeht. Sie muss an ihrer Kommunikationsfähigkeit arbeiten. Sie muss wieder näher an die Menschen rücken, weniger Behörde, sondern vielmehr Kirche des Evangeliums sein. Sie muss sich breiter in verschiedenen Modellen von Gemeinde aufstellen.

Sie plädieren für ein „Spiel“ mit zwei Beinen?

Ja! Kirche muss ihr Standbein und ihr Spielbein nutzen. Zum einen gilt es, die vielfältigen Chancen traditioneller kirchengemeindlicher Arbeit zu entfalten. Die Arbeit der Ortsgemeinde ist sozusagen das eine Standbein. Daneben muss Kirche auch dem Spielbein Freiräume einräumen. Dies sind die neuen missionarischen Gemeindeformen wie Fresh X, Church planting, Gottesdienste an ungewöhnlichen Orten etc., die mit dem klassischen Bildungsbürgertum nicht erreicht werden. Nur in dieser Doppelstrategie können wir heute ausstrahlende und anziehende Kirche entwickeln.

Eine Erfahrung, die Sie in den letzten Wochen in der Stadtkirche Wittenberg beglückt hat?

Dass Menschen durch den Gottesdienst die Schönheit des Glaubens neu entdeckten und ich immer wieder merke: Die Predigt ist keine überholte Gattung.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellten Rüdiger Jope, Redaktionsleiter des Kirchenmagazins 3E, und der Theologiestudent Ulrich Mang.


Alexander Garth (59) ist aufgewachsen in der ehemaligen DDR. Nach der Ausbürgerung aus der DDR investierte er sich in verschiedene Gemeindeaufbauprojekte. Von 1990 bis 1999 war er Pfarrer an der Stadtkirche in Sonneberg. Dort gründete er eine Tochtergemeinde in einer Plattenbausiedlung. 1999 startete er in Berlin die Junge Kirche, eine Gemeinde der Evangelischen Kirche (EKBO) im Osten Berlins. Seit 2016 ist er Pfarrer an der Stadtkirche St. Marien in Wittenberg, Kirche Martin Luthers und Mutterkirche der Reformation.

Konnten wir dich inspirieren?

Jesus.de ist gemeinnützig und spendenfinanziert – christlicher, positiver Journalismus für Menschen, die aus dem Glauben leben wollen. Magst du uns helfen, das Angebot finanziell mitzutragen?

NEWSLETTER

BLICKPUNKT - unser Tagesrückblick
täglich von Mo. bis Fr.

Wie wir Deine persönlichen Daten schützen, erfährst du in unserer Datenschutzerklärung.
Abmeldung im NL selbst oder per Mail an info@jesus.de

Zuletzt veröffentlicht