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Heilsame Unterbrechungen: Tagzeitengebete

Herzschlag, Atmung, Wachsein, Schlaf: Unser Leben folgt zahlreichen Rhythmen. Warum nicht auch beim Gebetsleben?

Von Pfarrer Sebastian Steinbach

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Es gibt ein Gleichnis Jesu, das ich ganz besonders mag: „Mit dem Reich Gottes ist es wie mit einem Bauern, der die Saat auf seinem Acker ausgestreut hat. Er legt sich schlafen, er steht wieder auf, ein Tag folgt dem anderen; und die Saat geht auf und wächst – wie, das weiß er selbst nicht. Ganz von selbst bringt die Erde Frucht hervor: zuerst die Halme, dann die Ähren und schließlich das ausgereifte Korn in den Ähren.“ (Markus 4, 26-28)

Dieses Gleichnis Jesu atmet eine tiefe Entspanntheit und Leichtigkeit: Der Bauer steht auf und legt sich schlafen und das Korn reift heran. Tag für Tag. Da ist nichts Gewalt­sames, kein Druck, keine Hetze. Einfach ein ruhiges Sich-Entwickeln und Sich-Entfalten der Kräfte, die der Natur und dem Menschen innewohnen. Wie anders fühlen sich oft meine Tage an: meine Tage sind streng durchgetaktet. Termin folgt auf Termin, Pflicht auf Pflicht, Möglichkeit auf Möglichkeit, Zerstreuung auf Zerstreuung. Stunde für Stunde haste und arbeite ich mich durch meinen vollen Terminkalender und versuche, die Tage möglichst weit auszudehnen, möglichst viele Stunden wach zu bleiben, möglichst viel abzuarbeiten und mitzunehmen. Schlaf ist nur die erzwungene, tägliche kurze Niederlage gegenüber allem Erledigen und Erleben.

Aber jedes Leben – auch das mensch­liche – ist auf Dauer nur als rhythmisches Leben möglich. Unser Körper besteht im Grunde aus lauter verschiedenen Rhythmen: Herzrhythmus, Atmung, Konzentration, Leistung … alles in uns ist auf Rhythmus angelegt. Einatmen und Ausatmen. Aufstehen und Schlafengehen. Leisten und Lassen. Wo wir dauerhaft gegen diesen Rhythmus anleben, erkranken Körper und Geist: das Herz macht Probleme, der Blutdruck ebenso, wir erleben Müdigkeit, Aggression, Angstzustände, Burnout.

So wenig wir der Schwerkraft entfliehen können, so wenig können wir unserer rhythmischen Natur entfliehen. Was wir also dringender denn je brauchen, sind Möglichkeiten und Einladungen zum Innehalten. Wir brauchen einen Lebensrhythmus, der unsere Sinne und Kräfte nicht überfordert, sondern Räume eröffnet für Ruhe, Besinnung und Fokus. Wir brauchen Freiräume für echte Begegnungen: mit uns selbst, mit den Menschen um uns herum und mit Gott, dem Ursprung allen Seins. Wir Menschen brauchen diese Freiräume, um klug, gut und gerecht zu handeln. Und um Schönheit wertzuschätzen und zu genießen.

Heilsame Unterbrechungen

Klöster sind seit jeher Orte, zu denen das Laute und Schnelle der Welt keinen Zutritt hat. Sie halten den Lärm und das Vielerlei auf Abstand. Klöster sind Zeitoasen. Innerhalb dieser Mauern haben Mönche und Nonnen einen heilsamen Lebensrhythmus entwickelt. Mehrmals am Tag unterbrechen sie ihr Nachdenken und Tun, um dem Gebet und der Stille Raum zu schaffen. Gedanken und Emotionen kommen zur Ruhe und verbinden sich mit Gott. Der innere Raum weitet sich und wird klar. Tagzeitengebete sind heilige Unterbrechungen unserer übervollen Tage, die uns hineinführen in einen heilsameren Lebensrhythmus.

Das Kloster Hirsau ist so ein Ort der Ruhe und der Besinnung. Obwohl die Mönche das Kloster bereits vor 500 Jahren verlassen haben, atmet es Frieden, Schönheit und einen offenen Himmel. In den letzten Jahren sind hier die Lebensliturgien entstanden: heilige, heilsame Unterbrechungen. Tagzeitengebete für den Alltag. Für jeden Tag der Woche gibt es je ein Morgen-, ein Mittags- und ein Abendgebet – zwischen 5 und 10 Minuten, zum Hören und Lesen. Und: es gibt verschiedene Podcast-Staffeln, Morgengebete zu Themen wie Psalmen, Teresa von Avila, Zeit und Gleichnisse Jesu.

Welche Kraft diesen heiligen Unterbrechungen innewohnt, spürt man bereits, wenn man die Anfänge zu den Lebensliturgien-Tagzeitengebeten liest.

Laudes — das kurze Gebet am frühen Morgen

Jeden Morgen ereignet sich im Kleinen Ostern, leuchtet der Ostermorgen in unser Leben hinein. Mit jedem Einsetzen der Morgendämmerung, wenn das Licht langsam die Finsternis vertreibt und ein völlig neuer Tag sich vor uns ausbreitet, schafft Gott erneut Licht und Leben aus der Finsternis. Gott drängt alle Kälte, Dunkelheit und Sorgen zurück, wälzt den Stein vom finsteren Grab und erschafft uns neue Zukunft.

Das Reich der Schatten weicht zurück, das Tageslicht nimmt seinen Lauf,
und strahlend, gleich dem Morgenstern, weckt Christus uns vom Schlafe auf.
Du, Christus, bist der helle Tag, das Licht, dem unser Licht entspringt,
Gott, der mit seiner Allmacht Kraft, die tote Welt zum Leben bringt.
Erlöser, der ins Licht uns führt und aller Finsternis entreißt,
dich preisen wir im Morgenlied mit Gott dem Vater und dem Geist.

Sext – das Gebet am Mittag

Die Mittagspause schenkt uns Raum für Stärkung und Erfrischung. Wir genießen ein leckeres Essen, atmen durch und schöpfen neue Kraft. Zugleich ist die Mittagspause eine Zeit des Kampfes: Hetze ich einfach weiter durch meinen Tag? Gebe ich der Trägheit und Unlust nach, die mich nach der Mittagspause gerne anfallen? Oder wende ich mich ganz Gott zu und lasse mir von ihm meine Hingabe und meine Zuversicht erneuern?

Auf der Höhe des Tages lobe ich dich,
Schöpfer meines Lebens und dieser Erde.
Ich preise dich, danke dir und bitte dich:
Du guter menschenfreundlicher Herr,
lenke all mein Sein in deine Gegenwart
und lass meine Gedanken nicht abirren
zu schlechtem Reden und Denken.
Befreie mich von allem,
was meiner Seele und den Menschen um mich herum schaden kann.
Zu dir, Herr, erhebe ich meinen Blick,
auf dich setze ich meine Hoffnung.
Führe fort, was ich begonnen habe,
umfange, was misslungen ist,
und lass mein Tagwerk gelingen –

den Menschen zum Segen und dir zur Ehre!

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Vesper – das Gebet am Abend

Es ist Abend geworden. Bei vielen von uns ist die Arbeit getan: Manches ist gelungen, anderes weniger. Einiges konnte vollendet und abgeschlossen werden, anderes ist noch unfertig. Mit dem Abend erinnert uns Gott daran, dass alles einmal vergehen wird und wir in diesem Leben keine Vollendung erreichen können. Es wird immer Unfertiges geben. Die aufziehende Dunkelheit hüllt alles Unfertige ein und will es gnädig unseren Blicken entziehen. Wir dürfen auch und gerade das Unfertige in Gottes Hand legen und bewusst loslassen. Gott wird auch dafür eine Lösung finden.

Wenn es nun Abend wird,
und das Licht des Tages sich entfernt,
um dir die Wohltat des Lassens
und des Ruhens anzubieten,
dann nimm dir diese kleine Achtsamkeit
für Gottes Freundlichkeit um dich.
Atme die Unruhe deiner Seele aus
und schicke deine Sorgen und alles,
was dir Angst macht, ihm entgegen,
deinem liebenden Vater.
Seine Liebe streicht dir die Schatten
aus der Seele
und besänftigt deine Wünsche,
die dich verrückt machen.
Atme seine Treue ein und fülle dich Atemzug um Atemzug
mit der heilenden Kraft des Sohnes Gottes, –
bis deine Seele Frieden gefunden hat.

Ich selbst habe durch das Wiederentdecken und Praktizieren von Tagzeitengebeten tatsächlich in einen ruhigeren, gesünderen Lebensrhythmus gefunden. Einen Rhythmus, in dem Leisten und Lassen sich abwechseln, wo Beten und Arbeiten sich abwechseln und gegenseitig durchdringen.

Sebastian Steinbach ist Pfarrer im Schwarzwald. Er ist Autor des Buches „Lebensliturgien – Heilsame Pausen im Alltag (adeo).


Dieser Artikel ist in 3E erschienen, dem Ideenmagazin für Kirche. 3E gehört wie Jesus.de zum SCM Bundes-Verlag.

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1 COMMENT

  1. An der Hoffnung der Welt dürfen wir mitarbeiten

    Mein Gebets-Leben sollte (eigentlich) regelhaft sein, so wie es mustergültig in obigem Artikel beschrieben wird. Sich eine solche gute Tradition verbindlich zuzulegen, aber eine die persönlich passt, ist dabei bestrebenswert. Die Gelassenheit von uns Christinnen und Christen ist durchaus gewünscht. Zwar soll das Himmelreich bereits in uns sein, aber es kommt gleichsam mit dem Wolken und wächst wie die Frucht: Es kommt nicht ohne uns, aber es kommt auch nicht gegen uns und es kommt auch wenn wir es nicht wirklich wollten. Vielleicht brauchen wir eine Waagschale mit zwei Seiten des Wägens, denn die Bergpredigt ist durchaus eine Aufgabe und sicherlich ist man im Himmel erfreut, wenn wir dies so sehen. Aber gleichsam gehen wir damit kein Geschäft ein, Glaubensbemühung gegen Heil, Tun gegen Erlösung. Jesus geht zum verlorenen Schaf, nicht um ihm eine Gardinenpredigt zu halten, sondern um es zu retten, auf die Schulter zu legen und heimzutragen. Der Verlorene Sohn – dies ist eine andere mögliche Situation – muss das Heimgehen in den Bereich Gottes wollen, dann kommt ihm der Vater bereits liebevoll entgegen. Was bleibt ist immer, dass Jesus für alle Menschen dieser Erde, die je gelebt haben, am Kreuz gestorben ist und alleso für das Himmelreich vorgesehen sind. Also ein reines Werk Gottes. Und dies ist die Frucht die über Nacht wächst und gewissermaßen ein kosmisches Gesetz. Am Ende steht ein Neuer Himmel und eine Neue Erde. Doch vorher werden die Schwerter zu Pflugscharen, die Raketen kommen ins Museum und der Heilige Geist lässt Menschen weltweit gerne den Willen Gottes erkennen und tun. Nun noch nicht relilient und vollkommen, aber wir spüren bereits dann, dass am Ende aller Zeiten auch alles anders wird: An der Hoffnung der Welt dürfen wir mitarbeiten. Deshalb sind wir eigentlich Friedensstifter und Klimaretter – oder sollten es sein. Das notwendige Tun des Wortes ist die Dankbarkeit für unseren unverdienten Freispruch und einer Motivation, gegenüber Gott und unsere Mitmenschen, jeden Tag auf dem Weg zu sein aus der Vergebung zu leben. Dies ist ein Vertrauensweg, kein heilerzeugendes Geschehen. Das Heil ist wie alle Liebe pures Geschenk. Woraus abschließend bleibt: Gott ist Liebe.

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