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Die Gleichnisse Jesu und wie man sie versteht

Mit einer kurzen Geschichte die tiefsten Wahrheiten aussprechen: Niemand konnte das so gut wie Jesus in seinen Gleichnissen. Theologe Julius Steinberg erklärt, was es zu beachten gilt, damit wir sie richtig verstehen.

Die Gleichnisse von Jesus faszinieren: Ihre Bilder sind alltäglich und doch voll Schönheit und Kraft; ihre Botschaft ist einleuchtend, ja geradezu schlicht – und doch zugleich immer neu beunruhigend und geheimnisvoll. Mit gewöhnlichen Worten beschreiben sie etwas ganz Einzigartiges: Das Hereinbrechen der Wirklichkeit Gottes in unser Leben.

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Was ist bei der Auslegung der Gleichnisse zu beachten? Diese Frage hat es in sich, mehr als es auf den ersten Blick erscheint. Fakt ist nämlich: In der Geschichte der Christenheit wurden die Gleichnisse von Jesus wesentlich öfter falsch ausgelegt als richtig. Schuld daran ist vor allem die sogenannte „allegorische Auslegung“.

Was ist eine Allegorie?

Was Allegorie bedeutet, lässt sich am besten an einem Beispiel zeigen. Der Kirchenvater Augustinus deutete etwa das Gleichnis vom barmherzigen Samariter allegorisch auf die Heilsgeschichte.

Der Mann, der von Jerusalem auszieht, ist bei ihm Adam, der das Paradies verlässt. Die Räuber, die ihn überfallen, sind der Teufel und seine Engel. Dass er halbtot liegenbleibt, bedeutet, dass er zwar noch körperlich lebt, aber geistlich tot ist.

In dem Priester und dem Leviten, die ihm nicht helfen, sieht Augustinus den Alten Bund, der nicht erretten kann. Der Samaritaner, der dem Mann die Wunden verbindet, ist natürlich Jesus. Für die Zeit seiner Genesung kommt der Überfallene in einer Herberge unter. Sie steht nach Augustinus für die Gemeinde.

Auch die Einzelheiten der Geschichte bezieht Augustinus in die Allegorie ein. So steht das Reittier, auf dem der Verletzte transportiert wird, für das Fleisch der Menschwerdung Christi. Der Wirt der Herberge ist Paulus; die zwei Denare, die gezahlt werden, stehen für das jetzige und das kommende Leben usw.

Gleichnisse haben Sinn nicht in sich selbst

Bevor wir jetzt befremdet den Kopf schütteln, sollten wir allerdings bedenken: Es ist ja richtig, dass die Gleichnisbilder ihren Sinn nicht in sich selbst haben, sondern auf irgendeine Weise angewendet oder übertragen werden müssen.

Und hat Jesus nicht selbst gesagt, dass er das Evangelium mit Gleichnissen in verschlüsselter Form verkündet, wegen der Verstockung seiner Zuhörer (Matthäus 13,10-17)? Also scheint es doch gerechtfertigt, nach einem tieferen, verborgenen Sinn zu suchen.

Gleichnisse sprechen ins Leben der Zuhörer

Und doch: Wir spüren, dass Augustinus mit seiner Auslegung irrt. Es gibt nämlich einen entscheidenden Aspekt, den er übersehen hat: Gleichnisse haben nicht nur einen Inhalt, sondern auch eine Funktion. Es handelt sich nicht um gelehrte Abhandlungen, sondern um Gesprächsbeiträge.

Jesus erzählte Gleichnisse, um bei seinen Zuhörern etwas zu erreichen: um sie aufzurütteln, zu verblüffen, ein Aha-Erlebnis auszulösen, um Menschen auf eine falsche Denkweise oder Haltung aufmerksam zu machen. Die Zuhörer sollen die Gleichnisse nicht mit irgendwelchen abstrakten Wahrheiten in Verbindung bringen, sondern mit ihrem eigenen Leben.

Ein Gleichnis – drei Vergleichspunkte

Augustinus stellt beim Gleichnis vom barmherzigen Samariter sehr viele Vergleichspunkte her. Um diese Art der allegorischen Auslegung abzuwehren, haben spätere Ausleger gefordert, dass jedes Gleichnis nur auf einen einzigen Vergleichspunkt, sozusagen auf eine einzige Pointe hin ausgelegt werden darf.

Heute sind manche Ausleger offen dafür, dass es auch zwei oder drei wichtige Vergleichspunkte geben kann. Entscheidend ist aber, dass diese Vergleichspunkte im Leben der Hörer liegen. Sie sind es, die Jesus mit seinen Worten erreichen will.

Gleichnisse vom Heil für die Armen

Was die Frage nach der Gesprächssituation austrägt, möchte ich an einigen Gleichnissen verdeutlichen, die vom Heil für die Armen handeln.

Jesus hat sich in besonderer Weise den Armen und Verachteten seiner Zeit zugewandt. Damit hat er Kritik an den damaligen gesellschaftlichen Regeln geübt. Sein Handeln hat aber auch noch eine tiefer gehende, gleichnishafte Bedeutung, und zwar im Blick auf das Evangelium.

Jesus erzählt also nicht nur Gleichnisse, sondern handelt auch gleichnishaft.

Wenn es um das Heil geht, sind wir vor Gott allesamt arm und verloren. Was vor Gott zählt, ist nicht unsere eigene Gerechtigkeit, sondern im Gegenteil die Erkenntnis, dass wir nichts dazu beizutragen haben, um zu Gott kommen. Wir kommen mit leeren Händen zu ihm und dürfen uns seiner Gnade anvertrauen.

Jesus erzählte also nicht nur Gleichnisse, sondern handelte auch gleichnishaft. Aber auch in den erzählten Gleichnissen spielen Verachtete und Verlorene immer wieder eine besondere Rolle. Am bekanntesten und bedeutendsten ist sicher das Gleichnis vom Verlorenen Sohn (Lukas 15,11-32). Wenn man sich dieses und ähnliche Gleichnisse genauer anschaut, fallen allerdings zwei Dinge ins Auge:

Ein Gleichnis – zwei Parteien

Zunächst: Im Gleichnis kommt nicht nur ein Armer, Verlorener, Schuldner usw. vor, sondern auch jeweils eine gegenüberstehende Person oder Gruppe. Das Gleichnis vom Verlorenen Sohn ist ja eigentlich ein Gleichnis von zwei Söhnen. Man beachte den Anfang: „Ein Mensch hatte zwei Söhne“.

Ebenso handelt das Gleichnis vom verlorenen Schaf genau genommen von zwei Parteien, dem Sünder und den 99 Gerechten (Lukas 15,4-6). Entsprechendes gilt für das Gleichnis von den beiden ungleichen Schuldnern (Lukas 7,41-43), dem Gleichnis vom Pharisäer und Zöllner (Lukas 18,10-14), dem Gleichnis von den ungleichen Söhnen (Matthäus 21,28-31) und auch von der Beispielgeschichte vom reichen Mann und dem armen Lazarus (Lukas 16,19-31). Immer wieder sind es zwei Parteien.

An wen richten sich die Gleichnisse?

Die Adressaten, an die Jesus die Gleichnisse richtet, sind überraschender Weise nicht die Armen, Verlorenen, sondern im Gegenteil die Schriftgelehrten und Pharisäer, also die besonders frommen und angesehenen Menschen ihrer Zeit.
Jesus spricht also mit den Pharisäern über seine Zuwendung zu den Armen. Aus dieser besonderen Gesprächssituation Jesus – Verlorene – Pharisäer ergeben sich für die Gleichnisse dementsprechend jeweils drei Vergleichspunkte bzw. Aussagekreise:
1. bezüglich der „Verlorenen“: Sie stehen beispielhaft dafür, wie man auf das Angebot der Rettung in angemessener Weise antwortet. Sie wissen, dass sie nichts zu geben haben.
Sie können nur um Vergebung bitten. Sie vertrauen sich ganz der Gnade Gottes an. Sie empfangen das Heil als Geschenk und leben von nun an in umso größerer Freude und Dankbarkeit gegenüber Gott.
2. bezüglich der „Frommen“: Ihnen führt Jesus ihre Selbstgerechtigkeit und fromme Heuchelei vor Augen. Er warnt sie davor, dass sie am Ende sogar schlechter dastehen als diejenigen, auf die sie herabblicken.
Er lädt sie ein, sich für die „Armen“ mitzufreuen und darüber auch die Freude am eigenen Heil wieder neu zu entdecken. Hier liegt die eigentliche Pointe der Gleichnisse, bezogen auf die angegebenen Adressaten.
3. bezüglich der Liebe Gottes: Die Gleichnisse zeigen, wie groß die Liebe Gottes ist. Er geht jedem einzelnen nach und nimmt die, die zu ihm umkehren, in Liebe an.
Drei Perspektiven, die allesamt auch in unseren heutigen Kontexten von Bedeutung sind. Sicherlich ist es möglich, einen der Aussagekreise zum Schwerpunkt der Auslegung zu machen. Ganz durchdrungen hat man das Gleichnis aber dann, wenn man für sich das Verhältnis zwischen allen drei Gesichtspunkten geklärt hat.

Welcher Kontext ist der richtige?

Einige der Gleichnisse sind im Neuen Testament nicht nur einmal, sondern zweimal oder sogar dreimal wiedergegeben. Vergleicht man die Evangelien miteinander, stellt man fest, dass die jeweiligen Kontexte, also die Gesprächssituationen, nicht in allen Fällen miteinander übereinstimmen.

Angesichts der Unterschiede ergibt sich die weiterführende Frage, in welcher Situation wohl Jesus selbst das Gleichnis erzählt hat oder haben könnte. Allerdings: Auch wenn gerade diese Frage besonders spannend ist, geraten wir beim Versuch, sie zu beantworten, schnell in Spekulationen.

Bei mehrfach überlieferten Gleichnissen empfehle ich, für die Predigt oder Bibelarbeit jeweils einen der Evangelisten als Ausgangspunkt zu wählen.

Meiner Ansicht nach brauchen uns die Abweichungen nicht zu beunruhigen. Zum einen können wir annehmen, dass Jesus selbst seine Gleichnisse mehrfach und bei unterschiedlichen Gesprächspartnern verwendete. Zum andern haben für uns ja nicht nur die eigentlichen Jesusworte Autorität, sondern auch die Heiligen Schriften des Neuen Testaments und hier die Evangelien, die diese Worte aus verschiedenen Blickwinkeln wiedergeben.

Deshalb spricht aus meiner Sicht nichts dagegen, bei der Auslegung vom vorliegenden kanonischen Bibeltext auszugehen. Bei mehrfach überlieferten Gleichnissen empfehle ich, für die Predigt oder Bibelarbeit jeweils einen der Evangelisten als Ausgangspunkt zu wählen.

Beim Versuch, alle Varianten mit einzubeziehen, wird es für die Zuhörer nämlich schnell unübersichtlich. Bei der Vorbereitung hilft dagegen der Vergleich mit den Parallelen: Im Vergleich treten die Besonderheiten des jeweiligen Evangelisten klar hervor.

Wovon handeln die Gleichnisse?

Um die Gleichnisse zu verstehen, ist es wichtig, dass wir uns mit dem Kern der Botschaft von Jesus vertraut machen: der „Königsherrschaft Gottes“ (Matthäus verwendet den Begriff „Reich der Himmel“.) Zur Zeit von Jesus erwarteten viele Juden einen großen geschichtlichen Umbruch: das „Zeitalter dieser Welt“ mit all seiner Ungerechtigkeit und all seinem Leid würde zu Ende gehen. Am „Tag des Herrn“ würde Gott mit Macht erscheinen und seine Herrschaft aufrichten. Ein neues Zeitalter würde beginnen, das „Reich Gottes“, ein Zeitalter der Gerechtigkeit, des Wohlergehens und Friedens. So war es im Alten Testament schon angekündigt. Dieses auf das kommende Ende ausgerichtete Denken bezeichnet man als eschatologisch (gesprochen es-chatologisch), abgeleitet von dem griechischen Wort für „Ende“.

Jesus tritt nun auf und verkündet, dass das „Reich Gottes“ nahe herbeigekommen ist, und zwar in seiner Person. Anders als erwartet setzt sich die weltweite Herrschaft Gottes und seines Messias aber nicht sofort und umfassend durch, sondern das „Reich Gottes“ beginnt im Kleinen.
Das Ende ist noch nicht gekommen, sondern der „Anfang vom Ende“. Die Nachfolger von Jesus leben gewissermaßen zwischen den Zeiten, zwischen dem „schon jetzt“ und dem „noch nicht“, „in der Welt, aber nicht von der Welt“, als ein eschatologisches Gottesvolk.

Verschiedene Aspekte des Reiches Gottes erscheinen in Gleichnissen

Die verschiedenen Aspekte Jesus‘ Predigt über das Reich Gottes kommen auch in seinen Gleichnissen zum Ausdruck. Dazu abschließend einige Beispiele:

In verschiedenen Gleichnissen ermutigt Jesus seine Jünger, die kleinen Anfänge des Reiches Gottes nicht für geringzuachten, sondern darauf zu vertrauen, dass Gott Großes aus ihnen bewirkt. Dies kommt beispielsweise in dem schon erwähnten Gleichnis vom Senfkorn (Matthäus 13,31-32), im Gleichnis vom Sauerteig (Matthäus 13,33) und auch im Gleichnis von der selbstwachsenden Saat (Markus 4,26-29) zum Ausdruck.

In allen drei Fällen tragen die Menschen jeweils nur ein Kleines bei, und dennoch entsteht auf wundersame Weise Großes. Eine Ermutigung auch, das eigene Handeln für das Reich Gottes als nicht zu gering einzuschätzen.

Es gibt ein „Zu spät“

Das Alte Testament kündigt den kommenden „Tag des Herrn“ nicht nur als einen Tag der Errettung an, sondern auch als einen Tag des Gerichts. Auch die Gleichnisse von Jesus handeln erschreckend oft vom Gericht. An Jesus Christus entscheiden sich Leben und Tod, Errettung und Verlorensein.

Der Feigenbaum (Lukas 13,6-9) hat drei Jahre keine Frucht getragen. Der Gärtner will es noch ein Jahr versuchen. Dann soll er umgehauen werden. Noch wartet Gott darauf, dass Menschen zu ihm umkehren. Noch einmal verlängert er die Frist. Aber der Tag des Gerichts wird kommen.

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Beim Gleichnis vom reichen Kornbauern (Lukas 12,16-21) geht es nicht um das Thema „der Tod kommt überraschend“. Auch hier ist eschatologisch zu denken. Wer ganz und gar im Hier und Jetzt lebt, ist nicht vorbereitet, wenn das Reich Gottes anbricht.

Die beiden Gleichnisse vom Schatz im Acker (Matthäus 13,44) und von der kostbaren Perle (Matthäus 13,45-46) sollten nicht als Appell zur Hingabe gepredigt werden. Es geht vielmehr um den Grund für die Hingabe: die Freude und Begeisterung über die Entdeckung eines großen Schatzes, die einen Menschen ganz und gar erfasst.

So ist es, wenn ein Mensch zu Gott findet und das Reich der Himmel in seinem Inneren Wurzeln schlägt. Die begeisterte Stimmung, die die Gleichnisse vermitteln, wird vorbereitet mit dem Satz in Vers 43: „Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in dem Reich ihres Vaters.“

Man muss seinen eigenen Platz im Gleichnis finden.

Von wem erzählen die Gleichnisse? Natürlich von den Personen, die darin vorkommen – wir haben gesehen, dass das oft Leute sind, die einander gegenüberstehen. Aber immer ist noch mindestens eine weitere Person beteiligt, nämlich die Hörerin bzw. der Hörer oder die Leserin bzw. der Leser. Man muss seinen eigenen Platz im Gleichnis finden.

Wo bin ich getroffen? Oft führt der Aha-Effekt, das Überraschungsmoment schon auf die richtige Spur. Und die Auslegung des Gleichnisses ist erst dann zu Ende, wenn ich es mit meinem Leben ausgelegt habe – wenn die Königsherrschaft Gottes in meinem Leben ein Stück mehr Wirklichkeit geworden ist.

Dr. Julius Steinberg ist Professor für Altes Testament und Hebräisch an der Theologischen Hochschule Ewersbach.


Dieser Artikel ist in der Zeitschrift Faszination Bibel erschienen. Faszination Bibel wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.

1 Kommentar

  1. Vielen Dank für diese Aufklärung über die Gleichnisse von Jesus! Ich glaube, es war in 2017, da ging es im Sozialwort der beiden großen Kirchen in Deutschland um das Gleichnis vom barmherzigen Samariter. Ich nahm den Priester in Schutz, indem ich seine unterlassene Hilfeleistung als Verzweiflungstat ansah, die den Überfallenen in den Tod, also in das Reich Gottes hinübergehen lassen wollte. Heute würde ich das nicht mehr so sehen, denn mich hat ein liebevoller Pater in ein Leben geholt, das es wert ist, gelebt zu werden. Was ist nun zwischen dem einen und dem anderen Verständnis passiert? Mir ist Jesus begegnet, in Form dieses Priesters, der sich meiner verzweifelten Haltung dem Leben gegenüber angenommen hat und mich wieder aufrichten konnte. Heute ist dieser Jesuit tot, doch das Leben, das er mir mithilfe von Jesus vermitteln konnte, das ist geblieben. Dafür bin ich ihm von Herzen dankbar, denn ich glaube jetzt, dass wir schon vor Gott eine Einheit waren, die nach Gott wieder zusammenfindet und mit Jesus ihre Liebe zum Leben verkündet. Sein Ostergruß: „Ich verstehe nicht, was eine Auferstehung ist, Credo, ich glaube!“

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