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Kirche im virtuellen Raum – geht da was?

Da kommt was Großes, sagen Tech-Experten und meinen den Mix aus sozialem Web und virtueller Realität (VR) – die neue Generation des Internets. Und dieses Mal mischen Kirchen an vorderster Front mit. Ob echte Begegnung in der VR möglich ist? Ein Selbstversuch.

Von Ann-Sophie Bartolomäus

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Schon lange wollte ich mal mit dem Endgerät auf der Nase in eine andere Welt abtauchen, ohne mich weit von der Sicherheit meiner Couch zu entfernen. Da ich nicht sonderlich auf Ego-Shooter stehe, hielt ich einen netten Hauskreis für die perfekte Gelegenheit meiner ersten VR-Erfahrung.

Während der Pandemie in eine neue Stadt gezogen, habe ich Veranstaltungen in meiner Gemeinde sowieso öfter digital verfolgt als vor Ort. Da kann der Sprung ins Metaverse nicht weit sein, oder?

Zuckerberg will das Internet neu erfinden. Ja, richtig gehört. Der Facebook-Gründer hat fleißig eingekauft und neben Instagram und WhatsApp auch den Videospielentwickler Oculus VR unter dem Dach von „Meta“ versammelt.

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Was er vorhat? Eine digitale, dreidimensionale Erlebniswelt, in der Menschen zusammenkommen, um zu spielen, einzukaufen, sich mit Freunden zu treffen oder Konzerte zu besuchen. Noch gibt es das Ding nicht. Wegen der immensen Rechenleistung erwarten Experten erst in zehn bis zwanzig Jahren eine vollständig entwickelte Version davon.

Der Begriff Metaverse schwirrt aber schon seit den 90ern herum und bezeichnet alle bereits existierenden, virtuellen Räume. Während manche die Idee als Marketingstunt abtun, sind andere überzeugt: Das Metaversum hat das Potenzial, Handel, Geldanlage, Immobilienmarkt, Arbeitswelt und Freizeit zu verändern.

Pandemiebedingt haben sich zunehmend auch Kirchen in die Welt der Virtualität gewagt, dort ihre Räumlichkeiten nachgebaut, Predigten ausgestrahlt und versucht etwas zu erzeugen, das im Livestream tendenziell untergeht: echte Begegnung.

500 Euro für eine VR-Brille

Ich will mir die Technik mal anschauen, die unser Internet ersetzen soll. Die einzige Hürde: Mir fehlt das Equipment. Zwar kann man das Metaverse auch im Desktop Modus betreten, für den richtigen Kick sorgt laut Erfahrungsberichten aber erst eine VR-Brille. Das Modell, das mir in Foren empfohlen wird – die „Oculus Quest 2“ – kostet knackige 500 Tacken. Das ist nicht drin.

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Stattdessen stolpere ich über das Berliner Unternehmen Grover, das Elektronikgeräte im Abo vermietet. Für das Model meiner Begierde, zahle ich bei einer Mietzeit von einem Monat 45 Euro. Danach kann ich mein Abo kündigen und die Brille zurückschicken. Ein Versuch ist es wert.

Zwei Tage später erreicht mich das Päckchen. Die Einrichtung ist aufwendig, aber nach zwei Updates und dem Verbinden meines Facebook- und Microsoftkontos, kann ich die Anwendung AltSpaceVR installieren, in der mein Event stattfinden soll.

Dann geht es an meinen Avatar. Von der Haut- über die Haarfarbe bis zur Kopf- und Körperform darf ich mein animiertes Ich personalisieren. Ich frage mich: Bastele ich mir einen digitalen Doppelgänger oder eine Version, die ich schon immer sein wollte?

Ich entscheide mich für ersteres – immerhin will ich eine möglichst lebensnahe Erfahrung provozieren. Meinen Schlabberlook möchte ich aber ungern kopieren und entscheide mich für T-Shirt und Latzhose.

Um 20 Uhr ist Einlass bei dem Event, das ich mir gespeichert habe: Joels und Inkas VR-Bibelkreis. In der Infospalte steht: „Willkommen zum ersten deutschsprachigen Hauskreis in AltSpaceVR, jede Woche Montag um 20 Uhr! Jeder ist willkommen, der gern die Bibel mit anderen lesen und ggf. Gedanken dazu teilen möchte.“ Außer mir haben drei weitere User angegeben, interessiert zu sein.

Bei dem Hauskreis handelt es sich um eine Veranstaltung im Portfolio der Megakirche Live.Church, die dem ein oder anderen als Macher der YouVersion Bibel-App mit über 500 Millionen Nutzern bekannt sein könnte. Sie geht aus einer evangelikalen Bewegung in den USA und Canada hervor und hat Ableger auf fünf weiteren Kontinenten.

„To reach People no one is reaching, we’ll do things no one is doing.“

Live.Church

In Sachen digitale Kirche gilt Gründer Craig Groeschel als Vorreiter, denn Gottesdienste werden in dieser Gemeinde bereits seit 2007 online übertragen. Die Frage, warum sie nun auch im Metaverse aktiv sind, beantworten sie auf ihrer Webseite, die aussieht, als hätte sie ein Vermögen gekostet: „To reach People no one is reaching, we’ll do things no one is doing.“

Über den Eintreten-Button werde ich ins Metaverse katapultiert und finde mich in einem Wohnzimmer mit Sofaecke wieder. Es dauert nicht lange, bis die beiden Hosts eintreffen und mich ansprechen.

Joels Avatar trägt rote Locken, Vollbart und einen Kapuzenpulli. Inkas sieht meinem ähnlich. Die beiden sind verheiratet und gehen in eine Freikirche. Joel ist im Musikteam aktiv. Manchmal machen sie auch hier gemeinsam Lobpreis, aber heute haben sie nichts vorbereitet.

Anonym, aber auch wieder nicht

Unsere Avatare sitzen auf der Couch während wir uns austauschen – in Wirklichkeit, sitzt Joel im Büro und Inka in der Küche, damit sie sich nicht in die Quere kommen. Wir reden mit unseren echten Stimmen. Durch die Brillen werden auch Mimik und Gestik übertragen. So ist die Sache anonym und dann auch wieder nicht.

Joel ist IT-ler und im Metaverse in seinem Element. Inka konnte vor ihrer Beziehung zu Joel nicht viel mit Virtualität anfangen. Jetzt sind sie gemeinsam unterwegs und betreiben von Zuhause aus Sightseeing in fernen Ländern.

Hauskreis in Pandemie gestartet

Den Hauskreis haben sie in der Pandemie gestartet. „Wir waren gerade sowieso auf der Suche nach einem Hauskreis in unserer Gemeinde. Und dann fingen die Beschränkungen an.“ Daraufhin sind die beiden mit Life.Church in Kontakt getreten.

Ein Bewerbungsvideo und Zoom-Call später, richtet Joel die Wohnung ein, die er in der virtuellen Welt gefunden hat. Bisher sind sie nur wenige, „aber es lohnt sich trotzdem immer, auch wenn wir zu zweit bleiben“, versichert Joel.

In der ersten halben Stunde verirren sich immer wieder Leute in den Space, die kein Deutsch sprechen oder mit der Technik kämpfen. Ab 20:30 Uhr ist der Zugang reguliert, die virtuelle Tür sozusagen geschlossen. Wir sind jetzt zu viert.

Metaverse: Unendliche Fülle an Möglichkeiten

Neben mir hat Enrico Platz genommen. Er ist jede Woche dabei, wenn er nicht gerade selbst eine Predigt im Metaverse hält. Sein Avatar ist schlank, trägt Kurzhaarschnitt, Hornbrille und Karohemd. In Wirklichkeit wiegt Enrico fast 200 Kilo.

An einem realen Gottesdienst hat er lange nicht mehr teilgenommen, durch sein Gewicht gilt er als schwerbehindert. Für ihn bedeutet das Metaverse eine unendliche Fülle an Möglichkeiten. Er sieht darin einen Ort für Freiheit und Freundschaften.

Übers Metaverse in eine reale Gemeinde

Einmal habe er hier jemanden kennengelernt, der mit Jesus nichts am Hut hatte und sich doch immer wieder mit Enrico verabredete, um mehr über die Bibel zu erfahren. Später führten ihn die Gespräche in eine reale Gemeinde, wo er und seine Frau zum Glauben kamen, sich taufen ließen und heute aktive Mitglieder sind. Für Enrico ist das die Bestätigung, dass Gott auch im Metaversum wirkt.

Joel schlägt vor, dass wir zum Anfang beten. Danach lesen wir reihum in der Apostelgeschichte. Es geht um Vergebung und was die Menschen im Alten Testament alles dafür tun mussten. Wir teilen Erlebnisse aus unserem Alltag, in denen wir Gottes Gnade erfahren haben, aber auch von solchen, in denen wir sein Handeln nicht nachvollziehen konnten.

Immer wieder kehren wir zum Bibeltext zurück, nur um uns dann wieder in unerwartet persönlichen Geschichten aus dem Leben der Menschen hinter den Avataren wiederzufinden. Zum Schluss beten wir noch für die kommende Woche und bedanken uns für die Möglichkeit, Gott jederzeit und wirklich überall begegnen zu können.

Gottesdienst im Metaverse besuchen

Wir verabschieden uns und ich mache mich auf den Weg in mein zweites Event. Ich will unbedingt auch bei einem richtigen Gottesdienst der Megakirche dabei sein. Über das Menü hüpfe ich den Gottesdienst mit dem Titel „At The Movies“ – eine neue Serie, bei der sich Pastor Craig Groeschel in der Predigt an einem Spielfilm entlanghangelt.

Diesmal lande ich in einer natürlichen Umgebung und folge anderen Avataren durch eine blaue Holowand in ein geräumiges Gebäude. Die Eingangshalle ist im Star-Wars-Motto gestaltet. Zum Warmwerden können sich zwei Avatare ein Laserschwert schnappen und ein Duell liefern. Die anderen stehen drumherum, feuern an und kommen im besten Fall ins Gespräch.

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An die Eingangshalle schließt sich das Auditorium an. Stück für Stück finden sich alle in dem Kinosaal mit riesiger Leinwand ein, auf der ein Countdown abläuft. Es geht los. Ich erhalte eine Nachricht über mein Headset. Pastor Craig heißt uns alle willkommen und freut sich, dass wir gekommen sind.

Nachdem wir durch die verschiedenen Highlights der Kulisse moderiert wurden, beginnt der eigentliche Gottesdienst. Auf der Agenda steht ein Lobpreis-Teil, danach folgt die Predigt. Es geht heute um den Film „CODA“ – die 17-jährige Ruby ist das einzige hörende Mitglied einer gehörlosen Familie. Weil sie auf dem Fischerboot ihrer Eltern als Dolmetscherin gebraucht wird, muss sie womöglich ihren Traum vom Musik-College aufgeben.

Herzen steigen auf

Pastor Groeschel macht daraus eine Predigt über Opfer. Warum Gott sie manchmal von uns verlangt, wie Vertrauen durch solche Situation tragen kann und was Jesus Opfer damit zu tun hat, dass wir die Chance auf Freispruch haben. Die Message hat gesessen, um mich herum nutzen Avatare die Emoji-Funktion und lassen Herzen steigen. Auch unter meinem Headset ist es ein bisschen feucht geworden.

David, einer der Kirchenmitarbeiter, schwebt nach vorn, betet noch mit uns und ermutigt, den Gedanken weiterzugeben. Als ich mich noch etwas umschaue und von David angesprochen werde, stirbt die Batterie in meinem Headset. Ich bin nicht ganz böse drum.

Offene Fragen

Als ich die VR-Brille abnehme, bin ich ganz schön geschafft und überrascht, wie viel Zeit vergangen ist. Gleichzeitig lässt mich die Erfahrung nachdenklich zurück und ich merke, ich habe einige offene Fragen: Wer hat ein Auge darauf, welche Inhalte im Metaverse verbreitet werden, welche Gruppierungen entstehen?

Was passiert mit den Informationen, die ich über mich preisgebe? Und wer schützt meine Generation, bei eh schon explodierenden Bildschirmzeiten, vor einer weiteren Welt mit Suchtfaktor und Realitätsflucht-Risiko?

Ich bin aber auch seltsam berührt. Ich hatte nicht damit gerechnet – und das sage ich im vollen Bewusstsein meiner Vorurteile – so normalen und herzlichen Menschen zu begegnen, sodass ich gerne wiederkomme.

Ann-Sophie Bartolomäus ist Volontärin bei DRAN und erzählt nun jedem, der es hören will, von ihrer VR-Erfahrung.


Ausgabe 6/22

Dieser Artikel ist in der Zeitschrift DRAN erschienen. DRAN gehört zum SCM Bundes-Verlag, zu dem auch Jesus.de gehört.

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3 Kommentare

  1. Ich bin berührt, dass es hier um den Film „CODA“ geht, weil ich selbst hochgradig schwerhörig und seit 36Jahren verheiratet bin mit einem schwerbehinderten Ehemann, der allerdings ein Herz von Gold hat.
    Ich bin seit Beginn von CORONA nicht mehr im Gottesdienst gewesen, gucke lieber Gottesdienst im Netz oder am TV. Bin zwar geimpft, aber naja, wegen der Möglichkeit, trotzdem krank zu werden, extrem vorsichtig. Zumal jüngere Angehörige von uns trotz Impfung an COVID – 19 erkrankten, gottlob ohne Krankenhausaufenthalt.
    Die beschriebene virtuelle Welt könnte, ausgestattet mit entsprechenden Avataren, auch für hörgeschädigte Menschen , die als Christen leben wollen , eine Möglichkeit sein, unbehindert am Gottesdienst teilzunehmen, wenn sie weit verstreut wohnen.
    Ausprobieren würde ich es. Ob ich dabei noch genug Sprache verstehen werde, bleibt abzuwarten.

    Gruss Dorena

  2. Interessante Erfahrungen. Technisch finde ich das total spannend, aber ich habe auch meine „Bedenken“. „In echt“ ist eigentlich immer noch eher meins, obwohl ich schon länger in der virtuellen Kirche in funcity mitmache. Funcity.de ist eine virtuelle Stadt („ganz weltlich“) mit einer virtuellen Kirche (St. Bonifatius, von der katholischen Kirche offiziell „geweiht“ und 20 Jahre betrieben, seit ca. 3 Jahren „nur“ noch von Ehrenamtlichen am Leben gehalten). In funcity gibt es keine VR-Animationen und künstliche Avatare, sondern ganz schlichte Textchats und Nicknames. Man kann dort als Gast vorbeischauen oder sich mit einem Nick registrieren. Das Ganze ist kostenlos für die User.
    Im September feiert funcity (ursprünglich mal vom Radiosender ffn gegründet) 25-jähriges Bestehen. Wer mehr wissen möchte, ist herzlich eingeladen, mal vorbeizuschauen. Ich selber (Pastor i.R. der ev.-luth. Landeskirche Hannover) bin dort als „der_Pfaffe“ unterwegs, aber zum Kirchenteam gehören unter anderen noch zwei Ordensschwestern und weiter Menschen unterschiedlicher Prägung. Auch auf Youtube gibt es einen Kanal mit wachsender „Befüllung“ über die Aktivitäten.

    • Hallo Karl-Martin,

      interessant. Von funcity habe ich noch nie gehört. Das 25-jährige Jubiläum wäre eine gute Möglichkeit für einen Jesus.de-Artikel über die virtuelle Kirche in funcity. Vielleicht melde ich mich demnächst per Mail mal bei dir.

      Liebe Grüße,
      Pascal vom JDE-Team

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