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Das waren Martin Luthers Schlüsselmomente

Die Biografie Martin Luthers ist geprägt von Abbrüchen und Aufbrüchen. Zentral ist seine reformatorische Entdeckung – die machte er nicht im Studierzimmer, sondern auf dem Klo.

Von Gunter Schmitt

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Das Gelübde im Gewitter aus dem Jahr 1505

Die Angst vor dem plötzlichen Tod, typisch für den mittelalterlichen Menschen, der nicht ungebeichtet vor dem Thron des himmlischen Richters stehen möchte, lässt ihn bitten: „Hilf St. Anna, ich will ein Mönch werden.“ Luther bleibt seinem Gelübde treu, obwohl es ihn nachträglich gereut, und tritt ins Erfurter Augustinerkloster ein.

Luthers Rede auf dem Reichstag zu Worms 1521

Dort sagt er vor dem Kaiser stehend: „Ich kann und will nichts widerrufen, weil wider das Gewissen etwas zu tun weder sicher noch heilsam ist.“ Luthers Standhaftigkeit hat zur Folge, dass er rechtlos wird und auf der Wartburg Schutz suchen muss. Diese Wendepunkte im Leben Luthers lassen sich szenisch wunderbar darstellen und sind Höhepunkte vieler Filme, die Luther romantisch-idealistisch verklären. Ausgerechnet beim wichtigsten Schlüsselmoment im Leben Luthers, der später als „reformatorische Wende“ bezeichnet wird, sind sowohl Inszenierung als auch Verklärung sehr viel schwieriger.

Der zentrale Schlüsselmoment: Luthers „Neugeburt“

Es handelt sich um die Entdeckung, über die Martin Luther später sagen wird: „Da hatte ich das Empfinden, ich sei geradezu von Neuem geboren und durch geöffnete Türen in das Paradies eingetreten.“ Was ist da passiert? Was ist für Luther ein derart starkes Erlebnis? Wir wissen nicht viel über die näheren Umstände dieser „Neugeburt“. Bis heute streiten sich die Gelehrten zum Beispiel um die Datierung der reformatorischen Entdeckung. Aber was wir über diesen „Schlüsselmoment“ wissen, bringt uns heutigen Menschen den historischen Luther viel näher als seine romantisch-idealistische Verklärung.

„Wie kriege ich einen Gott,
dem ich recht bin?“

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Beim Bibellesen gestolpert

Luther war Bibelleser und so stolperte er eines Tages auch über Römer 1, Vers 17: „Im Evangelium wird offenbart die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, welche kommt aus Glauben in Glauben; wie geschrieben steht. „Der Gerechte wird aus Glauben leben.“ Gerechtigkeit kommt aus dem Glauben. Wer glaubt, ist gerecht. Das war Luther neu. Vorher hatte er Gerechtigkeit verstanden als eine strafende Gerechtigkeit, die dem Menschen nach seinen Taten vergilt. Jetzt las er da bei Paulus: Wer glaubt, ist gerecht. Wer glaubt, ist recht, ist richtig vor Gott. Luthers Frage nach dem gnädigen Gott heißt anders ausgedrückt: Wie kriege ich einen Gott, dem ich recht bin? Der mich so annimmt, wie ich bin – ohne alle Vorleistungen?

Gott schenkt seine Gerechtigkeit – er schenkt seine Annahme. Das ist die Entdeckung Luthers. Und diese Entdeckung ist heute nötiger denn je, denn nie war der Hunger nach Selbstbestätigung und Selbstvergewisserung größer. Jeder Mensch ist auf der Suche nach bedingungsloser Annahme. Hintergründe dieser Suche sind heute eher Selbstwertkrisen als die Schulderfahrungen, die einen Luther und seine Zeitgenossen umtrieben. Aber die Sache bleibt die gleiche. Jeder Mensch hungert danach, dass ihm einer sagt: Du bist richtig, du bist okay. Das kann man flott und flach daher sagen: Du bist okay – ich bin okay. Deshalb ist wichtig, dass derjenige, der das ausspricht, einen auch wirklich kennt, nicht nur die angenehmen Seiten, auch die dunklen Seiten, auch den Schmutz, der in einem ist, die Sünde eben.

Luthers reformatorische Entdeckung – auf dem Klo

Deshalb ist der Ort, an dem Martin Luther die Gerechtigkeit Gottes neu entdeckt hat, so wichtig. Das war eben nicht das Studierzimmer im Turm, wie immer wieder zu lesen ist – damit wäre die Pointe gerade verpasst –, sondern das Klo. An einem Ort, wo der Mensch ist, wie er ist, empfindlich nackt, wo keiner sich selbst oder anderen etwas vormachen kann, dort entdeckt Luther: Gott nimmt mich an, wie ich bin. Luther selbst schildert uns diese genaue Ortsangabe seiner reformatorischen Entdeckung: „Diese Kunst hat mir der Heilige Geist auf der Coca eingegeben.“ Die Kloake scheint ein guter Ort, um dort die Bibel zu lesen! Kein Ort ist zu unheilig, um Neues über sich selbst und Gott zu entdecken. Ich besuche als Pfarrer viele ältere Menschen, die eine Lebensbilanz aufmachen. Sie haben viel erlebt, sind Menschen begegnet, die ihnen böse mitgespielt haben, und Menschen, die gut zu ihnen waren, und sie wollen nun endgültig wissen, woran sie sind. Sie hoffen auf eine Annahme, auf eine Rechtfertigung ihres Lebens. Andere, meist Jüngere, machen auf sich aufmerksam durch störendes und unangepasstes Verhalten und sagen im Grunde nur immer wieder: „Ich will geliebt werden!“

Gute Taten sind nicht die Bedingung

Ich entdecke immer wieder, wie aktuell die reformatorische Entdeckung Martin Luthers ist. Der Zusammenhang von Leistung und Lohn, den auch wir Heutigen als Antriebskraft unseres Handelns verinnerlicht haben, wird durchbrochen. Gute Taten sind nicht Bedingung dafür angenommen zu werden, sondern fließen aus der Dankbarkeit eines Menschen, der sich geliebt weiß, auch ohne etwas vorweisen zu müssen. Luthers reformatorische Entdeckung kann uns helfen, immer gelassener zu werden. Wir müssen uns selbst, anderen und Gott nichts mehr beweisen.

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Pfarrer Gunter Schmitt arbeitet beim Missionarisch-Ökumenischen Dienst der pfälzischen Landeskirche.

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Dieser Artikel erschien anlässlich des Reformationsjubiläums in der Zeitschrift „Luther – eine Entdeckungsreise“. Das Magazin ist hier erhältlich.

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4 Kommentare

  1. Lieben und geliebt werden ist doch lebenslänglich ein Thema. Was ist nach dem geschelten werden? hinnehmen oder eine Weile lang bocken?
    ein gutes Gespräch kann das schnell vergessen lassen., Esau ist heute noch Jakob gram, weil er 2 Sachen durch Mutters Einfluss für sich eingenommen hat. Ob es hier Versöhnung gab, entscheidet die nähe des Einzelnen zu Gott. und seiner Realität

  2. Ich scheitere immer wieder an dieser Erkenntnis zuerst geliebt zu sein und mich dann verändern zu lassen.

    • Lieben ist unser Amt als Christinnen und Christen

      Lieber Thomas Pieper: Ich habe leider einen gewissen Hang zum Perfektionismus, was man Kommentare betrifft (hoffentlich klingen sie nicht immer wie Besserwisserisch). Aber mir geht es auch wie Ihnen: „Ich scheitere immer wieder an dieser Erkenntnis zuerst geliebt zu sein und mich dann verändern zu lassen“! Zu Lieben – so meine ich – ist jenseits von der Absicht dabei von Gott „Punkte zu sammeln“, durchaus unser Amt hier auf Erden. Also (eigentlich!) müsste ich zuerst lieben. Allerdings zeigt mir die Lebenserfahrung aus 73 Jahren, dass sich das Zuerst-Lieben auch nicht perfekt leben lässt. Wie gut das es im Himmel keine Haltungsnoten gibt. Aber die hier große Kunst bleibt trotzdem, in einem biblischen Sinne zu lieben bevor man geliebt wird. Ich hoffen, dies kann man üben. Und zur christlichen Liebe gehört mehr, etwa 77×7 mal zu vergeben, also zu versuchen nie über jemand endgültig den Stab zu brechen. Gott tut es (hoffentlich) auch nicht. Wir können uns durchaus unseren eigenen Idealen annähern.

  3. Luthers Erkenntnis: Gott war schon immer gnädig

    „Luthers Frage nach dem gnädigen Gott heißt anders ausgedrückt: Wie kriege ich einen Gott, dem ich recht bin? Der mich so annimmt, wie ich bin – ohne alle Vorleistungen? Gott schenkt seine Gerechtigkeit – er schenkt seine Annahme. Das ist die Entdeckung“! Das schreibt Pfarrer Gunter Schmitt anlässlich des Reformationsfestes – gewissermaßen als Luthers zentrale Erkenntnis. Gott ist Liebe und die ist immer voraussetzungslos.

    Er hat mich und alle Menschen bereits geliebt, als wir noch nicht hier als irdische Menschen geboren waren. Denn Gottes Wesen ist Liebe, so wie diese totale Zuwendung zu allen Menschen und seiner Schöpfung auch in Jesus Christus besteht. Der Schöpfer aller Dinge, eines unendlichen Universums, wird Mensch, stellt sich mit uns nicht nur auf eine Stufe, sondern er geht sogar ans Kreuz. Nicht nur in jeder Hinrichtung, auch in allen Kriegen, bei jedem Mord und auch im ganz normalen und vielleicht friedlichen Tod, stehen wir vor unserem (vorläufigen) Aus. Niemand kann tiefen sinken, fallen oder stürzen und bekommt alles aus der Hand genommen. Aber bis auf diese Stufe wird der menschgewordene Gott mit uns solidarisch.

    Und gerade diese zentrale Wirklichkeit unseres Glaubens, der stellvertretende Tod des Gottessohnes, zeigt die tiefe Liebe und Barmherzigkeit Gottes. Darin können wir ihm nicht in voller Geltung nachfolgen, denn unsere Gerechtigkeit ist nicht Gottes Gerechtigkeit. Luthers Erkenntnis war eben auch: Zu glauben im Sinne von Vertrauen auf Gott ist ein Andocken an die Gerechtigkeit Gottes. An unserer Stelle ist der Schöpfer aller Dinge gerecht, und darin zeigt sich Gottes vorbehaltlose Liebe. Denn Jesu stirbt ausnahmslos für alle Menschen die je gelebt haben, die heute leben und in Zukunft auf unserer Erde sein werden. Und er opfert sich für unsere Versöhnung mit Gott. Gottes Idee Mensch zu werden ist nicht nur ein sehr guter Einfall, sondern sie ist auch unser völlig unverdienter (und eigenständig unerarbeitbarer) Freispruch von aller Gottesferne und jedweder Schuld. Am Stamm des Kreuzes wird unsere Schuld, wie in einem himmlisch-notariellen Dokument endgültig durchgestrichen und für völlig ungültig definiert: Ein unverdienter Freispruch erster Klasse.

    Nach der Versöhnung Gottes mit uns liegt es an jedem einzelnen Menschen, sich aus Liebe zu Gott freiwillig mit ihm zu versöhnen. Wir sollten nicht solange warten: Aber trotzdem werden sich am Ende aller Zeiten alle Knie vor Gott beugen und sich alle Menschen freiwillig mit Gott versöhnen. So wie auch der Christenverfolger Saulus, der vielleicht sogar nicht nur ein potentiell möglicher Mörder war. Er begegnet Christus vor Damaskus und er kommt wie kein anderer Mensch an Gott vorbei. Aus Saulus wird Paulus. Denn die Liebe Gottes kann niemand aus seinen Kleidern schütteln, wer sie je an Leib und Seele erlebte (wie z.B. Menschen mit einer Nahtoderfahrung). Im Himmel findet die endgültige Ankunft von allen Verlorenen Söhnen und Töchtern des Paradieses statt. Denn unser Schöpfer erlöst nicht nur alle Menschen, jedwede Kreatur und sogar das gesamte Universum. An Ende steht ein Neuer Himmel und die Neue Erde. Dies alles wird uns von Ewigkeit her geschenkt. Vor allem auch, weil Gott sein Werk der Erlösung der ganzen Schöpfung nicht misslingen wird. Martin Luther wusste: Gott war schon immer gnädig. Ich muss also nicht daran verzweifeln, dass ich die Welt heute nicht mehr retten kann. Aber sie wird gerettet und völlig verwandelt.

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