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Ja oder nein: Sex vor der Ehe?

Wie passen Sex, Liebe, Beziehung und der christliche Glauben zusammen? Gibt es verbindliche Normen? Und wie können oder sollten die aussehen?

Ein Thema, ein Glaube, zwei Meinungen: Sexualität in der Kirche polarisiert oft. Dafür stehen exemplarisch Kai-Oliver Pöhle und Nikolaus Franke. Kai-Oliver ist Jugendreferent der Evangelischen Jugend in Berlin. Auf dem Kirchentag in Stuttgart moderierte er den Workshop „90 Minuten für sexuelle Vielfalt“, in dem Jugendlichen ein offener Umgang mit Homosexualität und Transgender vermittelt wird. Nikolaus Franke wiederum ist Jugendreferent beim „Weißen Kreuz“ – einer Organisation, die eine eher konservativ-christliche Sexualmoral vertritt.

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Wie hängen christlicher Glaube und Sexualität zusammen?

Nikolaus Franke: Der Glaube spielt in allen Lebensbereichen eine Rolle. Sexualität wird oft vom Glauben ausgeklammert, es ist aber falsch, ihr eine Sonderrolle einzuräumen. Christen haben eine lange Tradition der Leibfeindlichkeit. Es wird kaum gesagt, dass Sexualität etwas Schönes ist. Ich erinnere mich an einen Jungen, der sagte: „Sex mit dem Heiligen Geist ist nochmal viel schöner“. Diese Haltung finde ich toll, denn er hat seine Sexualität nicht isoliert betrachtet, sondern mit seinem Glauben in Einklang gebracht.

Kai-Oliver Pöhle: Meine Erfahrungen zeigen, dass Jugendliche glauben, Kirche, Religion und Sexualität passen nicht zusammen, dass Sexualität in der Kirche ein Tabuthema sei, gerade auch in Bezug auf Homosexualität. Daher muss man ihnen zeigen, dass Sexualität zu uns Menschen ganz natürlich dazu gehört und nicht abgekoppelt existiert. Wo Kirche ist, darf ich ganz Mensch sein, ich muss nichts ausblenden, nichts verschweigen, auch nicht meine Sexualität.

„Christen glauben oft, dass sie mit Sex eine eheartige Verbindung schaffen; denkt der Partner anders über Sexualität und sieht sie als weniger verbindlich, haben wir eine Schieflage in der Beziehung.“

Wie stehen Sie zu Sex vor der Ehe?

Franke: Meine persönliche Meinung ist, dass man erst nach der Eheschließung vor dem Standesamt Sex haben sollte. Vor der Eheschließung sollten junge Paare vor allem an seelischer Intimität und Nähe arbeiten. Heute heiraten die Menschen im Schnitt allerdings erst mit 32 und viele wollen nicht so lange mit dem Sex warten. Menschen müssen sich überlegen, ob sie bereit sind, ihre Lebenswirklichkeit ihren Überzeugungen anzupassen. Ich bin ein Fan von toller Ehevorbereitung in nicht zu alten Jahren. Ab 20 kann man Menschen zutrauen, Schritte Richtung Ehe zu machen. Ich finde nicht, dass man bis 35 mit der Ehe warten sollte. Wenn ein Paar nicht bis zur Ehe mit dem Sex warten will, sollte es sich überlegen, welche Wirklichkeit mit Sexualität entsteht. Junge Paare sollten sich fragen, welche Verantwortung sie einem eventuell entstehenden Kind gegenüber haben, aber auch welche Verantwortung gegenüber dem Partner. Christen glauben oft, dass sie mit Sex eine eheartige Verbindung schaffen; denkt der Partner anders über Sexualität und sieht sie als weniger verbindlich, haben wir eine Schieflage in der Beziehung.

Pöhle: Aus meinem Bibelverständnis heraus kann ich nicht erkennen, dass es irgendetwas mit einer „richtigen“ Art zu Leben zu tun hat, ob jemand bis vor der Ehe enthaltsam bleibt. Das passt auch nicht in meine Vorstellung von christlicher Ethik. Wenn wir uns als Menschen ganzheitlich begreifen wollen, dann gehört auch die Sexualität dazu. Und gerade für junge Menschen heißt das, sich selber entdecken und ausprobieren zu dürfen. Und das ist auch wichtig, nur so kann ich die Sexualität finden, in der ich mich wohlfühle. Sonst geh ich vielleicht in eine heterosexuelle Beziehung und finde erst nach der Hochzeit heraus, dass Heterosexualität gar nicht meine Sexualität ist. Daher kann ich nicht nachvollziehen, wie man zu dem Schluss kommen kann, es sei der richtige Weg auf Sex zu verzichten, solange man nicht verheiratet bin.

„Eine gute Beziehung besteht zwischen zwei bindungsfähigen Menschen, die kommunizieren und Kompromisse eingehen. Heute sind immer mehr Menschen bindungsunfähig.“

Was ist eine gute Beziehung für Sie?

Franke: Eine gute Beziehung besteht zwischen zwei bindungsfähigen Menschen, die kommunizieren und Kompromisse eingehen. Heute sind immer mehr Menschen bindungsunfähig. Die Fähigkeit zur Bindung entsteht in den ersten 18 Lebensmonaten. Kinder erfahren dort Verlässlichkeit durch die Menschen, die sie versorgen. Das funktioniert besser, wenn die primären Bindungspersonen von Kindern erhalten bleiben. Fremdbetreute Kinder, die von Tagesmüttern versorgt werden, haben im späteren Leben oft Probleme, sich auf Beziehungen einzulassen.

Pöhle: Bei Partnerschaften ist es erst mal völlig unwichtig, ob man in einer Ehe ist oder nicht. Ich denke, das sagt wenig über die Qualität der Beziehung aus. Die macht sich an Kriterien wie Vertrauen, Offenheit und Verlässlichkeit fest. Dass Menschen auch bereit sind, durch Krisen miteinander zu gehen und sich gegenseitig auszuhalten und aufzufangen. Ich lebe seit fast zehn Jahren in einer Beziehung und sie ist in jeder Weise eine sehr gute Beziehung. Sie ist aber bisher weder eine eingetragene Lebenspartnerschaft noch eine Ehe, weil wir uns bisher den Rahmen nicht gegeben haben.

Gehören Sex und Beziehung immer zusammen?

Franke: Als Single sollte man keinen Sex haben. Sexualität ist für den Intimraum der Ehe bestimmt. Körperliche Einheit mit irgendwelchen Menschen, mit denen man noch nicht mal eine Beziehung hat, ist falsch. Nenn mich altmodisch, aber die Haut in den Geschlechtsorganen ist eine andere Haut als überall sonst. Jemand in den Arm zu nehmen ist eine andere Art von Verbundenheit, als sich mit zwei Geschlechtsteilen zu verbinden.

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Pöhle: Sexualität ohne zwischenmenschliche Beziehung ist für mich schwer als eine erfüllte Sexualität vorstellbar. Klar gibt es die und es gibt sicherlich auch Rahmenbedingungen, in denen das für einen Menschen sinnvoll erscheint. Nicht ohne Grund ist das Modell käuflicher Sexualität seit Jahrtausenden ein Erfolgsmodell. Aber die Frage ist, glaube ich, eher andersrum zu stellen. Partnerschaft und Sexualität – gehört das unbedingt zusammen? Dürfen zwei Menschen, die in einer Partnerschaft leben, auch nur miteinander Sex haben, oder dürfen sie es auch ganz anders gestalten. Da plädiere ich: Das gehört in den Verantwortungsbereich der Betroffenen. Wenn zwei Menschen in einer Partnerschaft leben, dann müssen beide miteinander entscheiden, ob ihre Sexualität in der Partnerschaft stattfindet oder – gemeinsam oder getrennt – mit anderen. Voraussetzung ist dabei, offen miteinander umzugehen und dass beide sich in der Frage auch gerecht werden. Das ist sicherlich nicht immer ganz einfach auszuhalten.

Wie sollten Jugendliche mit Pornografie und Selbstbefriedigung umgehen?

Franke: In langen Phasen des Alleinseins bleiben Bedürfnisse natürlich auf der Strecke. Wenn zum Beispiel ein männlicher Single masturbiert, weil er lange alleine ist, sollte er dabei die innere Haltung einnehmen, dass er für die Möglichkeit, zukünftig mit einer Frau zusammen zu sein, dankt. Aber er sollte keine Pornos konsumieren, denn das erhöht nur seine Bedürfnisse. Heute machen sich viele junge Männer nicht die Mühe, nach einer Partnerin zu suchen, weil sie mit Pornografie und Masturbation zufrieden sind und damit ihren Trieb herunterfahren.

Pöhle: Jugendliche sind letztlich Jugendliche und Pornografie ist natürlich ein Thema. Das ist häufig verbunden mit der Neugier auf das Unbekannte, dem Sammeln neuer Erfahrungen und der Spannung darin, dass es den Geruch von etwas Verbotenem hat. Es ist einfach wichtig, dass Jugendliche, wenn sie sich mit Pornografie auseinandersetzten, wissen: Wenn ich mir Pornografie anschaue, dann sind das Menschen, die auf diesen Bildern oder in diesen Filmen zu sehen sind. Wie kommen sie dazu? Geschieht das freiwillig oder werden sie genötigt? Sind das Erwachsene? Solche Fragen muss man sich stellen. Und letztlich muss man begreifen, dass Pornos etwas vorführen, eine Art Schauspiel sind. Die dargestellte Sexualität steht nicht für meine eigene, ich sollte meine eigene auch nicht an dem messen, was mir in Pornos dargeboten wird. Das wäre, als würde ich mein Leben so führen wollen, wie ich es in einem Theaterstück auf der Bühne gesehen habe. Das hat auch wenig mit der Wirklichkeit zu tun. Und so lange Pornografie das eigene Leben nicht bestimmt, kann man ganz offen dazu stehen, dass es nicht schmutzig ist sondern zum Leben dazu gehört.

Dieser Artikel stammt von der Kirchentagsredaktion des Ev. Kirchentags 2015.

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