Bei einigen Fällen von sexualisierter Gewalt in der evangelischen Kirche lassen sich nach den Worten der Theologin Susanne Bei der Wieden Muster erkennen. Das gelte etwa in den Fällen, in denen sich sexualisierte Gewalt mit geistlichem Missbrauch verbinde.
Bei der Wieden, Kirchenpräsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche, sagte vor der Gesamtsynode der Kirche in Emden, dass die Verbindung von geistlichem und sexuellem Missbrauch „besonders perfide sei, denn sie greifen ins Herz dessen, was gemeindliches Leben trägt: nämlich ins Vertrauen.“
In diesen Fällen bauten die Täterinnen und Täter ein Verhältnis zu den betroffenen Personen auf, das von Verständnis, Empathie und religiöser Inspiration geprägt sei, so die leitende Theologin. „Heranwachsenden, die sich auch außerhalb des Elternhauses auf die Suche nach religiöser, sozialer und sexueller Orientierung begeben, bieten sie sich als stärkende und inspirierende Vorbilder an.“
In dem Maß, in dem die geistliche Beziehung wachse, suchten die Täterinnen und Täter auch die körperliche Nähe bis hin zu sexuellen Handlungen. Die betroffenen Personen wagten dann oft nicht, die Übergriffe zurückzuweisen, unter anderem aus der Angst heraus, eine wichtige Bezugsperson zu verlieren.
Betroffene sollen Übergriffe anzeigen
Bei der Wieden bat betroffene Menschen, sich zu melden und Vorkommnisse auch nach vielen Jahren anzuzeigen. Auch in der reformierten Kirche habe es in der Vergangenheit Vorfälle von sexualisierter Gewalt gegenüber Minderjährigen gegeben. Das habe eine Studie ergeben, bei der sämtliche Personalakten der reformierten Kirche von Pfarrern und Pfarrerinnen durchgesehen worden seien, die zwischen 1946 und 2020 beschäftigt gewesen seien.
Die Suche habe Hinweise auf zehn beschuldigte oder verdächtigte Personen und 13 betroffene Personen ergeben, sagte die Kirchenpräsidentin. Es seien aber mit großer Sicherheit nicht alle Fälle sexualisierter Gewalt erfasst worden, denn nicht alle Fälle seien aktenkundig.
Ganz wichtige Grundsätze berücksichtigen
In den Fällen, in denen sich sexualisierte Gewalt mit geistlichem Missbrauch verbinde, sei dies besonders pervide. Dem kann ich nur zustimmen. Denn es gibt zwei nicht relativierbare Wahrheiten: 1) Sexueller Missbrauch ist immer furchtbare körperliche seelische Gewalt 2) Aber einGeistlicher Missbrauch verbiegt ins Gegenteil, dass Gott Liebe (Agape) möchte und Jesus eine Friedefürst ist. Leider scheint mir aber unser Problem von sexualisierter Gewalt schon so alt zu sein wie die Menschheit selbst, ein wirkliches Probem der ganzen Gesellschaft und immer relevant, wenn es um sehr nahe soziale Beziehungen geht: Also in Familie, Vereinen und bei allen sonstigen Gelegenheiten, wo sozial gekuschelt werden soll und darf. Dass da das Problem in religiöser Gemeinschaft, vornehmlich in Kirchen und unter Christinnen und Christen sehr relevant ist, scheint eine ungewünschte aber eigentlich bekannte Tatsache zu verdeutlichen: Leider sind auch Jesusnachfolger:innen, egal ob Berufschristen oder die vielen Menschen mit praktiziertem Glaubensleben, nicht unbedingt besser als alle anderen Mitbürger:innen. Dies mag manche befremden, beinhaltet aber doch gerade, dass wir keine Selbsterlösungsreligion praktizieren, niemand ist immer und vollkommen der eigene Herr im Haus seiner Seele, seiner Gefühle, Wünsche, Gedanken, Pläne und schließlich beim Tun des Bösen. Sonst wäre nicht Jesus gekommen, um wirklich alle Menschen zu erlösen. Damit meine ich überhaupt nicht, milde mit jenen umzugehen, die sich vergehen: Im Gegenteil. Gerade deshalb darf aber niemand nur immer auf die Kirchen einprügeln, die ja noch so oft versprechen können sich zu bessern, auch größere Achtsamkeits- und Umgangsregulungen einzuführen und nachhaltig den Vergehen nachzugehen, zumal die Betroffenen um Vergebung zu bitten. Vergeben wird Kirchen wohl niemals.
Aber man muss beim Blick auch das Thema die Schwierigkeiten des Themas zu begreifen und die Probleme die es bringt, wenn wir jener Flut sexueller Gewalt (bildlich gesehen) nicht wenigstens mit Dämmen und Deichen bekämpfen. Redete in den 1970er Jahren man noch von einer – richtig und positiv gedachten – „Theologie der Zärtlichkeit“, wird heute kaum noch jemand einen relativ fremden Menschen oder gar ein Kind umarmen dürfen ohne vorher zu fragen, ob man dies spontan darf. Dabei müssen wir aber auch die imensen Widersprüche in der Gesellschaft formulieren: Nämlich einerseits ein weit verbreiteter Sexismus, bis hin in viele Unterhaltungsfilme wo die körperliche Liebe wie ein Schmiermittel gegen gesellschaftlichen Frust in den Himmel gehoben wird. Aber auch andererseits überhöhte moralische Infragestellung jeglicher Form der Sexualität, entgegen ihrer wirklichen Natürlichkeit. Dabei hat nun, um ein Drittes zu nennen, kein Missbrauch auch nur im entferntesten wirklich zu tun mit irgendeiner guten Form der Liebe: Es ist nur wirklich brutale Gewalt. Und manchmal wird Menschen auch Sand in die Augen gestreut, damit sie das Böse und das Gute nicht mehr säuberlich zu trennen vermögen, eben wegen dieser Widersprüche in der Gesellschaft.
Kirchen haben noch nie die Kunst verfeinert, notwenigen Diskurs über brenzlige Fragen zu praktizieren, schon gar nicht über das Thema Sexualität. Ich denke, dass uns dies jetzt als Kirchen und Christen auf die Füße fällt. Zudem sind wir dann auch durch ureigene Versäumnisse willkommene Sündenböcke für die Untaten von Menschen, die wir – da auch Kirche kein Überwachungsmonster sein kann – kaum wirklich immer verhindern können. Aber ein anderer Umgang mit Sexualiät, in aller Natürlichkeit und keiner Überhöhung, würde hier vielleicht eher hilfreich wirken. Nur befürchte ich, dass selbst beim Konziliaren Prozess bei diesem Thema bei unseren katholischen Geschwistern letztlich nicht mehr viel übrig bleibt, was man in der Weltkirche noch umzusetzen vermag. Da muss es, ähnlich wie bei Problembearbeitungen in der EU, auch zwei Geschwindigkeiten geben dürfen. Denn in anderen Kontinenten gibt es (kirchlich) ganze andere Fragestellungen und Problematiken mit Vorrangstellung.
bei so viel Relativierung der kirchlichen Verbrechen kann ich nur den Kopf schütteln.
Das scheint mit aber typisch für viele Kirchenmitarbeiter und -verantwortliche zu sein.
Deshalb kann nur der Schluss sein, dort von außen um so strenger drauf zu schauen und zu handeln.
Und die normalen Mitglieder der Kirchen aufzufordern, diese Relativierung zu durchschauen und ebenfalls entsprechend zu handeln