- Werbung -

Mode gegen Menschenhandel: „Jedes Leben zählt!“

Sie hätte als Anwältin in einer Kanzlei arbeiten können, doch gegen viele Widerstände gründet Nathalie Schaller ein faires Fashionlabel, das Frauen aus der Zwangsprostitution eine neue Perspektive gibt. Es ist ihr Herzensprojekt.

Nathalie, du wirst regelmäßig zum Thema „Vision finden“ als Sprecherin eingeladen. Wie kommt man der eigenen Vision auf die Spur? 

- Werbung -

Der größte Schritt ist es, unser Herz zu öffnen für die Probleme der Welt und der Menschen. Dazu gehört auch Mut. Wir werden jeden Tag mit so vielem zugedröhnt. Man schützt sich häufig davor und lässt den inneren Rollladen vor den schrecklichen Bildern herunter. Oft fragt man sich auch: Was soll ich denn als Einzelne bewegen? Aber ich glaube, sobald man das zulässt und auf sich wirken lässt, spürt man ganz schnell, was einen besonders bewegt, wo man am ehesten anpacken könnte oder worauf man am meisten Lust hätte. Wenn man einmal damit anfängt, findet man auch ganz schnell seinen Weg. Jeder Mensch bringt ja seine Interessen, Vorgeschichte und Talente mit.

Mein Vater dachte, ich sei komplett durchgeknallt

Dir hat dein halbjähriger Einsatz bei „Jugend mit einer Mission“ (YWAM) in Australien und Kambodscha die Augen für das Thema Zwangsprostitution geöffnet. Nach deinem Jurastudium habt ihr dann zu dritt und in Zusammenarbeit mit der Chaiim Foundation in Mumbai das humanitäre Fair Fashion-Label „glimpse“ gegründet – auch gegen so manchen Widerstand. In deinem Buch schreibst du dazu: „Dafür musste ich mich aus der braven Ecke heraustrauen, emanzipieren von Wünschen anderer und mich mehrfach auf unbekanntes Terrain vorwagen.“ Warum war das so wichtig?

Nach meinem ersten Staatsexamen in Jura wollte ich für mich herausfinden, wo ich hingehöre. Was mein Lebensziel ist und wofür mein Herz schlägt. In Kambodscha haben sich die Puzzle-Teile in meinem Kopf geformt: Ich wollte ein faires Modelabel mit Überlebenden von Zwangsprostitution starten. Für viele aus meinem Umfeld war das überhaupt nicht nachvollziehbar. Als ich meinem Vater meine Vision erzählt habe, dachte er, ich sei komplett durchgeknallt. Für mich war es aber der einzig logische, sinnvolle Weg und es gab überhaupt keine Alternative mehr für mich. Auch von anderen musste ich mir anhören: „Das bringt doch nichts! Mach doch was Gscheits, Mädle!“ Dieser Abnabelungsprozess war hart. Trotzdem glaube ich, dass viel mehr Kraft darin steckt, wenn wir unserer eigenen Überzeugung folgen. Und uns nicht nur für etwas entscheiden, wozu die Eltern raten oder was die Freunde cool finden. Ohne diese eigene Motivation hätte ich auch niemals so viel Durchhaltevermögen auf dem Weg bis hierher gehabt.

Fragst du dich manchmal, ob Gott dich nicht auch als Vollzeitjuristin hätte gebrauchen können?

Ganz sicher hätte er das. Jemand hat mal zu mir gesagt: Wir sind nicht groß oder wichtig genug, um Gottes Pläne zu zerstören. Es wäre ziemlich anmaßend zu glauben, dass wir Gottes Pläne kaputt machen könnten. Ich glaube, wenn Gott etwas will, dann passiert das auch. Er hat immer irgendeinen Plan für uns. Ich sehe Gottes Plan aber überhaupt nicht linear. Ich denke, solange wir an Gott dran sind, machen wir nichts falsch. Deswegen bin ich mir ganz sicher, dass er mich auch als Juristin hätte gebrauchen können. Aber ich habe eben diese andere Richtung ganz stark gespürt. Und ich bin froh, dass ich in diese Richtung gegangen bin.

Du bist mit der „Goldenen Bild der Frau“ ausgezeichnet worden und Markenbotschafterin für die Naturkosmetik-Marke Dr. Scheller. Was bedeuten dir solche Auszeichnungen?

Ich wurde für beides angefragt und ich habe sie als Chancen gern wahrgenommen, aber nie aktiv gesucht. Für mich sind das neue Erfahrungen, die mir Spaß machen und mir die Möglichkeit bieten, tolle Leute kennenzulernen und mich zu vernetzen. Eigentlich bin ich eher jemand, der im Hintergrund wurschtelt. Ich muss mich selbst dazu ermutigen, an die Öffentlichkeit zu treten. Es ist natürlich einfacher, im Hintergrund zu bleiben. Man macht sich dadurch viel weniger angreifbar. Das trifft auch auf mein Buch zu: Mir fiel es nicht leicht, damit aktiv nach außen zu treten, aber ich wusste, das muss jetzt mal sein. Ich bin gespannt, habe aber auch ein bisschen Angst vor dem, was da kommt – an positiven, aber vielleicht auch negativen Rückmeldungen.

Nathalie Schaller blickt nach einigen Krisen, Umwegen und Herausforderungen optimistisch in die Zukunft. (Bild: Michael Colella)

Wir haben vorhin schon über deinen Mut gesprochen. Du sagst, zum Mut darf auch gern ein bisschen Wut dazukommen. Was macht dich besonders wütend?

Ungerechtigkeit. Ich hatte schon immer ein starkes Gerechtigkeits-Empfinden. Wenn ich sehe, dass Frauen schlechter bezahlt werden, nicht in Führungspositionen kommen und einfach nicht die gleichen Chancen und Rechte zugesprochen bekommen, wie Männer sie automatisch haben – dafür brennt mein Herz. Ein Extrem-Beispiel dafür ist Indien. Das Thema Zwangsprostitution ist natürlich das absolute i-Tüpfelchen dieser Ungerechtigkeit. Aber auch in Deutschland haben wir das Ziel einer echten Gleichberechtigung noch nicht erreicht.

Dir ist es wichtig, Frauen in ihrem Handeln zu stärken. Das wird schon durch den Namen eures neuen Labels „[eyd]“, ausgesprochen als „aid“ oder ausbuchstabiert als „empower your dressmaker“, sichtbar. Warum liegt dir das am Herzen?

Es gibt verschiedene Schritte auf diesem Weg. Der erste Schritt ist, dass wir als Frauen unseren eigenen Wert erkennen. Wichtig sind auch Respekt und Anerkennung von außen, aber der erste Schritt liegt in uns selbst. Natürlich hat sich hier schon viel verändert. Wenn ich mir überlege, dass meine Oma ohne die Zustimmung meines Opas nicht ihren Führerschein machen durfte, dann sehe ich daran, dass wir in Deutschland in zwei, drei Generationen schon viel erreicht haben. Das verdanken wir Frauen, die sich ihres Werts bewusst waren und dafür gekämpft haben. Dazu brauchen wir aber genauso auch Männer an unserer Seite, die vorleben, dass es nicht gefährlich oder uncool ist, Frauen als gleiches Gegenüber zu behandeln. Manchmal werde ich gefragt, warum wir als Frauen-Empowerment-Projekt auch Mode für Männer machen. Wir sind doch nicht männerfeindlich! Wir brauchen unbedingt auch Männer, die mit gutem Beispiel vorangehen.

Dank eurer Arbeit haben bislang 24 traumatisierte Frauen das Programm der Chaiim Foundation absolviert und sich eine Existenz aufgebaut. Ihr habt ein knappes Jahrzehnt eurer Arbeitskraft in die Frauen in Indien investiert. Warum lohnt sich euer Einsatz?

Man kann ein Menschenleben nicht mit irgendetwas aufwiegen. „Jedes Leben zählt“ – diesen Leitsatz der Chaiim Foundation finde ich absolut richtig. Und selbst wenn es nur eine einzige Frau gewesen wäre, der wir geholfen hätten, wäre es das wert gewesen. Die Frauen, denen wir geholfen haben, sind so bewegt von der Hilfe, dass sie nun wiederum anderen Frauen helfen und sie motivieren wollen. Die Wirkung des Ganzen ist also viel größer, als wir sehen können. Wir sehen immer nur den ersten Schritt.

Wovon träumst du noch?

Ich träume davon, dass das, was wir mit [eyd] machen, noch viel größer und internationaler wird. Am liebsten hätte ich überall auf der Welt, wo Menschenhandel passiert und wo Frauen ausgebeutet werden, Workshops, die Frauen die Chance bieten, ihr Leben zu verändern. Es gibt so viele Länder, in denen Frauen noch Menschen zweiter Klasse sind und ausgebeutet werden. Gleichzeitig ist die normale Modeindustrie so krank. Ich will beweisen, dass Mode nicht nur kaputt macht, sondern die Welt auch ein Stückchen besser machen kann – sowohl bei den Produzenten als auch bei denjenigen, die die Mode tragen.

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Debora Kuder.

Link: [eyd]-Clothing


Dieses Interview ist zuerst in der Zeitschrift JOYCE erschienen. Das Frauenmagazin wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.

Zuletzt veröffentlicht