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Theologe Eckstein: „Glaube braucht Beziehung!“

Prof. Dr. Hans-Joachim Eckstein war bis 2016 Theologieprofessor für Neues Testament an den Universitäten in Tübingen und Heidelberg. Er gilt als leidenschaftlicher Wissenschaftler und Redner, dem es wichtig ist, eine Brücke zwischen Denken und Glauben, zwischen Universität und Kirchengemeinde zu schlagen. Im Gespräch erzählt er von seiner Theologie, seinem Buchklassiker und auch von Lebenskrisen.

Anfang der 90er-Jahre bekam ich von meiner damaligen Verlobten und heutigen Frau Ihren Klassiker „Lass uns Liebe lernen“ geschenkt. Das Buch war damals der Renner. Warum?

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Hans-Joachim Eckstein: (lacht) Vielleicht, weil es beide Seiten der Liebe auf den Punkt bringen will. Einerseits ist es ein Buch über die zwischenmenschliche Liebe. Andererseits wollte ich beim Schreiben deutlich machen, dass unsere Menschenbeziehungen zugleich ein Spiegel sind für unsere Beziehung zu Gott. Unsere Gottesbeziehung wird greifbar in der zwischenmenschlichen Beziehung der Partnerschaft. In ihr lerne ich Gott kennen, aber sie kann Gott nicht ersetzen, weil es dort keine Vollkommenheit gibt. Eine Partnerschaft ist überfordert, wenn ich von ihr die Gottesbeziehung erwarte. Sagen wir es so: Gottes Liebe, die gewiss vollkommen, aber oft für uns unsichtbar ist, wird für uns erfahrbar in der menschlichen Liebe, die gewiss unvollkommen, aber unmittelbar sichtbar ist.

„Gott will nicht, dass wir höflich sind;
Gott will, dass wir wahrhaftig sind.“

Haben Sie das „fromme Württemberger Gen“ schon mit der Muttermilch aufgesogen?

Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil. Mein Elternhaus war eher distanziert gegenüber dem Glauben. Daher musste ich mich selbst nie von einer einschränkenden Frömmigkeit abgrenzen. Glaube war für mich immer positiv besetzt mit dem, was ich in der CVJM-Jugendarbeit kennenlernte. Der Glaube war auf diese Weise für mich etwas, was mit Selbstständigkeit, Erwachsenwerden und eigener Persönlichkeitsentfaltung zu tun hatte. Das brachte den Vorteil mit sich, dass ich in Predigt und Lehre bis heute nicht meine eigene „Frömmigkeitsschädigung“ kompensieren oder bekämpfen muss.

Wenn Sie heute an Ihren Konfirmandenunterricht denken, dann …

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… war der von unserem Pfarrer gut gemeint, aber hatte mit unserer Wirklichkeit und mit unseren Interessen als Teenager wenig zu tun. Den Konfirmandenunterricht habe ich „abgelitten“. Erst die Jugendarbeit hat mich mit 15 Jahren da abgeholt, wo ich wirklich stand.

Eine wesentliche geistliche Prägung erhielten Sie durch die Fackelträger-Bewegung des englischen Evangelisten Major W. Ian Thomas und der Klostermühle an der Lahn. War das nicht eher ein strenger und enger Glaube?

Das, was die Fackelträger für mich ausmachten, war nicht, dass sie akademisch oder vernunftbetont lehrten und verkündigten. Gefesselt hat mich ihre Christozentrik. Es ging ihnen nicht primär um ein theoretisches Schriftverständnis, sondern darum, dass Christus in der Mitte steht. Diese Christuszentriertheit war zugleich auch das Ende einer falschen Gesetzlichkeit. Im Theologiestudium hatte ich persönlich infolgedessen nie eine existenzielle Krise meines Glaubens, weil ich nicht an mein eigenes Schriftverständnis glaubte. Ich glaubte an den auferstandenen und lebendigen Jesus Christus, den die Schrift bezeugt. Damit war das wichtig, wofür das Evangelium von Christus steht und was er vertritt, d.h. seine Sicht auf den Menschen, auf die Bedeutung von Beziehung und Liebe. Das war das Erste.

Und das Zweite?

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Das Zweite war, dass ich bei den Fackelträgern den Glauben als ein Abenteuer, als eine Herausforderung erlebte, was mich als jungen Mann enorm ansprach. Es wurde nicht zuerst gesagt, was Christen „dürfen“ oder „nicht dürfen“. Sondern die bestimmende Frage war: Wozu sind wir berufen? Was will Christus durch uns in der Welt verändern? Dass Christus in uns lebt, war zugleich ein Programm der Dynamik und der Lebensbejahung. Das sind die beiden Pole, die mich als Oberschüler sehr inspirierten. Erstens die Mitte der Theologie – Jesus Christus, der Gekreuzigte und Auferstandene –, und zweitens diese Lebenszugewandtheit.

Wie ist es möglich, mit den Menschen heute über den Glauben ins Gespräch zu kommen?

Meine Erfahrung ist, dass es Grunderfahrungen gibt, die die Menschheit seit Jahrtausenden macht. Und zugleich entdecke ich einen Wesenszug des Evangeliums, der genau an diese Grunderfahrungen anschließt.

Welche Grunderfahrung meinen Sie?

Der Punkt ist, dass ich mit Menschen, die sich selbst als säkular und glaubensfern verstehen, in der Regel nicht als erstes anfange, über den Gottesbegriff zu sprechen, sondern über die grundlegende Bedeutung von Beziehung. Wir Menschen sind Beziehungswesen. Wir brauchen Beziehung, um erwachsen zu werden und erfüllt zu leben. Wir können das kompensieren und verleugnen, aber jeder Schrei nach Anerkennung, alles Karrierestreben, jeder Wunsch, bedeutsam zu sein, ist letztlich ein Schrei nach persönlicher Wertschätzung. Das scheint mir etwas zu sein, was auch ganz glaubensferne Menschen nachvollziehen können und was sie anspricht.

Eine faszinierende Person im Neuen Testament ist Thomas der Zweifler. Welche Tipps haben Sie für den Thomas „in uns“?

Vielleicht, dass er tatsächlich so unverschämt ist wie Thomas und sagt: „Ich möchte das glauben, aber ich kann es nicht.“ Menschen, die das sagen, ermutige ich immer, nachzuhaken und Gott herauszufordern. Ich lehre auch sehr gerne die Psalmen; gerade bei den Klagepsalmen ist die Wahrhaftigkeit vor Gott faszinierend. Dass Menschen Gott anklagen und ihn bei seiner Liebe und Treue behaften. Diese Wahrhaftigkeit in der Konfrontation mit Gott ist viel besser als eine höfliche Distanz. Gott will nicht, dass wir höflich sind; Gott will, dass wir wahrhaftig sind.

Zurück ins Leben. Zum „Liebe lernen“ gehört manchmal auch das Scheitern. Welche menschliche und theologische Erkenntnis verbinden Sie damit?

Krisen sind zugleich auch immer Chancen. Das Wesentliche ist nicht erst die Lösung am Schluss, sondern es ist der Durchbruch. Die wahren Beziehungen werden in ihrer Wertigkeit erst in der Krise für uns greifbar. Da merke ich plötzlich: Wer steht zu mir und wem bin ich dann lästig, wenn ich Hilfe brauche? Was ist mir unverzichtbar wichtig, und was verliert in der Krise an Bedeutung? Insofern liegt in der Krise immer zugleich auch die Chance des Gewinns einer neuen Ursprünglichkeit und des Durchbruchs des Erwachsenwerdens. So kann es einen Gewinn des Verlustes und eine Stärke der Schwachheit geben.

„Glaube ist die Fähigkeit, mit Widersprüchen zu leben.“

Und das ist auch so Ihre ganz persönliche Erfahrung in den Lebenskrisen?

Ja, absolut. Ich wäre ohne Krisen nie Theologe geworden. Was mich zwang zu denken, war die Erfahrung des Widerspruchs von geglaubter Realität und erfahrener Wirklichkeit. Wir haben heute oft bei Glaubensbewegungen und bei Gemeindeaufbrüchen das Problem, dass der Glaube so verstanden wird, als würde er den Himmel auf die Erde bringen, um mich leichter leben lassen. Neutestamentlich aber ist der Glaube gerade die Fähigkeit, mit Widersprüchen zu leben. Der Glaube hat nicht, was er sieht, im Blick, sondern das, was er – noch – nicht sieht.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Die Fragen stellte Rüdiger Jope


Dieses (hier gekürzte) Interview ist zuerst in der Zeitschrift 3E erschienen, dem Magazin für die evangelische Kirche. 3E wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.

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