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Rennrad-Profi in Ruanda: Versöhnung auf zwei Rädern

Samuel Mugisha ist Rennrad-Profi in Ruanda. Mit Gott an seiner Seite hält er durch und kämpft, bis seine Leidenschaft Früchte trägt. Das ist seine Geschichte.

Von Tom E. Laengner

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Zwischen Hunderten von Zuschauern, die am Straßenrand in Mukamira, Westruanda, standen und gegen die Sonne blinzelten, wartete auch ein schmächtiger Junge. Sein Name war Samuel Mugisha. Das war während der frühen Tage der Tour du Rwanda, als außer Ruandern ausschließlich Radsportler aus ostafrikanischen Ländern am Start waren. Doch dann wehte hinter einer Bodenwelle Staub auf. So manche Straße in Ruanda hat sich bis heute dem Asphalt verweigert und zeigt den warmroten Boden der Erde Afrikas. Die Augen des Grundschülers wurden weit. In der flirrend heißen Luft sah er sie kommen. Der Jubel der Menge schwoll an. Die Fahrer selbst aber waren lautlos, kraftvoll und entschlossen. In einem Moment wie diesem fällte der Junge eine Entscheidung: „Eines Tages will ich unbedingt einer von denen sein.“ Er wusste nicht, wohin ihn diese eben entfachte Leidenschaft bringen würde. Doch er spürte, dass er ohne Leidenschaft im Nirgendwo landen könnte.

In Ruanda hat das Fahrrad eine lange Tradition. Außer schlechter Laune transportieren die Menschen im Land der tausend Hügel fast alles auf dem Rad. Doch es ist ein beinharter Job. Seelisch zermürbend muss er nicht sein. Als echter „Bicycle Man“ empfehlt Isaac Ndamage dazu: „Ich würde in der Bibel lesen. Das hält dich offen.“ Der 25-jährige Fahrradkurier aus Kigali ist einer von denen, die durch die Tour du Rwanda inspiriert werden.

Ein Start voller Klippen

Samuel Mugisha wurde nicht mit einem silbernen Löffel in der Windel geboren. Ein eigenes Rad konnte er sich als Jugendlicher nicht leisten. Seine Eltern Samuel Kadari und Mutter Agnes Mukabutera hatten neun Kinder zu versorgen. Doch seine Mutter beschaffte ihrem Sohn ein Rad. Irgendwie, irgendeins. Es hatte nicht einmal eine Gangschaltung. Aber dieses Rad war der Treibstoff für die Leidenschaft des Heranwachsenden. Mugisha schaute auf das, was er hatte. Er beklagte nicht, was ihm noch fehlte. Doch mehr als das Geschenk zählte für den Heranwachsenden etwas anderes: „Meine Mutter hat mich immer wieder herausgefordert, meinen Weg beständig weiterzugehen. Ich wollte ja schließlich Profi werden.“
Sieht man in das echte und fröhliche Gesicht der Mutter, mag man ihr Schicksal kaum glauben. Agnes Mukabutera verlor ihre Kinder und ihren ersten Ehemann während des Genozids. Etwa eine Million Menschen wurden während dieser hundert Tage im Frühling 1994 ermordet. Viele Menschen fragen, wie das in einem „christlichen“ Land geschehen konnte. Aber „christlich“ war Europa im Jahre 1938 auch. Und dennoch gab es einen Zweiten Weltkrieg mit nahezu 70 Millionen Toten.

„Ich glaube an Gott und ich bete. Auch wenn mir das keine Garantie gibt, dass ich bekomme, wonach ich gefragt habe.“

An ein Wunder jedoch grenzt der Versöhnungsprozess in Ruanda. „Viele waren damals voller Zorn und Hass“, erzählt Antoine Rutayisire. Der anglikanische Pfarrer hatte schon viel früher Familienangehörige bei ethnischen Konflikten verloren. So weiß er genau, wovon er redet, und fährt fort: „Ich dachte, dass wahrscheinlich diese Botschaft von Vergebung eine Antwort sein könnte.“ Die Regierung nahm diese Gedanken der Versöhnung in ihr Konzept auf. Versöhnung half beim Wiederaufbau. Allerdings ist Versöhnung ein langer und harter Weg. Also musste die Mutter von Mugisha – wie so viele andere – komplett von vorn anfangen.
Und Mugisha fuhr und fuhr. Im Land der tausend Hügel geht es beständig auf und ab. Der schlanke Athlet überholte qualmende Lastwagen und quälte sich durch Haarnadelkurven bergauf. Seine Stürze hat er aufgehört zu zählen: „Ich vergesse alles um mich herum, wenn ich fahre.“ Und Schmerz ist ohnehin ein täglicher Begleiter auf dem Rad und im Leben vieler Ruander. Leider auch ein unerwarteter dazu. Kurz vor der Tour du Rwanda 2017 stirbt Mugishas Mutter bei einem Unfall. Mugisha fährt zur Ehre seiner Mutter und landet auf Platz 24. Auch ein Jahr später ist der Schmerz groß und er findet, dass das Leben nicht fair ist. Das hält ihn nicht davon ab, zu beten: „Ich glaube an Gott und ich bete. Auch wenn mir das keine Garantie gibt, dass ich bekomme, wonach ich gefragt habe.“

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Hartnäckigkeit gehört dazu

Die zehnte Auflage der Tour ging im Spätsommer 2018 quer durch alle Provinzen. In acht Etappen legten die Fahrer annähernd 1.000 Kilometer zurück. Gemeldet waren 16 Teams aus 11 Nationen. Darunter waren Teams aus Frankreich, der USA und Deutschland. Mugisha hatte bereits eines gelernt: Beständigkeit zahlt sich aus. Inzwischen ist er Teamkapitän der ruandischen Nationalmannschaft und vertritt sein Land in dem wohl prestigeträchtigsten Straßenrennen Afrikas.

„Im Team Ruanda sind wir nur Sportler und Brüder. Es gibt weder Hutus, Tutsis noch Twa.”

Würde er die hohen Erwartungen der ruandischen Presse als neuer Star einlösen können? Von Schweiß glänzend und mit zusammengebissenen Zähnen kämpfte er sich über den Rundkurs. Am Ende landete er bei dieser ersten Etappe auf Platz 31. Teamkapitän Mugisha war einer der Fahrer, auf den die Ortsansässigen ihre Hoffnung setzten. Eines war dem drahtigen Athleten besonders wichtig: „Im Team Ruanda sind wir nur Sportler und Brüder. Es gibt weder Hutus, Tutsis noch Twa.” Nach dem Grauen des Völkermordes ist es ein Teil des Versöhnungsprozesses zu sagen: „Wir sind alle Ruander.“ Die Einheit im Team Ruanda ist ein Anzeichen dafür, dass Versöhnung funktioniert. Und darauf sind die Menschen stolz. „Heute habe ich Freunde aus allen Bevölkerungsgruppen“, ergänzt Mugisha, „da hat sich in Ruanda schon viel verändert.“ Bis heute dient ihm Leidenschaft als Inspiration und nicht als Waffe der Ausbeutung gegen sich selbst.

„Ich habe ja gesagt, dass ich vor einem Rennen immer bete. Und das habe ich weiter so gemacht. Gott soll mit mir sein und mir mehr Kraft geben.“

Die zweite Etappe führte von der Landeshauptstadt Kigali in den Süden bis an die burundische Grenze. Hier gelang Mugisha mehr. Der Youngster aus der Westprovinz landete auf dem ersten Platz und konnte sich das gelbe Jersey des Führenden überstreifen. Die Massen an begeisterten Zuschauern waren überwältigend. Wirklich notwendig erschien das Anfeuern in Dörfern wie Sashwara. Hier mussten sich die Fahrer über die Berge quälen. Es ging erbarmungslos auf und ab. Zweifellos gaben alle ihr Äußerstes. Aber bei einem Rennen durch die Wohnzimmer der Berggorillas wäre weniger zu wenig gewesen. So brannten die Muskeln und Samuel Mugisha überfuhr die Ziellinie der sechsten Etappe auf Platz 20. Für einen Bergfahrer wie ihn war das nicht ganz, was er erwartet hatte. Doch jammern zählt nicht. Und das Gelbe Trikot des Führenden durfte er weiter tragen.

Mit Gott an seiner Seite

Nach acht Etappen wird Mugisha schließlich Gesamtsieger des Rennens. Aber er weiß auch: Nach dem Rennen ist vor dem Rennen. Bald würde die Tour de l’Avenir über die Startlinie gehen. Es wird das erste Mal in der Geschichte des Radsports sein, dass ein afrikanisches Team an der Tour für die Weltelite der Fahrer unter 23 Jahren teilnehmen kann. Die Schmiede der zukünftigen Weltklasse-Profis ist eine neue Dimension für das ruandische Team. Etappe Zwei beendet der Ruander als Vorletzter.

„Jammern zählt nicht.“

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Er ist dankbar für einen Trainer, der ihn nicht rund gemacht hat: „Sterling war immer für uns da und hat uns ermutigt. Er hat gesagt, dass wir weiterkämpfen sollten.“ Und dann muss Mugisha doch sehr laut lachen. Er wird gefragt, ob er nicht an Gott gezweifelt habe: „Nein, überhaupt nicht“, sagt er, „ich habe ja gesagt, dass ich vor einem Rennen immer bete. Und das habe ich weiter so gemacht. Gott soll mit mir sein und mir mehr Kraft geben.“ Offensichtlich ist seine Leidenschaft nicht die Größe, in der sein Wert gemessen wird.

Kraft gegeben, das hat Gott wohl auch getan. Am Ende landet Mugisha im Mittelfeld auf Platz 76. Und wie damals, als er ein Rad ohne Schaltung hatte, hadert er nicht mit seiner Realität: „Die Platzierung fühlt sich erst einmal gut an. Es zeigt mir, dass es sich lohnt, weiter hart zu arbeiten. Ich will professioneller Radsportler werden, nach wie vor.“ Und auch wenn der Radsport in Europa noch eine andere Nummer ist: Mit der Nationalmannschaft seines Landes wurde Mugisha Zweiter beim Afrika Cup 2018. Und er landete auf Platz sechs bei der Wahl zum afrikanischen Radsportler des Jahres. Durchgehaltene Leidenschaft trägt eben Früchte.

Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen.

In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind“ schreibt er alle 14 Tage über Lebensfragen, die ihn bewegen.


Dieser Artikel ist in der Zeitschrift MOVO erschienen, die wie Jesus.de zum SCM Bundes-Verlag gehört.

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