- Werbung -

Selbstbewusste Weihnachten

Der Dezember ist angebrochen. Höchste Zeit, sich mit einem ambivalenten Thema auseinanderzusetzen – dem Weihnachtsfest.

Von Martin Scott

- Werbung -

Zu Weihnachten trage ich sich widersprechende Gefühle in mir. Da gibt es zauberhafte, wohlige Erinnerungen an meine Herkunftsfamilie, wie sie harmonisch und liebevoll an Heiligabend miteinander umgeht, wie sonst selten im Verlauf eines Jahres. Die Vorfreude auf die Geschenke; die andächtige Weihnachtsgeschichte und dieses Gefühl, dass die Welt drei Tage lang anhält, weil mein Vater da war und keine anderen Termine, Verpflichtungen oder Verabredungen hatte, die ihn ansonsten oft von zu Hause fernhielten. Im Hintergrund klassische Musik, im Vordergrund die Familie im Schlafanzug, von morgens bis abends nur spielen, essen und den Hund kraulen.

Zum anderen habe ich aber auch ganz furchtbare Erinnerungen an Weihnachten. Dieselbe Familie explodierte eines ziemlich unheiligen Abends förmlich. Es wurde mit der Polizei gedroht, der Hund biss, der eine bezichtigte den anderen unerträglich zu sein, sodass unsere Familie seitdem nie wieder in dieser Konstellation zusammengekommen ist.

Scherben aufsammeln

Damals war ich 22 Jahre alt und stand nun da – ziemlich desillusioniert und sehr unsicher, was Weihnachten mit all seinen Riten angeht. Vereinzelt kam es in den folgenden Jahren vor, dass ich Weihnachten im Kreise anderer Familien verbrachte, und erlebte, wie schön dieses Fest sein konnte. Die langen Spaziergänge, das Zusammensitzen und Reden, verschiedene schöne Rituale, wie man sich Geschenke überreichte, Elvis und seine Weihnachtslieder. All das waren neue, schöne Entdeckungen, die meine verletzten Weihnachtserfahrungen zwar nicht komplett überdecken konnten, mir aber dennoch den Abglanz eines Festes schenkten, wie ich es seither versuche, Stück für Stück für mich wiederzuentdecken. So als würde man versuchen, eine in tausend Teile zersprungene Porzellanvase wieder zusammenzukleben.

- Weiterlesen nach der Werbung -

Ein ganz normaler Tag

Zum einen hatte ich ja selbst erlebt, wie wohltuend ein gelungenes Weihnachtsfest für alle Beteiligten sein kann. Zum anderen ist Weihnachten unter allen christlichen Feier- und Gedenktagen für mich das höchste und wichtigste Fest, da diktiert meine Glaubensüberzeugung sozusagen die Überschrift. Denn ohne die Menschwerdung Gottes keine Bergpredigt, kein Karfreitag und kein Ostern. Aber muss das ausgerechnet im Dezember begangen werden, dann, wenn alle anderen auch Weihnachten feiern?

Auf diese typische Infragestellung folgte bei mir die typische Konsequenz: Ich versachlichte nüchtern das, was mich eigentlich emotional umtrieb. Aus Selbstschutz, um an der eigentlichen Fragestellung nicht irre zu werden. Ich hörte viele Jahre lang auf, Erwartungen an Weihnachten zu stellen. Es hieß zwar noch immer „Heiliger Abend“, aber im Grunde war der 24.12. für mich bloß noch ein Dienstag, Donnerstag oder Samstag, so wie die anderen Wochentage eines Jahres auch. Die Weihnachtsfeiertage waren hervorragende freie Zeiten, um Ausflüge zu machen, Filmabende zu veranstalten oder wandern zu gehen. Und in mir entstand heimlich der Plan, mein Umfeld mal auf ein überraschendes Weihnachtsfest an einem 17. Mai einzuladen. Dann, wenn keiner es erwarten würde. Und der fromme Puls in mir freute sich schon darauf, eine Heiligabend- Feier vorzubereiten, die allein schon aufgrund der ungewöhnlichen Jahreszeit frei von jeder profanen Erwartung und Ablenkung bleiben müsste. Außerhalb der „Season of the Year“, mit ihren bimmelnden Glöckchen und Weihnachtslieder singenden bürgerlichen Versammlungen, das heilige Krippenfest der Menschwerdung Gottes begehen. Denn das, was da in mir in diesem leidenschaftlichen Ringen um das Weihnachtsfest kämpfte, waren nicht bloß die Erinnerungen an ein katastrophales Fest im Kreise meiner Ursprungsfamilie, sondern auch die große Sehnsucht, das Fest der Feste in angemessener Andächtigkeit zu zelebrieren.

Kerze im Advent
Getty Images

Weihnachtsneustart

Den Mai-Plan habe ich nie umgesetzt. Ich war im Mai meistens viel zu beschäftigt, um auch noch Weihnachten zu feiern. So entwickelte ich einen Alternativplan, den ich vor ein paar Jahren endlich umsetzten konnte. Ich wollte mich schon lange einmal am 24.12. auf den Pott setzen und vollkommen alleine bleiben. Und um es vorweg zu nehmen: Nichts, aber auch gar nichts ist an jenem Heiligabend passiert, worüber es sich lohnen würde, auch nur eine Textzeile zu schreiben. Aber ich erbat mir 24 Stunden Nachsichtigkeit von meinen liebsten Menschen und blieb an jenem Abend völlig für mich. Ich hatte große Pläne. Heilige Pläne. Ich wollte einen Weihnachtsneustart. Ich wollte draußen sitzen. Ein Feuer anmachen. Bewusst die Hirtenperspektive auf das Weihnachtsgeschehen einnehmen. Wollte die Bibel mit ans Feuer nehmen, die Weihnachtsgeschichte lesen, sie neu entdecken. Und dann wollte ich beten. Lange, ausführlich und intensiv. Wollte auch schweigen und hinhören, was und wie Gott mir antwortet. Was er seinem aufopferungsvollen Diener mitzuteilen hat, in dieser besonders heiligen Nacht. Für später hatte ich mir noch einen Film herausgesucht, wollte eine Pizza backen und hatte eine leckere Flasche Wein beiseite gestellt.

Und dann kam er, mein einsamer Heiliger Abend, der mich reinwaschen sollte von aller Weihnachtsskepsis – und wurde ein vollkommener Reinfall. Es nieselte, das Feuer ging nicht an, die Pizza verbrannte, der Wein war nicht mein Ding und der Film war total öde. Es war im Grunde ein ganz furchtbarer und entsetzlich einsamer Abend. Die Weihnachtsgeschichte stand irgendwie ganz verloren im Raum herum, heilige Eindrücke oder Gebetsantworten gab es auch nicht. Was war ich froh, mir um 23:30 Uhr erlauben zu können, einfach nur ins Bett zu gehen.

- Werbung -

Geteilte Freude

Aber – ich hatte ein wertvolles Erlebnis: Ich hatte auf die eine Karte gesetzt, von der ich in all den Jahren gespürt hatte, dass ich das mal machen müsste. Ich hatte mich an Weihnachten dem Fest mal vollkommen alleine gestellt – und war daran gewissermaßen gescheitert, sodass ich meinen Erinnerungen eine neue Erfahrung hinzufügen konnte, die ich Jahre später in ähnlicher Form in Sean Penns großartigem Film „Into the Wild“ wiederentdecken sollte: Ohne andere Menschen, ohne Gemeinschaft, ohne lieben zu können und ohne geliebt zu werden, ist es einfach kacke. (Im Film vermerkt der Protagonist, der in die völlige Einsamkeit Alaskas geht, kurz vor seinem Tod in seinem Tagebuch: „Man wird nur glücklich, wenn man das Glück mit anderen teilen kann.“)

Das Weihnachtsfest – das steht und fällt mit mir selbst, ob ich es anderen und mir selbst schön machen will

Und damit ist in meinen Augen das herausfordernde, aber auch das glücklich machende des Weihnachtsfestes sehr gut zusammengefasst. Es geht mir nicht so sehr um eine Theologie von Weihnachten – sondern vielmehr darum, dass ich für mich selbst reflektiere, wie ein traditionelles christliches Fest neu entdeckt und gefeiert werden kann. Ein Fest, das so aufgeladen ist mit Erwartungen, und deshalb auch ein hohes Potenzial in sich trägt zu enttäuschen. Insbesondere in einer Zeit des Traditionsabbruches und der wilden Entschlossenheit, möglichst „alles“ neu zu erfinden. Was ich Jahrzehnte lang schaffte – bereits in der Adventszeit alle Personen noch vor Weihnachten aus meiner Nähe zu vergraulen –, das entdeckte ich auf einmal als einen der schönsten Momente des Jahres wieder. In der Gemeinschaft ist’s am schönsten, und ich kann einen gehörigen Teil dazu beitragen, dass das gelingt.

Christmas loading
Getty Images

Weihnachtseuphorie

Seither sieht man mich kurz vor Weihnachten ganz emsig Geschenke besorgen und Getränke einkaufen, Essen kochen und Baileys selbst mixen, Adventskalender bestücken und eine Weihnachtsandacht planen (auch wenn ich mich an Heiligabend oft doch nicht traue), meine Kinder stolz zum Krippenspiel begleiten und Noten für mehrstimmiges Singen ausdrucken. Man hört mich vom Tanzen um den Weihnachtsbaum schwärmen, einfach, weil eine enttäuschte Vergangenheit oder eine verstaubte Tradition noch lange nicht heißt, ein ganzes Fest für sich selbst oder gar auch noch für andere sabotieren zu müssen! Wer den Auftakt zu dieser Geschichte nicht vergessen hat, vermutet richtig: Ich habe nun eine eigene, wunderbare Familie, mit der all das möglich ist. Vergessen will ich aber nicht, dass auch anderswo „gescheiterte Weihnachtler“ existieren, sodass unsere Tür all jenen immer offenstehen soll – und kommt da nicht auf einmal Bethlehem ins Spiel?

Verantwortung

Die Relevanz von Weihnachten steht und fällt nicht mit einem westeuropäischen Feierkult vom 24.-26. Dezember eines jeden Jahres. Wann genau Jesus geboren wurde, noch nicht mal das genaue Jahr, lässt sich nach meinem Kenntnisstand festlegen. Christen im Römischen Reich legten das Geburtsfest von „Christus der wahren Sonne“ auf einen Festtag zu Ehren eines römischen Sonnengottes. Dass ich das aber feierlich bedenken und begehen will – das liegt sehr tief in mir geborgen und blieb als Sehnsucht all die Jahre bewahrt. Mutig und echt in die Zukunft zu gehen, das bedeutet für mich, von den vielen „Stellvertreter-Begründungen“ wegzukommen, mit denen ich in der Vergangenheit so hervorragend darstellen konnte, warum das eine Weihnachtsfest für mich zu konsumlastig, das nächste zu ungeistlich und ein drittes zu unkommunikativ war. Ich bin selbst für mein eigenes Weihnachtsfest verantwortlich und lasse es mir nicht mehr von Erfahrungen und Personen aus meiner Vergangenheit kaputtmachen, damit ich nicht auch noch mit 75 Jahren vor einem nicht brennenden Feuer sitze und schaurig singen muss: Stille Nacht, einsame Nacht.

Und plötzlich, seit ein paar Jahren, erlebe ich auf einmal Heiligabende und Weihnachtsfeiertage, wo das eine das andere überhaupt nicht mehr ausspielen muss: Der Geschenkekonsum die Weihnachtsandacht, der Krieg anderswo den Frieden in mir, oder die Vergangenheit die Gegenwart. Das Weihnachtsfest – das steht und fällt mit mir selbst, ob ich es anderen und mir selbst schön machen will, ob ich der Weihnachtsandacht Raum verschaffe und ob ich dazu bereit bin, drei ganz besondere Tage im Jahresverlauf zu kreieren.

Martin Scott freut sich auf die Feiertage. In seiner Fantasie verbringt er die eines Tages mit Pfeife vor dem Kamin. Er arbeitet als Prediger und Referent bei der Essener Initiative Wunderwerke.

 

Konnten wir dich inspirieren?

Jesus.de ist gemeinnützig und spendenfinanziert – christlicher, positiver Journalismus für Menschen, die aus dem Glauben leben wollen. Magst du uns helfen, das Angebot finanziell mitzutragen?

Zuletzt veröffentlicht