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Archäologie: Diakoninnen prägten frühe christliche Gemeinden

Eine Ausgrabung in Aschdod/Israel fördert Gedenkinschriften von Diakoninnen aus dem fünften Jahrhundert zutage. Die Funde zeigen: Frauen spielten als Geistliche wichtige Rollen in den frühen christlichen Gemeinden.

Von Hanna Klenk

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In einer Sanddüne an der Küste des Mittelmeeres südlich von Tel Aviv legt mein Spachtel gelbe Scherben frei – aber sehen sie nicht etwas seltsam aus? Da mir solche Keramik noch nie in die Hände gekommen ist, lasse ich einen Fachmann rufen und grabe inzwischen weiter im Sand. Da erscheint ein neues Stück. Diesmal sind Zähne daran und mir ist klar, dass ich hier auf ein Skelett gestoßen bin! Mit feinen Werkzeugen lege ich es frei.

Ich befinde mich auf einer wissenschaftlichen Ausgrabung in Aschdod. Wir fragen uns: Wer wurde hier begraben, warum hier und wann? Im Laufe der Abklärungen wird deutlich, dass Beduinen über Jahre hinweg einen Begräbnisplatz pflegten. Ein kolossaler Stein und eine große Palme markierten den Ort. So fanden die Menschen, die in Zelten lebten, ihre lieben Verstorbenen wieder und gedachten ihrer.

Welche Aufgaben hatten Diakone?

Die weiteren Forschungen werden zeigen, dass in Aschdod lange Zeit zuvor auch Frauen begraben wurden, die als Diakoninnen Verantwortung in der christlichen Gemeinde trugen. Um herzuleiten, was christliche Diakone sind, ob Frauen im Urchristentum in der Gemeinde dienten und wie das in dieser Gegend aussah, hole ich einmal weit aus.

Jerusalem, um 30 nach Christus. Nach Pfingsten wächst die neue Gemeinde von Jesusnachfolgern sehr rasch. Die Apostel fühlen sich überfordert, als Hirten und zugleich Evangelisten zu dienen. Auch kommt es zu Vorwürfen, dass die Unterstützung der Witwen ungerecht verteilt sei. So werden sieben Diakone gewählt, darunter Stephanus und Philippus. Sie kümmern sich um die Versorgung der mittellosen Frauen. Abgesehen von ihrer eigentlichen Aufgabe vollbringen sie später auch Wunder und große Zeichen (Apostelgeschichte 6,1-10; 8,4-8).

Philippus bleibt nicht dauerhaft in Jerusalem. Durch eine besondere Führung von Gottes Geist macht er sich Richtung Gaza an der Mittelmeerküste auf. Dann predigt er das Evangelium in Aschdod, einer der wichtigsten Hafenstädte jener Zeit, und in allen Städten der Küste bis hinauf nach Cäsarea (Apostelgeschichte 8,26-40).

Ein Evangelist und vier Prophetinnen

Aus dem Diakon und Wundertäter ist ein Evangelist geworden. Seine vier unverheirateten Töchter sind Prophetinnen (Apostelgeschichte 21,9). Ob sie noch zu Hause wohnen, bleibt im Bericht offen. Als Paulus einmal bei Philippus zu Besuch kommt, trifft ein anderer Prophet ein, Agabus aus Judäa, und er gibt Paulus ein Wort über dessen Bestimmung weiter.

Ist er von Gottes Geist nach Cäsarea geführt worden, weil die vier Prophetinnen dort nicht mehr sind? Wirken sie an anderen Orten in der Gegend? Vielleicht auch weiter südlich in Aschdod? Das muss Vermutung bleiben. Klarer sehen wir erst, was einige Jahrhunderte später in Aschdod passierte. Durch die archäologische Ausgrabung kennen wir das Gebäude, das die Gemeinde dort errichtete. Wunderschöne Mosaiken schmücken die Fußböden.

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Gleichviel Diakoninnen wie Diakone

Im Jahr 416 wird über zwei Gräbern eine Mosaikinschrift angebracht. Zusammen mit dem, was sich in den Gräbern findet, erzählt sie eine Geschichte. „In Erinnerung an den Priester Gaianos und Severa, die Diakonin“, lautet der Text. Zwei Erwachsene – eine Frau mit einem goldenen Ohrring und ein Mann, dessen Nacken mit einem eisernen Speer durchbohrt wurde – liegen in einem Grab.

In einem anderen sind die Skelette von vier oder fünf Kindern, vom Säugling bis zum Jugendlichen. Wir bekommen also Einblick in eine Gemeinde, in der eine Diakonin wirkte – und in der jemand gewaltsam zu Tode kam. Dienst und Martyrium liegen ganz buchstäblich nahe beieinander. Das Schicksal der Familie berührt die Gemeinde und sie baut das Gotteshaus weiter aus.

Ein Dutzend weiterer Inschriften bedecken nach und nach die letzten Ruhestätten bedeutender Gemeindeglieder. Sie beziehen sich in etwa zu gleichen Anteilen auf Männer und Frauen: Leiter und Leiterinnen sowie Geldgeber. Eine griechische Gedenkinschrift wird mit mehreren Kreuzen verziert. Sie erinnert an die „Christus-liebende Diakonin Theodosia“, die am 19. Juli 442 entschlief. Eine andere sagt: „Zum Andenken an Gregoria, Diakonin von Bithylion“. Dieser Ort liegt im nördlichen Sinai, sie kommt also von weit her.

Die „geehrte Mutter Sophronia“ könnte Äbtissin einer Gemeinschaft von Frauen in Aschdod gewesen sein.

Doch nicht nur Frauen wirkten im Diakonenamt. Wir lesen auch: „Es entschlief der glückselige Maximus, der Diakon, Sohn des Stephanos. Nachdem er die Krone erlangt hatte, hat er sich schlafen gelegt mit seinen Vätern, und er wird herrschen im Himmel“ (27. März 455).

Und: „Durch die Güte Gottes wurde dieses Werk getan von den Fundamenten an unter Prokopios, unserem frömmsten und heiligsten Bischof“ (November 539). Auf einem Medaillon steht zu lesen: „Durch die Gebete unseres heiligsten Bischofs Karos wurde dieses Werk getan“ (zweite Hälfte des 6. Jahrhunderts). Eine Inschrift gedenkt an „Theodoros den magistrianos“, einen lokalen Steuerbeamten des Hafens. Die „geehrte Mutter Sophronia“ könnte Äbtissin einer Gemeinschaft von Frauen in Aschdod gewesen sein.

Wunderbar ausgeschmückte Kirche

Eine dreischiffige Basilika mit vielen angrenzenden Räumen und Kapellen entsteht im Lauf der Jahre. Dabei bleibt der Marmoraltar mit einem Kreuz in der Mitte der Hauptapsis – als Relief herausgearbeitet – erhalten. Glaslampen erhellen das Gebäude. Der zentrale Raum zeigt auf seinem Fußboden eine sehr schön gestaltete breite Umrahmung aus Efeublättern und gängigen geometrischen Ornamenten des 6. Jahrhunderts.

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Ein Mosaikkünstler hat offenbar auch in römischen Villen gearbeitet und weiß, welche Bilder den Menschen gefallen, zum Beispiel ein Tierkampf. Eine Raubkatze greift ein Kalb an, umgeben von Füllhörnern und Blumen. Ein Vogelkäfig, ein großes Gefäß mit Früchten gefüllt, Pfauen, Löwen, Vögel, ein Reh – jeder Platz gefüllt. Auch die sogenannte Rose von Jericho und ein Kranz, in dem ein Kreuz und die griechischen Buchstaben Alpha und Omega zu sehen sind, werden mit Millionen bunter Steinchen meisterlich zusammengefügt.

Pandemie im ganzen Reich

Überraschenderweise werden die Gräber später erneut genutzt. Eine hoch ansteckende Krankheit zieht um 540 durch das ganze Byzantinische Reich und den spätantiken Mittelmeerraum. Die Pandemie wird die Justinianische Plage genannt und Millionen Menschen sterben daran. Diese Seuche trägt wesentlich zum Niedergang des oströmischen Reiches bei.

In der Kirche von Aschdod werden hastig Dutzende von Personen in den alten Gräbern beigesetzt. Eine Ansammlung von Knochen ist mit Kalk bedeckt, um Verwesungsgeruch und die Weiterverbreitung von Krankheitserregern zu verhindern. Diese Gebeine verbergen die darunter liegenden Ruhestätten. Die Böden werden geöffnet und später behelfsmäßig geschlossen. Mosaikteile liegen verstreut zwischen den Knochen.

Geplündert und vergessen

Ein Erdbeben erschüttert – wie so oft – die Küste am Mittelmeer. Eine ölgefüllte Lampe fällt zu Boden, das Feuer breitet sich, genährt durch Tücher und Holzwerk, schnell aus. Das Ziegeldach stürzt ein. Das wäre eine Möglichkeit, wie das prachtvolle Gebäude zugrunde gerichtet wurde. Vielleicht haben aber auch Soldaten im Lauf der persischen Invasion der Levante unter den Sassaniden um die Jahre 602–628 das Gebäude zerstört. Dies setzt wohl auch der christlichen Gemeinde ein Ende.

Weder Mittel noch Menschenkraft können für einen Wiederaufbau genutzt werden. Die Anwohner erinnern sich an das Gotteshaus, entwenden die kostbaren Marmorteile, Säulen und Mauersteine und verbauen sie an anderen Orten. Vor allem in der Hauptapsis, wo die kostbarsten Funde erwartet werden, fallen Mosaikinschriften und Bilder den Räubern zum Opfer. Alles wird durchwühlt, die eigentliche Grabstätte aber nicht gefunden, denn sie liegt etwas abseits. Über die Jahre bedeckt der Sand das Andenken an die frühe Christengemeinde.

Wiederentdeckung im 3. Jahrtausend

Die moderne Stadt Aschdod breitet sich aus, Einfamilienhäuser reihen sich entlang der Küste. Ein Bagger legt Teile eines Mosaikfußbodens frei und die Antikenbehörde verfügt sofort einen Baustopp. Alexander Fantalkin, der in den Dünen von Aschdod Yam nach Resten der assyrischen Stadt gräbt, bekommt den Auftrag, die Mosaiken zu reinigen und zu begutachten.

2017 schickt er einige Freiwillige mit Bürsten und Eimern hin, um die vermeintlich kleine Kapelle zu untersuchen. Dabei erscheinen griechische Inschriften, die zunächst schwierig einzuordnen sind, denn eine ungewöhnliche Jahreszählung wird verwendet.

Es waren also nicht nur Männer, welche die frühe christliche Geschichte geprägt haben!

Die Sache scheint interessant zu werden. 2019 sind mein Sohn und ich als Beteiligte in der Ausgrabung eifrig dabei, mit unseren Spachteln die dicke Brandschicht zu entfernen und haufenweise Ziegel zu sammeln. Die Bilder und viele weitere Inschriften kommen ans Licht, darunter die Namen von Diakoninnen. Es ist faszinierend, dem Leben von Theodosia oder Gregoria nachzusinnen. Es waren also nicht nur Männer, welche die frühe christliche Geschichte geprägt haben!

2021 ergeben sich viele weitere Einsichten, aber auch Fragen. Aufschlussreich wäre eine Untersuchung der DNA in den kalkbedeckten Knochen. Lässt sich das Pathogen der Justinianischen Plage – Yersinia pestis – nachweisen? Welche Bedeutung für die Kirchengeschichte ergibt sich durch die Namen von führenden Frauen?

Lebendiges Zeugnis

Im Juli 2021 findet auf der Grabungsstelle ein Gottesdienst mit orthodoxen Geistlichen im Gedenken an die frühen Christen statt. Der Patriarch von Jerusalem, Theophilos III, bittet die israelischen Behörden, die Reste der Kirche zu schützen und zu erhalten, damit sie für die Wissenschaft und für Pilger zugänglich sind. Dadurch soll „ein lebendiges Zeugnis der Geschichte dieser antiken Stadt erhalten bleiben und ein friedliches Miteinander, Toleranz und gegenseitiger Respekt gefördert werden“.

In der Zwischenzeit bedeckt wieder Sand Gräber und Mosaiken, damit sie vor Wetter und Vandalismus geschützt sind, bis die Zeugnisse des Christentums der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können.

Hanna Klenk hat einen Masterabschluss in der Archäologie Vorderasiens und des Mittelmeerraums.

Hintergründe:

Diakoninnen in der Alten Kirche

Die Aufgaben einer Diakonin in der Alten Kirche sahen – je nach Zeit und Ort – unterschiedlich aus. Eine Diakonin konnte per Handauflegung ordiniert werden. Oft war sie zu Ehelosigkeit und Keuschheit verpflichtet, es gab aber auch andere Modelle. Krankenbesuche sowie Taufvorbereitung und -begleitung von Frauen gehörte zu den wichtigsten Aufgaben. Dazu zählte auch die Unterweisung. Darüber hinaus konnte privates Unterrichten gelegentlich gestattet sein.

Nicht typisch, aber immerhin möglich war das Wirken der hochgebildeten Diakonin Olympias (365-409), die ein Krankenhaus und ein Waisenhaus gründete und sich für Arme einsetzte. Sie stand im Briefwechsel mit mehreren Bischöfen. Der Kirchenlehrer Chrysostomus bescheinigt ihr mächtige Erkenntnis und „die Kraft der Seele eines Philosophen“.

Der aktuelle Forschungsstand

In einer großen Forschungsarbeit hat Ute E. Eisen 1996 zahlreiche Inschriften untersucht, die Auskunft über „Amtsträgerinnen im frühen Christentum“ geben. Es zeigt sich ein sehr vielfältiges Bild und verschiedenste Dienste von Frauen in der Alten Kirche sind nachweisbar. Die Ausgrabung in Aschdod bringt demgegenüber noch einmal neues, wissenschaftlich bisher unveröffentlichtes Material.


Ausgabe 3/22

Dieser Artikel ist in der Zeitschrift Faszination Bibel erschienen. Faszination Bibel ist Teil des SCM Bundes-Verlags, zu dem auch Jesus.de gehört.

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