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Freakstock 2009: „Der Style ist nicht entscheidend“

Seit Mittwoch läuft die fünfzehnte Auflage des christlichen Alternativfestivals Freakstock. Wie für Festivals üblich entsteht für ein paar Tage eine Parallelwelt – eine Seifenblase kultureller Sehnsucht. Die Freaks wollen nicht professionell sein – sondern vor allem sie selbst.

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Donnerstag am späten Nachmittag. Auf der Open-Mic-Bühne sucht ein Bassist nach der Tonart seines Jam-Bruders an der E-Gitarre – lange Zeit vergeblich. Ein paar Wildfremde kochen in der „Volxküche“ Vegetarisches aus Wäschewannen während 50 andere einer Tänzerin zuschauen, die sich in Bewegungsstudien über den Fußboden des Kasernengebäudes robbt.

All das ist das Freakstock.

Manches wird sich nie ändern. Individueller „Körper- und Kleidungsschmuck“ zum Beispiel, der das Erscheinungsbild des Festivals prägt. Bei genauerem Blick aber sieht man auch eine wachsende Zahl von „Normalos“, die sich von der Unkompliziertheit des Festivals angezogen fühlen. Das das mit dem Wesen des Festivals zu vereinbaren ist, findet auch Martin Hünerhoff, der Pressesprecher der Veranstaltung.

„Der Style ist nicht entscheidend, sondern dass wir uns zusammen über zentrale Fragen des Lebens Gedanken machen können“, sagt er, als er das Kamerateam eines deutschen Privatsenders über das Gelände führt. Er weiß, dass er darum werben muss, auch die Schattierungen zu sehen statt nur die plakativen Bilder wahrzunehmen.

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Die Bewegung wächst an ihren Aufgaben

Das Festival der JesusFreaks geht ins 15. Jahr, und mit ihm die ganze Bewegung. Damit aus der Vielfalt nicht irgendwann Beliebigkeit wird, beschloss das Organisationsteam erst vor drei Jahren, das Festival wieder mehr in den örtlichen Freaks-Gruppen zu verankern und die Basis zu integrieren. „Back to the roots“ hieß das Motto damals. Es sollte wieder mehr um Inhalte gehen, weniger um den Überbau der Veranstaltung. Organisation, Ordnerdienste und andere anfallende Arbeit wird wie selbstverständlich von den Ortsgruppen mitgetragen. Gleiches gilt für die Inhalte des Festivals. So konnte man sich trotz der Festivalgröße gegen eine Kommerzialisierung bewahren – und die Preise auf moderatem Niveau halten.

Zudem galt es über die Jahre einen Demographiewandel zu absolvieren. An die Familien mit Kleinkindern hatte man sich gerade gewöhnt, da spielen die kleinen auch schon Fußball im Konzert der Großen.

„Ich hab so viele Songs aus der Oma-Kiste, und ich hab jetzt hier nix zum Ansprühen“, sagt Andy mit der Gitarre, den sie im Gegensatz zum gepflegten Sprachgebrauch mit einem Namensanglizismus belegt haben. Andy macht Lobpreis in der Turbinenhalle, es ist halb vier, Gottesdienstzeit. Mit „Ansprühen“ meint er „projizieren“, und weil Projektionsmöglichkeiten fehlen, singt der halb gefüllte Raum mit, so gut er kann. Seine Bitte „Segne uns Atzen!“, wird im Raum verstanden, wie sich in den Blicken ablesen lässt. Auch, dass „der Jesus uns wohl getan hat“. Im Raum liegt eine gewisse Müdigkeit, die Tanzwütigen nicht den Hüftschwung raubt. Hängen bleibt die Zeile „Jesus, Du bist nicht tot zu kriegen.“ Mit „Danke, Jesus. Jetzt ist Feierabend!“ verlässt Andy die Bühne nach gut 20 Minuten. Was sind eigentlich „Atzen“?

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Individuell zusammenstellbare Dosis

Etwas später. In der Turbinenhalle schlafen ein paar Hartgesottene – vermutlich Nachtwächter- bei 104 Dezibel Grundrauschen den Schlaf der Gerechten. Gleich nebenan auf dem Fußballfeld verlässt ein Fußball das Tartanspielfeld und verfehlt den mit „Urban Art“ überzogenen VW Bulli nur knapp. Ein Dreijähriger macht indes vor der Mainstage unerwartete Ersterfahrungen mit einer Frisbeescheibe und auf einer Betonfläche zwischen Dorfdisco und Hühnermarkt öffnet eine gutgelaunte Essensgemeinschaft drei Dosen Ravioli.

All das ist das Freakstock mit seiner eigenwilligen Dynamik, die den Charme des Festivals ausmachen. Auch Schwester Alice hat sich von ihm um den Finger wickeln lassen. Mit ihrer Nonnentracht und den rosigen Wangen fällt sie hier auf wie ein Punk im Opernsaal. Als sie von 24/7-Gründer Markus Lägel angefragt wurde, ob sie mit ihm zusammen ein Seminar auf dem Freakstock halten wolle, habe sie gleich zugesagt, erinnert sie sich – auch wenn sie als Selbitzer Schwester so gar nicht ins visuelle Erscheinungsbild des Freakstocks passt.

Nach einem Tag auf dem Festival ist sie „überrascht, wie verständlich gepredigt wird.“ Und davon, wie ähnlich intensiv die Freaks sich nach geistlichem Erleben ausstrecken. Die Unterschiede sind ebenso leicht ausgemacht: Gegenüber ihrem sehr strukturierten und verbindlichen Lebensalltag im Konvent gestalte sich das Campleben eher unverbindlich und individuell zusammenstellbar, beobachtet die Ordensschwester. Im Seminar erzählt sie vor etwa 100 Freaks wie sie sich anfangs gerade gegen die straffe Struktur ihres Alltags aufgelehnt habe und nach einem halben Jahr gedacht habe, sie würde durchdrehen, wenn die Gebetsglocke noch einmal schelle. Bis sie erlebt habe, wie Strukturen das dauerhafte Zusammenleben mit den Schwestern erst ermöglichten.

Meister der Improvisation

„Es geht nicht darum, Dinge zu reglementieren, sondern zu ermöglichen“, sagt Hünerhoff als er darauf angesprochen wird, dass das alles „so improvisiert“ wirke. Tatsächlich ist dieses Festival mit einer gewissen Unübersichtlichkeit gesegnet, die es von anderen Festivals positiv abhebt. Statt Musik und Bierzelt, die auch auf dem Freakstock nicht fehlen dürfen, wird in der Weitläufigkeit des ehemaligen Kasernengeländes deutlich, wie viel mehr die Basis zum Miteinander beizutragen hat. Da wird sich ausprobiert, das Halbgare bejubelt und Mut zugesprochen – kurzum: Da werden Begabungen begossen, Raum zur Persönlichkeitsentwicklung gegeben und am Charakter gefeilt. Gerade für seine Akzentvielfalt wird das Freakstock geliebt.

Es wird Abend. Vor dem ägyptischen Fast-Food-Zelt macht ein zahlender Kunde der Standbelegung mit „Yallah, yallah“ Beine. Im Zelt unweit der Szene zieht sich ein weiblicher Jesus-Freak kurz mal in ihrem Zelt um und verschließt sicherheitshalber doch noch die letzten 50cm Reißverschluss. Beide nehmen wahr, dass gegen das verzerrte Metal-Gewitter aus dem Boxenturm der „Turbinenhalle“ auch keine Ohrenschützer mehr helfen.

All das ist das Freakstock.

„Back to the roots“, ruft uns eine Holländerin zu, die uns aus der Halbdistanz als Presse erkennt und sich nicht lange bitten lässt mitzuplaudern. Das Freakstock sei für sie ein Dorf auf Zeit, unvergleichlich in seiner Atmosphäre. „Hoffentlich wird´s im Himmel auch so relaxed und ‚connected’“, sagt sie und lacht so unbeschwert wie eine, die daran keinen Zweifel hegt. Und im Stillen hofft, dass später auch im Himmel mächtig improvisiert wird.
 

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