- Werbung -

Männer und Frauen – und die Illusion der Augenhöhe

Von wegen Augenhöhe: Zu wenige Frauen finden den Weg in Führungspositionen. Das gilt auch für Kirchen und christliche Werke. Ulrich Eggers ermahnt sich deshalb, männliche Strukturen zur Disposition zu stellen.

Wer mich noch vor fünf Jahren gefragt hätte, ob ich in Sachen „Frauen“ als einer der bis Oktober 2021 verantwortlichen Geschäftsführer der SCM Verlagsgruppe oder als ehrenamtlicher Vorsitzender verschiedener Projekte fair und gerecht unterwegs bin, dem hätte ich wohl ein nachdenkliches, aber letztlich überzeugtes „Ja“ geantwortet. Zumindest ein: „Das will ich gern, das ist mir wichtig!“

Ich sehe die großen Chancen darin für uns alle und will auch als Vater von zwei Töchtern und zwei Söhnen und Opa von einigen Enkelkindern meinen Teil für eine gute Zukunft mit in die Waagschale werfen. Mit diesem Zukunftsthema stehen und fallen gute Ehen, glückliche Kinder, blühende Gemeinden, gelingende Zusammenarbeit in Firmen und Gesellschaft oder Vereinen.

Heute weiß ich, dass ich noch lange nicht zufrieden sein kann. Das Problem reicht tiefer und die Lösung ist viel komplizierter als ich dachte. Eine neue Wirklichkeit zu erobern, ist ein dickes Brett. Jahrhundertelang Gedachtes und Eingeübtes muss neu profiliert werden. Und gerade, wenn es nicht zu einem simplen Pendelschlag kommen soll, ist vieles kompliziert. Frauen statt Männer zu fördern, wäre einfach, ein simpler Pendelschlag. Was kümmert es mich, wie sich Menschen privat organisieren und welchen Organisations-Stress sie sich in ihren Beziehungen zumuten? Wer aber ein wirklich schöpfungsorientiertes biblisches Miteinander auf Augenhöhe will, der muss auch altgewohnte Denkmuster und Strukturen anpassen.

Es geht ganz einfach los: Natürlich möchte man gern Frauen auch in Leitungspositionen hinein fördern. Oft sind das Frauen Anfang/Mitte dreißig, die nach ihrer ersten beruflichen Phase genug Erfahrung haben, um Verantwortung zu übernehmen. Und schon beginnt die Komplexität: In diesem Alter stellt sich sofort die Frage nach anstehenden Schwangerschaften, neu zu besetzenden oder freizuhaltenden Stellen – kurz: Es wird kompliziert! Die erste natürliche Regung als Chef: „Ach, nehmen wir doch lieber einen Mann, der geht nicht gleich wieder!“ Leicht geht anders. Geht gewohnt männlich …

Immer wieder spreche ich mit jungen Frauen in unseren Firmen und wünsche mir, dass sie weiter aufsteigen. Aber beruflicher Aufstieg und ein Acht-Stunden-Tag sind selten zu vereinen. Und genauso sind Familie, Teilzeitmuster und lange Abendsitzungen oder Auswärtstermine schwer zu vereinen. Das macht Organisation mühsam und sorgt – manchmal sogar unbewusst – dafür, dass männliche Vorgesetzte lieber den einfachen Weg einschlagen: gewohnte Strukturen, lange Tage, eher familien-rücksichtslose Verhaltensmuster. Schlecht, aber real. Wenn man das ändern wollte, müsste man die gesamte Struktur ändern wollen: ein Paradigmenwechsel.

Irgendwann sprach ich mit einer unserer leitenden Frauen über diese Muster. „Vielleicht wollen wir ja gar nicht in eure männlichen Formen einsteigen. Wollen nicht diese langen Tage und männlich geprägten Verhaltensmuster. Ihr gebt einfach euer System vor – und wir müssen uns anpassen. Warum?“ Äh, ja, warum eigentlich? Ist das denn alles so gut mit den langen Tagen? Nein, das ist auch für Männer Stress. Aber irgendwie scheint Leitung das vorzugeben. Wollte man das lebbarer machen, müsste man Termine auch für Teilzeit-Arbeitsmuster zugänglich machen und die Strukturen in Richtung einer Koexistenz von Familie, Partnerschaft und Teilzeitmodellen umdenken. Anstrengend! Aufwendig!

Vor allem: aufhaltend, denn wir haben doch so viel zu tun!

Ich muss also auch hier erst mal in den Schuhen der anderen laufen, um überhaupt das Problem richtig zu verstehen. Und mehr noch: Ich muss bisherige männliche Strukturen zur Disposition stellen, wenn ich ein besseres Miteinander von Frauen und Männern fördern möchte. Das gilt analog auch für die Ehrenamts-Mitwirkung in Werken und Gemeinden. Das ist neu – und unbequem.

Und es geht ja weiter: Es reicht dann eben auch nicht, die gewohnten Abläufe als in Beton gegossen vorzugeben – und laut zu trauern: „Wir wollen doch gerne mehr Frauen, aber wir finden ja keine! Die wollen ja gar nicht!“ Heute weiß ich, dass hier und an vielen Stellen die Frage tiefer gehen muss: „Wofür finden wir niemanden? Für die in Beton gegossenen und von Männern vorgegebenen Sitzungsmuster und Startzeiten oder Zeitlängen – oder wirklich für die Aufgabe?“ Ein neues Miteinander – verlangt Miteinander auch in der Gestaltung von Strukturen. …

Mittlerweile habe ich begriffen, dass Wohlwollen allein nicht ausreicht. Bei einem historisch derart belasteten Thema verändert es nicht genug, nur passiv wohlwollend zu sein, ich muss aktiv und tief greifender anpacken. Das heißt für mich vor allem, auf die Stimme von Frauen zu hören, wenn es um gleiche Rechte geht. Wohlwollen ist kein warmes Gefühl allein, es heißt vor allem wollen! Aber was wollen wir aktiv tun, um bisheriges Unrecht zu ändern?

Auszug aus: Daniela Mailänder / Ulrich Eggers (HRSG), „Auf Augenhöhe – Warum Frauen und Männer gemeinsam besser sind. Ein Plädoyer“, SCM R. Brockhaus-Verlag. 18 Autorinnen und Autoren berichten über Erfahrungen weiblich-männlicher Zusammenarbeit.

Thomas Härry: Ehrlich gesagt, ich habe ein Stück Angst, diesen Text zu kommentieren. Nicht weil mich etwas daran stört, nein! Ich kann ihn von Herzen unterstreichen. Aber sich zu diesem Thema zu äußern ist im Moment so sehr kritischen Argusaugen ausgesetzt, dass man fast nur in die Pfütze treten kann. Das Thema ist (wie einige andere auch), so emotional erhitzt, dass ein einigermaßen ruhig geführter Dialog schwierig ist. Und ja, dafür gibt es Gründe: Zu lange lief es nach der Männer Weise. Zu lange fanden das alle gut so und keiner hat gemuckt. Der jahrzehntelange Überdruck entweicht nun dem laut pfeifenden Ventil. Gut und nötig, unbedingt! Aber dadurch eben delikat. Und für mich als Mann irgendwie unpassend, mich jetzt da klug äußern zu wollen. War ich doch selbst einer, der nicht gemuckt hat, als vieles noch viel schiefer stand als heute.

Deshalb nur zwei Beobachtungen aus den letzten Tagen, die in mir nachhallen: Vor kurzem hatte ich mit einer meiner Töchter eine leidenschaftlich geführte Diskussion zum Thema Rassismus, Gender, Frauenrechte. Ich merkte: Für sie hängen diese Dinge zusammen. Am Ende stand sie mit Tränen in der Türe und sagte: „Papa, du hörst mir nicht richtig zu!“ Und ging. Keine Angst, das war nicht der Beginn einer innerfamiliären Katastrophe. Der Sturm hat sich rasch gelegt und wir haben erst gestern wieder leidenschaftlich diskutiert. Ein anderes Thema zwar, aber im Frieden und mit Freude am zivilisierten Streitgespräch…. Nur so viel: Ja, weil das Thema so überhitzt ist, passiert es schnell: Wir hören nicht richtig zu. Oder hinterlassen wenigstens diesen Eindruck. Also: Ich will daran arbeiten.

Eine zweite Beobachtung: Ich spreche mit einer jungen, tollen Frau in einer anspruchsvollen Führungsaufgabe. Sie und ihr Mann teilen sich Job und Familienarbeit. Sie erzählt von den multiplen Herausforderungen inmitten von Job, Corona, Ehe, Kinder, Großeltern, und, und, und. Und sagt schließlich: „Kürzlich sagte mein Mann: ‚Ich würde dieses Modell nicht mehr wählen.‘“. Hmm, denke ich, ist das eine gewachsene Überzeugung oder ist es der vorübergehenden Gefühlslage in einem besonders anspruchsvollen Moment geschuldet? Oder ist es einfach enorm anspruchsvoll, ein solches Ideal zu leben? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: Solche Menschen (sie sind ja ein Stück Pionierinnen und entdeckende Erprober anderer Lebensformen – und Pioniere setzen sich besonderen Risiken aus) brauchen unsere Ermutigung und unser Gebet. Und viel Verständnis und Gnade, wenn (noch nicht) gelingt, was sie anders gestalten wollten als die Menschen vorheriger Generationen.


Der Dialog zwischen Thomas Härry und Ulrich Eggers geht weiter:
www.EggersundHaerry.net

Konnten wir dich inspirieren?

Jesus.de ist gemeinnützig und spendenfinanziert – christlicher, positiver Journalismus für Menschen, die aus dem Glauben leben wollen. Magst du uns helfen, das Angebot finanziell mitzutragen?

Alle Beiträge von
Eggers und Härry
gibt es auch in unserem

BLICKPUNKT-Newsletter

Die spannendsten NEWS, Themen + Medientipps
täglich von Mo. bis Fr.

Wie wir Deine persönlichen Daten schützen, erfährst du in unserer Datenschutzerklärung.
Abmeldung im NL selbst oder per Mail an info@jesus.de

Zuletzt veröffentlicht