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Worship 3.0 – wohin führt der Weg?

Wie geht es weiter mit deutschem Lobpreis? Fragen an zwei „Urgesteine“ der deutschen Worship-Szene, Albert Frey und Arne Kopfermann.

Albert und Arne, die Anbetungs- und Lobpreis-Musik ist stark angelsächsisch geprägt. Ihre Kennzeichen sind: starke Ich-Bezogenheit und Subjektivität, unmittelbares persönliches, überwiegend positives Erleben und, einfach gesprochen, die Verwirklichung von Superlativen: höher-schneller-weiter-gesegnet.

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Wie können wir als Deutsche unsere eigenen Traditionen mit der ich-orientierten Emotionalität des angelsächsischen Worship verbinden?

Albert Frey: Ja, die Worship-Bewegung ist theologisch und kulturell einseitig. Das will ich kurz erklären. Am Anfang eines Weges und zu bestimmten Zeiten ist Einseitigkeit, ja Übertreibung, für mich legitim. Dies erleben wir zum Beispiel im „Gloria“ – hier wird der Blick auf Gott gerichtet: tu solus altissimus! Also, du allein bist der Höchste. Dauerhaft dabei stehenzubleiben und ohne andere Blickwinkel ist das auf lange Sicht jedoch ungesund.

Deshalb müssen zur inhaltlichen Betonung der Anbetung und der Vaterliebe Gottes andere Dinge dazukommen: die Schöpfungsspiritualität, der Dank für Konkretes, der „menschliche“ Jesus – er leidet mit uns mit, ist mit uns solidarisch – und die Botschaft Jesu, also die Herausforderungen an uns in der Bergpredigt. Dazu der Heilige Geist als weitere Person und wirksame Kraft der Trinität, die mütterliche Seite Gottes, die Klage und der Zweifel, die Nächstenliebe und die (Welt-)Verantwortung.

Etwas fehlt emotional-musikalisch

Emotional-musikalisch fehlen der Lobpreis-Szene momentan weitgehend Lebensfreude, Melancholie, Dramatik und Zorn über Ungerechtigkeit. Manche Worshipper werden durch hohe Ziele und steile Aussagen nach oben gezogen, eine Diskrepanz zur erlebten Wirklichkeit motiviert sie – für andere wirken sie dagegen unehrlich, frustrierend und ziehen damit nach unten. Wir müssen diese zweite Gruppe von Menschen ernst nehmen und im Blick haben.

Steile und übertriebene Aussagen sind in der amerikanischen Kultur üblich und werden nicht so ernst genommen, wie in der mitteleuropäischen. „I love you“ geht viel leichter über die Lippen als „Ich liebe dich“. Beim Übersetzen müssen wir „vorsichtiger“ formulieren, um dem Original gerecht zu werden. Bei eigenem deutschsprachigen Songwriting dürfen und sollten wir Kontrapunkte setzen.

Eine stärkere Betonung auf „Ich“ entspricht der Entwicklung der Individualisierung unserer Zeit und ist nicht grundsätzlich schlecht. Ein Zurück zum „Gemeinsam“ und „Zusammen“ früherer Zeiten ist nicht immer möglich. Wir sollten jedoch immer ein allzu selbstbezogenes „Ich“ – „Mein Gott ist größer“ – von einem authentisch-persönlichen Glauben unterscheiden. Ein ausreichender Anteil an „Wir“-Liedern bleibt aus meiner Sicht wichtig.

Komplexe Inhalte werden vielfach vereinfacht oder geschönt

Arne Kopfermann

Arne Kopfermann: Für mich kommt es in beiden Disziplinen auf einen ausgewogenen Mix an. Theologisch durchdachte Predigten brauchen nicht nur didaktische Qualität, sondern auch Veranschaulichung, Bilderreichtum, Lebensnähe, eine Prise Humor und Selbstoffenbarung des Predigers, um nicht als dröge oder verkopft wahrgenommen zu werden. Worship-Songs brauchen einen guten Mix aus „I just called to say I love You” und inhaltlich differenzierteren Aussagen. Theologie enthalten sie alle, nur ist die Wortwahl oft schlicht und redundant. Komplexe Inhalte werden vielfach vereinfacht oder geschönt und damit Schlager im Sinne von emotional überzeichneter Realität.

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Da Worship aber psychologisch als Gegenpol zur Wortverkündigung verstanden wird, ist es gar nicht so leicht, in der Breite der Lobpreisbegeisterten überhaupt ein Verständnis für die Notwendigkeit einer größeren inhaltlichen Breite zu schaffen. Oft sind es erst die Brüche des Lebens, die dafür die Bereitschaft wecken.

Müssen wir nach einer „naiven“ und einer nachfolgend kritisch reflektierten bis distanzierten Phase zu einer neuen Liedkultur kommen, in der spontane Empfindungen und vorbehaltloses Vertrauen in Gott mit der Spannung von Krisen versöhnt werden können?

Albert: Ja, die drei Phasen können uns als Orientierung dienen. Dem Übergewicht von Liedern der ersten, naiven Phase (Das goldene Licht, Sonne, himmlische Perspektive) sollten wir nicht nur „versöhnte“ Sowohl-als-auch-Lieder der dritten Phase (Gold und Silber) gegenüberstellen, sondern auch bewusst Lieder finden für eine zweite, kritische, zweifelnde, klagende Phase, die nicht immer gleich Lösungen anbietet (das ausbleibende Licht, Mond, irdische Perspektive).

Arne: Ja, das müssen wir unbedingt. Und in diesem Prozess des „Erwachsenwerdens“ befindet sich die deutsche Lobpreislandschaft auch schon seit geraumer Zeit. Was diesen Prozess aber erschwert, ist die schier unerschöpfliche Zahl neuer Worship-Songs, die jedes Jahr über YouTube und andere Streaming-Dienste zu uns stoßen. Für den Lobpreisverantwortlichen wird es immer schwerer, aus diesem unübersichtlichen Liederpool die für seine Gemeinde relevanten Songs herauszuziehen.

Erschwerend kommt hinzu, dass die wenigsten Gemeindemusik-Verantwortlichen für diese Aufgabe angestellt sind, im besten Falle mit zusätzlicher theologischer Qualifikation. Entsprechend stehen zumeist weniger inhaltliche Kriterien bei der Liedauswahl im Vordergrund, sondern eher musikalische Präferenzen und eigene Prägung. Wer den Überblick über das Songangebot nicht mehr hat, ist oft versucht, seine Auswahl an Klickzahlen festzumachen.

Kopfermann: Es braucht Gegenentwürfe von Lobpreiskultur

Und hier gilt: Die Protagonisten der weltweiten Worship-Bewegung sind allesamt pfingstlerisch-charismatisch geprägt, oft relativ extrem in den geistlichen Leitsätzen der Verkündigung. Das macht sich ganz klar auch in der gesungenen Theologie ihrer Lieder bemerkbar. Es braucht aus meiner Sicht deshalb charismatische, evangelikale oder mystisch geprägte Gegenentwürfe von Lobpreiskultur, für die wachsende Modellgemeinden stehen und damit Nachahmer finden.

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Dazu kommt dann zumindest international noch der aus der säkularen Welt übernommene Jugendwahn auch der christlichen Musikindustrie. Wenn die Vorzeige-Musikerinnen und -Musiker hervorragend singende, blendend aussehende, „White Middleclass People“ geprägte, maximal 25- bis 35-Jährige sind, kann man nicht zwingend davon ausgehen, dass geballte Lebenserfahrung die Inhalte prägen wird.

Wir brauchen eine viel größere Bandbreite von Emotionen und theologischen Aussagen.

Albert Frey

Können die gängigen Lobpreis-Songs zu einer Oberflächlichkeit des Glaubens führen? Wird in den Texten durch fortwährende Wiederholung der gleichen Aussagen nicht manches einfach „wegretuschiert“? Wer darf und soll mitsingen? Die Glücklichen und Unbeschwerten im Glauben, die gerade nicht im „finsteren Tal“ sind? Oder wirklich alle – unabhängig von ihrer persönlichen Lebenssituation?

Albert: Wir brauchen eine viel größere Bandbreite von Emotionen und theologischen Aussagen. Wiederholungen und Vereinfachungen sind emotional und künstlerisch wichtig und wertvoll und dürfen nicht einem einzelnen Lied angelastet werden Bei der Liedauswahl haben wir jedoch die Verantwortung, nicht einseitig auf bestimmte Wiederholungen zu setzen.

Arne: Wir müssen einerseits den unterschiedlichen Generationen im Glauben zugestehen, dass sie unterschiedliche Bedürfnisse haben. Das gilt in Bezug auf ihr Problembewusstsein und die Komplexität des Lebens und des Glaubens. Gott und der Glaube als heilsame Zuflucht und damit auch ein Stück Utopie oder „zu“ heile Welt inmitten von viel Trostlosigkeit ist ein nicht zu unterschätzender Faktor in der Attraktivität von Gemeinden. Gerade für Laien-Christen.

Aber Menschen in unserer Zeit suchen die Balance zwischen Leidenschaft, auch in der gelebten Spiritualität, und Authentizität. „What you see is what you get“. Wo diese Schere zu weit auseinandergeht, kommt es fast zwingend irgendwann zu Brüchen.

Wir haben uns als christliche Lobpreis-Songschreiber schuldig gemacht, den Menschen nicht genügend Lieder für die schwierigen Zeiten des Glaubenslebens „geliehen“ zu haben. Wer für solche Zeiten keine oder nicht ausreichend Songtexte hat, kann Gott gegenüber sprachlos werden. Und Sprachlosigkeit führt immer zu Beziehungsverlust, das ist im Glauben nicht anders als in den Beziehungen in unserem Leben.

Wie können Komponisten, die oft auch als Texter auftreten, tiefe persönliche Glaubenserfahrungen theologisch-geistlich verantwortlich umsetzen, um so aus einer individuellen Erfahrung ein segensreiches Erlebnis für viele zu machen?

Albert: Das ist ein wichtiges Thema, weil viel Songwriterinnen und Songwriter nicht fragen, was die Gemeinde als Ergänzung zum bestehenden Repertoire brauchen könnte, sondern – manchmal vielleicht auch zurecht – zuerst danach fragen, was authentisch aus ihrem Erleben herauskommt.

Nur durch eine geduldige Erweiterung von Theologie und Kultur können wir eine inspirierende Atmosphäre schaffen, die andere Themen hervorbringt. Zu absichtsvolles Songwriting „am grünen Tisch“ hat in der Regel nicht die emotionale Kraft, die ein Pop/Worship-Song braucht.

Arne: Mit Mut zur Ehrlichkeit, dem Vermeiden von Klischees und Textplatzhaltern, vielen tausend Stunden harter Arbeit, Liebe zur Poesie, der Kraft von Bildsprache und dem Blick über den eigenen geistlichen Tellerrand. Mit Liebe zum Mysterium des Glaubens und dem festen Vorhaben, einen großen Bogen um Schwarz-Weiß-Sätze, Verallgemeinerungen und Superlative zu machen, die der eigenen Christus-Nachfolge nicht gerecht werden.

„Das Kyrie kann von Klage über Buße bis zur Fürbitte helfen, das Negative angemessen vor Gott zu bringen.“

Albert Frey

Wäre eine geplante Integration der Musik in die gottesdienstliche Liturgie hilfreich? Welche neuen Liedkategorien braucht es dafür?

Albert: Die Liturgie, insbesondere die Ordinarien [die in jedem Gottesdienst gleichbleibenden Texte; Anm. d. Red.] der Messliturgie – Kyrie, Gloria, Credo, Sanctus, Agnus Dei – können uns als wertvolle Orientierung und Korrektiv dienen. Hauptsächlich das Kyrie („Herr, erbarme dich“), das in der Tradition der Liturgie vor dem „Gloria“ steht, in der Worship-Bewegung jedoch gerne „übersprungen“ wird. Das Kyrie kann von Klage über Buße bis zur Fürbitte helfen, das Negative angemessen vor Gott zu bringen.

Gloria, also kraftvoller Lobpreis, und Sanctus, die ehrfürchtige Anbetung, sind jedoch auch eine Bestätigung für die Stärke von modernem Worship, die anderer moderner geistlicher Musik manchmal fehlen. Liturgische Gottesdienste können deshalb auch von der Worship-Bewegung profitieren – durch Vertiefung und emotionale Verstärkung in Liedblöcken, im Mut zur Spontanität oder auch Einseitigkeit in einem Gottesdienst.

Arne: Würden insbesondere mehr Freikirchen und auch aufstrebende Start-Up-Churches den Wert einer modernen Liturgie in ihre Veranstaltungsentwürfe integrieren, dann könnte ein heilsamer Gegenakzent zu der vielfach vorherrschenden textlichen Monokultur des gottesdienstlichen Liedgutes vorangetrieben werden.

Leider ist Liturgie in freikirchlichen Kreisen ein oft sehr negativ besetzter Begriff für sprachlich altmodisch und aus der Zeit gefallen. Den wenigsten ist vermutlich bewusst, dass ausnahmslos jede Gemeinde einer Gottesdienst-Liturgie folgt, einer offensichtlichen oder unterschwelligen Reihenfolge, und sei es nur in dem Versuch, eine wiederkehrende Ordnung zu vermeiden.

Danke für das Gespräch.

Die Fragen stellte Angelika Eckstein


Diese Themen und viele andere musikalische, persönliche und seelsorgerliche Inputs sind live zu erleben mit Albert Frey, Arne Kopfermann und vielen anderen Musikerinnen und Musikern der christlichen Musikszene beim CREATE-FESTIVAL vom 21. – 23. Februar 2023 in Schwäbisch Gmünd, Schönblick.

Weitere Informationen und Anmeldung hier: www.schoenblick.de/create

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2 Kommentare

  1. „Wie können wir als Deutsche unsere eigenen Traditionen mit der ich-orientierten Emotionalität des angelsächsischen Worship verbinden?“

    Mir wird schon bei dieser Fragestellung schlecht! Unsere Traditionen als Deutsche vs. Deine Ich-Orientierung als Angelsachse – geht’s noch?

    Das erinnert mich an: Wir Afrikaner mit unserer „straighten“ Sexualität vs. Ihr Westler mit euren Perversionen.

    So ein Mist aber auch, dass es immer die anderen sind, die alles kaputt machen!

    Aber warum ist dieser angebliche Export/Import denn überhaupt möglich? Doch wohl darum, weil Deutschland bereits davor voll war mit krankhafter Ich-Bezogenheit!

    Im Gegenteil: Wer sich die Mühe macht, findet im angelsächsischen Songwriting durchaus mehr als nur Emotionalität – insbesondere im UK-Songwriting oder Vineyard-Songwriting. Die Heilung ist dort also immerhin ebenfalls vorhanden.

    Deutschsprachige Songwriter sollten sich mit Kritik zurückhalten und erst einmal selbst mehr zu Nächstenliebe und (Welt-)Verantwortung liefern! Und zwar – wie richtig gesagt wurde – NICHT „am grünen Tisch“ und dadurch ohne emotionale Kraft.

    Da stecken wir immer noch in den Anfängen, während „die andern“ da schon weiter sind!

  2. Naja, das war jetzt ein eher intellektueller Exkurs über Lobpreis. Fakt ist man kann dieses Thema nicht trennen von der allgemeinen geistlichen Beschaffenheit in den Gemeinden. Die ist überwiegend gedämpft und nüchtern auf der einen Seite, dann aber oftmals seelisch und überbordend bei den Charismatikern. Da wünscht man sich eine Annäherung, das würde beiden Seiten guttun ! Entscheidend ist letztlich, was wird in den Gemeinden gesungen? Welche Musik setzt sich durch. Da befürchte ich, dass gegen Hillsong und Bethel kein Kraut gewachsen ist.
    Aber natürlich, auch von dort kommt vernünftiges rüber, man darf aber auch die eine oder andere Songpassage theologisch hinterfragen.
    Wichtig ist, dass Lobpreis nicht zu Entertainment verkommt, das betrifft dann eher die Performance. Da wünsch ich mir schon eine Abgrenzung von den Amis ! Mein Resümee, weniger Dichtkunst, mehr Wort Gottes, weniger Fleisch, mehr hl Geist !

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