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„Wir brauchen eine spirituelle Revolution“: Tomáš Halík im Gespräch (Teil 2)

In Teil zwei des Gesprächs mit dem Kirchenmagazin 3E erklärt der Religionsphilosoph Tomáš Halík, warum Christen mehr Stille brauchen und weshalb er eine spirituelle Revolution für nötig hält.

3E: In Ihrem neuen Buch beschreiben Sie, dass Gott den Menschen in der Stille und in der Verborgenheit begegnet. Wo haben Sie diese Art der Begegnung schon einmal erlebt?

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Halík: Ich habe sie eben nicht bemerkt, weil ich nicht still war. (lacht) Im Ernst: Ich erlebe Gott gerade im Dienst an den Menschen, beim Hinhören auf die Nöte. Im Schweigen bekomme ich Inspiration, eine Idee aus der Tiefe. Ich bin ein schlichtes Instrument in der Hand Gottes und bin am meisten beglückt, wenn Menschen Wochen später nach der Beichte kommen und sagen: „Sie haben mir Wichtiges, Wesentliches, Wegweisendes gesagt!“ Und ich denke: „Obwohl ich fast nichts gesagt habe!“ Ich wurde von Gott benutzt, ohne es zu wissen.

Wieso braucht das Christentum heute mehr Stille?

Die Kraft Gottes liegt darin verborgen. Ohne eine Kultur des geistlichen Lebens haben wir Christen nichts zu geben. Erst durch die Meditation können wir Suchenden etwas anbieten. Das Lebendige gewinnt in der Stille an Kraft. An der Oberfläche ist keine Hilfe.

Müsste Kirche Ihrer Überzeugung nach da nicht mehr eine hörende Kirche werden?

(leidenschaftlich) Ja, unbedingt! Wir brauchen wieder den Mut zu mehr geistlichem Leben und eine Kirche, die still ist und auf Gott hört!

Die Kirche steckt derzeit in einer großen Krise. Wie schätzen Sie die Situation ein und welchen Rat haben Sie?

Wir stehen vor einer neuen Reformation. Strukturelle Reformen sind nötig, aber diese retten sie nicht. Was wir brauchen, ist eine spirituelle Revolution. Wir brauchen eine ‚Methanoia‘ (Sinnesänderung oder Buße). Wir sollten keine Gegenkultur aufbauen, sondern die Zeichen der Zeit durchmeditieren. In unserer Kultur stecken schon die Antworten auf die Fragen der Menschen. Es gilt, einen Weg zu finden zwischen dem Fundamentalismus, d. h. der Ghettoisierung der Kirche, und der unkritischen Anpassung der Kirche. Dies ist zugegeben ein schwieriger und schmaler Weg, aber es ist der Königsweg.

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Tomáš Halík
Tomáš Halík (Foto: Kirchenmagazin 3E / Ulrich Mang)

Was macht für Sie einen guten Gottesdienst aus?

Er darf nicht einem anonymen Theaterbesuch gleichen. Ein guter Gottesdienst muss eine Gemeinschaft zwischen den Menschen schaffen. Er muss offen sein und einen Raum bieten auch für die, die nur ein bisschen schauen wollen. Hinzu kommt, dass er auch ein Gefühl von Heiligkeit atmen sollte. Gute Gottesdienste sollten eine lebendige Liturgie und eine mystische Tiefe atmen.

Welchen Stellenwert hat da die Predigt?

Sie muss eine Brücke sein von den biblischen Texten zu den Erfahrungen der Menschen. Wir brauchen eine Hermeneutik, ein bisschen Redekunst und Alltagsnähe. Die Evangelisation muss eine Inkulturation sein. In der tschechischen Kirche werden auch polnische Priester eingestellt. Zuvor müssen diese allerdings tschechische Literatur gelesen und Filme gesehen haben. Evangelisation funktioniert nicht nur im amerikanischen Stil von „Sind Sie gerettet?“, sondern gerade durch Berücksichtigung der jeweiligen Eigenart der Kultur, in die das Christentum vermittelt wird. Es gilt, die Fragen der Zuhörer zu kennen, zu denken, auszuhalten. Und ich empfehle eine Prise Humor!

Ohne Humor bleibt alles sehr verdächtig

Wie kann Humor weiterhelfen?

Ohne Humor bleibt alles sehr verdächtig. Ich war zu einer Sitzung im Vatikan. Neben mir saß ein indischer Priester. Der sagte zu mir: „Schau mal, der Kardinal dort. Mit dem bin ich jetzt schon vier Tage zusammen und der hat noch nie gelacht. Das ist ein gefährlicher Mann!“ (lacht) Humor ist ein gutes Signal für geistliche Gesundheit.

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Welche Bedeutung hat Wahrheit in der Predigt?

(lacht) Auf die Frage des Pilatus „Was ist Wahrheit?“ hat Jesus keine Antwort, keine Theorie, keine Definition gegeben. Jesus selbst war die Wahrheit. Wahrheit, die von Weg und Leben getrennt ist, ist keine Wahrheit. Wahrheit ist immer etwas Dynamisches, ist Leben, ist Unterwegssein und Veränderung.

Eines Ihrer Bücher trägt den Titel „Berühre die Wunden“. Weshalb ist es nötig, dass die Kirche die Wunden der Menschen berührt?

In den Wunden berühren wir die Nacktheit und Unmittelbarkeit Gottes. Ich war zu Besuch in der indischen Stadt Madras. Der Legende nach ist dort der Apostel Thomas beerdigt worden. Morgens habe ich über die Wunden Christi gepredigt. Nachmittags besuchte ich ein Waisenheim. Das war schrecklich. Und mich durchfuhr es: Dies sind die Wunden Christi im Heute. Wenn wir diese Wunden Christi in der Welt nicht wahrnehmen, haben wir kein Recht, mit Thomas zu sagen: „Mein Herr und mein Gott!“

Einem Jesus, einer Kirche und einem Glauben ohne Wunden kann man nicht glauben.

Die Wunden sind also charakteristisch für Kirche?

(leidenschaftlich) Ja! Einem Jesus, einer Kirche und einem Glauben ohne Wunden kann man nicht glauben. Der Auferstandene legitimiert sich durch seine Wunden. Von daher: Wir sollten die Augen vor den Wunden dieser Welt nicht verschließen, weil es Jesu Wunden sind. Und Kirche muss inmitten der Krankheiten der Welt ein Feldlazarett sein.

Wie können wir sprachfähiger über den Glauben werden?

Wir müssen den Kern des Evangeliums, die Barmherzigkeit neu entdecken, indem wir die Bibel aufschlagen. Diese Erkenntnis bereichert und befähigt unser Reden! Und: Glauben ist ein Angebot, ein Voneinander-Lernen.

Sie plädieren für ein Miteinander der Religionen. Welche Aufgaben können nur gemeinsam angegangen werden?

Es gibt fruchtbare Begegnungen zwischen den Glaubenden aus verschiedenen Religionen. Sie helfen uns, nicht in den Fundamentalismus oder eine Politisierung abzurutschen. In unserer Welt besteht nämlich die große Gefahr, Religion als ein Instrument für eine politische Ideologie zu missbrauchen. Begegnungen und Allianzen zwischen spirituellen Menschen in den Religionen entziehen dem Hass die Nahrung. Auch wenn die Skeptiker jetzt den Kopf schütteln: Es gilt, das friedliche und heilende Potenzial der Religionen zusammen zu entwickeln.

Vielen Dank!


Die Fragen stellte Ulrich Mang, Redaktionsmitglied der Zeitschrift 3E. Mit seiner Familie lebt er in Halle/Saale.

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