- Werbung -

„Kirche hoch zwei“: Die Leute nicht in die Gemeinde einladen

2.500 wollten sich anmelden – nur 1.350 haben eine Karte ergattert: Der Kongress "Kirche hoch zwei" im Convention Center der Messe Hannover ist der bisherige Höhepunkt einer außergewöhnlichen ökumenischen Zusammenarbeit. Das Bistum Hildesheim und die Evangelische Landeskirche Hannovers suchen gemeinsam nach frischen Ausdrucksformen von Kirche, unterstützt von den beiden anglikanischen Bischöfen Garahm Cray und Nicholas Baines.

- Werbung -

Die Kirche von England hat bereits seit vielen Jahren Erfahrung im Gemeindeaufbau jenseits klassischer Parochiemodelle. In 2.000 Projektgemeinden, von der Cafékirche über Hauskreisgemeinden bis hin zur Wuselkirche für junge Familien, haben über 60.000 Menschen eine Heimat gefunden. Dabei sind die "Fresh Expressions", wie das Projekt auf englisch heißt, "keine neuen Kirchen für gelangweilte Christen", wie Bischof Cray klar stellt. Die neuen Gemeinden, meist von kleinen, ehrenamtlichen Teams gegründet, wollen ausschließlich Menschen erreichen, die bisher nicht zu einer Kirche gehören. Da es in England keine formellen Kirchenmitgliedschaften wie in Deutschland gibt, ist das gleichbedeutend mit Menschen, die mit Gemeinde keinen Kontakt haben.

Niemanden mehr zu Kirche einladen

Die anglikanische Kirche hat in diesem Prozess drei Lernschritte hinter sich, berichtet Bischof Baines im Plenum: Früher wartete man, bis die Menschen in die Kirche kamen. Dann ging man hinaus, um die Menschen zur Kirche einzuladen. Heute hätten sie verstanden, so Baines, dass sie hinausgehen müssten, um dort mit den Menschen Kirche zu sein. Dabei gibt es ein spannendes Miteinander zwischen neuen und alten Gemeindeformen. Beide existieren friedlich nebeneinander – allerdings auch, weil die traditionellen Gemeinden hoffnungslos überaltert seien, räumt der Bischof ein. Der einstimmige Beschluss, mit dem das Kirchenparlament 2004 das Projekt beschloss und später erneut bestätigte, ist deshalb wohl wirklich als Wunder zu werten.

Kettensägen und Volksmusik

- Werbung -

Wenig später strömen die Teilnehmer in die Seminare. In einem Raum liegt eine Kettensäge auf dem Boden. Die signalisiert mir: Hier sind Männer angesagt. Peter Kolberg, der Verantwortliche für die Männerarbeit in der Ev.-lutherischen Landeskirche Hannovers will sich nicht damit abfinden, dass Männer und Kirche auf den ersten Blick nicht kompatibel sind. Er berichtet von einer  „Männergruppe für geistliche Vertiefung im Alltag“ und einer Schwedenwoche mit Angeln, Joggen, Kanu fahren und Elch suchen. Sein Credo: Männer sind sehr wohl mit Bibelworten und praktischem Glauben zu erreichen. Kirchen müssen nur sensibel sein für suchende Männer, die sich öfters bei ihm melden mit den Worten: „Ich muss mal was für mich tun“.

Einen Raum weiter geht es um Musik. Die Milieugruppe der "geselligen Kirchgänger" erwartet von Gottesdiensten eine lockere Atmosphäre, ansprechende Musik und nichts, was traditionell oder unverständlich ist. Neben ihnen gibt es laut einer Studie noch die Hochkulturellen, die Bodenständigen, die Mobilen, die Kritischen und die Zurückgezogenen. Sie alle haben etwas gemeinsam: Sie erwarten eine bestimmte Musikrichtung im Gottesdienst. Der eine steht auf Pop, der andere bevorzugt Klassisches, der dritte möchte zumindest keine Volksmusik erleben. Harald Schroeter-Wittke hebt eines besonders hervor: „Milieustudien zeigen, dass man nicht allen Gruppen gerecht werden kann.“ Was man aber kann: Vielfalt fördern und die Grenzen zwischen den Milieus offen halten. In puncto Musik scheint das auch ganz gut zu funktionieren. Eine weitere Studie hat ermittelt, dass Menschen in den Gottesdiensten gerne singen. Und dass sie sich bewusst sind, dass nicht nur ihr Musikgeschmack zählt. Geht doch.

Dusche für’s Leben

"Machen Sie sich keine Sorgen – das darf auch scheitern!" bekam Pfarrer Jürgen Maubach von seinem Bischof zu hören – und war dankbar für den Freiraum, den dieser Satz schuf. Er leitet die katholische Projektgemeinden "Zeitfenster Aachen", die sich bemüht "langsam und gabenorientiert zu wachsen". Nach Scheitern sieht das Projekt indes gar nicht aus: Neben sonntäglichen Gottesdiensten im kleinen Rahmen gibt es regelmäßig große "Gott.Zeit.Dank"-Gottesdienste mit einem Gospelchor, stille Events ("Haltestelle") mit Künstlern und Musikern oder 40-Tage Experimente zur Fastenzeit. Immer dabei: Ausschank und gemütliches Beisammensein nach den Programmen. "Ach, so kann Kirche auch sein?" ist die regelmäßige Reaktion. Trotzdem treten die Leute nicht eine Woche später in die Gemeinde ein. "So ein Prozess braucht Zeit, meist Jahre" weiß Maubach. Aber kürzlich konnten sie sogar die ersten Erwachsenen taufen – eine "Dusche fürs Leben", wie das in Aachen heißt.

- Werbung -

Nach fast einem ganzen Tag sind viele der Teilnehmer geschafft, aber glücklich. Ökumene hat in Hannover eine neue Qualität gewonnen. Weg von der Theorie, hin zu den konkreten Fragen der Gemeinden vor Ort. Das ist sicher auch das Besondere an "Kirche hoch zwei": Kein buntes Geblinke, keine Luxusprobleme fern der Realität einer kleinen Gemeinde. Hier sind die Praktiker beisammen und lernen voneinander, hier werden einheimische Modelle vorgestellt, die im kirchenlichen Kontext funktionieren und ihre Herausforderungen haben. Und das über Konfessionsgrenzen hinweg. Das große Interesse am Kongress zeigt: Hier ist Kirche auf dem richtigen Weg.

Konnten wir dich inspirieren?

Jesus.de ist gemeinnützig und spendenfinanziert – christlicher, positiver Journalismus für Menschen, die aus dem Glauben leben wollen. Magst du uns helfen, das Angebot finanziell mitzutragen?

NEWSLETTER

BLICKPUNKT - unser Tagesrückblick
täglich von Mo. bis Fr.

Wie wir Deine persönlichen Daten schützen, erfährst du in unserer Datenschutzerklärung.
Abmeldung im NL selbst oder per Mail an info@jesus.de

Zuletzt veröffentlicht