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Edith Stein: Von der Atheistin zur Christin

Auf der Suche nach der Wahrheit geht die Jüdin Edith Stein einen weiten Weg, der über eine atheistische Philosophie führt und auf dem sie schließlich Jesus Christus begegnet. Am 9. August 1942 wird sie von den Nazis in Auschwitz ermordet.

Von Hans Steinacker

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Edith Stein wird am 12. Oktober 1891, dem Versöhnungstag Jom Kippur, als jüngstes von elf Kindern in Breslau geboren. Eine gelebte jüdische Tradition bestimmt den Familienalltag. Die tüchtige Mutter ist Mittelpunkt der großen Familie. Mit Gottvertrauen und Erfolg kümmert sie sich um den verschuldeten Holzhandel ihres früh verstorbenen Mannes. Bereits als 15-Jährige empfindet sich die sensible, lernbegierige Edith als Atheistin. Sie weiß schon vieles, als sie mit 20 Jahren das Abitur mit glänzender Note ablegt. Aber die Existenz eines im Leben des Menschen wirkenden Gottes kann sie nicht nachvollziehen.

Psychologie ohne Seele

Der Weg ist frei – damals nur für äußerst begabte Frauen – für den Beginn einer wissenschaftlichen Karriere an der Universität ihrer Heimatstadt. In der Psychologie sieht sie den Sinnzusammenhang des Menschseins: Die Seele als Mitte der Person und die Experimentalpsychologie als Schritt zur Wahrheit: Wer bin ich eigentlich? Was ist meine Bestimmung? Sie hört namhafte Professoren und ist tief enttäuscht, einer naturwissenschaftlichen Lehrmethode zu begegnen. Meint doch der Psychoanalytiker Sigmund Freud: Es gibt keine Seele!

Ein Buch eröffnet Edith Stein neue Perspektiven, wie Bücher überhaupt in ihrem Leben entscheidende Wegweiser und Weichensteller sind. Es ist von 1900 und heißt „Die logischen Untersuchungen“. Der weltbekannte Autor Edmund Husserl (1859-1938) versucht darin eine Neubegründung der Philosophie als strenge Wissenschaft. Sie steht im Gegensatz zum vorherrschenden Positivismus, der alles Übersinnliche, Übernatürliche ausschließt, ja, selbst ein Religionsersatz sein will. Mit Hilfe seiner sogenannten Phänomenologie hat Husserl ein Denkmodell entwickelt, das entscheidend die Philosophie des 20. Jahrhunderts, also zum Beispiel Martin Heidegger und Jean-Paul Sartre, aber auch Psychiatrie und Theologie prägt.

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Edith Stein ist von Edmund Husserls Denkansatz angetan und schreibt sich 1913 in Göttingen als seine Philosophiestudentin ein. Sie wird später sogar seine langjährige Assistentin und beginnt eine Doktorarbeit, die sie mit dem besten Prädikat abschließt: „summa cum laude“. Die hübsche, kontaktfreudige Studentin ist sehr beliebt. Es ist eine Zeit sorgloser Ungezwungenheit, gepaart mit Entdeckerfreuden in Natur und Umwelt.

Das Wesen des Heiligen

Zur gleichen Zeit beginnt Edmund Husserl neue Gedanken zu entwickeln. Es scheint, als wolle er zum Idealismus zurückkehren. Sein Frühwerk hatte Edith Stein dadurch beeindruckt, dass es eine radikale Abkehr vom kritischen Idealismus Immanuel Kants darstellt. Eine Entwicklung zurück ist für sie nicht tragbar.

In dieser Zeit hält der Phänomenologe Max Scheler, ein zum katholischen Glauben konvertierter Jude, Abendvorträge über religiöse Fragen, unter anderem über das Wesen des Heiligen. Mit überzeugender Eindringlichkeit zeigt er Edith Stein, dass nur die Religion den Menschen zum Menschen macht. Der berühmte Wissenschaftler mutet seinem Publikum zu, dass Demut ein Fundament des sittlichen Strebens sei. Sie habe keine andere Aufgabe, als den Menschen zu einem Sich-verlieren-in-Gott, zu einer neuen Auferstehung hinzuführen. So etwas hatte die junge Atheistin noch nicht gehört.

Edith Stein ist nachhaltig erschüttert: „Das war meine erste Berührung mit dieser mir bis dahin völlig unbekannten Welt. Sie führte mich noch nicht zum Glauben. Aber sie erschloß mir einen Bereich von ‚Phänomenen‘, an denen ich nun nicht mehr blind vorbeigehen konnte.“ Sie begreift, dass das etwas mit dem Leben zu tun hat. Aber sie ist noch kein Mensch, der betet und glaubt oder zumindest glauben möchte.

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Das Geheimnis des Glaubens

Edith Stein bewundert den Privatdozenten Adolf Reinach, die rechte Hand Husserls. Was Husserl lehrt, lebt Reinach. Durch ihn und seine Frau, eine promovierte Physikerin, erhält Edith Stein entscheidende Impulse für ihr Leben. Reinach ist ebenfalls Jude, hatte sich aber mit seiner Frau während des 1. Weltkrieges evangelisch taufen lassen. Aus dem Krieg schrieb er, er wolle nach seiner Rückkehr nur noch philosophieren, um die Menschen zum Glauben zu führen.

Viele von Ediths Steins Freunden werden zum Militärdienst eingezogen. Sie will sich, wie auch anderer Frauen, selbst einbringen. 1915 entscheidet sie sich zum Einsatz in dem österreichischen Seuchenlazarett Mährisch-Weißkirchen, wo sie die an Flecktyphus, Ruhr und Cholera erkrankten Soldaten mit Selbstlosigkeit pflegt. Dafür wird sie mit der Tapferkeitsmedaille ausgezeichnet.

1916 erhält Edmund Husserl einen Ruf an die Universität Freiburg. Er wählt Edith Stein zu seiner Assistentin. Ende 1917 erreicht sie die schmerzlich Nachricht, dass Adolf Reinach in Flandern gefallen sei. Und auch die Bitte, sie möge Reinachs Nachlass ordnen. Wie soll sie der Witwe angesichts ihres Schmerzes begegnen? Sie trifft aber keine verzweifelte Frau an, sondern eine im schwersten Leid Getröstete. Die Atheistin beginnt zu ahnen, welche Kraft sich in dem Geheimnis des Glaubens verbirgt: „Es war dies meine erste Begegnung mit dem Kreuz und der göttlichen Kraft, die er seinen Trägern mitteilt … Es war der Augenblick, in dem mein Unglaube zusammenbrach und Christus aufstrahlte, Christus im Geheimnis des Kreuzes.“ Sie beginnt das Neue Testament zu lesen, aber auch Søren A. Kierkegaards „Einübung ins Christentum“, und steht vor der Frage, ob sie evangelisch oder katholisch werden solle.

Osternacht im Sommer

Edith Stein ist wieder einmal auf dem Obstgut ihrer Akademikerfreunde, des Ehepaars Hedwig und Theodor Conrad-Martius, in Bad Bergzabern eingeladen. Eines Sommerabends 1921 fahren die beiden weg. Edith bleibt allein und geht zum Bücherschrank: „Ich griff hinein und holte ein umfangreiches Buch hervor. Es trug den Titel ‚Leben der Heiligen Teresia von Avila‘, von ihr selbst geschrieben. Ich begann zu lesen, war sofort gefangen und hörte nicht mehr auf bis zum Ende. Als ich das Buch schloss, sagte ich mir: ‚Das ist die Wahrheit!‘“ Die ganze Nacht liest Edith Stein in diesem Buch. Bevor die Morgendämmerung anbricht, hat Gott sie ergriffen, überwältigt. Die 29-jährige Jüdin ist entschlossen, Jesus nachzufolgen. Noch am selben Morgen kauft sie einen Katechismus und ein Messbuch.

Am 1. Januar 1922 wird Edith getauft. Es ist ein für die damalige Zeit ungewohntes ökumenisches Ereignis, als die evangelische Hedwig Conrad-Martius ihre jetzt katholische Freundin als Taufpatin zum Taufbrunnen führt. Als Taufkleid trägt sie den weißen Hochzeitsmantel von Hedwig. Und der von Edith gewählte Taufname Teresia Hedwig spricht für die geistliche Hilfe in dem gastlichen Hause ihrer Freundin. Ediths Mutter bricht in Tränen aus, als sie von ihrer Tochter persönlich erfährt, dass sich ihre Wege unerbittlich getrennt haben.

War Edith der Faszination der spanischen Klosterreformerin und Mystikerin Teresa von Avila (1515-1582) erlegen (siehe LebensLauf 6/2015)? Diese hatte, wie sie selbst jüdische Wurzeln, war kritisch, unangepasst, von ansehnlichem Äußeren und begabt. Aber das Geheimnis ihres Lebens lag in ihrer lebenslangen Jesusliebe, ihrer innige Beziehung zu ihrem göttlichen „Freund“ durch den Weg des Gebetes. Mit Teresa kann Edith Stein sprechen, argumentieren, sich gedanklich austauschen, ja, sie begreifen. Und von ihr lernen, dass Nachfolge kein korrektes Dienstverhältnis, sondern eine innige Liebesbeziehung mit Jesus bedeutet. Sie spürt die tiefe Sehnsucht, auch Karmelitin, Ordensschwester, wie Theresa aus Avila zu werden.

Die Jahre 1923 bis 1931 sind ausgefüllt: Dozentin im Lehrerinnen-Seminar der Dominikanerinnen in Speyer; Vortragsreisen, auch mit aktuellen Themen zur Situation der Frau; zahlreiche Veröffentlichungen; Versuche, den Professorentitel zu erlangen, aber der Antisemitismus vereitelt die Professur einer jüdischen Philosophin. 1932/33 ist Edith Stein Dozentin für Philosophie an der Pädagogischen Akademie in Münster und mit wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt. Und mit Takt führt sie manchen ihrer jüdischen Kollegen zu Jesus.

Christus entgegen!

Mit großer Bestürzung erlebt sie unter den Studenten die Ausfälle gegen Juden. Kurz vor ihrem Tod sagt sie einem Jesuitenpater: „Sie glauben nicht, was es für mich bedeutet, Tochter des auserwählten Volkes zu sein, nicht nur geistig, sondern auch blutsmäßig zu Christus zu gehören.“ Im Oktober 1933, also im Jahr, in dem die Nazis an die Macht kommen, tritt sie ins Kölner Karmeliterkloster ein. Viele ihrer Mitschwestern sind zwanzig Jahre jünger und mit den Abläufen des Alltags besser vertraut als Edith. Sie haben keine Vorstellung über deren vorheriger Tätigkeit. Aber die Atmosphäre ist durch Fröhlichkeit geprägt, und ihre Mitschwestern bemerken Edith Steins Gebetseifer in der Hinwendung zu ihrem Freund Jesus.

Die Pogromnacht des 9. November 1938 ist ein deutliches Warnzeichen. Edith Stein schreibt: „Ich bin eine sehr arme und ohnmächtige kleine Esther, aber der König, der mich erwählt hat, ist unendlich groß und barmherzig“ (sie spielt damit auf das biblische Buch Esther an). Sichere Länder weigern sich, Juden aufzunehmen. Die Priorin, also die Klostervorsteherin, bittet ein Karmeliterkloster in der niederländischen Provinz Limburg darum, Edith aufzunehmen. In der Dunkelheit der Silvesternacht 1938/39 wird Edith Stein über die niederländische Grenze gebracht. Aber auch hier ist sie nicht sicher. Die niederländischen Bischöfe hatten einen Hirtenbrief, also ein offizielles Schreiben gegen die Judenverfolgungen verfasst – als Vergeltungsmaßnahme werden am 2. August 1942 die katholisch getauften Juden verhaftet. Unter ihnen Edith.

Am 7. August 1942 werden die Gefangenen Richtung Osten verschleppt. Bei einem Zwischenstopp in der Pfalz kann Edith Stein auf einem Notizzettel Grüße an das naheliegende Kloster in Speyer auftragen: „Unterwegs ad orientem“, also „in den Osten“. Nach altem liturgischem Sprachgebrauch heißt das auch: Christus entgegen! Hier verlieren sich ihre Spuren. Am 9. August 1942 wird sie in der Hölle von Auschwitz ermordet. Die römisch-katholische Kirche hat sie 1998 heiliggesprochen.

Hans Steinacker (†), war Verlagsleiter und Publizist.


Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift lebenslust erschienen. lebenslust wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.

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