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Grenzerfahrungen: Wie ging Jesus damit um?

Viele Menschen stoßen im Alltag oft an ihre Grenzen. Birgit Schilling hat sich deshalb gefragt: Wie war das eigentlich bei Jesus? Kam er auch an seine Grenzen – und akzeptierte er die Grenzen, die andere ihm setzten?

Seit langem standen die Termine für die standesamtliche Trauung meiner Tochter und meines Schwiegersohnes fest. In genau dieser Zeit lag meine Schwiegermutter mit fast 90 Jahren im Sterben. Eine Woche vor der standesamtlichen Trauung waren alle Kinder und Schwiegerkinder angereist, um sich von ihrer Oma zu verabschieden. Danach erholte sie sich jedoch erneut für einige Zeit und starb schließlich zwei Wochen danach.

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Mit Sorge schaute ich auf das Wochenende der standesamtlichen Trauung. Die Großfamilie meines Schwiegersohnes würde anreisen und zum großen Teil bei uns wohnen. Wir hatten acht Übernachtungs- und noch mehr Bewirtungsgäste. Nun muss man wissen, dass ich, entgegen mancher Annahmen, eher kreativ-chaotisch veranlagt bin und solche Organisationssachen mich völlig überfordern. Eine meiner Lebenslügen lautet jedoch: „Ich muss das schaffen! Stell dich nicht so an! Andere schaffen so was doch auch!“

Als ich kurz davor innehielt, spürte ich einerseits den großen Wunsch, meiner Tochter ein wunderbares Wochenende mit glücklichen Momenten zu schenken, andererseits jedoch eine große Erschöpfung in mir, auch durch die intensive Begleitung meiner Schwiegermutter in dieser Zeit. Und ich spürte: Es tut mir nicht gut „mich einfach zusammenzureißen“, so wie es früher mein Motto gewesen wäre.

Und so schrieb ich Sigrid, einer Freundin aus meiner Gemeinde, eine E-Mail mit der Nachricht: „Ich möchte die Hilfe, die du mir angeboten hast, gerne annehmen. Ich schaffe das nicht alleine.“

Zwischen Nähe und Grenzen

Um verantwortlich mein Leben zu leben, mutet Gott es mir zu, dass ich meine Grenzen spüre, dass ich Grenzen setze und auch die Grenzen von anderen akzeptiere. Die Psychologen Henry Cloud und John Townsend betonen: Um als Menschen aufzublühen und psychisch und geistlich gesund zu sein, brauchen wir sowohl Nähe als auch Grenzen. Gott hat uns so geschaffen, dass wir in jeder Phase unseres Lebens ein genetisch mitgegebenes Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit haben. Nur, wenn wir Nähe und Geborgenheit erleben, können wir uns in allen Bereichen unseres Seins – seelisch, geistig und körperlich – gesund entwickeln. Wir brauchen Nähe, Liebe, Berührung, verstanden werden, Anteil geben und nehmen, uns öffnen, unser Herz ausschütten, ermutigt werden und ermutigen, Trost erfahren. Gleichzeitig können wir nur dann wirklich Nähe zulassen, wenn wir innerlich wissen: Ich kann meine Grenzen spüren, ich kann sie beschützen und ich kann die Grenzen des anderen achten. In guter Weise Grenzen setzen zu können, ist die Voraussetzung dafür, in die Nähe gehen zu können.

Wie war das bei Jesus?

Jesus lebte Nähe. Über drei Jahre lebte er in enger Gemeinschaft mit seinen Jüngern. Sie hatten nicht nur morgens eine Audienz bei Jesus, sondern sie erlebten ihn von morgens vor Tagesanbruch bis zum Abend, wenn Jesus müde war. Er lebte eine Nähe mit ihnen, die wir uns heute gar nicht mehr vorstellen können. Aber setzte er auch Grenzen und akzeptierte die Grenzen, die andere ihm setzten?

Als der ewige Christus war und ist der Sohn Gottes ewig, allwissend, allgegenwärtig und allmächtig. Doch als Jesus von Nazareth war Jesus auch ganz Mensch mit all den Begrenzungen, die das Menschsein mit sich bringt. Und wir können in den Evangelien beobachten, wie Jesus seine Grenzen spürte.

Bild: pixabay

In Johannes 4 lesen wir, dass Jesus müde war. Müdigkeit – eine Grenze, die er spürt und nicht bekämpft, sondern annimmt. Jesus spürte: Ich kann jetzt nicht einfach weitergehen, sondern ich brauche eine Pause.

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Er spürt auch seinen Durst und bittet eine Frau, ihm zu trinken zu geben. Er, der Erschaffer von Wasser, bittet eine Frau, ihm Wasser zu geben.

Jesus spürte es auch immer wieder, wenn er zu viel Zeit unter Menschen verbracht hatte. Es zieht ihn dann immer wieder in die Einsamkeit. Wir können nur vermuten, warum er das tat. Vielleicht, weil er spürte, dass er sich wieder ganz tief in der Liebe Gottes verankern musste, um nicht vom Applaus der Menschen oder von deren Ablehnung geprägt zu werden. Vielleicht auch, um erneut seinen Auftrag zu hören und im Herzen unmissverständlich klar zu haben, nichts als den Willen seines Vaters zu tun.

„Es kann keine Sünde sein, andere zu enttäuschen.
Jesus hat das ständig getan“

Zwischen Grenzen und Überforderung

Spürte Jesus also seine Grenzen? Ja, er spürte seine Grenzen und achtete sie. Später in seiner Leidenszeit spürte er sie auch und ließ es dennoch zu, dass sie überschritten und er völlig überfordert wurde. Im Garten Gethsemane hatte er Angst und dennoch sagte er: „Dein Wille geschehe.“ Am Kreuz fühlte er sich von seinem Vater verlassen – völlig grenzenlos überfordert, würde ich das nennen – doch er ließ es zu, weil er in der Liebe blieb und sich Gott vollständig überließ, um uns mit Gott zu versöhnen.

Kreuz Kreuzigung
Foto: Pixabay

Eine Grenze zu spüren bedeutet also nicht, um jeden Preis diese Grenze zu verteidigen. Es kann Momente geben, wo wir, wissend um den Preis, uns dennoch weit über unsere Grenzen verschenken und aufopfern. Doch ich sollte es nicht automatisch tun, weil ich nicht Nein sagen kann oder weil ich so vom Applaus der anderen abhängig bin, sondern weil Gott mich in dieses Leiden zieht, weil ich ganz tief spüre: Ich muss es tun, weil Gott mich dazu beruft. Oder weil ich mich ganz bewusst dafür entscheide.

Es sollte aber die Ausnahme bleiben, über unsere Grenzen zu gehen, und wir sollten tief spüren, dass wir das so wollen und dass es – auch von Gott her – für uns in dieser konkreten Situation dran ist.

Manchmal haben wir auch einen Auftrag, der uns überfordert. Und doch spüren wir inmitten unserer Überforderung die innere Kraft Gottes, von der wir in diesen Momenten besonders leben.

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Jesus grenzt sich ab

Setzte Jesus Grenzen? Grenzte er sich selber ab? In Markus 1 ab Vers 35 lesen wir von Jesus, dass er sich aus dem Trubel der Menschen heraus in die Einsamkeit zurückgezogen hatte. Petrus und andere Jünger eilten ihm hinterher und sagten „Jedermann sucht dich!“ und meinten: „Komm doch endlich! Alle möglichen Leute sind da! Das ist deine Chance! “ Doch Jesus geht darauf gar nicht ein und antwortet stattdessen „Lasst uns anderswohin gehen, in die nächste Stadt … “ Auch später weist er Petrus in seine Schranken, als dieser ihm vorschlägt, sich nicht dem Leiden zu stellen.

In Johannes 2, bei der Hochzeit zu Kana, sagte seine Mutter: „Sie haben keinen Wein mehr!“ und meint damit: „Jesus, mach was!“ und Jesus antwortet ihr: „Was geht’s dich an, Frau, was ich tue? Meine Stunde ist noch nicht gekommen.“ Er grenzt sich von den ausgesprochenen Erwartungen seiner Mutter ab.

In Markus 3,31ff. kommen seine Mutter, seine Brüder und Schwestern zu einer Veranstaltung, die Jesus abhält. Sie dachten vermutlich: Was ist jetzt nur mit diesem Jesus los! Hebt er nun völlig ab? Sie lassen ihn rufen. Und was macht Jesus? Er sagt: „Wer ist meine Mutter und meine Brüder? Und er sah ringsum auf die, die um ihn im Kreise saßen und sprach: Siehe, das ist meine Mutter und das sind meine Brüder. Denn wer Gottes Willen tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.“

Wenn heute jemand so mit seiner Familie sprechen würde, wäre das schon eine unerhörte Art, Grenzen zu setzen. Doch damals, vor 2000 Jahren in der orientalischen Kultur war es ein zehnfaches „No go“. Das ging gar nicht! Familie stand immer an erster Stelle.

Bild: pixabay

Ja, Jesus grenzt sich ab. Und er grenzt sich dort ab, wo es uns allen – und ihm auch? – am schwersten fällt. Nämlich in seiner Herkunftsfamilie. Er sagt zu den Forderungen und Erwartungen seiner Familie: Nein.

Wenn wir das beobachten, können wir feststellen: Es kann keine Sünde sein, andere zu enttäuschen. Jesus hat das ständig getan.

Er hat die Erwartungen der Jünger enttäuscht. Er hat die Erwartungen der Pharisäer und Schriftgelehrten enttäuscht. Er enttäuschte immer wieder viele Leute. Stell dir vor, du bist einer der Hunderte von Kranken am Teich Bethesda und bekommst mit, dass einer geheilt wird und dann … geht Jesus einfach wieder weg und enttäuscht die vielen anderen.

Jesus enttäuscht sogar seine eigene Familie. Er geht mutig und klar seinen Weg – aus der Verbindung mit seinem Vater. Er grenzt sich nicht willkürlich ab, je nachdem, wie er gerade gelaunt ist, sondern er unterstellt sich dem Willen seines Vaters. Wenn er uns im Vaterunser das Gebet mitgibt „dein Wille geschehe“, dann ist er derjenige, der dieses Gebot als erstes erfüllt hat.

Akzeptiert Gott unsere Grenzen?

Jesus setzte also Grenzen, immer und immer wieder. Akzeptierte Jesus auch Grenzen, die ihm Menschen gesetzt haben? Akzeptiert Gott heute unsere Grenzen?

Beim Schreiben dieses Artikels fiel mir zum ersten Mal in meinem Leben auf, dass wir nirgendwo in den Evangelien erleben, dass sich Jesus jemandem aufzwingt, der ihn gar nicht anruft und sucht. Nie ging er zu jemandem und sagte: „Also, ob du willst oder nicht: Du brauchst mich! Du musst an mich glauben! Und dieses oder jenes muss ich dir unbedingt noch sagen, weil das so wichtig für dein Leben ist!“

Alleine das so auszudrücken, scheint völlig absurd zu sein. Weil wir immer und überall beobachten, dass Jesus immer nur auf Einladung kommt und der Bitte um Hilfe nachgeht. Auch das ist schon ein Akt des Respekts vor der Grenze des anderen. Nie überschreitet Jesus die Grenzen der anderen. Nie drängt sich Jesus auf. Immer ist der Mensch derjenige, der auf Jesus zugeht, mit einer klaren Einladung Jesus gegenüber.

In Markus 10,17ff. kommt der reiche Jüngling zu Jesus. Jesus spricht mit ihm über die Kosten der Nachfolge. Und dann … geht der reiche Jüngling wieder weg. Jesus läuft ihm nicht hinterher: „Hey du, so war das doch nicht gemeint! Bleib doch bei mir!“ Nein, er lässt ihn ziehen.

Und in Offenbarung 3 wird die Art Jesu folgendermaßen beschrieben: „Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hören wird und die Tür auftut, zu dem werde ich hineingehen und das Abendmahl mit ihm halten und er mit mir.“

Jesus rennt die Tür nicht ein. Auch unsere Herzenstür nicht. Das tut er nie! Nie versucht er, sich mit Gewalt Zugang zu unserem Innersten zu verschaffen. Er ruft, er wirbt und er wartet. Er respektiert unser „noch nicht“ oder unser Nein. Und er versucht es wieder – weil er nur über die Freiwilligkeit, über „das von Herzen Kommende“ eintritt, wenn wir sagen: „Jesus, du darfst zu mir hineinkommen.“


Der vollständige Artikel ist im Frauenmagazin JOYCE zu lesen, das wie Jesus.de zum SCM Bundes-Verlag gehört.

Birgit Schilling lebt mit ihrem Mann in Köln und arbeitet als Coach, Autorin und Referentin.

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