Kein Medikament schafft es in Deutschland auf den Markt, bevor es nicht an zahlreichen Tieren auf Risiken und Nebenwirkungen getestet wurde. Bald könnten jedoch künstliche Organe die Zahl von Tierversuchen erheblich senken.
Seit 2007 regelt die Chemikalienrichtlinie „Reach“, welches Prozedere chemische Stoffe, die in Mengen von mehr als 1000 Kilogramm pro Jahr verkauft werden, vor ihrer Markteinführung zu durchlaufen haben. Mit entsprechenden Folgen für den Tierschutz: Wissenschaftler experimentierten im Jahr 2007 an insgesamt 2,6 Millionen Wirbeltieren. Im Vergleich zum Vorjahr erhöhte sich die Zahl damit um 90.000 Tiere.
Thomas Hartung, Professor für Pharmakologie und Toxikologe an der Universität Konstanz, befürchtet auch in den kommenden Jahren einen kontinuierlichen Anstieg der Versuche. Er kritisiert indes deren Aussagekräftigkeit: „Menschen sind keine 70-Kilogramm-Ratten“, schreibt der Forscher in dem renommierten Wissenschaftsmagazin Nature. Mehr als die Hälfte der Tierexperimente sei nicht auf Menschen übertragbar und somit unbrauchbar, schätzt der Experte.
Forschergruppen haben sich daher zum Ziel gesetzt, Tierversuche durch künstliche Organe und Zellkulturen zu ersetzen. Auf der „Organotypic Tissue Culture for Substance Evaluation“, einer biotechnologischen Fachtagung in Potsdam stellten Wissenschaftler vergangene Woche ihre ersten Erfolge vor. So ist es Forschern beispielsweise gelungen, Oberhaut im Labor zu züchten. Professorin Heike Mertsching, derzeit tätig am Fraunhofer-<wbr>Institut in Stuttgart, hat ein Lebermodell entwickelt, das für Medikamententests eingesetzt werden kann. Nach einer 2-jährigen Testphase könnte die künstliche Leber eine sichere Alternative zum Tierversuch darstellen.
Für komplexere Organe sei eine intensive Forschung nötig, heißt es. Derzeit versuchen sich Forscher an einem Nachbau der Niere. Langfristig könnte die Technik das Testverfahren revolutionieren: Prognosen zufolge könnten Tierversuche in 20 Jahren völlig überflüssig sein.