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Trägheit – die größte Gefahr für unseren Glauben

Schon die frühchristlichen Mönche wussten um die Gefahr der inneren Trägheit für die Gottesbeziehung. Acht Symptome und sieben Gegenmittel.

Von Delia Holtus

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Ich erinnere mich gut an jenen Mittwochnachmittag. Es war warm, ich saß allein in meinem Büro und konnte mich nicht recht auf meine Arbeit konzentrieren. Ich schau mal bei einer Kollegin vorbei, dachte ich. Ich spazierte zum Büro der Kollegin und bot nach kurzem Small Talk an, ihr schmutziges Geschirr in die Küche zu bringen. Sie schaute mich verwundert an. „Hast du nichts zu tun?“ Ups! „Doch, eigentlich schon …“

Einige Wochen später stieß ich auf ein Buch, das mir zu einem Augenöffner wurde: „Acedia & me“ von Kathleen Norris. Die Autorin zeigt, wie relevant dieser im vierten Jahrhundert von den Wüstenvätern geprägte Begriff für unsere Gesellschaft heute ist.

Der Begriff Acedia kommt aus dem Griechischen und bedeutet wörtlich „ohne Sorge“, „Sorglosigkeit“. Er bezeichnet eine Haltung, die sich gegen Mühe und Anstrengung richtet und darauf mit Widerwillen oder Überdruss reagiert. Acedia hat viel mit Langeweile und Apathie zu tun.

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Ein Mönch langweilt sich und hält es in seiner Zelle nicht mehr aus. Er besucht seine Mitmönche, um sich abzulenken, unter dem Vorwand, sie bräuchten vielleicht seine Hilfe. Ich dachte an jenen trägen Mittwochnachmittag und sah mich „aus meiner Zelle“ flüchten, hin zu meiner Kollegin … War das ein Anflug von Acedia? Auf jeden Fall hat mich dieses Erlebnis auf die Spur gesetzt, dem Thema nachzugehen.

Typische Anzeichen und Verhaltensweisen

Acedia sieht heute anders aus als zur Zeit der Wüstenväter: Vielleicht scrollt man gedankenlos durch Instagram und findet kein Ende, obwohl man selbst merkt, dass es einem nicht guttut. Oder man schaut Serien auf Netflix, eine Folge nach der anderen, weil man sich nicht aufraffen kann, den Abend anders zu nutzen. Acedia kann sich unterschiedlich zeigen, aber manches ist charakteristisch:

  • Langeweile. Nicht vorübergehend, sondern als grundsätzliches Lebensgefühl. Die Langeweile wird als unerträglich empfunden und ist verbunden mit einer inneren Rastlosigkeit.
  • Gefühl von Sinnlosigkeit. Man sieht keinen Sinn in alltäglichen Tätigkeiten, vor allem nicht in denen, die sich wiederholen: „Wozu mein Bett machen, wenn ich es abends doch wieder zerwühle?“ „Wozu das saubere Geschirr in den Schrank räumen, nur um es bei der nächsten Mahlzeit wieder herauszuholen?“ Das kann bis zur Vernachlässigung körperlicher Hygiene gehen: „Wozu meine Haare waschen, wenn sie doch wieder fettig werden?“
  • Apathie. Man fühlt sich innerlich gelähmt, wie betäubt. Kathleen Norris schreibt: „Wenn das Leben zu anstrengend wird und Beziehungen einem zu viel abverlangen, bietet die Acedia eine Art geistliches Morphium: Du weißt, dass der Schmerz da ist, aber es ist dir egal.“
  • Compassion fatigue. Die „Mitgefühlserschöpfung“ bezeichnet die Unfähigkeit, mit anderen mitzufühlen. Man schaut die Nachrichten nicht mehr an; Hungersnot, Kriegsgeschehen … Es ist einem alles zu viel.
  • Kraftlosigkeit. Körperlich zeigt sich Acedia in Erschöpfung und einem Gefühl der Schwere. Man fühlt sich niedergedrückt, alltägliche Aktivitäten kosten viel Energie.
  • Chronische Unzufriedenheit. Der Wüstenvater Evagrius Ponticus beschreibt die Acedia als Mix aus Wut und Sehnsucht: Man ist wütend über die eigene Lebenssituation und sehnt sich nach Veränderung, aber diese Sehnsucht ist nicht konstruktiv, sondern mündet in Lähmung und Melancholie.
  • Streben nach Ablenkung. Das Gefühl von Langeweile führt dazu, dass man es mit sich und seinen Gedanken nicht aushält und irgendwie versucht, sich abzulenken. Eine extreme Form davon ist der Eskapismus: Man flüchtet vor der Wirklichkeit und ihren Anforderungen in eine imaginäre Scheinwelt, sei es durch Lesen, Videospiele, Fernsehserien, Fantasy-Rollenspiele oder exzessives Tagträumen. Kurze Tagträume können positive Effekte auf das Gehirn haben, da sie uns helfen zu entspannen, doch ständig gedanklich abzuschweifen, wird schnell zum Problem, zum Beispiel im Beruf.
  • Reduziertes geistliches Leben. Wer mit Acedia kämpft, verliert oft die Lust und Motivation zu beten. Er oder sie vernachlässigt geistliche Praktiken, die vorher zum gewohnten Tagesablauf gehörten, wie Bibellesen oder eine morgendliche Andacht.

Depression oder nicht?

Manche dieser Anzeichen erinnern an eine Depression, und es stellt sich die Frage, ob Acedia dasselbe ist wie Depression, und wenn nicht, wie sich die zwei voneinander unterscheiden. Diese Frage ist komplex und wurde über die Jahrhunderte unterschiedlich beantwortet. Kathleen Norris schreibt: „Wenn ich Acedia als Sünde behandle, möchte ich damit nicht sagen, dass Menschen, die unter einer medizinisch diagnostizierten Depression leiden, selbst dafür verantwortlich sind, denn Depression ist nicht moralisches Versagen, sondern eine Krankheit.“ Ihr Ziel ist es, behutsam zu differenzieren.

Klar ist: Für jemanden, der depressiv ist, ist es nicht hilfreich, sich auch noch mit Selbstvorwürfen zu quälen. Für andere kann das Wissen um die geistige Verfassung der Acedia ein Augenöffner sein, der in die Freiheit führt. Hier braucht es Unterscheidungsvermögen im Gebet und vielleicht auch eine Begleitung durch Seelsorge, Therapie oder in einem anderen Kontext.

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Wüstenvater: Acedia – die gefährlichste innere Haltung von allen

Die Wüstenväter waren Christen, die sich seit dem späten dritten Jahrhundert in die nordafrikanische Wüste zurückzogen. Dort versuchten sie zu ergründen, welche inneren Haltungen für unsere Beziehung zu Gott und zu anderen förderlich sind und welche eher schaden. Zu letzteren gehört die Acedia. Für den Wüstenvater Evagrius ist sie sogar die gefährlichste Haltung von allen: Seiner Ansicht nach kann die innere Gleichgültigkeit einen Menschen so weit lähmen, dass er kaum noch erreichbar ist für das Wirken des Heiligen Geistes. Er verschließt sich Gott gegenüber.

Heute wird Acedia oft als „Trägheit“ übersetzt. Das klingt harmlos – jemand sitzt lieber gemütlich auf der Couch, als sich bei Kirchenaktivitäten zu engagieren … Aber die geistige Trägheit geht viel weiter als entspannte Abende auf dem Sofa. Wie sieht Acedia im 21. Jahrhundert aus? Kathleen Norris schreibt: „Ich vermute, ein großer Teil der rastlosen Langeweile, des verzweifelten Eskapismus, der Angst vor Bindung und Verbindlichkeit, die uns heute plagen, ist der alte Dämon der Acedia in modernem Gewand.“

Der Jesuitenpater Anton Aigner berichtet: „In der geistlichen Begleitung erzählen mir Leute immer wieder, dass sie am Abend kein Ende setzen können. Dazu gehören Computerspiele und politische Nachrichten … Das ist insofern eine Form von Acedia, als der Mensch am Abend zu schwach ist, um Nein zu sagen: Jetzt ist Schluss.“ Dabei sieht er die Ursache weniger in Unterforderung als in Überforderung: Wir sind so beschäftigt, ständig unter Druck, und haben abends zu nichts anderem mehr Kraft, als uns von Netflix berieseln zu lassen. Oder in Tagträume zu flüchten. Oder in Social Media. Oder in emotionales Essen. Oder in zwanghaftes Onlineshopping. Was auch immer.

Zugrunde liegt eine diffuse Unzufriedenheit mit dem eigenen Leben, und doch ändert man nichts. Oder man ändert alles Mögliche – Job, Partner, Wohnort, Gemeinde –, nur um festzustellen, dass man sich selbst immer mitnimmt und der innere Schmerz bleibt.

„Acedia ist eine subtile Form von Hoffnungslosigkeit“, schreibt der Theologe und geistliche Begleiter Jan Korditschke. „Sie kann sich zum Beispiel einschleichen, wenn ich im Älterwerden spüre, dass mein Glaube aus Kindheit und Jugend eigentlich nicht mehr trägt. Vielleicht habe ich so viel Leid bei anderen und bei mir selbst erlebt, dass ich mich fragen müsste, was es eigentlich für mich bedeutet, wenn ich sage, dass Gott mich liebt.

„Acedia ist eine subtile Form von Hoffnungslosigkeit.“

Jan Korditschke

Womöglich wäre es für mich an der Zeit, mit Gott zu ringen wie Jakob oder ihm meine Klage vorzutragen wie Hiob – oder wie Jesus am Kreuz. Aber ich gehe diese geistliche Aufgabe – aus welchen Gründen auch immer – nicht an. Sich darum zu drücken, im Glauben zu reifen, oder dafür einfach nicht die Kraft aufzubringen, ist eine Form von Acedia.“

Wie können wir aus der geistig-geistlichen Trägheit aufwachen, wenn wir erkannt haben, dass wir selbst betroffen sind? Diese sieben praxiserprobten Tipps finde ich hilfreich:

  1. Wahrnehmen, wie es mir geht. Heute läuft das unter dem Begriff Achtsamkeit. In der Bibel heißt es: „Achtet doch darauf, wie es euch geht“ (Haggai 1,5). Ist mir gerade langweilig? Fühle ich mich überfordert – fachlich oder emotional? Habe ich Angst? Bin ich traurig? Der erste Schritt besteht darin, ehrlich zu benennen, was ist.
  2. Eine Tagesstruktur schaffen. Ich kann mir eine Liste schreiben mit den Dingen, die ich heute machen will. Dann gebe ich den Aufgaben eine Reihenfolge und halte mich daran.
  3. Ablenkungen widerstehen. Die größte Ablenkung unserer Zeit ist sicherlich das Handy. Aber wir lassen uns durch alles Mögliche von dem ablenken, was wir eigentlich vorhaben. Da beginne ich zu putzen, obwohl ich eigentlich die Steuererklärung machen wollte. Oder ich rufe bei Tante Frieda an, obwohl ich mir vorgenommen hatte, in der Bibel zu lesen.
  4. Keine Angst vor dem Alleinsein. Acedia neigt dazu, bei innerer Rastlosigkeit die Gesellschaft anderer Menschen zu suchen. Der Theologe Dietrich Bonhoeffer schreibt: „Wer nicht allein sein kann, der hüte sich vor der Gemeinschaft. Wer nicht in der Gemeinschaft steht, der hüte sich vor dem Alleinsein.“ Natürlich brauchen wir Gemeinschaft und tiefe Beziehungen. Aber wenn wir andere benutzen, um uns abzulenken, ist es besser, das Alleinsein für eine Weile auszuhalten und allein mit Gott „in meiner Zelle“ zu bleiben.
  5. Langsamer machen. Auch wenn wir nicht in der Wüste leben, können uns äußere Umstände wie das Wetter oder unsere körperliche Verfassung zu schaffen machen. Niemand ist jeden Tag voll leistungsfähig. Wir dürfen barmherzig mit uns selbst sein: Es ist besser, eine Aufgabe langsam zu erledigen als gar nicht. Damit ist allerdings nicht gemeint, die eigenen Ansprüche dauerhaft immer weiter herunterzuschrauben.
  6. Für kurze Zeit etwas tun, auf das ich mich fokussieren muss. Wenn man in einer melancholischen Stimmung ist, ist es leichter, stumpfsinnig Listen auszufüllen, als eine kreative Kinderstunde vorzubereiten. Aber es kann helfen, sich wenigstens für zehn Minuten hinzusetzen und intensiv darüber nachzudenken, wie die Kinderstunde aufgebaut werden könnte. Die geistige Aktivität befreit aus der inneren Apathie, und da es nur zehn Minuten sind, ist es keine Überforderung und die Hürde nicht zu groß.
  7. Mir selbst gegenüber wachsam sein, ob ich noch offen bin für Gott. Die größte Gefahr der Acedia ist eine Verschlossenheit Gott gegenüber. Jan Korditschke schreibt: „Letztlich bedeutet Acedia, dass ich in meiner Gottsuche erlahme, weil ich von Gott nichts mehr erwarte und ihm gar nicht zutraue, dass sich durch ihn in meinem Leben etwas zum Besseren verändern könnte.“
    Als ich mich mit dem Thema beschäftigte, stieß ich auf Psalm 77,3: „Am Tag meiner Not suchte ich den Herrn.“ Diesen Vers will ich verinnerlichen, um mich in meiner „Not“ (Langeweile, Unterforderung, Überforderung, Müdigkeit, Widerstand …) innerlich Gott zuzuwenden. „Den Herrn zu suchen“ klingt vielleicht anstrengend, aber das muss es nicht sein.
    Es geht einfach darum, die innere Aufmerksamkeit auf Gott zu lenken. Das kann ein kurzes Gebet sein: „Gott, du bist da.“ Oder: „Jesus, bitte hilf mir jetzt! Ich möchte tun, was dich ehrt. Ich möchte mich nicht der inneren Lähmung hingeben. Hilf mir, innerlich wach zu sein und offen für dein Reden und deinen Beistand.“

Vielleicht gehört der Kampf gegen Acedia zu unserem Menschsein dazu – und möglicherweise neigen manche Persönlichkeitstypen mehr dazu als andere. Aber wir sind ihm nicht hilflos ausgeliefert. Und jeden Morgen, wenn ich mein Bett mache, mit Tagesdecke und Dekokissen, weiß ich: Das ist ein kleiner Sieg über Acedia!

Delia Holtus ist Redakteurin bei der Zeitschrift Lydia. Sie liebt das monotone Schnurren ihrer Katze und das lebhafte Vogelgezwitscher in der Abenddämmerung.


Ausgabe 2/23

Dieser Artikel ist in der Frauenzeitschrift Lydia erschienen. Lydia ist Teil der SCM Verlagsgruppe, zu der auch Jesus.de gehört.

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3 Kommentare

  1. Der Artikel ist gut beschrieben und zeigt mir meine momentane Situation. Frage mich auch manchmal warum ich eigentlich auf der Welt bin. Tag täglich schlechte Nachrichten auf dieser Welt.
    überall regiert das Schlechte. Der große Zuflucht von anderen Kulturen wo einige unsere Gastfreundschaft ausnützen und respektieren. Die Dummheit und arroganz einiger Politiker. Die Werte des Menschen die uns Gott überlassen hat, werden nicht eingehalten und gelebt. Der Antichrist ist am Vormarsch. Die Welt wird immer trauriger.

  2. Das ist wirklich mal ein Artikel, dem man viel Aufmerksamkeit wünscht. Die Wüstenväter waren noch nicht von einem falschen Gnadenverständnis überwältigt, sondern wussten noch, worauf es im Glauben ankommt. Deshalb nahmen sie auch die innerseelischen Vorgänge wahr, die den Menschen an den Kreislauf des Unheils binden, den die Wüstenväter zu durchbrechen suchten. Zeitgemäß sahen sie da noch „Dämonen“ am Werk: https://de.wikipedia.org/wiki/Acedia . Heute können wir dagegen mit Bestimmtheit sagen, dass es sich dabei einzig um angeeignete innerseelische Strukturen des Menschen handelt. Obwohl wir heute „weiter“ sein könnten als die Wüstenväter, fehlt doch vielen die innere Achtsamkeit, ganz zu schweigen davon, dass man gegen diese „Dämonen“ angeht. Christen müssten, wenn es mit ihnen recht bestellt wäre, aus der christlichen Lebenspraxis heraus, eine tiefe Kenntnis geistig-seelischer Zusammenhänge haben – https://manfredreichelt.wordpress.com/2017/02/17/jeder-christ-ein-psychologe/ – und so erfolgreich in der Heiligung sein. Vielleicht fängt man ja mal mit Evagrius Ponticus an? – https://abtei-kornelimuenster.de/doc/Tibi2012WeisheitAusDerWueste.pdf

  3. Sehr nützlicher Artikel. Es ist schön, etwas für den Alltag mitnehmen zu können.

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