In anderen Städten wird das Krippenspiel auf dem Weihnachtsmarkt verboten, in Witten an der Ruhr erwacht eine Krippenspielfigur dagegen zum Leben: Maria Nazareth, minderjährig, hochschwanger, ist seit einigen Wochen beliebter Gast in Hauskreisen, Gottesdiensten, zum Übernachten – oder sogar im Fernsehstudio.
Montag ein Termin im Hutsalon, Dienstag Pyjamaparty, Mittwoch Gospelchor, Donnerstag Fitnessstudio, Freitag Weihnachtsfeier, Samstag Cafébesuch und am Sonntag ein wohlverdienter gemütlicher Kaminabend. Dazu kommt die Arbeit auf dem Weihnachtsmarkt, täglich bis 17 Uhr. Es ist nicht zu bestreiten, Maria hat im Dezember 2014 einen vollen Terminkalender.
Eigentlich sollte die Schaufensterpuppe wie in den Jahren zuvor „nur“ in der Krippenszene auf dem Weihnachtsmarkt stehen, doch ein Foto und eine Idee führten dazu, dass Pastor Christian Uhlstein ein Facebook-Profil für Maria einrichtete. Und damit nahm die Sache ihren Lauf. Gleich drei Personen unterstützen Maria medial und praktisch, denn inzwischen gehen täglich mehrere Arbeitsstunden dafür drauf, um den Terminkalender der „Plastik-Gottesmutter“ zu organisieren. Einen Großteil der Arbeit erledigt die Studentin Carina Kuznik. Sie hat uns einen Blick hinter die Kulissen gewährt.
Habt ihr mit so viel Interesse gerechnet?
Nein, überhaupt nicht. Am Anfang war das eine schöne Aktion, mehr nicht. Dann kam viel positives Feedback und auf einmal wurde es von jetzt auf gleich riesig groß! „Wie Schaufensterpuppe Maria in Witten 150 Facebook-Freunde fand“, das war der erste Zeitungsartikel. Darauf sind dann unter anderem der WDR und SAT.1 aufmerksam geworden. Ich bekomme stündlich neue Freundschaftsanfragen auf Facebook. Selbst in Griechenland soll man schon von Maria gehört haben. Mittlerweile ist Maria auch beratend tätig, wenn Menschen ihr schreiben und von Sorgen und Problemen erzählen. Das nimmt ein Ausmaß an, das ist echt überwältigend. Und wir nutzen Marias Berühmtheit, um die Weihnachtsgeschichte spielerisch bekannt zu machen.
Wie erklärst du dir Marias Beliebtheit? Warum laden Leute sie ein?
Ich glaube, dass die Leute gerne mitspielen. Die Menschen lieben Geschichten. Das ist eine Aktion, die es hier in der Stadt noch nicht gegeben hat. Möglicherweise laden einige Leute Maria auch ein, um auf das Thema Vertreibung aufmerksam zu machen.
Wieso sollte ich Maria einladen? Was hätte ich davon?
Maria ist ein herzensguter Mensch. Ich glaube, du würdest viel von ihr lernen, von ihrem Verhalten. Die Geschichte der echten Maria zeigt, dass sie genügsam ist, dass sie sich mit wenig zufrieden gibt. Sie nimmt die Aufgabe an, die sie von Gott bekommen hat, und vertraut ihm, obwohl sie nicht weiß, was auf sie zukommt. Ich würde dich ermutigen, dir aber Maria nicht aufzwingen.
Warum arbeitest du als Marias „Sekretärin“?
Meine Motivation ist mein Lebensstil und meine christliche Auffassung von Nächstenliebe. Wir versuchen die Wesenszüge von Maria widerzuspiegeln, die Schönheit in Kleinigkeiten zu zeigen und für eine gewisse Zeit von negativen Dingen in der Welt abzulenken. Es macht mir Spaß zu zeigen, dass Kirche nicht nur mausgrau ist, sondern dass Christus im Hier und Jetzt lebendig ist. Ich hoffe, dass das auch andere Menschen spüren, auch Menschen, die mit Gott vielleicht noch keine Berührungspunkte haben. Dafür stehe ich morgens vor der Uni eine Stunde früher auf. Weil es Spaß macht und weil ich sehe, dass es etwas bewirkt.
Welche Reaktionen gibt es? Was schreiben die Leute?
Vorhin habe ich eine Nachricht von einer Frau bekommen, der es nicht so gut ging. Sie sei auf den Weihnachtsmarkt gegangen und habe enttäuscht festgestellt, dass Maria nicht an der Krippe saß. Dann kaufte sie ein, kam noch einmal an der Krippe vorbei – und: Maria war plötzlich da. Sie hat geschrieben: „Ich danke dir für diesen Moment, dass du doch noch gekommen bist.“ Dieses Schreiben, das war echt schön. Ich denke, da weht Gottes Geist.
Was war dein schönstes Erlebnis mit Maria?
Mein schönstes Erlebnis war, als SAT.1 uns mitteilte, Maria könnte ganz spontan ins Studio kommen. Um 17 Uhr sind die „Geschichten am Stall“ auf dem Weihnachtsmarkt jeden Tag zu Ende, 30 Minuten später sollten wir schon in Dortmund sein. Das war total stressig und hektisch: Wir sind mit Maria auf dem Arm über den Weihnachtsmarkt gerannt und zum Studio gedüst. In dem Moment wurde mir klar: „Jetzt ist es kein kleines Projekt mehr, jetzt erreichen wir Leute!“ Und ich wurde mir dieser Absurdität bewusst, wegen einer Schaufensterpuppe solch eine Hektik zu machen. Das ist das Schöne daran, mitzuspielen.
Soziale Medien haben Maria „berühmt“ gemacht. Welche Schlüsse zieht ihr daraus? Muss die Kirche diese Mittel mehr nutzen?
Christian Uhlstein hat mit der Eröffnung des Facebook-Profils ursprünglich kein Ziel verfolgt. Wir hatten keine Marketing-Strategie, das ist einfach so entstanden. Das charmante an der Aktion für uns ist, dass die Aktion den Brückenschlag von der digitalen zur realen Welt geschafft hat. Und zurück. Die Facebook-Aktion regt die Gastfreundschaft an und stiftet zu Gesprächen in der realen Welt an. Ich glaube schon, dass die Kirche in Zukunft die sozialen Netzwerke mehr nutzen sollte. Insbesondere auch, um jüngere Leute zu erreichen.
Wieso hat Maria eigentlich zwei Facebook-Profile?
Nach einigen Tagen wurde die erste Seite gesperrt, weil seitens Facebook der Verdacht bestand, dass Maria keine reale Person ist. Nach den Fernsehberichten kamen dann so viele Freundschaftsanfragen, dass Marias Seite noch einmal gesperrt wurde. Als Reaktion darauf hat Christian Uhlstein für Maria zusätzlich ein Profil als öffentliche Person erstellt. Wir wollten das Profil übertragen, sobald das erste Profil wieder freigegeben wird, das haben wir aber nicht geschafft.
Habt ihr schon etwas für nächstes Jahr geplant?
Nein. Wir wissen auch noch gar nicht, was mit Maria jetzt nach Weihnachten passiert. Ob sie zurück nach Bethlehem möchte, was sie vorhat. Das müssen wir drei, Christian Uhlstein, Maria und ich, noch in Ruhe besprechen.
Vielleicht auch ein Facebook-Profil für Josef?
Wir haben uns bewusst nur für Maria entschieden. Wenn wir gefragt werden, warum Josef nicht unterwegs ist oder auch ins Warme eingeladen wird, dann sagt Maria: „Josef möchte im Stall bleiben, er ist froh, wenn ich mit meinem Kind im Warmen bin und einer muss ja auf die Tiere aufpassen“.