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Bill Hybels: Es geht vor allem ums Herz

Bill Hybels ist Gründer der Willow Creek Community Church in Chicago, einer der einflussreichsten Megachurches in Amerika. Mit ihm sprach Daniel Janzen, Mitarbeiter des Audiomagazins Willow YouthPod (www.youthpod.de).

Bill, du bist ja nun einer der Pastoren, die man eigentlich nicht vorstellen muss. Die Leute kennen dich, du bist der Gründer von Willow Creek, einer der einflussreichsten Gemeinden in Amerika. Wir aber wissen, dass du mit Jugendarbeit angefangen hast, und zwar lange, bevor ich überhaupt geboren wurde.

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Hybels: (lacht) So lang ist das schon her?

Ja! Erinnerst du dich noch an die verrückten Zeiten in deiner Jugendarbeit, die du einfach nur vergessen willst? Wie hast du’s da durchgeschafft?

Mein absoluter Tiefpunkt in der Jugendarbeit war, als wir mit drei- oder vierhundert Kids auf Freizeit gefahren. Wir haben dafür ein Studentenwohnheim gemietet. Gott hatte auf der Freizeit eine Menge bewegt. Und am letzten Abend sagten wir zu den Jugendlichen: „Okay, ihr MÜSST um Mitternacht im Bett sein!“ Wir hatten nur leider nicht genügend Mitarbeiter. Die Kids waren außer Rand und Band! Die dachten gar nicht daran, ins Bett zu gehen und wuselten überall im Gebäude herum. Mein Freund und ich gingen von Raum zu Raum und sagten: „Jetzt aber wirklich ab ins Bett! Wir sind für euch verantwortlich, und so weiter …“

Wir sind ständig mit dem Aufzug hoch und runter gefahren, auf alle Etagen, um endlich für Ruhe zu sorgen. So gegen drei Uhr morgens, vielleicht auch erst um vier, waren wir völlig am Ende. Und ich musste am nächsten Tag noch die Abschluss-Session halten!

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„Das ist doch total irre!“

Mein Kumpel und ich standen also mal wieder im Aufzug, die Tür ging auf – und da waren auf einmal drei oder vier Kids mit Wasserpistolen, voll bis oben hin mit Rasierschaum!! Die Jungs beschossen uns kräftig damit. Die Türen gingen wieder zu. Wir sahen uns an und sagten uns: „Wozu machen wir das eigentlich?! Das ist doch total irre!“ Das war für uns eine echte Bewährungsprobe! Man muss sich schon dazu berufen fühlen, denn das war einfach nur lächerlich!

Klar! Manchmal ist es doch von Vorteil, nur 20 Jugendliche zu haben!

Ja! Die hat man wenigstens unter Kontrolle!

Du hast in den letzten 30 Jahren erlebt, wie sich Generationen und Dienste verändert haben. Doch während all dieser Zeit gab es Dinge, die immer gleich geblieben sind und gleich bleiben werden. Eins davon ist Mentoring. Wie wichtig findest du es, Mentoring-Beziehungen in Gemeinden aufzubauen?

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Ja, ich habe im Laufe der Jahrzehnte Veränderungen und neue Ansätze im Dienst mitbekommen. Manche Dinge ändern sich nie! Jeder Jugendliche, den ich kenne, ist empfänglich für Liebe. Jeder junge Mitarbeiter ist empfänglich für aufrichtiges Mentoring. Wenn du jemandem, bei dem du Leiterschaftsgaben oder das Potenzial entdeckst, sagst: Ich glaube an dich, und wenn du einverstanden bist, dann investiere ich in dich. Ich bete für dich. Wir können uns über deine Potenziale unterhalten. Wir können dir verantwortlichere Positionen geben und dich coachen, damit du besser wirst. Es ist mir noch nie passiert, dass ein junger Mitarbeiter das abgelehnt oder es für eine schlechte Idee gehalten hat.

Ich glaube, seit Jesus liegt die Hoffnung in die Zukunft des Reichs Gottes darin, dass erfahrene Leiter neue junge Leiter mit hohem Potenzial entdecken und sie als Mentoren fördern. Nicht nur in der Jugendarbeit, sondern auch in der Erwachsenen- oder Sozialarbeit. Es geht um Investieren, Mentoring und Coaching und darum, anderen dabei zu helfen, besser zu werden.

Es gibt ja einige Jugendliche, die zwar Gott lieben und an Jesus glauben, sich dann aber doch von der Gemeinde abwenden. Was würdest du jungen Leuten über die Bedeutung der Ortsgemeinde sagen?

Zuerst würde ich sagen: Sie haben vielleicht einen guten Grund, um sich von ihrer Gemeinde abzuwenden. Es kann ja sein, dass in der Gemeinde etwas grundlegend schief läuft. Ich selber hätte es in der Gemeinde meiner Jugend auch fast nicht mehr ausgehalten. Da ging’s drunter und drüber! Die Leute haben das eine gesagt und das andere getan. Sie behaupteten, sie würden sich um diejenigen kümmern, die von Gott entfernt waren, taten aber nie etwas, um Leute zu Jesus zu führen.

„Ich musste wieder zurück zur Gemeinde finden“

Als ich diese Gemeinde verließ, tat ich das aus Gründen der Integrität. Ich hatte das Gefühl, dass das nötig war. Kurz gesagt: Ich musste wieder zurück zu Gemeinde finden. Jeder braucht eine Gemeinde. Egal, wie alt du bist. Ob zwei Monate oder achtzig Jahre – Gott hat uns dazu geschaffen, in Gemeinschaft mit anderen Menschen zu leben. Diese Gemeinschaften wurden in der Bibel genau beschrieben. Sie sollen Versammlungen mit gesalbten Leitern sein. Es soll Anbetung und Gemeinschaft geben, Nöte sollen gelindert werden – so werden Glaubensgemeinschaften im Neuen Testament dargestellt. Wenn ein Jugendlicher nun also schlechte Erfahrungen in einer Gemeinde gemacht hat, dann würde ich sagen: Gib Gemeinde als solche nicht auf! Such dir eine Gemeinde in deiner Nähe, die eher dem entspricht, was im Neuen Testament beschrieben wird. Wenn du keine solche Gemeinde finden kannst, würde ich sogar raten: Trommel ein paar Leute zusammen und gründe selbst eine! Keine Ortsgemeinde zu haben ist keine Option für einen ernsthaften Christen, egal welchen Alters. Einige der besten Gemeinden, die ich in den verschiedensten Kulturen und Ländern auf der ganzen Welt erlebt habe, wurden von Leuten gegründet, die einfach keine Gemeinde finden konnten, wo sie sich wirklich wohl fühlten und wo sie die Ideale aus dem Neuen Testament fanden. Deshalb sagten sie sich: Dann gründen wir eben eine!

Und genau das hast du selbst getan. Wir wissen, dass es bei Willow Creek immer darum ging, die Kirchendistanzierten zu erreichen. Du bist von ganzem Herzen Evangelist. Kannst du uns erklären, wie unsere Jugendliche ihre nicht-christlichen Freunde am besten erreichen können? Was ist am wichtigsten bei der Evangelisation?

Es geht vor allem ums Herz. Mit bestimmten Techniken oder Methoden hat das nur sehr wenig zu tun. Wenn deine Beziehung zu Gott eng genug ist, um sein Herz für Menschen, die ihn nicht kennen, in dir zu haben – dann kannst du ihnen auf allen möglichen und unmöglichen Wegen zu Christus verhelfen. Und zwar, weil sie nicht an deiner Überzeugung zweifeln. Sie spüren, dass du sie liebst und dass sie dir wichtig sind.

Ich glaube, als ich jünger war, habe ich mehr auf Methoden gegeben. Während meiner Reisen – und vielleicht auch meines Reifens – habe ich ein Dutzend verschiedener Methoden kennen gelernt, die funktionieren. Manche sind das komplette Gegenteil von einander und doch sehe ich, wie Gott sie weltweit benutzt. Doch was ist der kleinste gemeinsame Nenner davon? Menschen, die Gott und andere Menschen so sehr lieben, dass sie ihnen den Glauben näher bringen.

Ich würde gerne wissen, welchen Rat du als leitender Pastor geben würdest, wenn ein Jugendpastor versucht, die volle Unterstützung seines leitenden Pastoren zu erhalten. Wie soll er das anstellen?

Ich finde, es ist sehr wichtig für Jugendmitarbeiter, dass sie lernen, mit dem leitenden Pastor zusammenzuarbeiten. Wenn ein leitender Pastor und ein Jugendpastor am selben Strang ziehen und einander vertrauen und respektieren, dann können unglaubliche Dinge in der Dynamik zwischen Erwachsenen- und Jugendarbeit passieren. Wenn ein Jugendleiter nun aber meint, dass er den leitenden Pastoren nicht braucht und lieber sein eigenes Ding durchzieht – wenn er sich nicht um einen respektvollen Umgang mit ihm bemüht – dann verpasst er eine Chance.

Ich war lange genug bei Willow und habe viele Jugendmitarbeiter kennen gelernt. Diejenigen, vor denen ich am meisten Respekt hatte, haben sehr ernsthaft daran gearbeitet, mit mir an einem Strang zu ziehen. Selbst wenn ich nur wissen wollte, ob beim Jugendkreis am Abend zuvor etwas Tolles passiert ist und Gott etwas Einzigartiges bewirkt hat. Ich habe meine Jugendmitarbeiter immer aufgefordert, und tue das heute noch: Mailt mir, wenn etwas Außergewöhnliches passiert! Denn dann ich kann ich gezielter für euch beten und es hilft mir, besser zu verstehen, was Gott tut. Vielleicht hilft es mir auch dabei, euch besser unterstützen zu können.

„Ich schaffe das nicht alleine“

In einer Phase von Willow gab es einen Jugendpastor, der mich bis zu meinem Auto verfolgte. Er wusste genau, wann ich aus dem Haus ging. Er lauerte mir am Fenster auf, kam an und fragte, ob er mich begleiten kann. Na klar! Unsere Beziehung entwickelte sich, weil er mich zum Auto begleitete. Ich habe ihn für seine Mühe respektiert. Das war eine unheimlich gute Phase des Teamworks in unserer Gemeinde. Arbeitet also zusammen und bleibt am Ball! Manchmal trauen sich Jugendleiter nicht, ihre Pastoren um Hilfe zu bitten. Sagt ihnen trotzdem: „Ich schaff das nicht alleine! Kann ich dich irgendwie bestechen oder was soll ich tun? Ich brauche deine Hilfe!“ (lacht)

Selbst heute verblüfft es mich manchmal noch, wenn meine Jugendmitarbeiter zu mir kommen und sagen: „Bill, ohne deine Hilfe geht es nicht! Was sollen wir tun?“ Und ich antworte dann manchmal ganz perplex: „Wieso, ich dachte, ihr schafft das ohne mich?“ Und sie sagen: „Nein, schaffen wir nicht!“ Also macht den Mund auf!

In jeder Gruppe gibt es Jugendliche, die sich super entwickeln, und wir als Mitarbeiter sind ganz stolz auf unsere Arbeit. Andere entwickeln sich aber gar nicht und wir fühlen uns wie Versager. Welche Verantwortung hat ein Jugendleiter für das geistliche Wachstum seiner Jugendlichen?

Das kann einen verrückt machen, nicht? Manche Jugendliche sind aus irgendeinem Grund wie auf Knopfdruck voll bei der Sache für Gott. Und dann sitzt da direkt neben so einem jemand, bei dem es einfach nie „Klick“ macht. Vielleicht betest du gleich viel für beide und widmest ihnen gleich viel Zeit …Für mich ist das immer noch eins der größten Rätsel – nicht nur in der Jugend-, sondern auch in der Erwachsenenarbeit! Warum klappt es bei manchen und bei anderen nicht?

Ich glaube, manchmal laden wir uns in der Jugendarbeit zu viel Verantwortung auf und vergessen dabei ganz, dass manche Kids einfach Mist bauen! Sie treffen falsche Entscheidungen. Manchmal hängt das gar nicht mit unserer Leitung zusammen. Es hängt mit einer ganz normalen Phase im Leben zusammen, in der es zum Reifeprozess dazu gehört, Fehler zu machen.

Während ich hier in Deutschland bin, habe ich eine Nachricht von Eltern bekommen, deren Sohn zu den meistversprechenden jungen Männern in unserer Jugend gehört. Ein toller Kerl! Aber vor ein paar Tagen hat er eine falsche Entscheidung getroffen. Er ging auf eine Party, wo Alkohol an Minderjährige ausgeschenkt wurde, und geriet in Schwierigkeiten.

Seinen Eltern war das wirklich unangenehm. Sie schrieben mir, sie fühlten sich schrecklich, vielleicht würde der Name ihres Sohnes in der Zeitung auftauchen und so weiter. Ich habe mich bei ihnen gemeldet und gesagt: „Ich glaube, ich erinnere mich dunkel daran, dass ich in meiner Jugend auch so manche falsche Entscheidung getroffen habe. Und wenn ihr mal drüber nachdenkt, geht es euch wohl genauso. Manche eurer guten Entscheidungen verdankt ihr den schmerzvollen Erfahrungen eurer Fehler.“

„Gott kann dich trotzdem gebrauchen!“

Ich rate Jugendmitarbeitern: Arbeitet die Fehler auf, anstatt einen Jugendlichen deswegen fertig zu machen! Setz dich mit ihm hin und frage ihn: Wie hat sich das angefühlt? Wie ist es gelaufen? Wie oft muss man das wiederholen, bevor es einem endlich in den Kopf geht, dass das wohl nicht gerade der beste Weg ist?

Ich mochte es nicht besonders, mit Schuldgefühlen zu arbeiten oder den Kids Angst zu machen. Ich wollte sie nicht einschüchtern. Ich wollte denen, die vom Weg abgekommen waren, viel lieber vermitteln, dass sie immer zurückkommen können. Dass ich nie mein Herz vor ihnen verschließen würde. Wenn sie über einen Fehler, den sie gemacht haben, reden wollten, würde ich ihnen immer zuhören und ihnen Rat geben, sie aber wahrscheinlich nicht verurteilen. Ich habe in meiner Jugend auch Fehler gemacht. Ein paar schlimme Fehler! Es war mir peinlich und ich schämte mich. Die Leute, die mich geprägt haben, waren diejenigen, die mir den Arm um die Schultern legten und sagten: „Gott kann dich trotzdem gebrauchen!“

Noch eine letzte Frage: Welchen Rat würdest du einem Jugendleiter geben, der gerade erst angefangen hat?

Ich würde ihm sagen: Baue ein starkes Fundament in dem Dienst, in den Gott dich hineingeführt hat. Stell dir vor, du würdest das für den Rest deines Lebens tun. Baue deine Arbeit gut auf. Das muss nicht über Nacht passieren. Triff weise Entscheidungen, was Leitung und Einsatz angeht. Nimm keine Abkürzungen. Du würdest es jedes Mal bereuen. Es gibt immer einen biblischen und weisen Weg, der sich auf lange Sicht bewährt. Wenn du zurückschaust, hast du ein gutes Gefühl dabei. Ich glaube aber nicht, dass das, was „trendig“ ist und einen schnellen Erfolg verspricht, wirklich funktioniert im Leben eines echten Jesus-Nachfolgers. Es würde ein komisches Gefühl hinterlassen – „So jemand will ich nicht sein!“

Jesus war sehr deutlich in seiner Lehre über starke Fundamente und wie man Glauben und Gemeinschaft in den Menschen gründet. Tu alles, was in deiner Macht liegt, um etwas Echtes und Dauerhaftes im Leben der Menschen zu bewirken.

Beim Willow-Creek-Kongress in Karlsruhe hat Nancy Beech gesprochen. Ich habe sie gefördert, seit sie 14 Jahre alt war. Jetzt, wo ich sehe, wie sie auf der Bühne vor Tausenden Menschen spricht, bin ich froh, dass ich an sie als Leiterin geglaubt habe. Ich bin froh, dass ich mir die Zeit genommen habe, sie in Lehre und Rhetorik zu fördern. Man sieht die Früchte noch Jahrzehnte später! Also: Baut ein starkes Fundament!

Das 30-minütige Original-Interview erscheint am 17.03. im „Willow YouthPod„, einem Audio-Magazin von Willow Creek Deutschland für Mitarbeiter in der Jugendarbeit. Weitere Infos unter www.youthpod.de.

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