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Familie mit fünf Kindern teilt Haus mit geflüchteten Ukrainern

Tabea Gruhn und ihr Mann entscheiden sich Mitte März, eine Ukrainerin und ihren Sohn aufzunehmen. Inzwischen ist sie froh, dass es nur zwei Gäste sind.

Von Tabea Gruhn

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Seit dem Einmarsch Putins in die Ukraine und den damit verbundenen Bildern flüchtender Menschen war mir klar, dass wir unser Haus und unser Familienleben für die öffnen würden, die uns brauchen. Der Gedanke, Menschen aus der Ukraine bei uns im Haus zu haben, bereitete keinem unserer fünf Kinder Sorgen. Es schien für sie selbstverständlich zu sein. Jeden Tag fragten sie: Sind sie schon da? Wann kommen sie? Wer kommt überhaupt?

Am 17. März kam schließlich der Anruf vom Christlichen Integrationszentrum in Augsburg: Natalia und ihr Sohn Mikita (13) waren gerade nach vier Tagen Reise angekommen, erschöpft, ohne Familien- oder Verwandtenanschluss. Natalias Mann und ihr 18-jähriger Sohn waren noch in der Ukraine.

Wann ich zum Abholen kommen könnte? Ich sprang ins Auto, holte unsere Kleinste vom Kindergarten ab und fuhr in die Stadt. Nach einer kurzen Begrüßung und ein paar Hinweisen waren wir wieder auf dem Weg nach Hause. Unsere Kinder hatten in der Zwischenzeit das blaugelb angemalte Kalenderblatt mit kyrillischem „Willkommen“ an die Haustür geklebt.

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Unser Leben hat nun einen neuen Alltag, den wir inzwischen meistens „normal“ leben. Anfangs haben unsere 9- und 11-jährigen Jungs fast ausschließlich mit Mikita gespielt. Inzwischen verbringen sie ihre Zeit auch wieder mit Schulkameraden und Freunden. Wenn unsere Kinder in der Schule sind, bekommt Mikita Online-Unterricht aus der Ukraine. Die Nachmittage verbringt jeder mal für sich, mal miteinander.

Mikita, ein passionierter Eishockey-Spieler, durfte schon bei den Augsburger Panthern (ein Eishockeyclub; Anm. d. Red.) vorspielen, wo er einen richtig guten Einstand hatte. Natalia hat angefangen, online Deutsch zu lernen und schreibt fleißig Vokabelkärtchen.

Die Kinder lieben ihre Pfannkuchen, ich freue mich über zusammengelegte Wäsche und weggesaugte Spinnweben und unsere zwei jüngsten Mädchen über Basteleinheiten. In der Verwaltung des Integrationszentrums hat Natalia im Rahmen des Bundesfreiwilligendienstes eine Stelle bekommen, wozu auch ein Sprachkurs gehört.

Zwei Gäste sind schon anstrengend genug

Es hört sich vielleicht an, als wäre es zu schön und zu leicht, um wahr zu sein. Aber im Großen und Ganzen ist es das tatsächlich. Ich habe mich inzwischen schon oft gefreut, dass Gott uns (erst mal) nur zwei Personen anvertraut hat – und nicht mehr. Denn mehr – und kleinere Gäste – wären vielleicht zu viel Belastung geworden.

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Zudem habe ich das Glück, meinen Hauptarbeitsplatz – meine Familie – zu Hause zu haben. Daneben bin ich an einem oder zwei Vormittagen pro Woche im Büro meines Mannes eingeplant. Es ist hilfreich, dass ich viel Zeit zu Hause habe. Denn Registrierung, Anmeldung beim Meldeamt, bei der Asylbehörde und das Ausdrucken und Ausfüllen von Formularen brauchen Zeit und Einsatz. Und die Bereitschaft, manches zu Hause liegenzulassen.

Mein Kopf ist noch voller als sonst. Ich habe noch mehr auf meinen To-do-Listen stehen und bin vergesslicher. Vor allem am Anfang war es viel Arbeit, unsere Strukturen, Familienregeln und jedes unserer Kinder im Blick zu behalten. Und mich selbst auch nicht zu verlieren. Ich habe deutlich gemerkt, wie wichtig Ruhezeiten für mich sind. Zehn Minuten nur für mich. Keine Kinderfragen, keine Übersetzungs-App. Luft holen, Stille atmen, gar nichts denken.

Wirklich wichtig – und in der Anfangszeit manchmal schwierig – fand ich, das eigene Familienleben beizubehalten. Der, der hinzukommt, muss sich anpassen. Denn unsere Familienregeln tragen durch unseren Alltag. Und dann ist es egal, ob Gäste komisch schauen, wenn wir am Anfang des Essens singen und am Ende nicht jeder aufsteht, wie er will.

Auch dass sich mittags jeder selbst um seinen Hunger kümmert, hat sich bei uns bewährt. Unsere Mitbewohner haben sich damit arrangiert. Bei so einer Familienvergrößerung auf unbestimmte Zeit hat man keine Gäste, sondern Lebensbegleiter. Das heißt, dass wir unser Leben normal weiterleben und uns nicht im ständigen Ausnahmezustand befinden.

Die ersten zwei Wochen haben das Besuchsgefühl und somit ein Ausnahmezustand bei den Kindern angedauert. Jetzt bringen sich alle wieder in die gewohnten Bahnen – oder werden von uns daran erinnert. Nur so sind wir die Familie, die wir sind und die bereit war, jemanden aufzunehmen. Wir haben aber auch „einfache“ Gäste, die sich selbst beschäftigen und fähig und willig sind, mit Bus und Straßenbahn zu fahren. Zwei, mit denen wir schon viel gelacht und geredet haben.

Mir war wichtig, von Anfang an die Selbstständigkeit der Geflüchteten zu erhalten.

Vor der Aufnahme hatte ich mir wenige Gedanken über mögliche Probleme gemacht. Ich sehe mich deshalb nicht als naiv an. Eher bin ich ein Typ, der vom Guten ausgeht.

Mir war wichtig, von Anfang an die Selbstständigkeit der Geflüchteten zu erhalten. Die beiden haben einen Hausschlüssel bekommen, und es liegt ein kleiner Geldbeutel bereit, für den Fall, dass sie sich etwas kaufen wollen, während ich unterwegs bin.

Es gilt: Mein Zuhause ist dein Zuhause. Mein Haushalt ist jetzt unser Haushalt. „Wer nicht mit seiner Schwiegermutter leben kann, kommt auch nicht mit Fremden zurecht“, meint Natalia. Und da ist wohl etwas Wahres dran …

Kaum Gespräche über Krieg

Schwierige Kriegserlebnisse waren bisher selten Thema. Auf meine wenigen Fragen bekam ich aber ehrliche Antworten. Wie sehr die Trennung von Ehemann und Sohn Natalia belastet, wie stark sich Erlebnisse auf der Flucht bei ihr eingegraben haben und ob die Sorge um Freunde, Familie und eine ungewisse Zukunft sie innerlich traurig macht, vermag ich nicht zu sagen.

Ich bin niemand, der nachbohrt. Eher warte ich, bis jemand von selbst redet. Kleine Funken der inneren Schwierigkeiten habe ich wahrgenommen, als über unser Wohngebiet laute Flugzeuge oder ein Hubschrauber flogen. Auch laute Geräusche wie Müllautos und Kirchenglocken führten zu angespannten Blicken.

Ich bin Gott dankbar für die Gelassenheit, die ich in vielen Bereichen habe. Das ermöglicht es mir, ein Zusammenleben auf Zeit nicht nur zu „überleben“, sondern gern zu leben.

Tabea Gruhn lebt mit ihrem Mann und ihren fünf Kindern zwischen 4 und 13 Jahren in Augsburg.


Dieser Artikel ist in der Zeitschrift Family erschienen. Family wird vom SCM Bundes-Verlag herausgegeben, zu dem auch Jesus.de gehört.

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