Der Christ und BILD-Journalist Daniel Böcking schätzt klare Worte und setzt sich für den Dialog unter Christen ein. Sein Wunsch: Mauern einreißen und Angst vor Tabus abbauen.
Wäre Jesus heute BILD-Leser oder eher Kritiker der Boulevardpresse?
(lacht) Wenn es BILD damals gegeben hätte, hätten wir auf alle Fälle über ihn berichtet! Spektakuläre Anlässe gab es ja zuhauf. Ich denke nicht, dass Jesus viel Zeit auf Erden damit verbracht hätte, um Medienschelte zu betreiben. Außerdem war er Freund des offenen und wahren Wortes.
Wie vereinbarst du deine christlichen Werte mit der oft reißerischen Berichterstattung der BILD-Zeitung?
Ja, wir machen laute Schlagzeilen. Ich sehe darin keinen Widerspruch. Die BILD gehört zur Champions League des deutschen Journalismus. Als ich zum ersten Mal gefragt wurde, warum ich bei BILD arbeite, war meine Gegenfrage: „Warum nicht?“ Ich arbeite hier sehr gerne. Es gibt das schöne Sprichwort: „Wo Gott dich hingesät hat, da sollst du blühen.“
„Ich liebe es, nicht wachsweich und lauwarm herumzueiern. Das halte ich geradezu für biblisch.“
Wie erklärst du den Widerspruch zwischen christlicher Nächstenliebe und der oft polarisierenden Berichterstattung der BILD?
Das sehe ich anders. „Polarisierend“ ist so ein wertendes Wort. Ich liebe es, nicht wachsweich und lauwarm herumzueiern. Das halte ich geradezu für biblisch. Wenn ich mir die Protagonisten der Bibel anschaue, dann kamen von denen klare Worte und kurze Sätze. Dinge beim Namen zu nennen, widerspricht doch nicht einer biblischen Grundhaltung, oder? Einschränkend sage ich aber auch: Ich verteidige nicht 70 Jahre BILD-Historie. Ich behaupte auch nicht, dass wir nie Fehler gemacht hätten. Dass wir allerdings eindeutig formulieren, zähle ich nicht hinzu.
Warum brauchst du als kritischer Journalist den Glauben als Krücke? Reicht dir die Vernunft nicht aus?
(nachdenklich) Das ist eine spannende Frage. Eine der schönen Erfahrungen, die ich auf dem Weg zum christlichen Glauben machen durfte, war die, dass das eine das andere nicht ausschließt. Ich finde es mega, wie vernünftig Glauben ist, wie sehr ich meinen Kopf einschalten und trotzdem zu dem Ergebnis kommen kann, dass es einen lebendigen Gott, dass es Jesus Christus gibt, dem ich mein Leben anvertrauen darf.
Ist dein Glaube nicht eher eine bequeme Flucht vor den harten Realitäten, mit denen du als Journalist konfrontiert wirst?
Der Glaube hat mein Leben besser, aber nicht einfacher gemacht. Zum anderen war ich nie auf der Suche. Das größte Wunder war für mich, wie der Glaube in mein Leben reingekommen ist. Mir ging es gut. Ich war nicht verzweifelt. Plötzlich stand Jesus da, streckte mir seine Hand entgegen. Je mehr ich mich dafür interessiert habe, umso mehr hat es mich zu ihm gezogen. Glaube ist daher für mich nicht eine Flucht, sondern herzliches Empfangenwerden.
Was macht dich hoffnungsvoller: das Lesen der Bibel oder der BILD?
Das ist eine unfaire Frage. (schmunzelt)
Du bist Autor des Buches „Lass mal reden“. Was hat dich dazu bewogen, dieses Buch zu schreiben?
Der christliche Glaube atmet für mich Schönheit. Doch dieses großartige Geschenk wird oft durch Streitthemen verstellt. Nichtchristen haben gar keine Chance, die Schönheit des Glaubens zu entdecken, weil sie bereits von den Barrieren, den Streitthemen und auch von Vorurteilen gegenüber Christen abgeschreckt werden.
Auf deinen Vortragsreisen stellst du fest, dass Christen viel „Energie und Leidenschaft“ in „Nickligkeiten stecken …“, dass sie „verbissen diskutieren, bis wir unser Leuchten verlieren“. Welche Erleuchtung willst du mit diesem Buch in die Gemeinden tragen?
Unterwegs habe ich viele tolle Menschen und tolle Gemeinden kennengelernt. Immer wieder begegneten mir aber dann auch die Themen, um die es im Buch geht. Entweder wurden sie umgangen oder sie führten zu großen, heftigen Konflikten. Ich will mit dem Buch den Boden dazu bereiten, dass wir konstruktive Debatten führen, wir verschiedene Meinungen stehen lassen, aber eben auch sehen: Am Ende geht es um Jesus, um Gottes Liebe. Kleine Streitthemen sollten nicht zu riesigen Elefanten gemacht werden, die dann den Blick aufs Wesentliche verstellen.
Welches Futter, welche Geisteshaltung könnten liberale – und konservative – Streithähne für ihre Diskussionen in der Lektüre finden?
Ich bin kein Ratgeber, sehe mich auch nicht auf einem Podest, auf dem ich über all diese Themen allwissend doziere. Was mir in diesem Zusammenhang immer wieder begegnete, ist der Begriff „liebevolle Gelassenheit“ mit Jesus im Zentrum. Wir sollten da Kraft hineininvestieren und uns nicht an den Randthemen abarbeiten.
„Nicht verhandelbar ist für mich die Frage nach der Auferstehung Jesu.“
Welche Wahrheit ist für dich verhandelbar? Welche steht fest?
Ich bin kein Theologe. Beim Schreiben habe ich entdeckt, dass jedes Thema längst von Fachleuten ausrecherchiert worden ist. Aber auch sie kommen nicht zu einheitlichen Ergebnissen. Nicht verhandelbar ist für mich die Frage nach der Auferstehung Jesu. Doch auch wenn jemand sagt, „Das sehe ich nicht so“, würde ich nicht sagen: „Was für ein schlechter Mensch.“ Es geht mir in dem Buch nicht darum, zu sagen: „Die Themen sind egal“ oder „Redet nicht darüber“. Im Gegenteil: Wir Christen sind frei, zu diskutieren. Keiner hat alleine die Wahrheit mit Löffeln gefressen. Das ist doch herrlich. In den Augen von Nichtchristen gelten wir Gläubigen oft als einfältig, mit einer erwartbaren Meinung zu jedem der Themen. In Wahrheit sind wir vielfältig und kunterbunt.
Du greifst brisante Themen auf: von A wie Abtreibung bis W wie Wokeness. Was ist deine stille Hoffnung dahinter?
Mein Grundanliegen ist es, über die Schönheit des Glaubens zu schreiben – anstatt diese Zank-Themen zu groß oder gar zu Hürden auf dem Weg zu Jesus werden zu lassen. Ich musste mich dann ein bisschen zwingen, keines dieser Themen auszulassen, die ja gepflastert sind mit Fettnäpfchen.
Welches Kapitel floss dir nicht aus der Feder?
Das über Homosexualität und das über Wokeness. Das ist ein echter Spagat zwischen meinem sehr weltlichen Umfeld und den frommen Kreisen, in denen ich als Redner unterwegs bin. Vermutlich sind meine Zeilen hier den einen viel zu progressiv und den anderen viel zu konservativ.
Warum hat dir Wokeness Kopfschmerzen bereitet?
Wokeness ist eine zutiefst christliche Tugend. „Wachet und betet“, lese ich in Matthäus 26,41. So gesehen sollten alle Christen woke sein. Leider hat Wokeness eine Abbiegung ins Ideologische genommen. Das zeigt sich besonders deutlich an der Beurteilung woker Vertreter in Bezug auf Israel. Als am 7. Oktober 2023 Israel überfallen wurde und Menschen vergewaltigt, abgeschlachtet und als Geiseln genommen wurden, hat sich sehr schnell eine Anti-Israel-Haltung gezeigt. Auf Demonstrationen wurde „From the river to the sea“ geschrien. In der woken Ideologie hat Israel keine Chance, jemals Recht zu bekommen – ganz egal, was am 7. Oktober passiert ist.
Kapitel Identität: Bibelfeste Christen lesen 1. Mose und bilanzieren: Es gibt die Frau und den Mann. Das neue Selbstbestimmungsgesetz wird auf der Website des Justizministeriums beworben mit dem Hashtag #SeiDuSelbst. Was nun?
Auch wenn ich nicht immer die gleiche Antwort geben will: Mein Ziel ist es nicht, Menschen zu sagen: „So ist es richtig.“ Bei dem Thema war ich überrascht, wie vielfältig die kirchlichen Ansichten sind, wie viele sagen: „Gut, dass es jetzt dieses Gesetz gibt.“ Gleichzeitig nehme ich auch eine große Ablehnung wahr. Und ganz persönlich: Ich empfinde es als Gewinn, dass wir als Christen einen Gott haben, der uns eine Identität zuspricht. Daher sollten wir uns als Christen darüber freuen und andererseits andere ermutigen, sich nicht lustig darüber zu machen, wenn jemand mit seiner Identität hadert.
Dein Lieblingskapitel in dem Buch ist?
(spontan) Das zur Bibel. Ich finde es spannend, wie unterschiedlich sie gelesen und verstanden wird. Sie ist ein Hammer-Buch, selbst wenn ich die christlichen Aspekte rausnehmen und alleine auf die Historie, ihre Weisheiten und Vernunft schauen würde. Ich dachte früher, wenn ich mehr Zeit mit der Bibel verbringe, werde ich enttäuscht feststellen, wie viel davon nur Legende ist. Es ist das Gegenteil passiert: Die Bibel enthält Wahrheiten auf so vielen Ebenen. Ich glaube, auch Nicht-Gläubige wären überrascht, wenn sie sich das mal näher anschauen würden.
„Wir beide haben für uns in Anspruch genommen, dass wir total gut Bescheid wissen. Trotzdem sind wir zu fundamental anderen Sichtweisen gekommen.“
Welches Kapitel würdest du einem Männerstammtisch, einem Männergesprächskreis empfehlen?
(Schweigen) Das zur Gleichberechtigung – schließlich geht es da auch zentral um Frauen. Ich habe lange mit einem Christen darüber diskutiert. Er hat eine ganz andere Meinung als ich. Wir beide haben für uns in Anspruch genommen, dass wir total gut Bescheid wissen. Trotzdem sind wir zu fundamental anderen Sichtweisen gekommen. Ich habe extra nicht Sex gesagt … (lacht)
Es wäre dir ein Herzensanliegen, wenn dieses Buch Folgendes bewirken würde …
Wenn wir als Christen miteinander reden, anstatt einander abzukanzeln; Menschen beim Lesen des Buches die Schönheit des Glaubens entdecken, sie Gott begegnen, und auf dem Weg dorthin die Lektüre ein paar Hürden und Mauern abbaut; wir als Christen zu einem guten und wertschätzenden Miteinander finden; wir nicht zu viel Angst vor Tabus haben; Nichtchristen sehen, dass wir Christen kein einfältiger und starrer Haufen sind.
Folgende Schlagzeile würdest du gerne einmal über die Christen auf Seite 1 der BILD bringen:
Keine Ahnung. (Pause) Doch. (lacht)
„Jesus-Hype in Deutschland: Kirchen müssen Stehplätze einbauen.“
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Rüdiger Jope. Er ist Chef-Redakteur des Männermagazins MOVO.
Daniel Böcking arbeitet seit 27 Jahren als Journalist. Er ist Mitglied der BILD-Chefredaktion, Botschafter beim Bundesverband Kinderhospiz, engagiert sich bei „Ein Herz für Kinder“ und beim ERF. Er lebt glücklich verheiratet mit seiner Frau Sophie, vier Kindern und einem Labrador in einem Dorf bei Berlin. Er ist Autor des Buches »Lass mal reden – Von Abtreibung bis Wokeness: Zwischen Zeitgeist und christlichen Werten« (adeo).

Dieses Interview ist in der Zeitschrift MOVO erschienen. MOVO ist ein Angebot des SCM Bundes-Verlags, zu dem auch Jesus.de gehört.
Jesus mit der Bildzeitung unter dem Arm ist unvorstellbar
Der Christ und BILD-Journalist Daniel Böcking schätzt klare Worte und setzt sich für den Dialog unter Christen ein. Sein Wunsch: Mauern einreißen und Angst vor Tabus abbauen.
Halte ich für grundsätzlich gut, Ich selbst bin Christ und nicht in erster Linie evangelikal, liberal oder charismatisch. Wo ich aber nicht mitkann, wie jemand wie Böcking dann ausgerechnet bei der Zeitung mit den großen Buchstaben arbeiten will. Öfters gehe ich an einem kleinen Geschäft vorbei, an dem außen exemplarisch jeden Tag die neueste BILDZEITUNG ausgestellt ist und deren reißerische Überschrift sendet leider immer unmissverständlich Vorurteile an jeden Passanten, zudem grobe Vereinfachungen und erweckt Neid (was verdienen Politiker?) usw. Es wird aber nicht suggeriert, was etwa unsere Spitzenfußballer verdienen, denn damit würden viele Menschen infrage gestellt, nur weil sie (auch zuhause) gerne Fußball sehen und morgens in der Bahn als leichte Kosten BILD genießen wollen. Natürlich ist dies alles nicht Daniel Böcking`s Problem, aber er trägt leider dies zu einer Form des Journalismus bei, der nicht zur Premiummarke gehört. Gleichwohl: Bild darf sein, Spiegel darf sein, fast jede Meinung darf sein, aber Gut und Böse gilt in jedem Medium und dafür sind die dortigen Akteure auch persönlich verantwortlich. Ich glaube nicht, wenn Jesus heute auf Stippvisite wäre, daß er mit der Bildzeitung unter dem Arm kommt. Im übrigen bringt auch pressemäßig ein guter Baum gute Frucht und und böser Baum eben auch nur eine negative. Aber ich kann mir nicht vorstellen, daß die Bildzeitung für Liberalität wirbt und sich in ihren Veröffentlichungen auch für die Menschenrechte und Flüchtlinge einsetzt. Leider dürfte bei Bild dort die Lufthoheit über den Stammtischen von enormer Wichtigkeit sein für ein Geschäftmodell, daß gut vorgefertigte Meinung bestätigt und ihr die treuen Kunden erhält. Dort wird immer so formuliert, dass es den Deutschen Michel bekräftigt. Der Deutsche Michel ist hier die bildhafte Vorstellung eines Mannes mit Zipfelmütze, der grundsätzlich glaubt, daß die meisten Politiker:innen nichts taugen, mit Ausnahme jener, die gerne Vereinfachungen im Denken betreiben und sich die Welt so machen wie sie ihnen gefällt, nach dem uralten Motto unserer Pippi Langstrumpf. Nur mit dem entscheidenden kleinen Unterschied, daß die alte Pippi auch schon kinderpädagogisch zu aufmüpfig wäre wie die Denkweisen mancher Leute.
Ich kann mich sehr noch gut erinnern, als ich einen guten Zeitungsartikel in einem Regionalblatt schrieb, über ein sehr inhaltsreiches christliches Gemeindefest. Die Redaktion, sich die Überschrift grundsätzlich vorbehaltend, kam auf die Schnapsidee, das ganze Unternehmen mit der dicken Balkenüberschrift zu titeln „Im Kirchgarten floß das Bier in Strömen“. Die Macht wird ausgeübt durch Balkenüberschriften, die dabei Botschaften enthalten, die mit dem darunterstehenden Text oft nur noch wenig gemein haben. Alleine deshalb sind diese Formate für mich nicht geeignet.