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Wie ein Rentner die Nächstenliebe lebt

Als Verkaufsprofi hat Friedemann Hensgen Bordküchen für Flugzeuge an den Mann gebracht, Beziehungen zu den USA aufgebaut und die Karriereleiter bis zum Bereichsleiter Marketing erklommen. Nun ist er in Rente, doch die Füße legt er noch lange nicht hoch: Mittlerweile kümmert sich der Christ als Vorstandsvorsitzender der „Rittal Foundation“ um die Förderung von Sozial-, Kultur- und Bildungsprojekten. Jörg Podworny hat ihn bei seiner Arbeit begleitet.

Anfangs, gesteht Friedemann Hensgen, habe er sich mit dem Automatikgetriebe nicht recht anfreunden können. Inzwischen aber habe die verbesserte Pkw-Automatik das Fahren deutlich komfortabler gemacht. Hensgen (69) parkt seine dunkle Limousine, „FH“ im Kennzeichen, auf dem Parkplatz des Fabrikgeländes in Wissenbach nahe Dillenburg, schnappt sich sein blaues Jackett vom Bügel im Fond des Wagens und greift nach der schwarzen Aktenmappe mit rotem Deckel. Fertig.

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Drinnen treffen wir auf Marc Weitzel und Khaled Alkano. Der junge Deutsche (3. Ausbildungsjahr) und der Syrer (1. Jahr) sind ein Team. Marc ist der „Pate“, der Khaled während seiner technischen Ausbildung zum „Maschinen- und Anlagenführer“ begleitet und im Berufsalltag fördert. Alkano ist 2017 aus Aleppo geflohen, wo er schon eine Ausbildung zum Baumaschinenassistent absolviert hatte. Jetzt lernt er in Deutschland neu. Gemeinsam steht er mit seinem Paten an einem Monitor, auf dem die Daten der Maschine vor ihnen angezeigt werden. Später spannen sie in einer Lehr-Werkshalle Metallteile in das nächste Gerät. Im Vollbetrieb fliegen hier die Metallspäne, Schutzbrillen sind Pflicht. Nachdem die angefertigten Metallteile millimetergenau geprüft sind, geht es weiter in den Schulungsraum.

Ausbilder und Azubi
Das deutsch-syrische Ausbildungsteam: Marc Weitzel (l.) und Khaled Alkano. Foto: Jörg Podworny

Hier ist unübersehbar auch das Reich von Susann Wölbing, die wiederum im Tandem mit Marc Weitzel die praktische Anleitung im Ausbildungsprogramm übernommen hat. Besonders liegt ihr der betriebsbezogene Deutschkurs am Herzen, der integriert ist in die Berufsausbildung. Hier pauken die Auszubildenden intensiv Fachvokabeln, die später auch in der Prüfung eine Rolle spielen. Khaled steht vor einer Flipchart mit den noch fremden Wörtern. „Flurförderfahrzeug“ heißt ein Gabelstapler fachlich korrekt. Mit etwas Suchen findet er das passende Verkehrsschild dazu, das auf Betriebsgeländen angebracht ist, lernt Aussprache und Erklärungen. Er büffelt Wirtschaftskunde, befasst sich mit politischen und wirtschaftlichen Fragestellungen.

Seit Anfang 2015 gibt es im Rittal-Werk dieses Ausbildungsförderungsprojekt für Geflüchtete, deren Verantwortliche eng mit der Wirtschaftsförderungsstelle des Kreises zusammenarbeiten. Wer für ein Asylverfahren registriert ist, realistische Bleibe-Chancen und alle Papiere beisammen hat, kann in einer Potenzialanalyse, betreut durch einen Sozialpädagogen, der auch die Kontakte herstellt, seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt ermitteln lassen. Und wenn es gut läuft, die Ausbildung im Rittal-Flüchtlingsprogramm antreten, die „deutlich intensiver als in der Berufsschule“ ist, sagt Matthias Hecker, der Gesamtleiter des Programms. Und offenbar auch erfolgversprechend: Gerade gestern erst haben Wölbing und Hecker zwei Facharbeiter-Zeugnisse überreicht, an einen jungen Mann aus Eritrea und einen anderen aus Somalia.

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Zwei bis drei Azubis pro Jahr können in das Förderprojekt aufgenommen werden. „Mehr aufzunehmen hätte keinen Sinn, wenn man es nachhaltig machen will“, erklärt Hecker. Ohnehin ist die intensive Schulung aus seiner Sicht nur möglich, „weil es hier im Betrieb gewollt und gefördert wird. Ein kleiner Handwerkerbetrieb wäre damit überfordert.“ Friedemann Hensgen freut sich: „Der Mehraufwand ist nötig, aber es lohnt sich. Inzwischen sind auch andere größere Betriebe dran und fragen nach unseren Erfahrungen.“

„KleiderTREFF“: „Die ganze Welt in Dillenburg“

Ortswechsel. Mitten in der Altstadt von Dillenburg liegt der „KleiderTREFF“. Die Tür steht offen, lächelnde Mitarbeiterinnen schütteln einem die Hand. Im Dezember 2015 eröffnet, hat der Laden sich als Treffpunkt, Einkaufs- und Beratungsstelle für geflüchtete Menschen und Einheimische etabliert. Evangelische, katholische und freikirchliche Gemeinden arbeiten hier zusammen mit der Caritas, dem Diakonischen Werk und dem DRK-Kreisverband, viele Ehrenamtliche engagieren sich, das macht den KleiderTREFF stark. Drei Tage die Woche werden Kleiderspenden entgegengenommen und zu einem geringen Kostenbeitrag an Geflüchtete und Deutsche mit Berechtigungsschein weitergegeben. Immer dienstags ist „Beratungstag“, erläutert die Leiterin Isabel-Teres Spanke: Die Beratung reicht von komplizierten Formularen, die gemeinsam ausgefüllt werden, über Schwangerschaftsberatung bis zu allgemeinen Lebensfragen. „Das ist enorm gefragt“, sagt Spanke: Gut 100 Menschen kommen jede Woche in den Laden und zur Beratung, aus Somalia, Syrien, Pakistan, Deutschland … „Im Prinzip trifft sich die ganze Welt in Dillenburg“, lächelt sie. In und um Herborn leben Menschen aus rund 100 Volksgruppen.

KleiderTREFF
Friedemann Hensgen im „KleiderTREFF“ Dillenburg mit Leiterin Isabel-Theres Spanke (hinter dem Kleidungsständer) und Fatima Chebab (3.v.l.). Foto: Jörg Podworny

Beliebt ist auch das neue Projekt „Du kannst das“, eine Lernhilfe für Grundschulkinder mit Migrationserfahrung. Beim Start vor einem Jahr „dachten wir, wir fangen mit drei oder vier Kindern an“, erzählt Spanke. Aber schon da waren es zehn, und inzwischen kommen an drei Tagen pro Woche zwischen zehn und fünfzehn Kinder zum Lernen. Ein großer Gewinn ist Fatima Chebab. Die Lehrerin ist 2012 mit ihrer Familie aus Algerien geflohen, stieß hier auf den KleiderTREFF, absolvierte ein Bundesfreiwilligenjahr und ist inzwischen über die Caritas angestellt. Weil sie Arabisch spricht, kann sie beim Übersetzen helfen, was der Arbeit zugutekommt. Mit ihrem Einsatz will sie „Brücken bauen“ zwischen den Menschen aus vielen Nationen, sagt sie.

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Wenn Friedemann Hensgen mit seiner Mappe unterm Arm vorbeischaut, was er regelmäßig tut, ist er ein gern gesehener Gast. Nicht nur, weil er einer der (finanziellen) Förderer dieses und anderer Projekte ist. Bei seinen Mitarbeitergesprächen werden der aktuelle Stand der Arbeit analysiert und neue Ideen gesponnen.

International Business: Bordküchen, Seminarräume, Schaltschränke

Wie über Autos, so lässt sich mit Friedemann Hensgen trefflich auch über andere technische Themen sprechen, man sollte sich nur klar sein, dass er zu vielen Technikfragen mehr weiß. Der freundliche bodenständige Senior mit dem grauen Haarkranz und dem kräftigen Oberlippenbart ist wirtschaftlicher „Selfmademan“, nach Abitur und Wehrdienst 1971 gleich als Assistent des Vertriebsleiters bei der Firma „Sell“ eingestiegen, einem Tochterunternehmen des Buderus-Stahlkonzerns, und hat die Ausbildung zum Industriefachwirt in der Abendschule nachgeholt. Sell war spezialisiert auf die Inneneinrichtung von Flugzeugkabinen, und Hensgen könnte stundenlang reden über Bordküchen, Kühlschränke, „long lead time items“, also Bauteile mit langen Lieferzeiten, alles, was sonst noch für den Bordservice gebraucht wird und wie man das in den begrenzten Innenraum eines Fliegers „hineinfuchst“. Bis heute spürt man ihm auch seinen Stolz ab, wenn er erzählt, dass die Küchen „sehr langlebig“ sind: „Wenn heute jemand fliegt, kann es sein, dass er das Essen aus einem Auftauofen bekommt, den ich noch verkauft habe.“

Von 1982 bis 1988 wechselt er zum „Weyel“-Unternehmen in Haiger, das für Bau und Vertrieb von Schultafeln bekannt war, in diesen Jahren ins Ausland expandierte und sein Produkt-Portfolio weiterentwickelte, bis hin zur Einrichtung von Schulungs- und Seminarräumen, in denen Banken, Versicherungen und Großunternehmen wie BMW, Daimler und VW ihr Personal fortbilden konnten. Hensgen baute dafür erfolgreich den Vertrieb und ein Händlernetz in den USA auf, schulte die Händler in der Theorie, um ihnen dann auch zu zeigen, „wie man eine Tafel montiert“. Er lächelt: „Es ist ideal, wenn Sie Ihr Produkt so verstehen, dass Sie es auseinandernehmen und wieder zusammenbauen können.“

1988 kehrte er zurück zu Sell, wo er als Marketing- und Vertriebsleiter bis Ende 1990 an der Umstrukturierung des Unternehmens mitarbeitet. In diesen Jahren wurde der gesamte Buderus-Konzern „auf den Kopf gestellt“, um sich „wieder stärker auf das Kerngeschäft zu fokussieren“.

An seinen Arbeitsplätzen kommen Hensgen seine Begabungen zugute, Kommunikation führen und Projekte leiten zu können, über Englischkenntnisse und technisches Verständnis zu verfügen. „Und Sie müssen Menschen und das Reisen mögen.“ Diese Qualifkationen bringen ihn schließlich 1991 zum „Rittal“-Konzern in Herborn, dem Marktführer in Sachen Schaltschranksysteme und IT-Infrastruktur. Eingestiegen als Hauptabteilungsleiter Marketing „ging es für mich aufwärts“ bis zum Geschäftsbereichsleiter Marketing und Geschäftsführer für den Vertrieb Europa.

Von „kleinen Forschern“ bis „Sing Bach“

Als Hensgen 2011 in seinem letzten Arbeitsjahr vor dem Ruhestand ist, wendet sich der „Rittal“-Unternehmenschef Friedhelm Loh an ihn: „Ich kann verstehen, wenn Sie sagen, ‚Ich habe genug gearbeitet‘.“ Aber Loh plant die Einrichtung einer sozialdiakonisch-kulturellen Stiftung und er überzeugt Hensgen, mit Gründung der Stiftung 2012 in den Stiftungsrat einzutreten, der über die Förderprojekte berät und die Verteilung der Gelder beschließt. Und als der bisherige Vorsitzende 2014 ausscheidet, übernimmt Hensgen den Vorstandsvorsitz der „Rittal Foundation“.

Die gemeinnützige Stiftung fördert heute, ausgestattet mit einem Kapital von 20 Millionen Euro, mehr als 250 Projekte in Mittelhessen, darunter den „KleiderTREFF“ und das Ausbildungsprojekt für Geflüchtete. Unterstützt werden Projekte in den Bereichen Diakonie & Soziales, Bildung & Erziehung und Kultur. Die Förderhilfe soll Menschen zugutekommen, „die sich nicht aus eigener Kraft helfen können“, erklärt Hensgen. In der „Peter-Härtling-Schule“ in Wetzlar etwa, auf die Eltern ihre nichtbehinderten Kinder bewusst mit behinderten Kindern schicken. „Wenn Sie da hingehen, dann gehen Sie mit einem Lachen wieder raus“, sagt Hensgen. Im „Haus der kleinen Forscher“ wird die frühe Bildung in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik gefördert. Es gibt Initiativen zur Sprachbildung, Waldkindergärten und das Projekt „Schüler entdecken Design“. Besonders gefallen hat Hensgen kürzlich „Sing Bach“. Eine Musikprofessorin hat dazu ein Jahr zuvor Bach-Stücke an Musiklehrerinnen in Grundschulen, integrativen und Förder-Schulen verschickt – und alle gemeinsam haben die einstudierten Stücke dann in einem großen Konzert mit 250 Kindern aufgeführt: „Was Besseres kann man Kindern ja gar nicht antun für die persönliche Entwicklung! Sie lernen Teamarbeit, sich etwas zu trauen, was sie allein nie anpacken würden – solche Projekte machen richtig Spaß!“, begeistert sich Hensgen.

Seniorenklub im Schulgarten

Fragt man ihn nach seiner persönlichen Motivation, sagt er, dass er „immer schon gern mit Menschen gearbeitet“ habe. Außerdem sieht der gläubige Christ die Stiftungsarbeit als einen „Auftrag aus christlicher Sicht“: „Sonst könnte ich auch was anderes machen. Wenn wir Christen es nicht hinkriegen, uns um unsere Nächsten zu kümmern, den Menschen mit Nächstenliebe zu begegnen – wer dann?“ Hensgen sagt sich: „Wenn so viel Bedarf in der Welt ist – und du hast die Möglichkeiten und auch Begabungen, zu helfen, dann solltest du das nutzen!“ Von seiner Frau stammt ein sinngemäß formulierter Luther-Wahlspruch, den er verinnerlicht hat: „Mach wenig Worte, aber tue viel Gutes!“

Auf sein Alter blickt er dabei noch nicht. Vielmehr sieht er eine wachsende Bedeutung des Ehrenamts: „Ohne Ehrenamt würde die Gesellschaft nicht funktionieren“, glaubt er. Gerade ehemalige Führungskräfte mit ihren Erfahrungen könnten hier eine wichtige Rolle spielen, meint Hensgen. Mit einer älter werdenden Bevölkerung steige auch die Zahl der aktiven Älteren. Er selbst hat vor Kurzem wieder einen Arbeitseinsatz des „Firmen-Seniorenklubs“ organisiert: Im Schulgarten einer Förder-Schule in Haiger musste das Gelände um drei Hochbeete barrierefrei nivelliert, geschottert und gepflastert werden. Also hat er 16 Mann organisiert, Seniorenklub, Lehrer, Studenten – hat erklärt: „Es gibt nix dafür, nur Wurscht, Brot und Kaffee“ – und an einem Samstag „haben wir das Ding fast fertigbekommen. Der harte Kern hat dann kürzlich die Restarbeiten abgeschlossen.“ Sich selbst nimmt er dabei nicht aus: „Ich würde keinen Einsatz organisieren, bei dem ich mich nicht selber einteile.“

Im nächsten Jahr feiert Friedemann Hensgen seinen 70. Geburtstag. Die Suche nach einem Nachfolger für den Stiftungsvorsitz läuft. Aber vorerst hat er noch mal seine feste Zusage für weitere zwei Jahre gegeben.

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