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„Gott verliert keins unserer Gebete“

Hört Gott überhaupt, wenn ich bete? Warum reagiert er nicht? Der Theologe Ulrich Wendel hat sich auf die Suche nach Antworten gemacht.

Er hatte viel gebetet. Ihm stand genau vor Augen, was er und seine Frau brauchten. Sein Gebet kreiste immer wieder, lange Jahre, um diese eine Sache. Aber irgendwann verblasste das Gebet. Es verstummte schließlich. Denn das Leben hatte Fakten geschaffen. Tatsachen standen im Raum, die deutlich zeigten: Die Sache ist gelaufen und es ergibt keinen Sinn mehr, weiter zu beten.

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Elisabeth und Zacharias waren ein Ehepaar aus dem alten Israel, ungefähr um die Zeitenwende. Sie konnten keine Kinder bekommen. Das war ein persönlicher Schmerz. Zacharias war außerdem Priester. Für ihn war es also vielleicht eine zusätzliche Last, einen Makel zu haben, der damals viele Menschen fragen ließ, ob da nicht jemand gesündigt hätte und nun die Strafe dafür trug. Den Grund für die Kinderlosigkeit sieht der biblische Bericht bei Elisabeth: Sie galt als unfruchtbar (Lukas 1,7). Nun, das musste kein Schicksal auf Dauer sein – im Gebet konnte man sich dagegenstellen und Gott zu bewegen versuchen, an dieser Tatsache etwas zu ändern. Doch mittlerweile waren die beiden alt geworden, und so haben sie es irgendwann als gegeben hingenommen: Wir haben halt keine Kinder. Ein jüdischer Priester lebte damals meist abseits von Jerusalem und ging einem normalen Broterwerb nach. Nur ab und zu kam seine Abteilung dran und verrichtete dann im Tempel den Dienst. Das war also eine Unterbrechung im Alltag. Als Zacharias einmal dran war, das Räucheropfer darzubringen, da erlebte er allerdings eine weitere, völlig unerwartete Unterbrechung: Ein Engel Gottes sprach ihn an. Und die Botschaft, die der für ihn hatte, ging über Zacharias’ Horizont weit hinaus. Diese Botschaft schlug eine Brücke von der Gegenwart zu den zurückliegenden Jahrzehnten: „Hab keine Angst, Zacharias! Gott hat dein Gebet erhört“ (Lukas 1,13). Und dann kündigt der Engel an, Elisabeth werde von Zacharias schwanger werden.

Gottes Spannungsbogen

Gott hat Zacharias’ Gebet erhört. Was aber war das für ein Gebet? Eines, das Zacharias vor langer, langer Zeit gebetet hat. Ein Gebet, an das er sich jetzt vielleicht noch erinnern mochte, das er aber längst zu den Akten gelegt hatte. Ein Gebet, das seine Zeit längst gehabt hatte. Sein Gebet war Zacharias damals höchst wichtig gewesen, aber mittlerweile war es für ihn quasi tot. Das zeigt sein Einwand, den er dem Engel entgegenhielt: Er war jetzt alt – und seine Frau auch. Da ging also nichts mehr. Doch Gott war das egal. Gott hat sein Gebet jetzt erhört. Gott hat das Gebet von Zacharias nicht verloren, sondern aufbewahrt. Gottes Spannungsbogen reichte weiter als der von Zacharias, und die Tatsachen – das Ehepaar war jetzt zu alt für Kinder – fielen bei Gott nicht ins Gewicht. Gott verliert keins unserer Gebete. Auch keins von denen, die Jahrzehnte alt sind. Sie sind bei ihm gegenwärtig. Zwar mag momentan noch nichts von einer Erhörung zu sehen sein. Es mögen Tatsachen im Raum stehen, die unabänderlich scheinen. Doch das sagt gar nichts darüber aus, wie Gott das Gebet bei sich einordnet. Selbst nachdem Zacharias erfahren hatte, dass sein Gebet erhört war, musste er ja noch warten: „Meine Worte werden sich erfüllen, wenn die Zeit gekommen ist“, sagte der Engel zu ihm (Lukas 1,20).

Nichts geht verloren

Ein Gebet kann also bereits erhört worden sein, auch wenn die Verheißung Gottes sich noch nicht erfüllt hat. Erhörung eines Gebetes und Erfahrung der Erhörung sind zweierlei. Doch verlorengegangen ist das Gebet auf keinen Fall. Ich habe ein paar Themen in meinem Leben, für die ich seit Jahren und Jahrzehnten bete. Dazu gehört die Frage, ob ich an dem Platz bin, zu dem Gott mich berufen hat, oder ob ich nachjustieren und neu ausbalancieren muss. Dazu gehört auch die lange chronische Krankheit meiner Frau. Gerade hier bewegt sich immer mal was, aber einen großen Durchbruch gab es dabei bisher nicht. Einige Monate ist es nun her, dass ich diesen Satz des Engels an Zacharias in der Bibel entdeckt habe: „Dein Gebet ist erhört!“ Sofort wurden mir die Zeitspannen bewusst, die Zacharias’ Leben bestimmten. Und tatsächlich traten mir buchstäblich Tränen in die Augen, als ich da abends allein über meiner Bibel saß – etwas, was ich höchst selten erlebe. Das Wort des Engels an Zacharias war Gottes ganz persönliche Seelsorge an mir: Gott verliert keins meiner Gebete.

Späte Gebetserhörung

(Foto: pixabay)

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Die Fähigkeit Gottes, Gebete festzuhalten und dann zum Leben zu erwecken, ist unbegrenzt. Bei Zacharias überbrückte Gott den Bogen von einigen Jahrzehnten. Doch in der Bibel lernen wir auch größere, schier unvorstellbare Spannweiten kennen. Asafs Gebetsanliegen kam nach 500 Jahren ans Licht und erfüllte sich: Asaf war einer der Tempelmusiker, die König David eingesetzt hatte. Das war im Vorblick auf die Zeit geschehen, in der Davids Sohn Salomo den Tempel erbauen und in Betrieb nehmen würde (1. Chronik 25,1-7). Von Asaf erfahren wir nicht nur, dass er Gott auf prophetische Weise mit Musik lobte. Wir lesen auch einige Psalmen von ihm in der Bibel. Sie verraten uns ein besonderes Gebetsanliegen von Asaf: Ihm war viel daran gelegen, dass die künftigen Generationen Gottes Wahrheit und Gottes Taten kennenlernen, damit sie den wiederum folgenden Generationen davon weitererzählen können: „… damit auch die nächste Generation es kenne – Kinder, die erst noch geboren werden – und es auch an ihre Kinder weitergebe“ (Psalm 78,6). Es ist ein beträchtlicher Raum – sieben Verse –, den dieses Anliegen im 78. Psalm einnimmt. Asafs Arbeitsplatz, der Tempel, hatte im Laufe der folgenden Zeit eine dramatische und wechselvolle Geschichte. Von Salomo prunkvoll erbaut und eingeweiht. Von späteren Königen dann immer wieder einmal durch Götzenbilder geschändet. Von den Babyloniern zerstört. Nach der Rückkehr Israels aus dem Exil dann unter dem Schriftgelehrten Esra wieder aufgebaut. Nun konnte wieder Gottesdienst gefeiert werden, wie David und Salomo es sich damals vorgestellt hatten. Alles, was zu einem solchen Gottesdienst nötig war, gab es nun wieder – einschließlich der Tempelmusiker.

Nicht verpufft

Viele von ihnen sind uns namentlich bekannt, weil ein paar Verzeichnisse im Bibeltext erhalten geblieben sind: Einer war Secharja, ein Trompete spielender Priester – und ein Nachkomme von Asaf! Er musizierte mit seinen Verwandten zur Einweihung der Stadtmauer, aber es ist klar, dass sein Dienst ansonsten am Tempel stattfand (Nehemia 12,40.46). Das war bestimmt nicht das erste Mal seit Asaf, dass Glaubende der künftigen Generationen „von den wunderbaren Taten des Herrn erzählen“ (Psalm 78,4) und seine „Größe loben von Generation zu Generation“ (so der Asaf-Psalm 79,13). Doch dann erfüllte sich Asafs Gebet eben auch hier: bei der Einweihung der Stadtmauer. 500 Jahre nach Asaf. Und durch seine eigenen Nachkommen! Asafs Gebet wurde zu einem wichtigen und lang durchlaufenden Faden im Segensgeflecht von Gottes Geschichte. Was Asaf damals betete, ist nicht verblasst und nicht verpufft. Gott hat es vermutlich auf vielerlei Weise und zu verschiedenen Zeiten erhört. Und dass Secharja und seine Verwandten nun als Musikpriester wirkten, war kaum allein durch Asafs Gebet veranlasst. Gottes Geschichte ist ein Gefüge von vielen Faktoren. Doch das Gebet von Asaf war einer davon. Es spannte eine Brücke über 500 Jahre hinweg.

Längerer Atem 

Was heißt das für Beter heute? Gott hat dieses Gebet nicht verloren. Das hat eine Bedeutung auch für mein eigenes Beten:

  • Selbst wenn ich im Laufe der Zeit meine Gebete aus den Augen verliere – Gott passiert das nicht.
  • Auch wenn ich nach dem Beten nicht mehr fokussiert bin auf das, was ich Gott gesagt habe: Gott bleibt fokussiert.
  • Auch wenn ich die Erwartung irgendwann einstelle, dass mein Anliegen noch erhört würde – Gott hat den längeren Atem.
  • Weite Teile meiner Gebets-Resignation kommen einfach viel zu früh.
  • Die Wirkung meiner Gebete geht oftmals über meinen eigenen Horizont hinaus.

Dieser Artikel ist ein gekürzter Auszug aus dem Buch Alltagsbeter. Beten – auch wenn das Leben laut ist von Ulrich Wendel, das im Verlag SCM R. Brockhaus erschienen ist.

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