- Werbung -

Wenn Mama oder Papa trinken

Kinder aus alkoholbelasteten Familien leiden besonders. Oft unsichtbar. Auf dem POKI-Königshof, einem Ponyhof in Niedersachsen, können sie das sein, wofür im Alltag zu wenig Raum ist: Kind.

„Es ist spät in der Nacht. Meine Mutter liegt betrunken nebenan. Ich bin das schon gewohnt. Ich habe da aber einfach keine Lust mehr drauf. Jeden Abend muss ich mir Sorgen machen, dass nachts etwas passiert. Ich muss mich um alles kümmern. Ich muss sie jeden Tag so sehen. Das ist schlimm. Ich versuche, ihr einfach nur aus dem Weg zu gehen, wenn sie dann mal wach ist. Ich habe einfach keine Lust mehr darauf.“
Was so krass und hart klingt, ist für die 13-jährige Jule Alltag. Ihr Leben. Sie kennt es nicht anders. Unsicherheit und Scham bestimmen ihre Tage. Freunde traut sie sich nicht mit nach Hause zu bringen. Zu groß ist die Angst, dass Mama wieder etwas getrunken hat. Mit ihren 13 Jahren übernimmt Jule zu Hause schon sehr viel Verantwortung. Denn wenn Mama mal wieder ausfällt, kümmert sie sich eben neben der Schule um alles: Einkaufen, Essen machen, Aufräumen, den Schein wahren.

- Werbung -

Sicherheit nur in der Unsicherheit

„Das Problem der Kinder ist meistens gar nicht, dass die Eltern trinken, es sind die Auswirkungen, die das Ganze mit sich bringt: emotionale Kälte, Unberechenbarkeit der Eltern, eventuell finanzielle Notlagen. Die einzige Sicherheit, die diese Kinder haben, ist die Unsicherheit.

Kinder aus alkoholbelasteten Familien geben sich oft die Schuld oder reden sich ein, dass Mama oder Papa sie offenbar nicht lieb genug haben, weil sie nicht wenigstens wegen ihnen mit dem Trinken aufhören.

Und sie zweifeln an ihrer Wahrnehmung. Sie merken irgendwann, dass das, was sie zu Hause erleben nicht ganz normal ist, aber ihnen wird immer wieder gesagt, dass gar nichts sei“, sagt die Sozialpädagogin Miriam Röth de-Koning. Das Schlimme an einer Suchterkrankung ist, dass es eine Familienkrankheit wird. Alle spüren die Auswirkungen. Das Elternteil, das nicht direkt von der Sucht betroffen ist, ist dennoch die ganze Zeit damit beschäftigt, die Erkrankung des Partners zu verheimlichen, schönzureden oder vermeintlich unter Kontrolle zu halten. Dadurch verstärken sie unabsichtlich noch die Verunsicherung der Kinder. Dadurch wird die ganze Familie zu sogenannten Co-Abhängigen. Ungefähr jedes fünfte Kind in Deutschland hat Elternteile, die an einer Suchterkrankung leiden. Trotzdem glauben diese Kinder von sich, dass sie mit ihrer Situation und ihrem Leid allein seien.

Maximale Wertschätzung

Und genau hier setzt Miriam mit ihrem Team an. Sie betreiben einen Ponyhof, auf den sie regelmäßig im Jahr sieben Kinder aus alkoholbelasteten Familien hin einladen. Das Jugendamt finanziert diese Aufenthalte. Auf einmal sehen, hören und erleben die Teens, dass es auch anderen so geht. Dass sie nicht alleine sind. „Wir alle kommen aus einer alkoholbelasteten Familie. Es wurden viele Dinge erzählt und ich habe mich in einigen Situationen wiedererkannt, obwohl ich mich immer gefragt habe, warum ich sowas durchmachen muss. Bei den anderen war es gleich und das ist es, was uns verbindet“, erzählt eine andere Teilnehmerin.

Für ein paar Tage müssen sie keine Verantwortung tragen, müssen sich nicht verstecken, müssen nicht stark sein. Dürfen einfach mal Kind sein.

Königskinder, so nennen Miriam und ihr Team diese Kinder. Ihnen ist es unheimlich wichtig, den Teilnehmer/innen zu zeigen, dass sie es wert sind, Königskinder genannt zu werden, dass sie wichtig sind, dass sie liebenswert sind. Das Selbstbewusstsein dieser Mädchen und Jungen zu stärken ist eine Hauptaufgabe der Betreuer. Und das tun sie auch über die gemeinsamen Tage hinaus. Alle zwei Wochen trudelt Post bei den Königskindern ein: handgeschriebene Briefe, Postkarten, Fotos, Blumen aus dem nahegelegenen Wald und vor allem eine extra Portion Wertschätzung und Ermutigung. Der christliche Glaube spielt für Miriam bei ihrer Arbeit eine ganz zentrale Rolle, auch wenn sie ihn den Kindern nicht aufzwingt. Aber sie freut sich, wenn die Königskinder anfangen, Fragen zu stellen oder Interesse an Gott und dem Glauben zeigen.

- Werbung -

Aufgefangen im Alltag

Doch zurück im Alltag, geht das Leben mit der Sucht für die Kinder leider weiter. Einige von ihnen sind in Therapie, manchmal sogar zusammen mit der gesamten Familie. Trotzdem ist die Suchtbelastung enorm. Jule schreibt auf dem Blog des Könighofs von Miriam und ihrem Team: „Heute war ein schöner Tag. Obwohl meine Mutter alkoholkrank ist, gibt es tatsächlich auch schöne Tage mit ihr. Leider geht mir das ungute Gefühl, dass sie vielleicht wieder was getrunken hat, nicht aus dem Kopf. Jeden Abend habe ich dieses Gefühl und ich kann nicht beschreiben, wie mich das nervt. Dieses Gefühl, nicht zu wissen, ob sie was getrunken hat, ist schlimm.“ Zum Glück kann sie an genau solchen Tagen Miriam und die anderen Betreuer anrufen und mit ihnen quatschen.

Vor kurzem hat sogar eine betroffene Mutter angerufen und gebeichtet, dass sie gerade wieder getrunken hat und nun nicht weiß, was sie tun soll. Miriam hat mit ihr gemeinsam am Telefon eine Strategie überlegt, wie die Mutter sich nun verhalten kann. Wenn möglich sprechen die Königshof-Mitarbeiter auch mit den Therapeuten vor Ort oder versuchen mit der Familie zusammen ein Netzwerk aufzubauen, das die Königskinder auffangen kann, wenn es die Eltern gerade nicht tun können. Darüber hinaus arbeiten die Mitarbeiter mit den Kindern daran, deren Stärken zu entdecken und zu fördern, um sie so für ihren harten Alltag gut auszurüsten. Denn auch wenn sich die Situation zu Hause nicht ändert, die Kinder verändern sich. Finden im Austausch miteinander Kraft, Halt und Hoffnung. Können ihr Leid vergessen, unbeschwert rumalbern, Grenzen setzen lernen, Verantwortung abgeben, Kind sein. Erfahren Wertschätzung, Annahme und Unterstützung. Ein Stück heile Welt.


Diesen Artikel schrieb Hella Thorn zuerst für das Magazin Teensmag (Ausgabe 05/2020). Teensmag erscheint sechsmal im Jahr im SCM Bundes-Verlag, zu dem auch Jesus.de gehört.

Informationen für Kinder aus suchtbelasteten Familien gibt es unter kidkit.de. Wer mehr über die Arbeit auf dem Königshof wissen will, findet alles unter poki-koenigshof.de.

- Werbung -

 

Konnten wir dich inspirieren?

Jesus.de ist gemeinnützig und spendenfinanziert – christlicher, positiver Journalismus für Menschen, die aus dem Glauben leben wollen. Magst du uns helfen, das Angebot finanziell mitzutragen?

NEWSLETTER

BLICKPUNKT - unser Tagesrückblick
täglich von Mo. bis Fr.

Wie wir Deine persönlichen Daten schützen, erfährst du in unserer Datenschutzerklärung.
Abmeldung im NL selbst oder per Mail an info@jesus.de

Zuletzt veröffentlicht