- Werbung -

Essen Angst Seele auf?

Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind

- Werbung -

Die zweiwöchentliche Kolumne von Tom Laengner


Steigende Coronazahlen, Krieg in der Ukraine – da kann man schon Angst bekommen. Und doch sagte Jesus in der Bergpredigt: „Sorge dich nicht“. Tom Laengner überlegt, wie er das zusammenbringen kann.

Ich war mit meiner Schubkarre losgezogen, auf der das Preisschild des Baumarktes langsam verblich. Somit gut ausgerüstet rumpelte ich dem Bahndamm zu, an dem ich gehäckselte Äste gesehen hatte.

Noch war ich nicht weit gekommen, da begann es in meinen Gedanken zu rattern. Es waren die üblichen Verdächtigen in Form von schwerwiegenden Fakten, Bildern und Vermutungen. Spontan hielt ich es für meine Pflicht, ihnen als Propheten der Wirklichkeit auf meinem Gang freie Bahn einzuräumen. Doch gerade als ich ihnen die Erlaubnis erteilen wollte, sich breit und wichtig zu machen, da nahm ich eine Stimme in mir wahr. Sie sagte: „Brudi, spürst du die Sonne? Sie scheint heute für dich. Umsonst!“ Das fühlte sich so klar an, dass ich meine Pflicht vergaß. Schließlich waren die Sonne und der Duft der Erde auch ziemlich wirklich. Als die düsteren Gedanken schmollend ihrer Wege gezogen waren, bemerkte ich das matte Grün der Moose an Birken und Buchen. Und Schwärme junger Insekten tanzten zum Gezwitscher und Gezwatscher von Meisen und Finken. Mein Herz wurde frei und froh.

Doch durfte ich mich auf einmal so leicht und frei fühlen? Ich hatte meine Bedenken. Denn aktuell gibt es ja ernst zu nehmende Umstände, die Potenzial haben, mir Angst zu machen. Während Corona über einen Abschied nachzudenken scheint, tobt in Osteuropa ein Krieg von schwer vorhersehbarem Ausmaß. Dass er grauenvoll ist, muss nicht erwähnt werden. Was soll er denn sonst sein? Und wer denkt, dass wegen dieser Gefahrenlage der Klimawandel mal zur Pause eine rauchen geht, wird sich früher oder später getäuscht sehen. Was wir Menschen seit den späten Siebzigern verleugnet haben, ist jetzt eine massive Bedrohung. Und da sage noch einer, dass Dummheit nicht weh tun würde! Da kann oder sollte ich schon Angst haben, nicht wahr? Obwohl die für sich gesehen noch nichts besser macht.

„Angst ist ein schleichendes Gift“

Es ist doch wohl so: Angst essen Seele auf. Den Film gleichen Titels von Rainer Werner Fassbinder habe ich nie gesehen. Aber den Titel habe ich immer behalten. Kann man so sagen; Angst essen Seele auf. Und zwar mit Stumpf und Stiel. So wie ich das sehe, hatte Fassbinder recht. Das klingt nicht nur poetisch. Es ist auch wahr. Angst ist ein schleichendes Gift. Leider gibt es so viele vernünftige Gründe für die Angst. Andererseits kenne ich keinen Raucher, dem die Angst vor einem frühen Tod die Zigarette vergällt. Vernunft und Angst scheinen sich spinnefeind zu sein. Die Gefahr im Straßenverkehr zu sterben ist ungleich höher, als mit dem Flugzeug abzustürzen. Dem Menschen mit Flugangst hilft der Blick auf eine Infografik bedauerlicherweise kaum. Es ist eben ein verzwicktes Dilemma mit unseren Ängsten. Ängste haben ihre Gründe. Und doch findet das Leben weiter statt.

Davon irritiert gleitet mein Blick an den noch unbelaubten Birken empor. Gigantische Reisigbesen, die alles Grau vom Himmel gefegt haben. Das matte Blau bringt mir den Himmel von Johannesburg in Südafrika in den Sinn. Wie das geht, wo ich doch nie dort war? Nun, das geht so: Neulich las ich das Buch ‚5th Avenue‘. Darin erzählt Ignacious Ngobeni von seiner Kindheit in einem Township namens Alex. Nash beschreibt die wundervollen Weihnachtsfeste mit Bohnen und Huhn. Und dann sind da die Buden in ausgeschlachteten Vans auf dem Schrottplatz. Und nicht zuletzt die Fußballturniere zwischen Kiosken, gackernden Hühnern und Trunkenbolden mitten auf der Straße. Ehrlich gesagt, habe ich mir beim Lesen auf die Zunge gebissen. Da wäre ich gern dabei gewesen! Wo sollte eine Kindheit schöner sein? Doch dann schreibt der Autor auch von den 12 Quadratmetern, auf denen er mit seiner Familie groß wurde. Leider gab es neben Strom auch keine Heizung oder gar fließendes Wasser. Dafür aber gab es immer wieder Schüsse in der Nachbarschaft.

Ich klappte das Buch zu und fragte mich, wie er das geschafft hat. Ein Meister der Lebensfreude inmitten von drohender Gefahr und wirtschaftlicher Not? Als wäre er in Alex aufgewachsen, sagte Jesus von Nazareth in seiner legendären Rede auf dem Berg: „Also ich sage euch: Macht euch keine Sorgen!“ Na, der hatte ja Nerven! Die Leute lebten doch von der Hand in den Mund. Keine Versicherung, keine Ersparnisse, keine Gesundheitsvorsorge. Hätten die Menschen damals nicht alle Gründe gehabt, Jesus als wirklichkeitsfernen Schwurbler abzutun. Aus irgendeinem Grund taten sie es aber nicht. Diesem Geheimnis will ich auf die Spur kommen. Ich will nicht realitätsfern leben. Aber ich will auch nicht, dass Angst meine Seele vergiftet. ‚Mach dir keine Sorgen‘. Schlicht und schwer wie das Leben selber. So packe ich noch eine letzte Gabel von zerschreddertem Birkenholz auf meine graue Karre. Auf deren Preisschild steht übrigens 27,95 Euro.

Alle Kolumnen von Tom Laengner findet ihr hier.


Tom Laengner ist ein Kind des Ruhrgebiets. Nach 20 Jahren im Schuldienst arbeitet er journalistisch freiberuflich und bereist gerne unterschiedliche afrikanische Länder. Darüber hinaus arbeitet er als Sprecher für Lebensfragen und Globales Lernen. In seiner Kolumne „Out of the Box – Weil wir wunderbar gemacht sind“ schreibt er regelmäßig über Lebensfragen, die ihn bewegen.

2 Kommentare

  1. Gute Gedanken und gute Ideen brauchen einen guten Boden.
    Also, bleiben Sie dran !
    “ Die Vorsehung Gottes ist auf Seiten der klaren Köpfe“, sagte einst eine kluge Frau, die Schriftstellerin Harriet Beecher – Stowe.

  2. Jesus hatte auch Todesangst

    Thomas Laengner hat wieder wunderbare und gut nachvollziehbare Gedanken bzw. Gefühle produziert. Zumeist ist Glück, Frieden und Freude nicht immer abhängig von den äußeren Umständen. Allerdings fressen Angst sehr oft die Seele auf, und bei diesem Titel eines bekannten alten Filmes muss ich die Auffassung des Autors zumindest relativieren. Denn bei der Angst beim Krieg in der Ukraine geht es ja nicht (nur) um die armen betroffenen sowie völlig unschuldigen Menschen, die Dummheit sowie Brutalität des Machthabers im Kreml und die Furcht, es könnten uns auch die Bomben auf den Kopf und die Marschflugkörper um die Ohren fliegen. Die berechtigte und nachvollziehbare Angst vor einem Atomkrieg hat durchaus auch die Qualität der Todesangst von Jesus vor seiner Kreuzigung. Denn wo es um den individuellen Tod geht, oder das kollektive Sterben, drohen wir alle ja ganz plötzlich in einen möglicherweise bodenlosen Abgrund zu stürzen. Richtig ist: Als Christ habe ich einerseits (auch) das an Sicherheit grenzende Vertrauen, dass sowohl andere Menschen als auch ich nicht tiefer als in die Hand Gottes fallen können. Aber eben nicht immer und auch nicht nachhaltig schafft dies Seelenruhe, denn auch Jesus hatte wirklich Angst und wollte gerne, dass der Kelch an ihm vorbeigeht. Allerdings geschieht dann der eigentlich „Existenzielle Akt“ im Glauben Jesu, sich nämlich ganz Gott in die Arme zu werfen. So wie wir das auch können im Gebet. Das kann große Sicherheit geben. Aber eben nicht immer. Da denke ich auch an Jesus im Boot bei den Jüngern, als der Sturm kommt, und wo Jesus den Jüngern nur die Angst nehmen kann indem er den Sturm stillt. Viele Menschen haben Angst vor einem Atomkrieg und zwar vor einem, in dem ein Wahnsinniger den Roten Knopf drücken lässt und eine Dynamik freisetzt, an dessen schnellem Ende wir unsere irdische Zivilisation in einen rasant eintretenden Tod schicken würden. Schlimmer noch, dieses Ende kann auch kommen durch puren Irrtum bzw. einem Computerfehler. Meine Hoffnung ist, dass wir Menschen doch als Menschheit letztlich den Weg Gottes gehen, unsere menschengemachte Apokalypse nicht stattfinden muss und nach der Ächtung des Krieges die Atomraketen im Museum stehen. Es wäre daher wünschenswert, damit zu beginnen, denn der Himmel braucht Friedensbewegte. In der Welt haben wir immer Angst, aber Jesus hat die Welt und damit die Angst überwunden. Dies wird in unser aller herrlichen Zukunft auch so sein, allerdings nachhaltig bei uns erst dann.

Die Kommentarspalte wurde geschlossen.

Zuletzt veröffentlicht