Vor 75 Jahren trat das Grundgesetz in Kraft – mit einem Gottesbezug in der Präambel. Dieser ist bis heute umstritten.
Von Tim Bergen
Ab September 1948 erarbeitete der sogenannte Parlamentarische Rat in Bonn im Auftrag der Alliierten das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland. Am 8. Mai 1949 nahmen die Mitglieder des Gremiums den Entwurf an. Nach Genehmigung durch die Besatzungsmächte stimmten zunächst die Landesparlamente über das Grundgesetz ab. Alle bis auf Bayern ratifizierten es. Das Grundgesetz wurde schließlich am 23. Mai im Parlamentarischen Rat offiziell verkündet und trat, je nach Interpretation, am 23. Mai um 24 Uhr oder am 24. Mai um 0 Uhr in Kraft.
Das Grundgesetz besteht aus einer Eingangsformel, der Präambel, den Grundrechten und einem organisatorischen Teil. Im Grundgesetz sind die wesentlichen staatlichen System- und Werteentscheidungen der Bundesrepublik Deutschland festgelegt. Es steht im Rang über allen anderen deutschen Rechtsnormen. Die Präambel enthält wie viele andere Landesverfassungen auch einen Gottesbezug:
„Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen,
Präambel des Grundgesetzes
von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen, hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“
Wie kam der Gottesbezug in das Grundgesetz?
Die Weimarer Reichsverfassung von 1919 hatte keinen Gottesbezug, die Bismarcksche Reichsverfassung von 1871 ebenso nicht. Auch in der Paulskirchenverfassung von 1849 fehlt ein solcher. Wie kam es zu diesem Novum in der deutschen Verfassungsgeschichte?
Über den Inhalt der Präambel wurde im Parlamentarischen Rat kontrovers diskutiert. Es gab verschiedene Vorschläge: die Überwindung der Nazi-Herrschaft, die Besetzung der Alliierten oder der Wiederaufbau Deutschlands. Für eine „feierliche“ – wenn auch „profane“ – Einleitung in das Grundgesetz sprach sich vor allem der spätere Bundespräsident Theodor Heuss aus. Die Kirchen versuchten, von außen ihren Einfluss geltend zu machen und einen Gottesbezug zu forcieren. Die Bedeutung der kirchlichen Einflussnahme wird kontrovers diskutiert.
Der erste Vorstoß im Parlamentarischen Rat für einen Gottesbezug kam vom späteren CDU-Politiker Hans-Christoph Seebohm. Nach langen Beratungen entschied sich der Parlamentarische Rat schließlich für die sogenannte „Nominatio Dei“, also die bloße Nennung Gottes in der Präambel – abweichend von der „Invocatio Dei“, bei der die Verfassung „im Namen Gottes“ erlassen wird; so zum Beispiel in der Schweizer Verfassung.
Reaktion auf Nazi-Herrschaft
Die Aufnahme eines Gottesbezugs in das Grundgesetz kann als Reaktion auf die totalitäre Herrschaft der Nationalsozialisten betrachtet werden. Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates wollten die Abkehr von totalitären Staatsformen, die die staatliche Macht als „absolut“ betrachten und als Selbstzweck begreifen, unterstreichen. Dies sollte durch die Bezugnahme auf etwas „Höheres“, das über dem Staat und den Menschen steht, erreicht werden.
Der Gottesbezug sollte dagegen nicht, wie bei der „Invocatio Dei“, (den christlichen) Gott als „Autorität“ im Grundgesetz verankern, sondern diente als „Demutsformel“. Heute steht der Gottesbezug im Grundgesetz als „so eine Art Chiffre für Transzendenz“, sagte der Verfassungsrechtler Horst Dreier 2019 in einem Interview mit dem Deutschlandfunk. „Man darf die Präambel auch nicht überbewerten und überschätzen und jetzt sagen: Ah, da strahlt gewissermaßen Gott in das gesamte Grundgesetz hinein.“ Der Parlamentarische Rat habe alle Versuche, auch die Grundrechte als von Gott gegeben zu bezeichnen, immer zurückgewiesen, so Dreier.
Kritik am Gottesbezug
Am Gottesbezug im Grundgesetz gab es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland immer wieder Kritik – vor allem den Vorwurf, dass hier die „religiöse Neutralität“ des Staates verletzt werde. Dem widerspricht Dreier unter Bezugnahme auf Artikel 4 des Grundgesetzes zur Religionsfreiheit: „Es herrscht Einigkeit, dass aus dem Gottesbezug darüber hinaus keine Entscheidung für einen christlichen Staat und kein Staatsziel der Durchsetzung christlicher Lehren folgt. […] Es ist gewährleistet zu glauben und nicht zu glauben. Es ist gewährleistet, einen Glauben zu praktizieren und nicht zu praktizieren.“
Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags antwortete 2016 auf die Anfrage, ob die Bezugnahme auf Gott gegen die Glaubens- und Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 Grundgesetz (GG) verstößt wie folgt:
„Das Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit des Art. 4 Abs. 1 GG schützt die innere Freiheit des Einzelnen, religiöse und weltanschauliche Überzeugungen zu bilden und diese nach außen zu bekennen und zu verbreiten. Zudem ist auch die negative Glaubensfreiheit, also das Recht, gerade keinen Glauben oder keine Weltanschauung zu teilen, geschützt. […] Der Staat darf sich folglich nicht mit bestimmten religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnissen identifizieren. […] Überwiegend wird der Gottesbezug als Ausdruck der Demut interpretiert. […] Zugleich soll der Gottesbezug betonen, dass die staatliche Ordnung von Menschen gemacht ist und daher nicht perfekt, sondern für Fehler anfällig ist. Insgesamt soll die Begrenztheit menschlichen Tuns verdeutlicht werden. Es herrscht Einigkeit, dass aus dem Gottesbezug darüber hinaus keine Entscheidung für einen christlichen Staat und kein Staatsziel der Durchsetzung christlicher Lehren folgt.“
In den Jahren 1992/93 wurde die Streichung des Gottesbezugs in der Präambel des Grundgesetzes wieder zum Thema, als Verfassungskommission von Bundestag und Bundesrat über mögliche Verfassungsänderungen im Zusammenhang mit der Wiederherstellung der deutschen Einheit beriet. Ein entsprechender Vorschlag wurde jedoch mir großer Mehrheit abgelehnt.
Umfrage: geteilte Meinungen über den Gottesbezug
Laut einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) finden es 45 Prozent der Deutschen richtig, dass das Grundgesetz mit einem Bezug auf Gott eingeleitet wird. 34 Prozent halten es dagegen für falsch, berichtet das Nachrichtenportal Vatican News.
Die Wählerinnen und Wähler der CDU und der FDP bewerteten den Gottesbezug in der Verfassung am positivsten. Unter Grünen- und Linken-Wählern lehnt etwa die Hälfte die Nennung von Gott in der Präambel ab. Während in Westdeutschland 46 Prozent der Befragten den Gottesbezug richtig finden, sind es im Osten 41 Prozent. Von Befragten mit Migrationshintergrund befürwortete ihn genau jeder Zweite, von Menschen ohne ausländische Wurzeln 44 Prozent.
Übrigens: Gemäß Artikel 146 des Grundgesetzes könnte anstelle des Grundgesetzes auch eine neue „Verfassung“ für Deutschland erlassen werden. Wie wahrscheinlich wäre es, dass diese dann auch einen Gottesbezug enthielte? Verfassungsrechtler Dreier glaubt angesichts der soziokulturellen Entwicklungen in Deutschland an „keine große Verwirklichungschance“.
Quellen: deutschlandfunk.de, bundestag.de, wikipedia.org, vaticannews.va
Hallo Ulrich, die Bibel sagt eindeutig, dass auch Völker sich vor Gott verantworten müssen, z.B. hier:
Mat 25, 31+32
Wenn aber der Menschensohn kommen wird in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sich setzen auf den Thron seiner Herrlichkeit, und alle Völker werden vor ihm versammelt werden. Und er wird sie voneinander scheiden, wie ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet.
Susanne, da picken Sie sich ein Wort aus einem Vers heraus – einem Gleichnis – und sprechen von „eindeutig“. Dann nehmen Sie aber doch bitte die anschließenden Verse hinzu. Die sagen „eindeutig“: Gerettet wird, wer barmherzig gehandelt hat. Soviel zur Eindeutigkeit in der Bibel. Die ist nämlich nicht übertall gegeben. Trotz aller apologetischen Bemühungen.
Noch eine Ergänzung: Was sind eigentlich „Völker“? Die Definition ist weder einfach (falls überhaupt möglich), noch einheitlich. Gerade auch im Wandel der Zeiten. Beispiel: Müsste sich das „deutsche Volk“ auch vor Gott verantworten? Falls ja, wer würde dazuzählen? Vorsicht, da gerät man schnell in stürmische Gewässer.
Ich glaube, es geht um die Bevölkerung der Erde durch Gott, der dafür den Menschen zur Verantwortung zieht. Wie könnten wir anders der Würde gerecht werden, die sich aus dem Recht auf Gott ergibt, einem Wort, das für uns schon immer von der Person abhängig ist, die es zur Geburt brachte.
Der Staat (die gesamte Bevölkerung unter einheitlichem Regierungsprinzip), begründet als terrotoriales Hoheitsgebiet, in dem verwaltet sein will, was der Fruchtbarkeit seines Bodens dient, damit im besten Fall die Frucht vermehrt wird, die auf seinem guten Boden gedeiht. Das beinhaltet Grenzen, an die sich jede*r ohne Ausnahme halten muss, damit das so gewollte Staatswesen für den Menschen überhaupt funktionieren kann. Unsere Deutsche Verfassung beinhaltet damit alles, was den Freiraum für kreatives Handeln schafft und verweist dennoch auf das, was durch einen Menschen allein nicht umzusetzen ist.
Immerhin haben Menschen diese Verfassung gemeinsam zur Schrift gebracht und diese Schrift muss zunächst richtig gelesen werden können, damit sie in ihrem Gehalt nicht missverstanden wird, was katastrophale Folgen mit sich brächte. Ausschlaggebend für den Gehalt aus dieser Verfassung, ist letztendlich Gott, denn dieses Wort beinhaltet alles, was es gibt. Demut vor seiner Einheit aus der Identität zu entwickeln die der Mensch in sich trägt, die steht im Austausch mit der geltenden Regierungsform, die ihren Anspruch auf diplomatische Immunität von der ganzen Menschheit einfordert, damit sich ihr Mitspracherecht in seiner Form als Staatsprinzip überhaupt durchsetzen kann..
Ich war einmal gegen staatliche Immunität, da sie, missbraucht von einzelnen Personen, keinen Sinn ergibt. Für den Menschen jedoch ist diese staatliche Immunität eine Macht, durch die er sein Recht auf Austausch mit ihren Gedanken erhält.
Der Wert unserer deutschen Verfassung liegt an den Menschen, die sie mit Leben füllen, indem sich niemand davon entbindet, dass er oder sie Teil einer Gemeinschaft ist, die das gleiche Ziel verfolgt.
„Gemäß Artikel 146 des Grundgesetzes könnte anstelle des Grundgesetzes auch eine neue „Verfassung“ für Deutschland erlassen werden.“
Es wird derzeit überlegt, und dafür gibt es gute Gründe, den Art. 146 zu streichen. Das war ein Paragraph für die Wiedervereinigung, die wir bekanntlich inzwischen haben. Eine neue Verfassung wurde damals diskutiert und der Gedanke verworfen.
Es besteht, außer bei manchen Wirrköpfen von Reichsbürgern und sogenannten Querdenkern, eigentlich kaum Zweifel, dass unser Grundgesetz die dauerhafte Verfassung ist (was nicht bedeutet, dass sie nicht in einzelnen Punkten immer mal wieder geändert werden kann, sie ist nicht starr. Und ich glaube, keine Verfassung der Welt wurde in den letzten 30 Jahren so oft geändert wie das Grundgesetz)
Zum Gottesbezug: 1951 gehörten 96,4 % der Westdeutschen einer christlichen Konfession an (Ostdeutschland, für die aber ja das Grundgesetz nicht galt, übrigens auch 92 %; Quelle Wikipedia). Heute sind es um die 53 % (inklusive kleinerer Gemeinschaften). Die Tendenz ist bekannt, die Abnahmegeschwindigkeit steigt seit Jahren.
Es wird sich also bald die Mehrheit nicht mehr zu Gott bekennen, wie er in der Präambel steht.
Diese Selbstverständlichkeit von 1949 (die es laut Text aber ja selbst da mit 96 % Christen nicht gab) ist also nicht mehr gegeben.
Und ganz nebenbei: Die Schrift Gottes ist nicht das Grundgesetz.
Gottesbezug im Grundgesetz gehört zu unseren Genen
„Die Aufnahme eines Gottesbezugs in das Grundgesetz kann als Reaktion auf die totalitäre Herrschaft der Nationalsozialisten betrachtet werden. Die Mitglieder des Parlamentarischen Rates wollten die Abkehr von totalitären Staatsformen, die die staatliche Macht als „absolut“ betrachten und als Selbstzweck begreifen, unterstreichen. Dies sollte durch die Bezugnahme auf etwas „Höheres“, das über dem Staat und den Menschen steht, erreicht werden“! Die Idee hatte damals ein CDU-Mitglied. Damals hätte ich ihn sofort gewählt, heute gibt es für mich allerdings andere Kriterien.
Ich halte diese Begründung eines Religionszusatzes im Grundgesetz, in einer Zeit in der noch fast alle Menschen in Deutschland einer christlichen Kirche angehörten, allerdings auch für sehr nachvollziehbar. Allerdings bedeutet dies aber keinesfall, wenn der Großteil der Menschen in Hitlers neuem Reich einer Kirche angehörten, dass diese alle real praktizierende Christen gewesen sein können: Zumindest nicht diejenigen, die vorallem die vielen kleinen Rädchen im Machtgetriebe dieses Satans aus Braunau gewesen sind. Sie haben im Unrechtsstaat, sowie als nützliche Gehilfen und vorallem auch als Schreibtischtäter, bei der sehr brutalen Ermordung unserer jüdischen Mitbürger und vieler anderen, fleißig in „mittelbarer Täterschaft“ mitgewirkt. Schlimm ist, wer nur mittelbar am Morden beteiligt ist, der mordet nicht weniger schlimm als die brutalen Totschläger und Mörder in den Konzentrationslagern. Ein junger Elektriker hatte schon 1938 in einem vornehmen Cafe während seiner Arbeit (in meiner alten Heimatstadt) ein Witz über den Führer gemacht, wurde als Asozialer und Jude angezeigt, verhaftet und überlebte nur als Einziger seiner Familie bis zum Kriegsende sogar 5 Konzentrationslager. Aber manchmal wird auch in der Küche eines Teufel christlich gekocht: Ein Wärter versteckte (ich glaube zwei Jahre) ein kleines Kind im KZ, bis zu dessen Befreiung. Kinder kamen immer sofort in den Ofen, oder alle schwangeren Frauen. Viele Gattinnen der SS-Leute, die neben den KZ wohnten, hatten das Hobby vom Balkon aus Häftlinge zu erschießen, ihre Kinder klatschten dazu Beifall. In der Schule wurde (sogar von Religionslehrern) den Schüler/innen in die Feder diktiert, Juden seien keine richtigen Menschen, denn sie hätten ein anderes Gehirn: Eine unmenschliche Verschwörungstheorie. Filme definierten Menschen zu Abschaum, zu Ratten. Was nahe liegt: Wer kein Mensch mehr sein darf, wird dann auch so betrachtet und behandelt. Deshalb ist es dringend erforderlich, die alten destruktiven und krankhaften Altideen zu bekämpfen. Leider bestellen auch Populisten die Äcker für jener Menschen, die gerne die alten Zeiten wieder haben möchten. Eine Zeit, als manche glaubten sie seien Herrenmenschen. Hass, Hetze und die Empathie mit Empathielosen ist die gut asphaltierte Gasse in die Hölle.
Gehts noch bösärtiger? – ich glaube nicht. Da ist der religiöse Bezug im Grundgesetz auch unserer Geschichte angemessen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass man dies im Himmel für unangemessen hält. Klar ist aber: Auch ein Atheist oder ein Menschen mit fehlerhaftem Glauben kann ein guter Mensch sein. Ich selbst bin mit allem was ich denke, fühle, plane und tue immer nur persönlich vor Gott verantwortlich. Jesus sagte: Gib dem Kaiser was dem Kaiser gehört, und Gott was Gottes ist. Gott als der Freund der Schwachen. Aber Herrenmenschen möchten den Hingefallenen nicht aufhelfen. Sagt doch hier auch der Faschist: Das Schwache muss vom Starken beherrscht werden und hat kein Recht auf ein (gutes) Leben.
> Gottesbezug im Grundgesetz gehört zu unseren Genen
Unsinn. Wir haben keine anderen Gene als die Menschen mit Verfassungen ohne Gottesbezug.
> Auch ein Atheist oder ein Menschen mit fehlerhaftem Glauben
Was ist denn ein fehlerhafter Glaube? So wie Du es schreibst, könnte man meinen, Du meinst alle Nichtchristen mit anderen Glauben.
Ist das so herablassend und arrogant gemeint oder doch anders?
Das deutsche Volk in Verantwortung vor Gott – ist im Prinzip falsch.
Vor Gott müssen sich keine Völker verantworten, sondern jeder einzelne Mensch.
aus meinem persönlichen Glauben heraus würde ich Dir zustimmen.
Aber man kann auch nicht leugnen, dass im Tanach sehr häufig von Völkern die Rede ist und diese auch als Gesamtheit in Verantwortung genommen werden.