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Zentralafrika und Nigeria: „Es regiert der, der das Gewehr in der Hand hat“

In Afrika toben derzeit mehrere Konflikte, von denen auch Christen betroffen sind – als Opfer wie auch als Täter von Gewalt. Ulrich Delius, Afrika-Experte der Gesellschaft für bedrohte Völker, erklärt im Interview, welche Rolle Christen in der zentralafrikanischen Republik und in Nigeria spielen und warum es in diesen Konflikten gar nicht um Religion geht.

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In der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) gibt es seit Monaten einen brutalen und blutigen Konflikt zwischen Muslimen und Christen. Worum geht es dabei?

 Im vergangenen Jahr haben nach längeren bewaffneten Auseinandersetzungen vornehmlich muslimische Seleka-Rebellen die Macht ergriffen. Danach gab es sehr viele Übergriffe auf Christen. Als dann die von der Seleka gestützte Regierung zurücktreten musste, begann der Rachefeldzug von denjenigen, die vorher Opfer von Menschenrechtsverletzungen waren. Sehr viele Christen suchen jetzt nach Rache und Genugtuung. Es hat ein Kreislauf der Gewalt eingesetzt. Dabei wird nicht mehr unterschieden, ob jemand einer Miliz angehört, sondern er wird anhand seiner Religion klar einer Gruppe zugeordnet. Wer Muslim ist, ist in den Augen der meisten Menschen für die Gewalt der muslimischen Milizionäre gleich mitverantwortlich. Umgekehrt nehmen Muslime Christen pauschal als Anti-Balaka-Milizionäre wahr, von denen Gewalt ausgeht. So bekommt der Konflikt eine religiöse Komponente, die er vorher nie hatte.

 Was war es vorher für ein Konflikt?

 Es war ein politischer Konflikt. Es geht um die Macht im Staat und darum, wer sie inne hat. Religion wird hier instrumentalisiert.

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 Verschiedene Organisationen und auch die Kirchen im Land verweisen darauf, dass es kein Religionskrieg ist …

 Das stimmt auch. Es geht hier nicht primär um Religion, selbst wenn Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Glaubensrichtung Opfer von Gewalt werden. Im Prinzip gibt es keine Probleme zwischen Christen und Muslimen. Die Muslime stellten immer etwa 15 Prozent der Gesamtbevölkerung. Sie waren sehr stark im Bereich des Handels vertreten. In den vergangenen Jahrzehnten lebten Christen und Muslime relativ konfliktfrei zusammen. Daher sind auch die Kirchen enorm überrascht über diese Eskalation.

 Wie verhalten sich denn die geistlichen Führer beider Seiten, die Kirchen und Imame?

 Beide Seiten versuchen, die Spannungen abzubauen und Versöhnung zu schaffen. Sie appellieren immer wieder, man müsse die Gräben überwinden und ins Gespräch kommen. Das Problem ist, das dann auf lokaler Ebene in den Gemeinden auch umzusetzen. Aber auch dort gibt es unzählige Beispiele, wo christliche Pfarrer in ihren Kirchen Muslime aufgenommen haben. Oder Muslime, die sich in den Moscheen für Verständigung einsetzen und appellieren, das Gespräch mit Christen zu suchen. Aber wenn der Hass sich ausbreitet, ist es sehr schwer, ihn zu stoppen.

 Sie haben Anfang März erklärt, ein Völkermord konnte nur abgewandt werden, weil man ethnische Säuberungen hinnahm. Wo ist der Unterschied?

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 Völkermord ist definiert als systematische physische Auslöschung, also die Tötung von Angehörigen einer ethnischen oder religiösen Gruppe. Was wir hier beobachten, ist die Vorstufe dazu: Man wirft die Muslime, die potenziell Opfer eines Genozids werden können, aus dem Land. Die Anti-Balaka-Milizen, die sich dem christlichen Lager zuordnen, nehmen ihnen die Möglichkeit, dort weiterzuleben. Momentan erleben wir einen Exodus von gut 80 bis 90 Prozent der Muslime, die um ihr Leben und ihre Existenz fürchten. Wenn sich die Internationale Gemeinschaft rühmt, es habe keinen Völkermord gegeben, muss man gleichzeitig einräumen, dass dafür ein hoher Preis gezahlt wurde.

 Sehen Sie trotzdem noch die Gefahr, dass es einen Völkermord geben könnte?

 Die Gefahr ist noch immer sehr groß in allen Landesteilen. Es gibt ständig Übergriffe, auch auf Flüchtlingskonvois. Es ist nach wie vor eine äußerst angespannte Situation. Für die verbliebenen Muslime hat sich die Lage nicht verbessert. Es gibt wenige Perspektiven dafür, dass die Übergangsregierung den Konflikt politisch lösen oder die Lebensverhältnisse der Menschen verbessen kann. Auch Ansätze dafür, einen demokratischen Staat aufzubauen und alle Milizionäre, nicht nur einzelne Gruppen, zu entwaffnen, gibt es kaum. Solange sich das nicht ändert, regiert letztlich der Stärkere – derjenige, der das Gewehr in der Hand hat. Da geht von beiden Seiten Gewalt aus.

Kein Interesse an Zentralafrika

 Die EU möchte eine Mission mit 1.000 Soldaten nach Zentralafrika schicken, um das französische Militär und die Truppen der Afrikanischen Union zu unterstützen. Aber es gibt laut einem Spiegel-Bericht Probleme, die Einheit zusammenzustellen. Wie schätzen Sie das europäische und deutsche Engagement ein?

 Die ganze Situation krankt daran, dass es sich in Europa kaum Regierungen und Politiker dafür interessieren, ob es Frieden und Stabilität in der ZAR gibt. Wenn man reagiert, dann eigentlich nur wegen der massiven Hilfsforderungen Frankreichs, das das als ehemalige Kolonialmacht natürlich etwas anders sieht. Das ist auch sinnvoll, denn wenn so ein Staat mitten im Zentrum Afrikas völlig aus den Fugen gerät, hat das auch Auswirkungen auf andere Konfliktregionen in Afrika.

 Was könnten denn internationale Friedenstruppen leisten?

 Sie können natürlich keinen Frieden schaffen, aber sie können für ein Mindestmaß an staatlicher Ordnung sorgen. Dass die Menschen keine Angst mehr haben müssen, aus dem Haus oder dem Viertel rauszugehen, wie das momentan häufig der Fall ist. Dafür müssten vor allem alle nicht-staatlichen Akteure entwaffnet werden. Das ist ohne internationale Unterstützung kaum zu schaffen. Für die Zivilbevölkerung bringt es eine gewisse Sicherheit, wenn internationale Truppen in ihren Städten sind. Denn in manchen Städten gibt es seit drei oder vier Monaten keine Polizei, keine Armee, niemanden, der Ordnung garantiert. Keiner ahndet Überfälle, seien es Morde oder Diebstähle. Es ist eine schreckliche Situation der absoluten Willkür.

 Wie bewerten Sie die Berichterstattung deutscher Medien über den Konflikt?

 Die ist sehr dünn. Die Medien nehmen es kaum wahr. Anfangs hatte man das Gefühl, dass sich viele erst einmal orientieren mussten, wo das Land überhaupt liegt. Es fehlt an öffentlichem Interesse und dementsprechend auch an politischem Engagement.

 In Nigeria gab es in den vergangenen Wochen vermehrt Anschläge auf Christen, vor allem durch die islamistische Gruppe Boko Haram. Sind die Konflikte in Nigeria und in der ZAR vergleichbar?

 Nein, auf keinen Fall. Nigeria ist ein Vielvölkerstaat, wo überwiegend im Norden des Landes Muslime leben, in den südlicheren Regionen überwiegend Christen. Boko Haram ist eine islamistische Terror-Sekte, die das Land gezielt destabilisieren will, um den Zusammenbruch des Staates auszulösen und einen islamischen Gottesstaat aufzurichten. Sie hat auch immer gesagt, sie wendet sich gegen Christen. Jetzt beobachten wir, dass sich der Terror gegen alles richtet, was den Staat repräsentiert und was für Stabilität in Nigeria stehen könnte. Das tut sie mit einer Konsequenz und Brutalität, die ihresgleichen sucht. Jede Woche gibt es über hundert Tote in Nordnigeria bei Anschlägen sowohl auf Kirchen als auch auf Moscheen, wie auf Dörfer insgesamt oder auf Reisende. Es ist eine absolute Unsicherheit in der Region, die den Menschen dort das Leben zur Hölle macht. Boko Haram ist sehr effektiv in ihrem Terror.

 Nigeria ist auch ein geteiltes Land: mit einem wirtschaftlich stärkeren und wohlhabenderen Süden und einem ärmeren Norden. Inwiefern spielen diese Differenzen eine Rolle?

 Das spielt auf jeden Fall eine große Rolle, weil man natürlich bei der Rekrutierung dieser vielen Kämpfer von Seiten Boko Harams auch auf die Armuts-Karte setzt. Man weiß, dass im Norden des Landes enorm viele junge Menschen perspektivlos sind und keine Arbeit haben. Letztlich sind die Menschen aber in allen Teilen des Landes arm. Denn vom Ölreichtum im Süden kommt kaum etwas bei den Menschen an, die im Niger-Delta leben, wo das Öl gefördert wird. Der stetige Machtmissbrauch und die massive Korruption, die wir bei nigerianischen Politikern aller Parteien beobachten, stößt die Menschen ab und treibt Gruppen wie Boko Haram immer neue junge Leute zu. Das ist der Nährboden, von dem die Gruppe zehren kann.

"Es geht nicht um Religion"

 Also ist das auch weniger ein religiöser als eher ein politischer Konflikt?

 Die fast täglichen Angriffe auf Moscheen und Kirchen haben mit Religion nicht viel zu tun. Es geht hier um einen Machtkonflikt, bei dem sich eine Terrorgruppe des Glaubens bedient, weil sie weiß, dass sie dafür auch Schlagzeilen in der Weltöffentlichkeit bekommt. Wenn die Terroristen Anschläge gegen Christen verüben, ist sicher, dass sie in den Medien anderer Länder erwähnt werden. Das trägt dazu bei, das Image Nigerias und seiner politischen Führung zu schädigen und zu zeigen: Sie können den Schutz ihrer eigenen Bevölkerung nicht gewährleisten.

 Wenn es das Ziel von Boko Haram ist, mit ihren Anschlägen auch Medienaufmerksamkeit zu erlangen, wie sollten denn Medien darauf reagieren, wenn es zum Beispiel Anschläge auf Christen gibt?

 Es muss natürlich publiziert werden, denn es ist wichtig, über die Gewalt zu reden. Aber es ist auch wichtig, sie in ihrer komplexen Entstehung wahrzunehmen, sie nicht einfach nur als Gewalt gegen Christen, sondern mit ihren vielen Komponenten zu sehen. Medien dürfen keinen Religionskrieg daraus machen, der es nicht ist.

 Es gibt auch Versöhnungsinitiativen wie die zwischen dem evangelischen Pastor James Wuye und dem Imam Muhammad Ashafa. Für ihr Interfaith Mediation Center haben sie schon mehrere Preise bekommen. Was können solche Initiativen bewirken?

 Sie sind sehr wichtig, um miteinander ins Gespräch zu kommen – damit sich nicht jeder in seine Gruppe zurückzieht und im Zweifelsfall dann Andersdenkende und Andersglaubende als Konkurrenten oder Gegner empfindet. Wichtig ist es zu verhindern, dass es wirklich mal einen Religionskrieg gibt – was Boko Haram gerne hätte. Weder für die Mehrheit der Muslime noch für die Christen ist diese totalitäre Ideologie von Boko Haram ein Konzept für das Zusammenleben.

 Christen gelten als die am stärksten verfolgte Religionsgruppe der Welt. Wie schätzen Sie das ein?

 Ich finde es schwierig, mit solchen Zahlenspielen zu arbeiten. Es ist wichtig, die jeweiligen Ursachen von Konflikten und Verfolgung herauszuarbeiten. Wir beobachten oft, dass in einer Mehrzahl der Fälle, in denen Religion erwähnt wird, Religion eigentlich nicht die treibende Kraft des Konfliktes ist, sondern instrumentalisiert wird. De facto gibt es in vielen Staaten eine große Verfolgung von Christen. Es gibt enorme Probleme im Nahen Osten, aber auch der Volksrepublik China oder Vietnam, also auch Staaten, zu denen wir politisch beste Beziehungen unterhalten. Von Politikern, die gern die sogenannte Christenverfolgung in den Vordergrund stellen, würden wir uns wünschen, dass sie mehr Initiativen in Ländern entwickeln und sich für verfolgte Christen einsetzen, wo Religion ein Verfolgungsgrund ist. Wir haben noch keine Äußerung der Kanzlerin gehört zur Situation der Hauskirchen in China oder zu verfolgten Christen und Buddhisten in Vietnam. Es wäre aber wichtig, dass man das gerade auch gegenüber den Partnern anspricht.

 Vielen Dank für das Gespräch!
(Die Fragen stellte Jonathan Steinert)

(Quelle: Christliches Medienmagazin Pro)

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