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Die „Pustekirche“: Kite, Surf, Fly, Preach

Heiligenhafen, hoch oben im Norden Schleswig-Holsteins. „Sonnendeck der Ostsee“ nennt der Tourismusverband den Ort. Mit bunten Drachen und Air-Skulpturen am Himmel wird hier und heute an der Seebrücke die Open-Air Saison 2017 eröffnet. Die Wetterprognose hatte Temperaturen zwischen sechs und elf Grad vorhergesagt und einen teilweise kräftigen Wind aus westlicher Richtung.

Von Jörg Podworny

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Jetzt bläst es mit 5 Windstärken, in Böen 6 bis 7, 24 bis 25 Knoten stark, Fahnen knattern, der Himmel ist verhangen. Und es ist ordentlich frisch. Die neu gebaute Seebrücke der Stadt ragt vom Deich in die Ostsee hinein. Touristen spazieren dick eingepackt an der Wasserkante. Im Moment sind nur wenige Drachen in der Luft, diejenigen, die auch bei Starkwind fliegen können. Der Himmel über Heiligenhafen ist weniger bunt als er sein könnte.

Windgeschützt steht unterhalb der Seebrücke ein luftiges Kirchenschiff. Auch hier zerrt und ruckelt der Wind. Passanten bleiben stehen, unterhalten sich, nehmen Postkarten mit. Das außergewöhnliche Gebilde, eine aufblasbare Kirche, misst 25 Quadratmeter, wiegt 50 Kilo, passt in einen Pkw-Kofferraum und steht in zehn Minuten, mit einem weithin sichtbaren sechs Meter hohen Kirchturm. Für den schnellen Aufbau sorgt ein leichtes Luftröhrensystem. Bezogen ist die Kirche mit einem bedruckten Spinnackertuch. 20 Leute haben drinnen Platz. Nebenan flattert die „Fahnenkirche“ heftig im Wind, fünf große handgenähte Banner, die zusammen eine Kirche darstellen und für einen Farbtupfer auf dem Gelände sorgen.

Drachenflieger aus Leidenschaft

Carsten Hokema steht in der Nähe der „Pustekirche“, wie er sie nennt. Er ist der Erfinder des originellen und im Wortsinne aufsehenerregenden Projekts ewigkite mit der auffällig-leichten Konstruktion. Die Leidenschaft für alles, was mit Drachen und Fliegen zu tun hat, hat den 52-Jährigen während seines Studiums Mitte der Achtzigerjahre gepackt. Als er damals durch den Stadtpark Hamburg spaziert, fallen ihm die Drachen am Himmel auf und er denkt: „Sieht toll aus! Das will ich auch lernen.“ Er hat dann „ein bisschen gespart und gleich ein gutes Modell gekauft“, einen „Delta“-Kunstflugdrachen, damals gut 100 D-Mark teuer. Hokema findet es sinnvoll, von Anfang an in „was Solides“ zu investieren; heute in Modelle für etwa 100 bis 150 Euro. Denn: „Wenn man einen billigen Drachen kauft, kauft man gleich fünfmal.“

Das Fliegen mit dem ersten Deltadrachen hat ihm „so viel Spaß gemacht“, dass es danach „richtig losgegangen“ ist. Mittlerweile ist er seit 30 Jahren „leidenschaftlicher Drachenflieger“. So oft es geht, zieht er mit Sportlenkdrachen aufs freie Feld und an zwei Leinen Figuren durch die Lüfte. Auch „Einleiner“, die größeren Figuren-Drachen, gehören zu seinem Flieger-Sortiment. Obendrein ist er seit 15 Jahren auch Kite-Surfer aus Leidenschaft, der sich auf einem Board übers Wasser ziehen lässt.

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Gibt es etwas – Drachen, Zubehör –, was immer in seinem Kofferraum steckt? Hokema lacht. Und erzählt, dass er gerade ein paar Tage unterwegs war. Im Gepäck: ein Einleiner, acht Quadratmeter Fläche, „der geht bei 2 Windstärken in den Himmel. Den häng ich übern Strand, in fünf Minuten ist er am Himmel – und dann fliegt er stabil im Wind“. Dazu hat er „immer eine Grundausstattung zum Kitesurfen dabei: 1 Board, 2 Schirme, Neopren-Anzug“. Hokema schwärmt: „Du packst dir das auf den Rücken, läufst zum Strand, baust auf und los geht’s!“ Am hauseigenen Strand „bin ich in zehn, fünfzehn Minuten auf dem Wasser“. Wenn er dann „sich selbst und die Kraft der Elemente“ spürt, empfindet er das als ‚absoluten Burner‘: „Du bist komplett eins mit dem Drachen, dem Board, mit Wind und Wellen – das Erlebnis gönne ich jedem!“ Verschmitzt fügt er an: Selbst Leute, die nicht gern draußen sind und lieber Videospiele spielen – „ich stelle mir vor, dass auch die richtig Bock daran kriegen würden“.

Ein Projekt für Luft, Leichtigkeit, Outdoor

Wenn man’s kann, ist Drachenfliegen ein Hobby, das man schnell zwischendurch ausüben kann. „Eigentlich sollten das alle machen“, findet Hokema. Wer Drachen fliegt, ist draußen, in der Natur, bewegt sich an der frischen Luft – „das ist immer gut“, lacht er. Ein sportlicher Ausgleich für Leute, „die Spaß haben, draußen zu sein“, die sich „freuen am blauen Himmel und am getrübten Himmel“ und über ihr Sportgerät oben in der Luft.

Dabei spürt der passionierte Drachenflieger auch den Lehrer in sich: „Ich kann es kaum ertragen, wenn ich über eine Wiese laufe, auf der Leute vergeblich ihre Billigdrachen steigen lassen wollen.“ Oft geht er dann hin und gibt Tipps: Achten Sie darauf, dass die Leinen gleich lang sind! Bei wenig Wind achten Sie darauf, dass die Leinen ganz abgewickelt sind! Schon nach vier bis fünf Minuten hätten die meisten so viel gelernt, dass die Freude am Fliegen wächst. „Die ganzen Ruhrgebietler, die hier in Norddeutschland Drachen steigen lassen wollen, kann ich doch nicht gegen die Wand laufen lassen …“

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In seinem Projekt verbindet Hokema die Begeisterung für Drachen, Kiten und Fliegen mit einer anderen Leidenschaft: „Ich predige furchtbar gern“, bekennt der freikirchliche Theologe. Viele Jahre war der 52-Jährige Gemeinde- und Jugendpfarrer, seit 2006 berät der Baptist Gemeinden seiner Kirche zwischen Flensburg und Bonn. Irgendwann stellt er fest: Ich höre viele gute Vorträge oder spreche selbst darüber, wie sich christlicher Glaube, Alltagsleben und Hobby ganz selbstverständlich verbinden lassen. Nur bin ich meist in christlichen Gruppen unterwegs – obwohl ich zum Beispiel große Lust hätte, auch auf Drachenfestivals zu gehen.

Er sucht nach einer Projekt-Idee, die beides miteinander verbindet und zu Luft, Leichtigkeit und Outdoor-Events passt. Drachenflieger sind meist Camper, die in Wohnwagen übernachten und abends lange vorm Grill sitzen. Mit „drachenaffinen“ Mitstreitern entsteht so die Idee, die 2008 realisiert und eingeweiht wird: Eine aufblasbare Kirche, die mit Drachenstoff bespannt ist. Schon der erste Testlauf zeigt: Es funktioniert. „Du pustest eine Kirche auf – und dann kommen die Leute.“ Das Projekt „ewigkite“ war geboren.

Mit dem Himmel verbunden

Seither ist Carsten Hokema jeweils mit drei, vier Leuten aus seinem 25-köpfigen „ewigkite“-Team jedes Jahr bei zehn, zwölf Drachenfestivals an den Nord- und Ostseeküsten dabei, auf Borkum und Fehmarn, in St. Peter Ording, Heiligenhafen oder auf der Insel Fanö in Dänemark, beim größten Internationalen Drachenfestival, zu dem sich jeden Juni rund 5.000 Fans treffen. Anfangs hat Hokema die Veranstalter noch angeschrieben; inzwischen ist es anders herum. Jetzt fragen die Veranstalter: „Kommt ihr auch?“ Wenn es mehr „Ewigkiter“ gäbe, „könnten wir von März bis Oktober jedes Wochenende auf einem anderen Drachenfestival oder Kitesurf-Event verbringen“.

Dann wird jedes Mal die „Pustekirche“ aufgebaut, nebenan die „Fahnenkirche“. Ein Mitarbeiter verleiht Drachen, die Sponsoren kostenlos zur Verfügung stellen, und gibt Besuchern Flugtipps. Ein anderer sitzt an der Kaffeemaschine und versorgt durstige Festivaller. Kostenlose Postkarten werden ausgelegt, eine kleine Schafherde und eine Ausstellung aufgebaut. Die Leute klönen und schnacken relaxt: „Es ist immer ein buntes Treiben rund um die Kirche.“

Besondere Attraktion: Ein 96-Quadratmeter-Kite mit einer Weltkarte drauf und dem Satz „Mit dem Himmel verbunden“; einer der größten Kites, die überhaupt auf Drachenfestivals in die Lüfte gehen. Viele andere sind „nur“ 40, 50 Quadratmeter groß. Einige der renommiertesten Einleiner-Drachenpiloten und viele aus der Drachen-Community in Deutschland haben an dem „gigantischen“ Fluggerät mitgetüftelt. Mindestens drei, vier Leute braucht man, damit es abhebt. Und es startet nur bei gleichmäßigem Wind zwischen 6 und 10 Knoten. „Sobald wir unseren Sack bei den Festivals auspacken, kommen die Leute sofort und helfen mit. Als der Kite das erste Mal hochging, haben wir uns gefreut – und alle anderen mit“, erzählt Hokema.

Das Gemeinschaftserlebnis zählt viel auf den Festivals. „Ich wünsche mir, dass die Leute Freude am Leben und am Drachenfliegen haben. Und ich will von der christlichen Botschaft erzählen. Das beides kriege ich nicht auseinander“, sagt der Chef-„Ewigkiter“ über seine Motivation. Als sie anfingen, waren viele skeptisch: Was will die Kirche hier? „Aber als sie gesehen haben, dass wir echte Drachenfans sind, mit denen man fachsimpeln kann, da haben wir – auch wenn’s pathetisch klingt – ihre Herzen erobert.“ Heute ist es so: Wenn irgendeiner der Drachenflieger in der Community etwas hat – in seiner Familie, Krankheit, Tod, Hochzeit, Leid – sagt Hokema, „dann bin ich die erste Adresse, dann krieg ich eine E-Mail. Und dann telefonier ich lange mit denen“.

Info: www.ewigkite.de

Dieser Artikel ist zuerst in der Zeitschrift lebenslust erschienen.

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