Was macht die Bibel zum „Buch der Bücher“? Der Theologe Dr. Ulrich Wendel erklärt, warum er sie für glaubwürdig, alltagsnah und praxistauglich hält.
Von Dr. Ulrich Wendel
Zwei eng gepackte Schuhkartons voller Briefe haben wir in unserer Freundschafts- und Verlobungszeit angesammelt, meine Frau und ich. Vor dreißig Jahren gab es eben weder E-Mail noch Mobiltelefon. Diese Briefe sind einzigartig für uns, und damals waren sie unverzichtbar. In ihnen hat Kerstin mir gezeigt, was für ein Mensch sie ist. Es war ihre eigene, authentische Auskunft. So hätte sie mir kein anderer beschreiben können. Und diese Briefe dokumentieren auch, wie unsere Beziehung gewachsen ist. Ich habe mich auf Kerstin eingestellt. Was sie mir schrieb, hat mich ein Stück verändert – weil ich ja auf sie zugehen wollte.
Mit der Bibel ist es genauso. Sie ist die Auskunft, die Gott selbst über sich gibt. Authentischer als sein eigenes Wort kann uns niemand Gott beschreiben. Und die Bibel verändert den, der sie aufrichtig liest. Sie zieht einen in die Geschichte hinein, von der sie handelt.
Wir Menschen haben nun einmal die Neigung, uns ein Bild vom anderen zu machen. Und ebenso den Hang, uns unsere Vorstellungen von Gott zu machen. Deshalb ist es unbedingt nötig, dass wir Auskunft über Gott von außen bekommen. Sonst bleibt nur ein selbstgemachter Gott übrig. Die Bibel bietet uns diese Auskunft von außen.
Was die Bibel nicht ist
Die Bibel ist jedoch keine Sammlung von Lehrsätzen und Dogmen über Gott. Sie enthält kein gegliedertes Glaubenssystem. Sie ist auch kein Handbuch für alle Lebenslagen. Sie ist nicht das Werk eines einzigen Autors, das aus einem Guss geschrieben wäre. Sie ist nicht als wörtlich diktiertes Dokument vom Himmel gefallen oder im Wüstensand aufgetaucht.
Die Schrift ist ein Kräutlein, je mehr du reibst, desto mehr duftet es.
(Martin Luther)
Ein Buch der Geschichte
Die Bibel erzählt von der großen Geschichte Gottes mit der Welt, mit seinem Volk und mit Jesus Christus. Das ist in Wirklichkeit aufregender, als es zunächst klingt. „Geschichte“ heißt: Dieses Buch ist erdverbunden und es ist tief in der Zeitenfolge der Jahrhunderte verwurzelt. Gott hat sich nicht mitgeteilt, indem er allgemein gültige Einsichten von sich gegeben hätte. Sondern er greift in das irdische Leben konkreter Menschen ein. Mit denen geht er voran. Aus vielen Einzelgeschichten webt er eine große Geschichte. Und in der Bibel stehen Berichte darüber.
Die Erzählungen der Bibel schreiten also nach vorn. Dabei verändern sich viele Dinge. Gott zeigt neue Seiten an sich. Anderes bleibt sich gleich– Gott hält seinen roten Faden durch. Weil die Bibel so tief ins menschliche Leben eingetaucht ist, deshalb ist sie alltagsnah, praxistauglich und für jede Lebenslage aussagekräftig. Es gibt keine Höhen und keine Abgründe des menschlichen Lebens, die nicht in diesem Buch abgebildet wären. Das können Weisheitssprüche und Philosophien nicht leisten.
Gottes großer Wurf
Für mich als Theologen, der auch das kritische Hinterfragen gelernt hat, ist besonders dies so faszinierend: Zwar haben über 40 Autoren an der Bibel mitgeschrieben. Sie kamen aus einem Zeitraum von über 1.000 Jahren und aus sehr verschiedenen Kulturen. Dennoch gibt es so viele Querverbindungen zwischen den einzelnen Büchern der Bibel. So viele Übereinstimmungen zwischen Schreibern, die einander nicht kannten. So viele Ergänzungen. Die Mosaiksteine sind ganz unterschiedlich und wurden erst nach und nach hinzugefügt. Doch das Gesamtbild ist ein einziger großer Wurf. Ein paar Gegensätze hier und da sind nicht zu leugnen, aber die Übereinstimmungen sind viel erstaunlicher.
Obwohl in der Bibel also auch Menschen von ihren Erlebnissen mit Gott berichten, ist die Heilige Schrift doch mehr als eine Sammlung menschlicher Erfahrungen. Die Menschen, die da berichten, verstanden sich als Boten Gottes. Und das Gesamtbild bestätigt es: Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Hier kommen nicht nur Menschen zu Wort, sondern Gott selbst spricht in diesem Buch.
Ich brauche die Bibel, um mich als Mensch zu verstehen.
Glaubwürdige Auskunft
Ob man den Berichten der Bibel wirklich trauen kann, fragen sich viele. Dass die Wissenschaft die Bibel widerlegt habe, hört man oft aus der Presse oder dem Fernsehen. Haben die Kritiker recht?
Zunächst einmal ist wissenschaftlich erwiesen, dass die Texte der Bibel über die Jahrhunderte fast unverändert überliefert wurden. Einer der stärksten Glaubwürdigkeitsfaktoren ist für mich aber dieser: Viele „Helden“ der Bibel werden ohne Glanz und Gloria beschrieben. Ihre Schattenseiten und ihr manchmal peinliches Scheitern wird ungeschminkt dargestellt. Das zeigt mir: Hier wurde nichts „frisiert“, um den Anspruch der Könige Israels oder der christlichen Kirche zu legitimieren. Dokumente, die jemand in Auftrag gibt, um sich in ein gutes Licht zu rücken, sehen anders aus. Die Bibel spricht oft gerade gegen Gottes Volk und gegen die führenden Leute der Kirche. Das macht sie glaubwürdig.
Wozu ich die Bibel brauche
Ich brauche die Bibel, weil sie mir Gott zeigt, wie er selbst von mir gesehen werden möchte. Ich brauche sie, um von meinen selbstgemachten falschen Gottesvorstellungen befreit zu werden. Ich brauche sie, um mich als Mensch zu verstehen: in meiner Würde als Geschöpf, in meinen Abgründen als gefährdeter Sünder und in meinen Möglichkeiten als jemand, der durch Christus erlöst wird.
Ich brauche die Bibel, weil sie mir von Jesus berichtet – dem Menschen, der von Gott kam und der zeigte, wie ich aus Gottes Sicht leben soll. Ich brauche die Bibel auch, damit sie immer wieder gegen mich spricht – und ich mich verändern kann. Ich brauche sie, um meinen Weg zu finden und verantwortliche Entscheidungen im Sinne des Erfinders treffen zu können.
Der Schriftsteller Franz Kafka sagte einmal: „Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.“ Ich bin froh, dass dieser Satz für die Bibel so nicht gilt. Ja, in jedem Menschen wohnt eine tödliche Kälte. Denn wir alle kommen aus der Gottesferne. Aber die Bibel zerschlägt das nicht wie eine Axt. Sondern aus ihr strahlt Gottes Liebe. Das gefrorene Meer in mir taut auf. Die Bibel zeigt mir, wie ich Christus in mein Leben aufnehme. Dann ist die Wärme Gottes in mir – und nichts friert mehr ein.
Gut zu wissen:
Die Bibel besteht aus zwei Teilen. Das Alte Testament (beginnend mit 1. Mose, auch Genesis genannt) umfasst die Spanne von der Schöpfung der Welt bis zur Geschichte Israels, ungefähr bis 450 v.Chr.
Das Neue Testament (beginnend mit den Evangelien, Matthäus, Markus, Lukas und Johannes) beschreibt die Geschichte von Jesus und der jungen christlichen Kirche und blickt auf die Erneuerung der Welt am Ende aller Zeiten.
Die Bibel besteht aus 66 Büchern von mehr als 40 Autoren. Es gibt geschichtliche, poetische und prophetische Bücher. Erste Aufzeichnungen biblischer Texte gehen bis in die Zeit Moses zurück, etwa 1430 v.Chr.
Das älteste erhaltene Dokument mit biblischen Texten stammt aus dem 7. Jahrhundert v.Chr. Der dort enthaltene Text steht heute noch in unseren Bibeln. Der älteste Textbeleg des Neuen Testaments kommt aus der Zeit zwischen 100 und 125 n.Chr.
Die Texte der Bibel haben unterschiedliche Formen. Dazu gehören zum Beispiel Berichte, Briefe, Namenslisten, juristische Texte, Lieder, satirische Texte, Gebete, Weisheitssprüche, Dialoge, Reiseberichte, Predigten, Motivations- und Ermahnungsschreiben, Klagelieder.
Dr. Ulrich Wendel ist Chefredakteur der Zeitschrift Faszination Bibel.
Dieser Artikel ist Teil unserer Serie „Basics des Glaubens“. Alle Artikel zu diesem Thema findest du auf dieser Webseite.
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