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Welchen Platz Kinder in der Gemeinde haben sollten

Kinder sind Gemeinde. Wir betreuen sie nicht. Wir verwahren sie nicht. Wir füllen sie nicht mit unserem Wissen, bis sie groß genug sind, unsere Gemeinden zu finanzieren. Wir machen uns mit ihnen auf den Weg der Nachfolge Jesu. Kinder sind Jünger – nur eben kleine.

Von Marcus Felbick und Anna Gerlach

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In Markus 10,13-16 schildert die Bibel eine außergewöhnliche Begegnung: „Eines Tages brachten einige Eltern ihre Kinder zu Jesus, damit er sie berühren und segnen sollte. Doch die Jünger wiesen sie ab.“
Wie viele andere Menschen auch, wollen diese Eltern nur das eine: Ihre Kinder sollen Jesus treffen. Die Reaktion der Jünger: „Seid leise, die Orgel spielt. Seid leise, das hier ist ein heiliger Ort. Psst, hier haben Erwachsene etwas zu sagen. Das hier ist ein Gottesdienst. Seid leise, geht zur Kinderbetreuung.“ Die Jünger weisen die Kinder ab. Der Lehrer, der Rabbi, der Menschensohn braucht Ruhe – hier ist kein Ort für Kinder.
„Als Jesus das sah, war er sehr verärgert über seine Jünger und sagte zu ihnen: ‚Lasst die Kinder zu mir kommen. Hindert sie nicht daran! Denn das Reich Gottes gehört Menschen wie ihnen. Ich versichere euch: Wer nicht solchen Glauben hat wie sie, kommt nicht ins Reich Gottes.‘ Dann nahm er die Kinder in die Arme, legte ihnen die Hände auf den Kopf und segnete sie.“ Jesus ist aufgebracht. Das griechische Wort „aganakteo“ kann man übersetzen mit „erregt“, „erzürnt“ oder „sehr verärgert“. Er ist sehr verärgert, denn er möchte die Kinder bei sich haben. Die, die in der antiken Gesellschaft – und auch viele Jahrhunderte danach noch – keinen Stand hatten, keine Macht, keinen Status, kein Gehör, keine Lobby. Sie waren zwar Arbeitskräfte und die Altersvorsorge, aber sie waren nur Kinder. Und ausgerechnet für sie ist Platz bei Jesus.

Selbstverständlich eingeladen

Da ist eine Familie zu Besuch bei Freunden, und sie gehen gemeinsam zum Abendgottesdienst einer Kirche. Es gibt kein Kinderprogramm. Aber es gibt Abendmahl. Der Pastor erklärt vorher die Bedeutung und lädt alle, die Jesus lieb haben und ihm nachfolgen, ein, daran teilzunehmen. Der älteste Sohn der Familie (neun Jahre alt) hat noch nichts vom Abendmahl gehört. Er ist immer im Kindergottesdienst, wenn in seiner Gemeinde Abendmahl gefeiert wird. Die Eltern sind geschockt, als ihnen plötzlich aufgeht, dass ihr Sohn noch nie ein Abendmahl erlebt hat. Taufe schon, das ist ja immer ein Fest, aber beim Abendmahl war er noch nie dabei.
Nach der Erklärung über das Abendmahl und die Einladung drängt der Sohn seine Eltern aus der Kirchenbank. Als die zögern, erklärt der Junge, der Pastor habe ja gerade alle Freunde von Jesus eingeladen, Abendmahl zu feiern. Und während die Gemeinde sich noch ziert und die Eltern sich irritiert anschauen, nimmt er seinen Bruder an die Hand, und die beiden gehen ganz selbstverständlich nach vorne …

Kinder brauchen keine Mitarbeitenden, die als Lehrer auftreten und all ihr Wissen weitergeben, sondern Menschen, die bereit sind, mit ihnen ein Stück ihres Lebens und Glaubens zu teilen. Menschen, die bereit sind, auf Augenhöhe zu gehen.

Dieser Neunjährige war mein (Marcus‘) Sohn – und mir sind in diesem Abendgottesdienst zwei entscheidende Dinge aufgegangen: Meine Kinder hatten bis dahin keinen Zugang zu einem wichtigen Teil der christlichen Glaubenspraxis, weil wir Erwachsenen ihn für uns beansprucht hatten. Und mein Sohn fühlte sich ganz selbstverständlich als ein zum Abendmahl eingeladener Gläubiger.
An dieser Stelle geht es uns nicht um unterschiedliche kirchliche Traditionen zu der Frage, wie denn das Abendmahl zu verstehen ist. Aber an diesem Beispiel wird deutlich, dass Kinder dazugehören möchten. Über solche Traditionen machen sie sich keine Gedanken, wenn sie für sich wissen, dass sie zu Jesus gehören. Sie verstehen sich selbst als Gemeinde, auch wenn Erwachsene ihnen die Glaubensmündigkeit manchmal absprechen würden.

Wir alle sind die Kinder

Kinder wollen dazugehören. In ihrer Ursprünglichkeit wissen sie, dass wir alle gleichermaßen zu Gott kommen dürfen, dass wir nur gemeinsam Kirche sind. Die Erzählung um Jesus und die Kinder geht noch weiter. Für Jesus sind Kinder Gemeinde. Jesus umgibt sich mit Kindern, weil Menschen wie ihnen das Reich Gottes gehört. Denen gehört das Reich Gottes, die ihre Beziehung zu Jesus vertrauensvoll und vorbehaltlos gestalten. Jesus stellt uns die Kinder als Glaubensvorbilder vor. Der Professor für Theologie und Religionspädagogik Siegfried Zimmer beschreibt dies in seinem Vortrag „Jesus und die Kinder“ zusammengefasst etwa so: „Es geht darum, erstens den Stolz auf die eigene Leistung, den Status, die Macht zu verlieren; zweitens bedürftig zu sein und von der Zuwendung zu leben; und drittens als Menschen des Anfangs zu leben und voller Erwartungen zu sein.“
Das bedeutet es, Kind zu sein. Es geht nicht darum, kindisch und naiv zu sein, sondern kindlich. Wir Erwachsenen können vom Wesen der Kinder lernen und uns selbst neu als Kinder verstehen. Jesus setzt hier neue Maßstäbe. Kinder dürfen und sollen seine Nähe erleben. Bei Jesus ist für sie Platz – so wie für alle Menschen.

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Glaubenskompetenz auf Augenhöhe

Der Punkt ist, dass wir als Erwachsene diejenigen sind, die die Macht haben. Wir können entscheiden, ob die Kinder ihren Platz als Teil der Gemeinde einnehmen dürfen oder nicht. Doch wenn wir Jesu Worte ernst nehmen, dürfen wir sie nicht als unmündige Zukunft der Gemeinde abstempeln. Stattdessen gibt er uns eine gute Grundlage, um ihnen einen Platz in der Gemeinde zu schaffen. Wir dürfen und sollten Kindern auf Augenhöhe begegnen, weil Gott sich in Christus mit uns auf Augenhöhe begeben hat.
Früher betrachtete man Kinder als das inzwischen sprichwörtliche „weiße Blatt“. Die Vorstellung war: Kinder haben noch keine Erkenntnis, kein Verstehen und keine Wahrnehmung von Gott und der Welt. Wissenschaftlich betrachtet kann man allerdings feststellen, dass Kinder kein „weißes Blatt“ sind. Jedes Kind ist ein Konstrukteur seiner Welt. Einfach dadurch, dass Kinder leben, begegnen sie der Welt. Sie nehmen Menschen, Umwelt, Kirche und so weiter um sich herum wahr, verarbeiten dies und bauen die Informationen in ihr Weltbild ein. Dadurch entsteht ihre „kognitive Landkarte“. Ein Erwachsener kann niemals kommen und selbst etwas auf diese „Landkarte“ schreiben. Er kann lediglich dem Kind Informationen geben, und das Kind wird selbst entscheiden, ob und wie es diese in sein Weltbild einbaut. Das heißt auch, dieser (Persönlichkeits-) Bildungsprozess beginnt nicht erst, wenn ein „Lehrer“ kommt und dem Kind etwas beibringen möchte.

Die Vorstellung, dass Kinder sich selbst bilden, hat auch die Vorstellung der Glaubensbildung von Kindern verändert. Heute weiß man, dass Kinder bereits ein Verständnis von Gott haben. Gott hat dem Menschen die Ewigkeit ins Herz gelegt, wie es so poetisch im Predigerbuch (Prediger 3,11) heißt. Kinder können Fragen über Gott stellen, sich eigene Vorstellungen von ihm machen. Sie sind genauso wie Erwachsene fähig, Gott zu begegnen und über Gott zu sprechen. Dabei kommen sie zu erstaunlichen Aussagen und Erkenntnissen. Manchmal können wir gerade von dieser Erkenntnisfähigkeit sehr profitieren – nicht nur in der Gemeinde. Kinder sind glaubenskompetent!
Deshalb sind Kinder Gemeinde – heute. Wir brauchen sie genauso, wie sie uns brauchen. Wir dürfen sie begleiten in einer Welt, die für sie mit zunehmendem Alter immer komplexer wird. Und gleichzeitig dürfen wir von ihnen lernen, dass unsere komplexe Welt einfacher wird, wenn wir zunächst beginnen, die einfachen Erkenntnisse umzusetzen: Liebe Gott und deinen Nächsten wie dich selbst. Liebe deinen Feind, denn er muss nicht für immer ein Feind bleiben. Teile, denn du hast genug. Traue Gott zu, dass er für dich sorgt. Auf Augenhöhe bedeutet, den Glauben von Kindern ernstzunehmen und zu entdecken, dass Gott zu ihnen spricht und sie gebraucht.

Mit allen Sinnen dem Glauben begegnen

Was bedeutet dies für die Arbeit mit Kindern? Inzwischen ist es Konsens, dass Kinder ganzheitlich lernen. Für ihre Bildungsprozesse benötigen sie nicht nur die Präsentation von Wissen, das sie kognitiv aufnehmen, sondern die Möglichkeit, Gott mit allen Sinnen zu erfahren. Sie lernen im gemeinsamen Gebet genauso über die Liebe des Vaters und die Freundschaft mit Jesus wie in einer Geschichte, in die sie mit hineingenommen werden. Dabei ist das Gegenüber besonders wichtig. Kinder sind sehr sensibel dafür, ob ihr Gegenüber authentisch ist. Ein Erwachsener kann den Glauben in einem Kind niemals „machen“. Die Bildung eines persönlichen Glaubens geschieht durch Begegnung mit dem Glauben, das heißt, Glaubensvermittlung ist ein beispielhaftes „Zeigen“ gelebter Nachfolge. Aber auch die Auseinandersetzung mit den Unterschieden im individuellen Glauben von Menschen, die Anregung zu Reflexion und Diskussion, gehören dazu.
Das ist die große Chance für Kirchen und Gemeinden: Kinder benötigen keine Gemeinde, die eine zweite Schule ist. Wo man statt Mathe und Deutsch etwas über Gott lernt. Kinder benötigen Gemeinden, in denen sie einen Begegnungsraum finden. Wo Menschen sind, die nicht nur über ihren Glauben reden, sondern diesen auch leben. Sie brauchen keine Mitarbeitenden, die als Lehrer auftreten und all ihr Wissen weitergeben, sondern Menschen, die bereit sind, mit ihnen ein Stück ihres Lebens und Glaubens zu teilen. Kinder begegnen dann anderen Kindern und Erwachsenen als glaubende und suchende Persönlichkeiten, sie begegnen der Welt und der Kirche, der Gemeinde, und sie begegnen Gott selbst. Wir verlassen dafür die Rolle des Lehrers als Wissensvermittler und begeben uns mit den Kindern auf Augenhöhe. Wir geben zu, dass auch wir trotz unseres Wissensvorsprungs immer Lernende und Suchende bleiben. Wir lassen sie selbst entdecken, lassen uns auf ihre Fragen ein, begeben uns gemeinsam mit ihnen auf eine Entdeckungsreise.

Verändertes Selbstbild

Und dann werden wir merken, dass Gott bereits mit den Kindern in Kontakt ist. Kinder machen sich ihr Bild von ihm. Sie machen ihre Erfahrungen mit ihm. Sie können diese Erfahrungen bereits ausdrücken mit den kognitiven und emotionalen Fähigkeiten, die sie besitzen.
Das bringt auch Entlastung für uns: Ich bin kein Vermittler zwischen Gott und Kind. Ich bin nicht der einzige Kanal, über den das Kind mit Gott in Verbindung steht. Gott spricht zu mir. Gott spricht zum Kind. Und ich darf entdecken, was Gott dort spricht und wie Gott sich dem Kind entsprechend seines Entwicklungsstandes offenbart.
Gott ist Mensch geworden, damit wir ihn begreifen und ergreifen können. Wir – das sind Kleine wie Große. Und alle können ihm begegnen – gleichwertig miteinander – mit unterschiedlichem Hintergrund, aber der gleichen Faszination von seinem Wesen.

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Dieser Artikel ist zuerst im Magazin SevenEleven erschienen, das wie Jesus.de zum SCM Bundes-Verlag gehört.

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