Klaus Dewald gründete in den 90er Jahren das christliche Hilfswerk GAiN, das Hilfstransporte durchführt. Trotz schwerer Schicksalsschläge ist er immer noch für Notleidende auf Achse.
Herr Dewald, Sie kommen gerade zurück aus Rumänien.
Klaus Dewald: Ja, von einem Hilfstransport mit drei 40-Tonnern in die Nähe der bulgarischen Grenze. Über 5.000 Kilometer hin und zurück in einer Woche.
Was ist Ihnen in dieser Woche begegnet?
Dewald: Uns hat konkret die Situation der Sinti und Roma in Rumänien beschäftigt. Das Land ist Mitglied der EU und bis Hermannstadt/Sibiu oder Cluj herrscht noch westliches Flair. Fährt man weiter Richtung Bukarest, ist man auf einmal 40 Jahre in der Zeit zurück. Und die Umstände, unter denen Sinti und Roma leben müssen, sind unfassbar!
Was Sie heute machen, war nicht immer Ihr Lebensziel. Was wollten Sie werden als Junge?
Dewald: (lacht) Wie alle Jungs: Pilot. Flugzeuge, Freiheit haben mich gereizt! Aber als Brillenträger war klar: Das langt nicht. Darauf wollte ich Lkw-Fahrer werden. Aber da hat mein Vater gesagt: Nee, das ist nix! Also bin ich Kfz-Mechaniker geworden, habe Maschinenbau studiert und in einem Logistikunternehmen gearbeitet. Logistik ist meine Leidenschaft. Und dann ging es irgendwann mit GAiN los.
Nämlich wie?
Dewald: Ich habe 1990 gehört, dass die Studentenorganisation „Campus für Christus“ einen Hilfstransport plant in die damalige Sowjetunion. Nach dem ersten Treffen habe ich gesagt: Vergesst es! Aber sie haben mich herausgefordert, mitzumachen – und dann habe ich alles organisiert.
Ein Grund für mich, mitzumachen, war Abenteuerlust. Aber wir sind dann Omis begegnet, in Leningrad, heute St. Petersburg, die uns einen Platz gezeigt haben, an dem 30.000 im Zweiten Weltkrieg verhungerte Kinder beerdigt sind. Da fühlt man sich als Deutscher nicht wohl in seiner Haut! Aber dann hat eine von ihnen gesagt: Dein Großvater kam als Feind mit Waffen – du kommst als Freund mit Liebe und Hilfe; wir vergeben dir und deinem Volk!
Zurück in Deutschland hab ich das Gespräch mit vielen älteren Menschen gesucht. Und 70 bis 80 Prozent von ihnen haben gesagt, wenn sie noch mal die Chance hätten, würden sie ihr Leben anders führen. Mich hat das bewegt. Ich wollte nicht am Ende sagen müssen, ich trauere den Chancen meines Lebens hinterher.
Das hat zu der Frage geführt: Was sind denn die Werte, die ich leben möchte? Die Antwort war: Ich möchte nicht Geld, große Autos oder Karriere, sondern etwas anderes. Als Christ hab ich zu Gott gebetet: Sag mir, was ich tun soll – ich bin bereit! Leider kam kein Fax, in dem gestanden hätte: Ab morgen machst du das und das. Also hab ich gedacht: Solange ich dieses Fax vom Himmel nicht kriege, helfe ich halt Menschen in Not. Das kann so verkehrt nicht sein.
Zwei Freunde verunglücken tödlich
… eine klare Berufung folgte dann Jahre später?
Dewald: Ich hab weitergemacht mit Hilfstransporten, aber ohne langfristige Pläne. Denn ich habe immer erwartet: Irgendwann macht Gott mir klar, was ich tun soll. 1994 habe ich mein eigenes Logistikunternehmen gegründet; ich wollte das Geld verdienen, das ich brauche, um Menschen zu helfen. Auch da hab ich zu Gott gesagt: Wenn das der richtige Weg ist, segne es! Wenn nicht, mach’ ich was anderes.
Wir haben dann tatsächlich Geld verdient. Und wir wurden professionell. Dann kam das Jahr 1995. Bei einem Lkw-Unfall sind zwei meiner guten Freunde tödlich verunglückt. In dieser Situation war ich zornig, auf Gott, und dachte: Hättest du das nicht verhindern können?! Ich wollte aufhören. Der Preis war mir deutlich zu hoch.
Und wie hat das zu der ganz anderen Entscheidung geführt?
Dewald: Andere haben mir gesagt: Du kannst nicht aufhören, du hast eine Verantwortung für die Familien deiner Fahrer! Und es war auch klar: Du hast damit angefangen, und jeder Hilfstransport ist eine Schlacht, von denen hast du eine verloren. Wenn du jetzt aufhörst, hast du ganz verloren.
Danach hab ich zweierlei zu Gott im Gebet gesagt: Ich habe verstanden – aber ich will trotzdem nicht weitermachen. Und zweitens: Hast du, Gott, mich berufen, diese Arbeit zu tun? Darauf brauche ich jetzt eine klare Antwort!
„In drei Tagen war alles erledigt! Ich war geflasht, weil ich gedacht hatte: Das wird nie passieren … Aber es ist passiert.“
Und damit ich die verstehe, stelle ich folgende Bedingungen: Ich habe kalkuliert, zwei Jahre Rente für die Familien plus Ausbildung für die Witwen, ein sechsstelliger Betrag – und dann zu Gott gesagt: Ich rede mit keinem Menschen darüber, aber du musst mir das Geld irgendwie geben, in sieben Tagen!
Außerdem war meine Bedingung: Ich mache nicht kleiner weiter. Ich habe eine Spedition mit zehn Fahrzeugen und Schulden bei der Bank – wenn ich weitermache, darf kein anderer da ein Anrecht haben, die Schulden müssen weg!
Und: In drei Tagen war alles erledigt! Ich war geflasht, weil ich gedacht hatte: Das wird nie passieren … Aber es ist passiert.
Expansion in alle Welt
Und die Arbeit entwickelte sich dann bald in vielen Ländern und wurde zu GAiN. Stichwort Fax: Haben Sie immer auf Notlagen reagiert?
Dewald: Am Anfang war Osteuropa der Schwerpunkt. Nach der Auflösung der ehemaligen Sowjetunion blieben viele einzelne Staaten übrig, Russland, die baltischen Länder, Weißrussland, Ukraine, Armenien … Aber weil wir nicht nur bei Hunger und nicht nur im Winter geholfen haben, kam das Internationale stärker zum Tragen.
Ein Kanadier sprach mich an: Was du in Deutschland machst, würde ich gern in Kanada machen, kannst du mir helfen? Das hat sich über die Jahre ausgeweitet, von Europa bis nach Afrika, Australien und Asien. Damit wurde es notwendig, den Namen zu ändern.
Und „Global Aid Network (GAiN)“ ist perfekt: Global Hilfe leisten, nicht allein, sondern mit anderen zusammen Gutes tun. Und „Gain“ heißt „gewinnen“, also Menschen gewinnen, auch für den Glauben, für Jesus … Ich sage immer: Ich bin Hoffnungsbringer. Da, wo keine Hoffnung ist, ist mein Auftrag, Hoffnung zu bringen.
„Ich selbst hatte mit meiner Frau einen schweren Verkehrsunfall, den man eigentlich nicht überleben kann.“
Klaus Dewald
Sie haben vom Tod Ihrer Freunde berichtet. Wenn man so eine Arbeit Jahrzehnte macht, bleiben Tiefschläge und harte Erfahrungen nicht aus …
Dewald: Ja, immer wieder, auch wenn man mit Gott unterwegs ist. Ich selbst hatte mit meiner Frau einen schweren Verkehrsunfall, den man eigentlich nicht überleben kann. 2007 auf einer Fahrt nach Lettland sind wir bei Tempo 200 ins Schleudern gekommen und auf einen Lkw aufgefahren. Ich war von einer Sekunde auf die andere aus dem normalen Leben gerissen und drei Monate weg. Als ich lebend zurückkam, gab’s GAiN immer noch.
Solche schlimmen Erfahrungen bieten immer die Chance, daraus zu lernen. Ich habe begriffen: Ich bin nicht so wichtig. Aber unser Auftrag bleibt. Wir haben noch etwas zu tun auf der Erde, sonst wären wir gegangen. Ich glaube, Gott trägt die Verantwortung für unsere Arbeit. Was ich tun kann, ist, mich zur Verfügung zu stellen. Die harten Erfahrungen gehören dazu, es ist aber wichtig, dass sie einen auf die richtigen Fragen lenken.
Kleines Baby gerettet
An welche motivierenden Erlebnisse und Begegnungen erinnern Sie sich auf der anderen Seite?
Dewald: Immer an Menschen! Ich könnte tausend Geschichten erzählen, wo hoffnungslose Situationen sich verändert haben und wieder Leben eingekehrt ist. Ich erzähle mal eine.
Hier bei mir im Büro hängt das Foto eines Mädchens aus Uganda. Bei einem Einsatz dort hatte mir ein Polizist erklärt: Dieses Kind ist HIV-positiv, es hat keinen Wert – und hat sie buchstäblich in eine Mülltonne geworfen!
Darauf habe ich zu ihm gesagt: In meinen Augen kann nur Gott solche Entscheidungen über Leben und Tod treffen. Deswegen nehm ich dieses Baby mit – und wir haben es dann versorgen lassen. Als das Bild entstand, war sie zehn, elf Jahre alt. Das ist 24 Jahre her – und sie lebt heute als intelligente junge Frau, ohne HIV. Solche Geschichten motivieren mich weiterzumachen.
GAiN arbeitet als internationales „Mitmachhilfswerk“. Was bedeutet das?
Dewald: Projekte sind maximal ein Werkzeug. Das Ziel ist immer der Mensch. Ich möchte anderen Menschen gemeinsam mit anderen Menschen helfen. Wenn wir gemeinsam dort unterwegs sind, wo Not ist, verändert das die Menschen.
„Ich höre oft: Ich allein kann doch nichts verändern! Aber ich denke: Jeder kann etwas verändern!“
Klaus Dewald
Sie selbst sind seit mehr als 30 Jahren im Dienst für Menschen unterwegs. Mit welchen Gedanken blicken Sie zurück?
Dewald: Dankbar für vieles, was möglich war. Ich höre oft: Ich allein kann doch nichts verändern! Aber ich denke: Jeder kann etwas verändern! Es geht ja nicht immer um die großen Dinge, sondern es sind oft die kleinen Dinge – und da kann jeder was tun. Es geht jeweils um den einzelnen Menschen.
Wenn Sie einen Wunsch für 2023 hätten, was wäre Ihr Gebet?
Dewald: Dass die Menschen einander sehen. Es sind Menschen, die anderen Menschen etwas antun. Aber wenn ich den anderen richtig wahrnehme, dann geschieht wahrscheinlich weniger Leid.
Vielen Dank für das Gespräch!
Die Fragen stellte Jörg Podworny.
Im März erscheint die Biografie „Ein Mann, ein Leben, ein Auftrag“ von Klaus Dewald; Informationen zu GAiN: www.gain-germany.org
Dieses Interview ist in der Zeitschrift lebenslust erschienen. Lebenslust ist Teil des SCM Bundes-Verlags, zu dem auch Jesus.de gehört.