Ich – dieses Wort soll in einer Rezension eigentlich nicht vorkommen. Ich weiß – und da ist dieses Wort schon wieder. Bei diesem Thema – und diesem Buch – fällt es sehr schwer, nicht persönlich zu werden. Es wäre dem Thema exakt 35 Jahre später auch nicht angemessen. Anders als die Autorin bin ich ein Kind des Westens. 1972 knapp westlich der Grenze zur ehemaligen DDR aufgewachsen. Als im Oktober 1989 die ersten Trabis kamen, war ich in Ausbildung und hörte die verschiedenen Meinungen von Angestellten in einem westdeutschen Industriebetrieb. 35 Jahre danach sind die Tage im Herbst 1989 gesellschaftspolitisch gesehen noch immer das größte Wunder, das ich so nah miterlebte. Mit diesen Erinnerungen im Herzen verliebte ich mich in dieses Buch.
Es gibt Bücher, die finden einen. „Herzen ohne Mauer“ ist eines davon. Der Titel, die Typografie, das Schwarz-Weiß-Foto und der Mann mit der Harmonika in der Hand ziehen magisch an. Die Farbgebung und die Bewegung machen das Lebensgefühl deutlich, das geprägt war von Aufbruchsstimmung und Euphorie. Was folgte, waren Arbeitslosigkeit, Neuorientierung und eine Welt, in der es – außer christlichen Werten – nur noch wenige verlässliche Konstanten gab.
Die Autorin Viola Ramsden, Jahrgang 1976, in der damaligen DDR geboren und aufgewachsen, begibt sich auf Spurensuche. Spuren der eigenen DDR-Vergangenheit, die in den Kinderschuhen steckengeblieben ist. Sie traf Menschen, die den Umbruch erlebt und auch erlitten und weitestgehend aufgearbeitet haben. Ramsden ist sehr feinfühlig unterwegs. Sie nimmt Atmosphäre detailliert auf und beschreibt die Mimik, die Gestik und die Gefühlslage ihrer Interviewpartner präzise und warmherzig. All das ist spannend zu lesen. Es geht um Brüche und Neuanfänge, um Nachteile und Scheitern und um einen Glauben, für den sich die Protagonisten bewusst entschieden haben. Sie waren bereit, als Christen persönlich benachteiligt zu sein. Und sie waren in der Lage, innerhalb des Systems, gestärkt durch Gemeinschaft und Gebet, das Leben harmonisch zu gestalten.
Neunmal zeichnet Viola Ramsden Menschen und ihre Biografien nach. Sie fährt zu ihnen auf kurvigen Straßen, sitzt am Elbufer und am Küchentisch. Sie lässt ihre Gedanken während einer verregneten Bahnfahrt schweifen oder zuckelt genervt auf der A4. Sie war unterwegs, um die Lebensgeschichten von Menschen aus mehreren Generationen einzufangen, Christen in der DDR. „Gott ist mit uns allen“, schreibt sie auf Seite 248 im letzten Satz des Buches. Unabhängig davon, ob jemand von Osten, Westen, Norden oder Süden komme. Wünschenswert wäre es, dass Menschen aus allen vier Himmelsrichtungen dieses Buch lesen und die Geschichten im Herzen weitertragen.
Von Silke Meier