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Als Introvertierte in der Gemeinde zurechtkommen

Gemeinde bedeutet immer auch viele Menschen. Wie findet man da als stiller Mensch seinen Platz? Marie Briese, selbst introvertiert, nimmt uns mit in ihr Erleben – und hat praktische Tipps parat.

Mit jeder Minute, mit der sich meine geplante Abfahrtszeit näherte, stellte mir mein Kopf ein neues Argument vor, das dafür sprach, einfach zu Hause zu bleiben. Das Wetter war wirklich ungemütlich. Ich war an diesem Tag schon viel unterwegs gewesen und dabei genug Menschen begegnet – mein sozialer Akku war schon leer. Ich könnte die Zeit doch auch anders sinnvoll nutzen.

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Gegen die Angst durchsetzen

In meinem Kopf klang alles, was mir meine Angst sagte, sehr logisch und nachvollziehbar. Sie wollte mit fast allen Mitteln verhindern, dass ich zu meinem kleinen Abenteuer aufbrach. Doch schließlich schaffte ich es, mich durchzusetzen gegen meine Angst und alle negativen Szenarien, die sie mir ausmalte. Ich schaffte es, meine Tasche zu packen und loszufahren.

In die frühere Industriehalle begleiteten mich meine Sportkleidung und eine kleine Ansammlung an Ängsten. Wer würde alles da sein? Was wäre, wenn ich schon in den ersten Minuten merkte, dass meine Sorgen recht hatten und ich wieder nach Hause möchte? Wie lange dauert das alles? Wie würde ich damit umgehen, wenn ich mich blamierte? Würde mir die Höhe etwas ausmachen?

Zu meinen mal mehr, mal weniger stark ausgeprägten sozialen Ängsten gesellte sich in diesem speziellen Fall noch meine Höhenangst. Doch wie kam es überhaupt zu dieser herausfordernden Kombination?

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Neue Menschen kennenlernen

Die Gemeinde, die ich besuche, hat sich in den vergangenen zwei Jahren neu gegründet. Das veränderte Konzept zog viele neue Menschen an und wir etablierten sogenannte „connect groups“, um die Kontakte untereinander auf eine entspannte Art zu stärken.

Ziel dieser Gruppen – und gleichzeitig eine meiner Herausforderungen – war es, neue Menschen kennenzulernen und mit ihnen das eigene Leben zu teilen. Diese „connect group“ war es also, die mich an einem verregneten Dienstag im April in die Boulderhalle zog.

Dass ich auch tatsächlich dort ankam, hatte ich mehreren Dingen zu verdanken, um die es nun gehen soll. Ich glaube, sie waren nicht nur in meiner speziellen Situation hilfreich, sondern können auf alle möglichen Situationen angewendet werden, in denen uns die Angst vor anderen Menschen einschränkt.

Anmeldung sorgt für Verbindlichkeit

Zunächst einmal war es gut, dass ich mir vorher fest vorgenommen hatte, diese Gruppe zu besuchen. Ein Eintrag im Kalender sorgt für eine gewisse Verbindlichkeit. Ich steigerte diese, indem ich mich in einem besonders mutigen Moment sogar beim Gruppenleiter anmeldete. Ich wusste jetzt: Da wartet jemand genau auf mich.

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Dieser Druck ist aber nicht in allen Bereichen gut. Ich befreite mich vorher von unrealistischen Erwartungen. Ich machte mir klar, dass es möglich sein kann, nicht so gut wie die anderen zu klettern und auch herunterzufallen.

Realistisch bleiben

Ich machte mir keine Illusionen und versuchte, sowohl das allzu Gute als auch das übertrieben Schlechte realistischer zu sehen. Dieser Nachmittag würde sicher nicht mein Leben verändern, aber hey – er würde nicht mein Leben verändern! Ein nüchterner Blick kann deine Ängste und „Was-wäre-wenns“ verkleinern.

Auf die Perspektive kommt es an, das habe ich sogar während des Boulderns gelernt. Als ich dort an der Wand hing, die Füße in enge Schuhe gezwängt, die Hände voller Magnesium und insgesamt geschätzte 2,50 Meter über dem Boden, wurde es mir bewusst.

Nur auf den nächsten Schritt schauen

Zwar ist es sinnvoll, sich vor dem Klettern eine Route auszuspähen und einzelne Tritte und Griffe zu planen, doch wenn man mittendrin steckt, schaut man am besten nur auf den nächsten Schritt. Ein Blick nach unten zu den anderen aus der Gruppe führte mir die Aufregung dieser neuen Konstellation vor Augen.

Ein Blick nach oben erinnerte mich an meine Höhenangst, die mir von da an beständig vorhielt, dass ich nicht für solche Aktivitäten gemacht bin. In diesem Moment, in dem es scheinbar weder vor noch zurückging, half nur eins: Fokus auf den nächsten kleinen Schritt!

Mach dir vorher einen Plan, der alle wichtigen W-Fragen abdeckt.

Was diesen Klettersport hier gerade leicht philosophisch daherkommen lässt, kann eine gute Strategie sein, wenn man sich, wie ich, den eigenen (sozialen) Ängsten stellen will. Ganz konkret bedeutet das: Mache dir vorher einen Plan, der alle wichtigen W-Fragen abdeckt: Was willst du tun? In meinem Fall war es, mit der „connect group“ Bouldern zu gehen.

Wann wirst du losgehen und wann kommst du wieder zurück? Gerade die Antwort auf die letzte Frage ist ein Gamechanger: Du weißt bereits vorher, wann du es geschafft hast! Wo findet es statt? Ich wusste zum Glück schon, wo die Boulderhalle liegt. Wenn es anders gewesen wäre, hätte ich mir Fahrtstrecke und Parkplatzsituation vorher in Ruhe angesehen.

Freunde geben Sicherheit

Wer wird dabei sein? Im Idealfall gibt es ein oder zwei Personen, die du kennst und die dir Sicherheit geben können. In dieser Gruppe war ich fremd. Allerdings sollte das nachher kein großes Problem darstellen, denn die anderen waren wirklich nett und hilfsbereit zu mir, als ich ihnen von meinen Bedenken gegenüber der Höhe und der neuen Situation erzählt hatte.

Diese Strategie der W-Fragen hilft mir sowohl bei lockeren Treffen als auch beim Besuch eines Gottesdienstes. Allerdings war es diesbezüglich für mich grundlegend, die für mich richtige Einstellung zu gewinnen.

Als ich mir hier den richtigen Fokus gesetzt hatte, konnte ich mit der Angst vor den Menschenmengen in der Kirche schon besser umgehen.

Ich möchte einen Gottesdienst vor allem deswegen besuchen, um etwas über Gott und seine Bedeutung für mein Leben zu erfahren. Wenn bei dieser Gelegenheit nette Kontakte oder sogar gute Freundschaften entstehen, ist es natürlich umso schöner! Als ich mir hier den richtigen Fokus gesetzt hatte, konnte ich mit der Angst vor den Menschenmengen in der Kirche schon besser umgehen.

Ich besuche einen Gottesdienst für meine Gottesbeziehung, er ist derjenige, der zu dieser Zeit im Mittelpunkt steht. Diese bewusste Ausrichtung auf Gott begegnet uns an vielen Stellen in der Bibel, eine davon ist besonders hilfreich, wenn man mit einer gewissen „Menschenfurcht“ kämpfen.

Beziehung zu Gott stärken

Johannes beschreibt im letzten Kapitel seines Evangeliums, wie Jesus ihm und den anderen Jüngern am See Genezareth begegnete. Dort aßen sie gemeinsam und Jesus wandte sich mit einer bedeutenden Frage an Petrus. Gleich dreimal vergewisserte sich Jesus, dass Petrus ihn „lieb hat“ (Johannes 21,15).

Ich möchte die Aufmerksamkeit in diesem Zusammenhang auf das Gespräch von Jesus und Petrus lenken: Bevor Jesus ihn in die Gemeinschaft mit anderen Gläubigen schickt, wo Petrus eine wichtige Aufgabe haben wird, stärkt er die Beziehung zu ihm. Obwohl Petrus mit den Worten Jesu eine zentrale Rolle in der Kirche einnehmen wird, geht es zuvor um seine wichtigste Beziehung: die zu Gott.

Aus der Beziehung zu Gott kann eine Kraft wachsen, die Ängste überwindet.

Bei der dritten Nachfrage von Jesus, ob Petrus ihn liebt, reagiert dieser traurig mit den Worten „Herr, du weißt alles. Du weißt doch auch, wie sehr ich dich lieb habe!“ (Johannes 21,17). Jesus wusste, wie Petrus zu ihm steht. Vielleicht brauchte dieser aber eine kleine Erinnerung an die wichtigste Beziehung seines Lebens, bevor er so viele andere bedeutende Beziehungen zu Menschen aufbaute, die er wie ein Hirte begleiten sollte.

Aus der Beziehung zu Gott kann eine Kraft wachsen, die Ängste (und in Petrus’ Fall Hochmut) überwindet. Doch aus dem 1. Johannesbrief wissen wir auch, dass man diese Kraft nicht einfach „machen“ kann. „Das Einzigartige an dieser Liebe ist: Nicht wir haben Gott geliebt, sondern er hat uns seine Liebe geschenkt.“ (1. Johannes 4,10a)

Die Beziehung zu Gott ist die wichtigste, die wir als Christen haben. Die Liebe und Annahme, die wir darin erfahren, können dabei helfen, die eigenen Ängste zu akzeptieren und – vorausgesetzt man möchte es – sie zu überwinden.

Unterstützung in Anspruch nehmen

Doch auch dabei kann es hilfreich sein, weitere Unterstützung in Anspruch zu nehmen; enge Vertraute, Seelsorger und Therapeutinnen sind gute Wegbegleiter. Denn auch wenn es manchmal anders scheint, Gott hat uns zum Segen in Gemeinschaft gestellt, dort können wir seine Liebe erfahren, Beziehungen genießen und zusammenwachsen.

Genau diese Dinge durfte ich auch in der „connect group“ erleben, als ich mich dieser mit einem kleinen Vertrauensvorschuss öffnete. Ich erzählte den anderen von meiner Aufregung. So konnten meine Ängste nicht weiter ungestört ihr Unwesen treiben und die Gruppe bekam überhaupt erst die Chance, verständnisvoll mit mir umzugehen.

Feier deine Erfolge!

Verständnis und Mitgefühl konnte ich mir tatsächlich auch selbst entgegenbringen nach diesem Nachmittag mit mir bis dahin fremden Menschen in der Boulderhalle. Und nicht nur das – ich war auch stolz, mich gleich zwei Ängsten gestellt zu haben: der Angst vor fremden Menschen und der Angst vor Höhe. Ansonsten fühlte ich aber hauptsächlich eins: Hunger auf eine Pizza, die ich mir mehr als verdient hatte!

Wenn die Tatsache, dass man eine Angst überwunden hat, nicht schon Belohnung genug ist, kann so etwas helfen: Feier deine Erfolge! Feier jeden kleinen Schritt auf dem Weg heraus aus der Angst und hinein in deine Kirche und Gemeinde.

Marie Briese studiert Lehramt für Ev. Religionslehre und Deutsch und lebt mit ihrem Mann in Siegen.


Dieser Artikel ist ein Abdruck aus Marie Brieses Buch „Stilles Strahlen“. Es ist bei SCM Hänssler erschienen. SCM Hänssler gehört wie Jesus.de zur SCM Verlagsgruppe.

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4 Kommentare

  1. Guten Tag,

    ich staune nicht schlecht, daß eine Lehramtskandidatin ‚introvertiert# ist! Als Lehrer müßte man doch heute sogar das Gegenteil sein. Evtl. kann ich die Autorin ja einmal anschreiben. Beste und weiterhin Gottes Segen: sonnige Grüße Hartmut Geuder

    • Lieber Hartmut Geuder: Auch Lehramtskandidaten sind Menschen. Introvertiertheit kann man durchaus verstecken, sodass sie nicht so offenkundig daher kommt.

  2. Menschen dürfen so bleiben wie sie sind

    Marie Briese hat einen wirklich wertvollen Beitrag geleistet. Selbst als Nichtintrovertierter geht es auch mir bei neuen Kontakten und anderen Menschen manchmal auch so, dass Schwellenängste bestehen. Allerdings könnten wir als die Christinnen und Christen mit verschiedenen Frömmigkeits- und Gemeindeformen jedweder Art doch viel mehr (oder überhaupt) versprachlichen – oder besser noch es sichtbar und glaubhaft praktizieren – dass wir Geschwister sind. Und zwar auch Geschwister aller Menschen mit, mit schwachem oder gar keinem Glauben. Ein gutes Markenzeichen von uns Jesusnachfolgern wäre es eigentlich, ein Licht der Welt und Salz der Erde zu sein. Also etwas leuchten sollten wir schon.

    Im übrigen gibt es Introvertierte nicht nur als solche, die dies sichtbar nach außen durch Unsicherheit oder Kontaktvermeidung automatisch öffentlich machen. Manche dieser Menschen, denen man das nicht unbedingt ansieht, wechseln eben sehr geschickt die Straßenseite, um nicht bestimmten Menschen zu begegnen und/oder sogar in ein anstrengendes Gespräch verwickelt zu werden. Nun kann aber die beste christliche Gemeinde nicht einen Introvertierten in Nu zu einem Extrovertierten und ggfls. zu einer Plapperkiste verändern. Letztlich müssen wir Menschen, die wir gerne auch zu ihrem eigenen Nutzen verändern möchten, dann allerdings doch so akzeptieren wie sie sind, und sich nicht verändert möchten oder können. Bestände alle Leute dieser Welt nur aus Extrovertierten, dann wäre es genauso wenig auszuhalten wie beim puren Gegenteil. Andererseits soll es ja auch Menschen geben, die wunderbar zuhören können, während andere frisch und fröhlich leben, weil sie zu allem und jedem etwas sagen müssen, sowie in epischer Breite praktizieren. Wir brauchen auch Starke und Schwache in der Gemeinde, damit die Starken den Schwachen den Rücken stärken. Dafür können die Schwachen auf andere Weise sehr stark sein wegen ihrer Geduld, mutig zu Trauer oder Freude zu stehen und auch ihre Gefühle nicht immer hinter einer Maske verstecken müssen. Es kommt immer auf die Perspektive an. Oder auch darauf, dass wir gute Unterstützung sind für Menschen, die ihre eigenen Wege und auch ihre speziellen Stärken und Gaben finden wollen.
    Im Neuen Testament geht Jesus bei seinen Mitarbeitern achtsam mit deren Stärken und Schwächen um, und er hat auch einen Lieblingsjünger. Niemand kann mit allen befreundet sein.

  3. Vielen Dank für diesen wertvollen Beitrag, der so offen und ehrlich beschreibt, wie es Menschen geht, die nicht so leicht auf Fremde zu gehen können. Das hilft mir, verständnisvoller mit Menschen umzugehen, die hier vorsichtiger sind oder gar Ängste haben.
    Super auch die praxiserprobten Tipps, wie man Hürden überwinden kann.
    Bleiben deshalb vielleicht auch manche Leute dem Gottesdienst nach dem Lockdown fern, nicht nur, weil die eigene Couch bequemer ist, sondern weil sie schon immer oder durch den Lockdown verstärkt unsicherer sind im Umgang mit einer Gruppe von Menschen als andere?

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