In den letzten Jahren mussten viele christliche Künstler ihren Beruf aufgeben. Arne Kopfermann spricht im Interview über die aktuellen Herausforderungen für Musiker und zeigt Wege, wie es weiterhin christliche Musik geben kann.
Arne, du bist schon über 30 Jahre in der christlichen Musikszene aktiv – sowohl selbst als Musiker als auch als Produzent für andere. Bist du immer noch mit Leidenschaft dabei oder überwiegt das Leiden an der aktuell herausfordernden Situation für Musikerinnen und Musiker?
Sowohl als auch. Ich habe ja schon als Teenager angefangen und die fetten Jahre noch miterlebt, wo es normal war, dass man auch in der christlichen Nische überleben kann. Die potenzielle Zielgruppe besteht hier ja nur aus zwei bis drei Prozent der Bevölkerung.
Früher wurden noch viele CDs gekauft und somit hatten Musikerinnen und Musiker noch eine andere Möglichkeit, die eigene Arbeit in Einkommen umzusetzen. Ich selbst habe auch lange als Produzent gearbeitet, sodass das auch immer ein elementarer Bestandteil meines Einkommens war.
Und wie geht es dir heute?
Uns als Familie Kopfermann geht es nach wie vor gut, was aber auch damit zu tun hat, dass meine Frau Anja einen guten Job in der Bank hat. Der gibt uns eine finanzielle Grundlage. Mittlerweile bin ich Mitte 50 und schon lange in der Szene aktiv. Ich begleite auch als Mentor viele junge Künstlerinnen und Künstler. Da erfüllt es einen natürlich mit Sorge zu sehen, dass die Leute, die gerade versuchen, sich eine Musikkarriere aufzubauen, es ungleich schwerer haben.
Woran liegt das?
In den letzten Jahren brachen nicht nur durch das Streaming die damit verbundenen Einnahmen weg, sondern während der Coronajahre bestand quasi Berufsverbot für die Unterhaltungsindustrie, übrigens die viertgrößte Industrie in Deutschland. Und diese Mischung war natürlich katastrophal für Musikerinnen und Musiker.
Trotz all der Herausforderungen bist du selbst immer noch künstlerisch tätig. Deine neue
Single „Zeig uns den wahren Jesus“ war der offizielle Promotion Song zur vierten Staffel von „The Chosen“, die im Frühjahr in ausgewählten Kinos lief. Dazu hast du mit deinem Song „Allergie“ eine Hymne gegen Fremdenhass und Intoleranz geschrieben. Wann inspiriert dich ein Thema, einen Song dazuzuschreiben?
Ich habe 1989 mein erstes Album aufgenommen, ein Lobpreis-Album, 1991 kam dann ein Singer-Songwriter-Album und so ging das in den nächsten Jahren immer hin und her. Ich hatte immer das Bedürfnis, über beides zu schreiben: über meine Beziehung zu Gott und damit auch Songs für die Gemeinden auf der einen Seite und auf der anderen Seite über das Leben – über Liebe, Gesellschaft, Konflikte und über Zeittrends.
Du schreibst aber auch über sehr persönliche Themen…
Ja, seit 2014, nach dem Autounfall, bei dem meine Tochter zu Tode gekommen ist, habe ich eine Menge geschrieben über Trauer, Trauma und Traumaverarbeitung und was das mit Menschen und mit Glaubensentwürfen macht. In einem Buch bin ich auch der Frage nachgegangen, wie sich der Glaube in Krisensituationen verändert. Das hat sehr viel Resonanz hervorgerufen.
2023 habe ich dann ein Lobpreis-Album veröffentlicht „Licht am Horizont“, neun Jahre nach dem Tod meiner Tochter und nach all den damit verbundenen inneren Kämpfen. Ich wollte auf eine andere Art und Weise wieder über meine Beziehung zu Gott schreiben – etwas tastender, weniger vollmundig, weniger schwarz-weiß, als ich es vielleicht vor zehn oder fünfzehn Jahren noch gemacht habe.
Und dann kam der Song „Allergie“.
Für mich war danach der nächste Schritt, wieder zu fragen: Was macht im Moment das Leben? Was hat Corona mit uns gemacht? Was machen diese aktuellen Zieh- und Zerrbewegungen in der Gesellschaft mit uns als Menschen? Ich wollte ein politisches Statement geben, das etwas darüber sagt, wie mein Glaube und meine gesellschaftliche Verantwortung zusammenkommen.
„Allergie“ ist aber nur Teil einer CD, die im Juni herausgekommen ist und „Gerecht leben“ heißt. Im Streaming nennt man das „Fall Release“, dass man die Songs nicht alle auf einen Schlag herausbringt, sondern immer erst mal einen Song, dann zwei, dann drei und so weiter, damit man mehr Aufmerksamkeit bekommt und mehr Klicks erzielt. Denn inzwischen kommt es nicht mehr darauf an, viele Alben zu verkaufen, sondern möglichst viele Klicks zu generieren. Da jeden Tag 125.000 neue Songs auf Spotify erscheinen, ist der Fall Release die einzige Möglichkeit, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
„Durch die ganzen Entwicklungen sind christliche Musiker fast eine aussterbende Spezies in dem Sinne, dass sich einfach kein professionelles Leben mehr davon finanzieren lässt.“
Mit Spotify sprichst du eine weitere der aktuellen Herausforderungen an. Einerseits bietet dieser Streamingdienst für uns als Hörerinnen und Hörer die Chance, dass unglaublich viele Songs sehr leicht zugänglich sind. Andererseits ist es für Musikerinnen und Musiker vermutlich die größte Herausforderung der letzten Jahre …
Man muss es sich vielleicht einfach mal in Zahlen angucken: Wenn sich früher ein christliches Album mit einem normalen professionellen Produktionsbudget tragen sollte, dann musste man beim normalen Verkaufspreis von 17,99 Euro zwischen 3000 und 4000 Alben verkaufen. Alles darüber war in der Plus-Zone. Wenn man sich jetzt das Streaming anschaut, brauchst du 1000 Streams, um 3 Euro zu verdienen.
Mit meinem Song „Allergie“ habe ich jetzt zwei Monate nach der Veröffentlichung 11.000 Streams. Das entspricht ungefähr 33 Euro. Damit ich das Budget in Höhe von 8.000 Euro oder 10.000 Euro erreichen könnte, müsste ich etwa 7,5 Millionen Streams erreichen – was in der christlichen Nische eigentlich gar nicht zu realisieren ist.
Durch die ganzen Entwicklungen sind christliche Musiker fast eine aussterbende Spezies in dem Sinne, dass sich einfach kein professionelles Leben mehr davon finanzieren lässt. Irgendwann wird es fast nur noch als Ehrenamt möglich sein, was natürlich die künstlerischen Schaffensmöglichkeiten sehr beschränken wird.
Wenn ich jetzt als Hörerin ein großes Interesse daran habe, dass es weiterhin qualitativ gute christliche Musik gibt, was kann ich dann tun?
Eine Sache kann man sich bei der Jugendkultur abschauen, denn da gibt es nach wie vor Bands, die gut funktionieren, wie zum Beispiel die O’Bros, ein junges Rapper-Duo. Ihre 15- bis 25-jährigen Fans teilen deren Songs sehr offensiv. Die schreiben bei Instagram nicht nur ein Herzchen oder eine Flamme in die Kommentare, sondern teilen auch die Storys und schicken sie an 15 Freunde weiter und sagen: Hört euch das doch mal an!
Das sollte also jeder von uns häufiger machen?
Unbedingt! Es war noch nie so leicht wie heute, auch nicht-christlichen Freunden Musik weiterzuleiten. Wir schicken uns doch auch alle möglichen lustigen Videos und Memes, da wäre es super, wenn wir auch ein christliches Musikvideo weiterleiten und sagen: Schau mal, fand ich super! Dadurch würde eine höhere Sichtbarkeit für die Musiker erzielt werden.
Was für Möglichkeiten gibt es noch?
Früher gab es ja schon mal eine Zeit, in der christliche Musik ganz stark von Crowdfunding gelebt hat. Zur Zeit von Johann Sebastian Bach war es so, dass der Kurfürst die Kantate für den nächsten Sonntag in Auftrag gegeben hat.
Crowdfunding geht ja auch in kleinerem Maße – wenn Künstler für ihre neue CD-Produktion
sammeln, kann man schon mit 20 oder 50 Euro etwas beitragen.
Ganz genau, das ist ein weiterer Tipp. Es gibt auf Spotify einen Knopf, der heißt „Super Thanks“ und den haben viele Künstler eingerichtet. Wenn du also nie eine CD kaufst, aber jemanden sehr gerne hörst, dann wäre es toll, über diesen Knopf etwas zu spenden. Wenn wir essen gehen, geben wir der Bedienung doch auch 10 Prozent von der Rechnung als Trinkgeld. Und wenn das 60 Euro waren, dann sind es auf einen Schlag sechs Euro Trinkgeld. Dieses Prinzip kann man auch bei christlichen Künstlern anwenden. Wenn mich ihr Album wirklich angesprochen hat, könnte ich doch mal fünf bis sechs Euro Trinkgeld über diesen Paypal-Link hinterlassen.
Ich mache das ja auch bei World Vision mit meinem Patenkind, das 30 Euro im Monat bekommt. So könnten wir auch sagen: Wir haben hier unser Portfolio von Dingen, die wir monatlich unterstützen. Und weil wir christliche Musiker wertvoll finden oder es einen konkreten Künstler gibt, der besonders in mein Leben hineingesprochen hat, mich weitergebracht oder bereichert hat, überweise ich dem jetzt pro Monat eine konkrete Summe, die ich selbst festlege. Das würde schon einen großen Unterschied machen, wenn viele Leute das tun würden.
Oder die CD kaufen, auch wenn man nur streamt.
Ja, genau. Wenn man selbst keinen CD-Player mehr hat, kann man die CD ja auch verschenken. Dann habe ich als Musiker sogar doppelt etwas davon. Es gibt sowohl jemand Neuen, der meine Musik kennenlernt, als auch das Crowdfunding in Form der gekauften CD.
„Viele Gemeinden veranstalten ja Frauen-Frühstücke oder Männer-Abende. Da könnte man auch christlicher Musik, die nicht Lobpreis ist, eine Plattform geben.“
Noch eine weitere Idee?
Viele Gemeinden veranstalten ja Frauen-Frühstücke oder Männer-Abende. Da könnte man auch christlicher Musik, die nicht Lobpreis ist, eine Plattform geben.
Und natürlich: Veranstaltet Konzerte als Gemeinde! Eine normale Gemeinde, die gesund ist, tut ihren Leuten doch etwas Gutes, wenn sie regelmäßig ein Konzert veranstaltet.
Oder man könnte in der Gemeinde zu Konzerten einladen oder über christliche Musik sprechen, nach dem Motto: Ich wollte euch mal vorstellen, was es im Moment in diesem Bereich so an christlichen Künstlerinnen und Künstlern zu entdecken gibt. Oder ein Pastor könnte mal eine Predigt zu einem Liedthema halten.
Und Musikliebhaber könnten das, was sie sowieso gerne mögen, auch privat mit anderen teilen. Ich habe mich früher mit Freunden abends beim Rotwein zusammengesetzt und gemeinsam Platten gehört. Durch unsere Swiping- und Streaming-Kultur ist das ziemlich verloren gegangen. Aber es wäre doch schön, der Musik diesen Raum wiederzugeben und zu schauen, was das mit der Seele macht.
Das Interview führte Melanie Carstens, Redaktionsleiterin der Frauenzeitschrift JOYCE.
Dieser Artikel ist in der Zeitschrift JOYCE erschienen. JOYCE gehört wie Jesus.de zum SCM Bundes-Verlag.